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Transsexualität/Transidentität: Was ist weiblich, was männlich?
Sowohl der
Krankheitsstatus als auch der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung, eines der
Hauptsymptome der Transsexualität, werden heute immer stärker hinterfragt.
Vom
biologischen Geschlecht her ein Mann oder eine Frau sein und sich auch so
fühlen – das ist für rund 2 000 bis 6 000 Menschen in Deutschland keine
Selbstverständlichkeit. Denn diese Menschen haben das sichere und durch nichts
zu beirrende Gefühl, im „falschen Körper gefangen“ zu sein. Dieses Gefühl ist
oft schon in der Kindheit und im Jugendalter vorhanden und veranlasst die
Betroffenen, sich geschlechtsuntypisch zu verhalten: Jungen ziehen
Mädchenkleider an, schminken sich und wirken weich und weiblich. Mädchen tragen
Kurzhaarschnitte und gebärden sich männlicher als so mancher Junge. Kindern
lässt man solches Verhalten meist noch durchgehen, doch spätestens mit der
Pubertät und mit der Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale fangen die
Probleme an.
Sehr hoher
Leidensdruck
Die
Betroffenen fühlen sich immer unwohler in ihrem Körper und können seine
Veränderungen nicht akzeptieren. Bei dem Versuch, sich entsprechend ihres
„gefühlten“ Geschlechts zu kleiden und zu geben, stoßen sie jedoch auf
gesellschaftliche Grenzen, wobei Männer noch stärker betroffen sind als Frauen.
Während heutzutage nämlich kaum Anstoß daran genommen wird, wenn Vertreterinnen
des weiblichen Geschlechts sich durchsetzungsfähig-maskulin geben und Hosen
statt Röcke tragen, wird es allgemein nicht akzeptiert, wenn Männer sich
schminken und feminin kleiden. Ob Mann oder Frau – der Leidensdruck ist für
viele „Transsexuelle“ beziehungsweise „transidente“ Menschen immens hoch.
Wenn
Transsexuelle sich in früheren Zeiten hilfesuchend an Ärzte oder Psychiater
wandten, erwartete sie eine Tortur: Das erklärte Ziel jeder Behandlung bestand
darin, das „Krankhafte, das nicht sein darf“ auszutreiben und ins „Normale“
umzukehren. Dabei wurden mitunter brachiale Methoden angewandt, wie
beispielsweise Gehirnoperationen, Elektroschocks und Kastrationen. Im Gegensatz
dazu sind die Behandlungsmöglichkeiten heute diffiziler und vielfältiger. Sie
reichen von Hormontherapien bis hin zur operativen Umbildung der
Geschlechtsorgane. Den Status des Gestörten und Pathologischen hat die
Transsexualität jedoch nach wie vor inne. In den „Standards der Behandlung und
Begutachtung von Transsexuellen“, die drei Fachgesellschaften verabschiedet
haben, wird „Transsexualität“ immer noch als eine Geschlechtsidentitätsstörung,
also als eine Krankheit definiert, die mit dem Wunsch einhergeht, durch
hormonelle und chirurgische Maßnahmen so weit als möglich die körperliche
Erscheinungsform des Identitätsgeschlechts anzunehmen (vgl. auch ICD-10: F64.0
„Störungen der Geschlechtsidentität“ sowie DSM-IV „Sexuelle und
Geschlechtsidentitätsstörungen“). Bis in die 80er-Jahre hinein hatte die
Diagnose „Transsexualität“ zudem fast immer eine andere Diagnose – vor allem die
Borderline-Persönlichkeitsstörung – nach sich gezogen.
Sowohl der
Krankheitsstatus als auch der Wunsch nach Geschlechts-umwandlung als eines der
Hauptsymptome der Transsexualität werden heute von Experten immer stärker
hinterfragt. So hat beispielsweise Prof. Dr. Rauchfleisch, Klinischer
Psychologe und Psychotherapeut an der Universität Basel, bei seiner Arbeit mit
Transsexuellen die Erfahrung gesammelt, dass es unter transsexuellen Menschen
sowohl psychisch völlig unauffällige als auch psychisch erkrankte gibt – wie in
der Normalbevölkerung auch. Nach Rauchfleischs Beobachtungen besteht zwischen
Transsexualität und psychischer Gesundheit beziehungsweise Krankheit keine
kausale Beziehung. „Wir können Transsexualismus nicht als eine Störung der
Geschlechtsidentität betrachten, sondern müssen ihn als Normvariante ansehen,
die in sich, wie alle sexuellen Orientierungen, das ganze Spektrum von
psychischer Gesundheit bis Krankheit enthält“, so Rauchfleisch. Darüber hinaus
belegen verschiedene Studien, dass längst nicht alle Transsexuellen eine
chirurgische Angleichung an das Gegengeschlecht suchen, sondern lediglich
zwischen 43 und 50 Prozent. Tatsächlich besteht hinsichtlich der Entscheidung,
ob sie eine Angleichung an das Gegengeschlecht anstreben, ob sie sich in einem
Zwischenbereich dauerhaft einrichten oder ob sie den Wunsch nach Angleichung
dauerhaft aufgeben, eine große Bandbreite. Selbst der Begriff „Transsexualität“
scheint nach heutigem Erkenntnisstand nicht mehr zutreffend. Denn bei diesem
Phänomen stehen weniger die Sexualität und ihre Ausrichtung als vielmehr die
Identität, das Selbstbild im Mittelpunkt. Daher wird heute zum Teil der Begriff
„Transidentität“ verwendet.
