Mittwoch, 6. Februar 2013

Um Transsexuelle nicht lebenslang zu diskriminieren, soll die medizinische Geschlechtsumwandlung bald auch gesetzlich anerkannt werden.



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013

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TRANSSEXUELLE
Neues Geschlecht
Um Transsexuelle nicht lebenslang zu diskriminieren, soll die medizinische Geschlechtsumwandlung bald auch gesetzlich anerkannt werden.

Immer wenn der Hamburger Taxifahrer Martin Schlörmann in eine Polizeikontrolle geriet, endete sein Dienst mit einem Verhör auf der Wache. Denn laut Führerschein heißt der bärtige Mann mit der kernigen Stimme Marianne. Und das, so fanden die Beamten immer wieder, könne ja wohl nicht stimmen.

Martins Freundin Helga trägt den Namen Herbert im Ausweis -- Grund genug für einen Hamburger Sparkassen-Angestellten, ihr, so Helga, mit "der Überheblichkeit eines Mannes, der eben nicht Christa heißt", Kreditschwindel vorzuwerfen.

Das Vergehen des Paares: Martin und Helga sind Transsexuelle, Menschen also, die nach der Definition des Frankfurter Sexualwissenschaftlers Volkmar Sigusch "die innere Gewissheit (haben), dem Geschlecht anzugehören, das ihnen körperlich nicht gegeben ist", und deshalb mit medizinischen Mitteln eine Geschlechtsumwandlung herbeigeführt haben.

Bundesweite Aufmerksamkeit für diese Gruppe erkämpfte 1976 die Ärztin Gerda Hoffmann in einer TV-Talkshow mit Hansjürgen Rosenbauer.
Nach der überzeugend weiblichen Plauderei im Fernsehen demonstrierten auch noch Oben-ohne-Fotos in der Boulevard-Presse, daß der Arzt Gernot Hoffmann, wie sich die Medizinerin weiter ausweisen muss, unwiderruflich der Vergangenheit angehörte.

Doch was die Medizin immer perfekter ermöglicht, konnten und wollten die Behörden in der Bundesrepublik bisher nicht nachvollziehen: Juristisch blieben Martin Marianne, Helga Herbert, Gerda Gernot.

Rund 3000 bis 5000 Transsexuelle, schätzt Innen-Staatssekretär Andreas von Schoeler, leben so am Rande der Gesellschaft -- mit diskriminierenden Folgen:

Bei Arbeits- und Wohnungssuche, Ausweiskontrollen und Grenzübertritten, Versicherungsansprüchen und Krankenschutz stoßen sie auf hartnäckiges Unverständnis.

Denn, so erklärte das Oberlandesgericht Hamm 1973 unter Berufung auf ein Bundesgerichtsurteil: "Die deutsche Rechtsordnung ist in ihrer Gesamtheit von dem Grundsatz der geschlechtlichen Unwandelbarkeit des Menschen bestimmt."

Das soll nun endlich aufhören. Fast sechs Jahre nachdem die Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Claus Arndt und Rolf Meinecke sieh erstmals um eine gesetzliche Regelung für die Transsexuellen bemühten, und gut eineinhalb Jahre nach einem einstimmigen Beschluss des Bonner Parlaments hat die Bundesregierung den Ländern jetzt einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Stellungnahme zugesandt.

Im April soll er vom Kabinett verabschiedet werden.
Kernpunkt der geplanten Neuregelung·. "Wer sich dem Geschlecht, das der Angabe in seinem Geburtseintrag entspricht, seit längerer Zeit nicht mehr zugehörig empfindet, kann die gerichtliche Feststellung beantragen, daß er dem anderen Geschlecht zuzurechnen ist." Nach einer Gutachter-Stellungnahme kann ein Amtsgericht danach die neue Geschlechtszugehörigkeit verfügen sowie den Vornamen und alle Dokumente entsprechend ändern.

Als Voraussetzung für eine solche Entscheidung fordert der Entwurf, daß der Antragsteller

"mindestens einundzwanzig Jahre alt ist",

"sich einem sein Geschlecht verändernden operativen Eingriff unterzogen hat" und

"nicht mehr fortpflanzungsfähig ist".

In besonderen Fällen soll dem Antrag auch ohne vorausgegangene Operation stattgegeben werden -- wenn "die Irreversibilität der Geschlechtsumwandlung auf anderem Wege festgestellt" werden kann. Bonner Gesundheitspolitiker hatten von dem juristischen Zwang zu einem operativen Eingriff gewarnt, da die medizinische Notwendigkeit dazu -- etwa nach Hormonbehandlungen -- nicht immer bestehe und aus Alters- oder Krankheitsgründen auch unangebracht sein könnte. In diesem Fall muss das Gericht jedoch mehrere voneinander unabhängige Gutachten einholen.

Eine besondere Definition der Transsexualität sieht das Gesetz nicht vor. Sowohl in der medizinischen Wissenschaft als auch in der juristischen Praxis hält der Gesetzgeber eine Abgrenzung von oft fälschlich mit diesem Phänomen verwechselten Erscheinungsformen wie Transvestitismus und Homosexualität für leicht möglich.

Im Gegensatz zu einem ähnlichen Gesetz in Schweden fordert der deutsche Entwurf nicht die Ehelosigkeit des Antragstellers. Vielmehr wird jede bestehende Ehe automatisch ungültig, sobald das Gericht den Geschlechtswechsel festgestellt hat.

Unberührt davon bleibt ein bestehendes Eltern-Kind-Verhältnis: Für den Unterhalt, das Erbrecht und die Vaterschaftsfeststellung bleibt ein Transsexueller auch dann Vater, wenn das Gericht ihn nachträglich zur Frau macht. Um Diskriminierung für die betroffenen Kinder zu vermeiden, wird in ihren Urkunden ausnahmslos der Name des Elternteils vor der Geschlechtsumwandlung angegeben.
Obwohl die Länder kaum Widerstand gegen den Bonner Entwurf leisten werden, rechnen die Transsexuellen mit der Möglichkeit weiterer Verschleppung. Denn "Verzögerung", das hat auch Staatssekretär von Schoeler bei der bisherigen Behandlung des Entwurfs gespürt, ist die Form, in der "unterschwellig Protest geltend gemacht wird".


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