Donnerstag, 7. November 2013

Im Deutschen Bundestag wurde am 31. Januar ein Gesetz verabschiedet, das Eltern und Ärzten eines Babys mit nicht eindeutigem Geschlecht die Entscheidung abnehmen soll, das Kind als Mädchen oder Junge im Geburtsregister eintragen zu lassen.


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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013


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Änderung des Personenstandsgesetzes

Am 1. November 2013 tritt das Personenstandsgesetz in Deutschland in Kraft, das um folgenden Absatz ergänzt wurde: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen."
Im Deutschen Bundestag wurde am 31. Januar ein Gesetz verabschiedet, das Eltern und Ärzten eines Babys mit nicht eindeutigem Geschlecht die Entscheidung abnehmen soll, das Kind als Mädchen oder Junge im Geburtsregister eintragen zu lassen.

Das geänderte Personenstandsgesetz ist heute, am 1. November, Inkrafttreten und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass etwa jedes 4500ste in Deutschland geborene Kind nicht dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen ist. Intersexuelle Kinder haben beide Anlagen und sind nicht eindeutig Mädchen oder Junge.

Noch immer wird im Babyalter operiert

Bis vor nicht allzu langer Zeit empfahlen Ärzte den Eltern massiv, ihr Kind einem der beiden Geschlechter zuzuweisen, es operieren zu lassen und ganz nach dem klassischen Junge-Mädchen-Profil zu erziehen. Bis in die 1990er Jahre galt in den meisten Fällen bei OPs das Prinzip der besseren Machbarkeit: "It's easier to make a hole than to build a pole" (Es ist einfacher ein Loch zu graben, als einen Pfahl zu errichten), also wurden fast alle intersexuell geborenen Kinder zu Mädchen. Dass überhaupt operiert werden musste, stand nur selten zur Debatte. Lediglich wenn Eltern sich vehement gegen alle ärztlichen Ratschläge durchsetzten, blieb das Kind unversehrt, in mehr als drei Vierteln war das nicht der Fall.
Im September 2012 wandte sich eine Gruppe Betroffener mit einem offenen Brief ans Hamburger Universitätsklinikum und forderte eine umfassende Aufarbeitung. Ärztliche Empfehlungen aus den 1950er bis 1970er Jahren, wie sie die Schweizer Gruppe aus ihren Unterlagen zitiert, klingen brutal: "Nach Möglichkeit soll die Operation schon vor dem vierten Lebensjahr durchgeführt werden. Bei leichteren Fällen ist lediglich die Entfernung der Klitoris erforderlich. Das Organ soll dabei exstirpiert [vollständig entfernt, Anm. d. Red.] und nicht amputiert werden, da sich sonst lästige Erektionen des zurückgebliebenen Stumpfes einstellen können."
Auch heute noch werden zwischengeschlechtliche Kinder operiert, oft wird ein erhöhtes Krebsrisiko als Grund angeführt, das etwa bei innenliegenden Hoden besteht. Dass es sich um einen statistischen Wert handelt und das Entartungsrisiko deutlich geringer als früher angenommen ist, hindert die meisten Ärzte nicht an einer sogenannten Gonadektomie, einer Entfernung der hormonbildenden Keimdrüsen. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie ihr Leben lang Medikamente nehmen müssen, um die Hormone zu ersetzen. Und natürlich Unfruchtbarkeit.
Leben zwischen den Geschlechtern

Vom 2. Mai bis 19. Juni 2011 führte der Deutsche Ethikrat eine Online-Umfrage unter betroffenen Menschen zum Thema Intersexualität durch. Dabei kam auch heraus, was den Befragten besonders fehlt: "Am häufigsten werden öffentliche Aufklärung und Enttabuisierung - insbesondere in Schulen, an Universitäten, bei Medizinern und Psychologen - gefordert." Zum Personenstandsrechts kam es zu folgenden Ergebnissen: "Im Hinblick auf das Personenstandsrecht fordern 43 Prozent eine Beibehaltung der Unterscheidung männlich/weiblich. 36 Prozent plädieren für eine andere Lösung und 22 Prozent fordern die Ergänzung um eine dritte Kategorie."
Der Ethikrat empfahl dem Bundestag die Änderung des Personenstandsgesetzes. Nun kann dies als rechtliche Grundlage für weitere Aufklärung dienen. Hertha Richter-Appelt, stellvertretende Direktorin des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Hamburger UKE, hat auch den Ethikrat beraten. 2010 sagte sie in einem Interview mit der "Brigitte": "Das psychosoziale Geschlecht sollten Eltern auf keinen Fall offen lassen." Neben der Frage, wie man bei einem Baby oder Kleinkind das psychosoziale Geschlecht erkennt, stellt sich auch die Frage: Können Eltern ein Kind nicht geschlechtsneutral erziehen? Zustern.de sagt Frau Richter-Appelt: "Ich kann mir wenige Eltern vorstellen, die das von ihrer eigenen psychischen Struktur her ohne größere Probleme schaffen. Also es ohne Unterstützung schaffen, in den Kindergarten zu gehen und zu sagen 'Ich möchte das Kind weder als Mädchen noch als Jungen erziehen. Können Sie bitte entsprechend mit dem Kind umgehen?' Da müssen sie auf vernünftige Kindergärtnerinnen stoßen. Dann kommt das Kind in die Schule, dann muss man mit den Lehrern reden und so weiter. Ich glaube, es ist für ein Kind einfacher, wenn sie sagen, wir erziehen das Kind mehr oder minder als Mädchen, aber sehr tolerant. Früher hat man Kinder so erzogen, dass man einem dem weiblichen Geschlecht zugewiesenen Kind, wenn es angefangen hat mit Autos zu spielen, die Autos weggenommen hat. Und analog hat man das mit Jungs gemacht. Das ist natürlich Wahnsinn, da pressen Sie die Kinder in irgendwas rein, wo sie sich überhaupt nicht entwickeln können. Und unsere Erfahrung aus der Studie ist: Intersexuelle Menschen erleben sich oft dazwischen."