Oberbegriff
„Transgender“
Manchmal
wird auch der Begriff „Transgender“ benutzt. Dabei handelt es sich jedoch eher
um einen Oberbegriff für alle diejenigen Menschen, die sich mit dem ihnen
biologisch und/oder sozial zugewiesenen Geschlecht falsch oder unzureichend
beschrieben fühlen. Dazu zählen neben den Transsexuellen auch Transvestiten,
Cross-Dresser (Menschen, die die Kleidung des anderen Geschlechts zumindest
zeitweise tragen), bewusst androgyne Menschen, Drag Kings (Frauen, die in der
Männerrolle auftreten) und Drag Queens (Männer, die in der Frauenrolle
auftreten).
Als
psychodynamische Ursache für Transsexualität wurde der (oft unbewusste, aber
teilweise direkt ausagierte) Wunsch der Eltern vermutet, ein Kind des anderen
Geschlechts zu haben. Darüber hinaus wurde das Fehlen oder die stark negative
Besetzung des gleichgeschlechtlichen Elternteils verdächtigt. Das Kind werde so
zur Identifikation mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil ge- drängt. Von
somatischer Seite sind als Ursachen des Transsexualismus postuliert worden:
eine hormonelle Beeinflussung des Fötus mit gegengeschlechtlichen Hormonen in
der intrauterinen Entwicklung, eine Störung in nicht genauer identifizierbaren
Arealen des Gehirns oder ein Zellmembranglykoprotein. Diese und andere
Hypothesen konnten bis heute noch nicht schlüssig belegt werden, sodass die
Ursachen des Transsexualismus mehr denn je im Dunkeln liegen.
Vorgehen bei
angestrebter Geschlechtsumwandlung
Transsexuelle,
die eine Geschlechts-umwandlung anstreben, müssen fünf Stufen durchlaufen:
-
Diagnostik: Sie richtet sich auf die psychische Situation der transidenten
Person. Es wird geprüft, ob die Diagnose „Transsexualität“ zu stellen ist oder
ob Kontraindikationen vorliegen. Ferner gilt es zu beobachten, wie konstant das
Bedürfnis nach dem Leben in der anderen Geschlechtsrolle ist, ob die Person ein
anderes Therapieziel definiert hat, welche Veränderungen der Rollenwechsel mit
sich bringen wird und welche Probleme eventuell daraus resultieren können.
Neben der psychologisch-psychiatrischen Abklärung werden auch
endokrinologische, internistische und gegebenenfalls somatische Untersuchungen
durchgeführt, um zu prüfen, ob Risiken oder Kontraindikationen im Hinblick auf
spätere hormonelle und chirurgische Maßnahmen bestehen.
-
Alltagstest: Der Transidente soll bereits vor den hormonellen und chirurgischen
Interventionen ein bis zwei Jahre lang täglich 24 Stunden in der angestrebten
Geschlechtsrolle leben und auf diese Weise prüfen, ob und wie ihm der Wechsel
der Geschlechtsrolle möglich ist. Gleichzeitig testet er auch, inwieweit seine
Umgebung in der Lage ist, einen Rollenwechsel mit zu vollziehen und zu
akzeptieren.
-
Hormonbehandlung: Der Transidente wird nun mit gegengeschlechtlichen Hormonen
behandelt, um somatische Veränderungen zu erzielen.
-
Chirurgische Maßnahme: Sie erfolgt, wenn die transidente Person mit der
hormonellen Medikation zurechtkommt, da sie nach der Operation lebenslang auf
die Hormonapplikation angewiesen sein wird. Die chirurgische Angleichung an das
Gegengeschlecht ist ein komplizierter, aufwendiger Eingriff, der Risiken birgt
und Grenzen unterliegt.
-
Nachbetreuung: Zu dieser Phase gehört eine körperliche Nachbetreuung. Auch eine
psychotherapeutische Nachbetreuung hat sich als sinnvoll erwiesen.
Vor den
Behandlungen müssen sich transidente Menschen einer mindestens einjährigen,
vorbereitenden Psychotherapie unterziehen. In der Regel wird die Psychotherapie
von den Betroffenen nicht als „aufgezwungen“, sondern als sinnvoll erlebt. Die
Psychotherapie verfolgt das Ziel, die Selbstreflexion der Transidenten zu
stärken und ihnen Unterstützung auf ihrem Weg in die neue Rolle zu bieten. Es
wird jedoch nicht angestrebt, der betreffenden Person ihre Überzeugungen
auszureden. Zu den Fragen und Problemen, die es aufzuarbeiten und zu begleiten
gilt, zählen beispielsweise die Situation im Beziehungs- und Berufsbereich, der
Coming-out-Prozess, der Umgang mit Diskriminierung, Belästigungen und
Beschimpfungen sowie die Klärung familiärer Beziehungen. Hierunter fallen
Fragen nach der Fortführung der bestehenden Partnerschaft, nach der Aufklärung
der Kinder oder nach der Entlastung der Eltern Transsexueller, die die Schuld
für die Transsexualität ihres Kindes oft bei sich suchen. Darüber hinaus sollte
in der begleitenden Psychotherapie die Auseinandersetzung mit der neuen Rolle
und mit den Zukunftserwartungen thematisiert werden. Eine Frage, die sich im
Therapieprozess immer wieder stellt, ist zum Beispiel: Was ist eigentlich
weiblich, was männlich? Hier gilt es, kulturelle, soziale und biologische
Geschlechtsmerkmale zu diskutieren und zu hinterfragen. Ein Problem, das in
diesem Zusammenhang ebenfalls erörtert werden muss, sind mögliche
Enttäuschungen darüber, dass nach der Operation das biologische Geschlecht
immer noch „durchscheint“. Vor allem Männer sind nach der Geschlechtsumwandlung
gelegentlich noch als solche zu erkennen. Hier sollte die Selbstakzeptanz
gestärkt und das Streben nach einem möglichst perfekten „passing“ relativiert
werden.
Aus dem
Zeitpunkt der Manifestation ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte der
begleitenden Psychotherapie. Bei einer frühen Manifestation der Transsexualität
sind vor allem die Unterstützung und Klärung in der Auseinandersetzung mit der
Familie und im beruflichen Bereich vordringlich. Bei einem späten Beginn steht
hingegen die Hilfe bei der Lösung innerseelischer Konflikte, bei der Akzeptanz
der Transsexualität und beim Aufbau eines sozialen Netzwerks im Vordergrund.
Positiveres
Selbstverständnis und Solidarität
Transidente
Menschen haben oft viele Schwierigkeiten in ihrem Leben zu meistern. Sie erleben
Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung, werden missverstanden und stehen immer
im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Mit diesen Problemen werden sie jedoch im
Vergleich zu früher nicht mehr allein gelassen. Viele Transsexuelle besitzen
heute ein positiveres Selbstverständnis und zeigen offen ihre Solidarität.
Diese findet unter anderem Ausdruck in der Gründung von Vereinigungen,
Selbsthilfe- und Emanzipationsgruppen, die Informationen liefern,
Erfahrungsaustausch und Begegnungsmöglichkeiten eröffnen und Beratung anbieten.
Sie tragen außerdem dazu bei, einen positiven, stabilisierenden Einfluss auf
die Identitätsbildung auszuüben. Darüber hinaus bringen Transsexuelle eigene
Zeitschriften heraus, betreiben Internetforen und halten Tagungen ab. Auch die soziale,
psychosoziale und rechtliche Situation Transsexueller hat sich verändert.
Transsexuelle sind heute in der Öffentlichkeit als Gruppe und vom Staat als
solche anerkannt. Ihnen steht zudem eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten
zur Verfügung, die sie in inländischen, angesehenen Kliniken durchführen lassen
können. Nicht zuletzt erleben transidente Menschen durchaus auch positive
Reaktionen: Sie werden als exotisch und aufregend erlebt, es kann eine echte
Akzeptanz ihrer Identität und Lebensform bestehen, oder sie werden als
konstruktive Herausforderung empfunden. Letzteres kann dazu beitragen,
traditionelle Geschlechterrollen zu hinterfragen, sich „abweichenden“
Lebensformen gegenüber öffnen zu können und den eigenen Horizont zu erweitern.
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