Aufklärung muss her
Doch Eltern, die sich das zutrauen, gibt es heutzutage durchaus, das weiß Richter-Appelt, einige kennt sie persönlich: "Ich sage nicht, dass es nicht geht. Kinder mobben relativ wenig, was Geschlecht angeht. Das war immer die Angst von Ärzten, wenn das Kind in die Sauna geht oder in die Schule kommt, werde es gehänselt. Ich glaube aber, das sind sehr viel mehr die Ängste der Erwachsenen", berichtet sie.
Und da hilft nur Aufklärung, für die Akzeptanz einer mehr als zweigeschlechtlichen Welt reicht das ergänzte Gesetz allein nicht aus. Dass wir auch ein sprachliches Problem haben mit einem "unbestimmten Geschlecht", stellte Burkhard Müller in seinem Artikel "Der Mensch, die Männin" in der "Süddeutschen Zeitung" fest. Sprache sei zäh und träge, was man bereits an Notlösungen wie "Professorinnen" oder "Professor/inn/en" merke, wenn man Professoren und Professorinnen anschreiben wolle. Doch in der Sprache kann sich nur widerspiegeln, was auch gelebt wird - und davon die zahlreichen Varianten zwischen den Geschlechtern zu leben, zu akzeptieren, gleichzubehandeln und in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen, sind wir noch meilenweit entfernt.
Nach Schätzungen des Ethikrates leben in Deutschland etwa 80.000 Menschen, die wie die Romanfigur Calliope, nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können. Sie haben zum Teil sowohl weibliche, wie auch männliche Geschlechtsorgane; zum Teil sind sie zwar anatomisch Frauen, verfügen jedoch über einen deutlichen Überschuss an männlichen Geschlechtshormonen. Es gibt unzählige Formen von Intersexualität.

Ein Ausschuss der Vereinten Nationen hatte die deutsche Bundesregierung im Jahr 2009 dafür gerügt, diese Menschen nicht hinreichend vor Diskriminierungen zu schützen, und zugleich aufgefordert, Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen. Eine solche Maßnahme entfaltet nun Wirkung. Von diesem Freitag an regelt das Personenstandsgesetz, dass Neugeborene, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, ohne Angabe des Geschlechts in das Geburtenregister einzutragen sind. Zuvor mussten Eltern innerhalb des ersten Lebensmonats angeben, ob ihr Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Auch im Reisepass, der anders als der Personalausweis eine Angabe über das Geschlecht enthält, kann vom 1. November an statt „F“ und „M“ auch ein „X“ eingetragen werden. Zwar wurde das Passgesetz selbst nicht geändert; diese Möglichkeit ist aber in einer europäischen Verordnung vorgesehen, die wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts die Regelung des deutschen Passgesetzes verdrängt.

Die geschäftsführende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht in den Neuerungen einen wichtigen Schritt für die Abschaffung der Diskriminierung: „Für Intersexuelle bedeutet das eine große Erleichterung, für unsere Gesellschaft eine wichtige Modernisierung“, sagte sie dieser Zeitung und forderte, dass sich „diese Haltung“ künftig „auf alle Bereiche der Rechtsordnung erstrecken“.

Mit größerer Zurückhaltung reagiert das Bundesinnenministerium, das für das Personenstandsrecht zuständig ist. „Die Neuregelung erschafft keine neue Geschlechtskategorie“, sagte ein Sprecher. Sie soll lediglich den Druck von den Eltern nehmen, sich vorschnell auf ein Geschlecht festzulegen und geschlechtsangleichende medizinische Operationen an ihrem Kind vornehmen zu lassen. Die Idee sei aber schon, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine Entscheidung zugunsten eines der beiden Geschlechter getroffen werde – auch wenn das Gesetz sie zu einer solchen Entscheidung nicht zwinge. „In der gesamten Rechtsordnung, insbesondere im Verfassungs- und Zivilrecht, existieren nur die Geschlechter männlich und weiblich“, heißt es zur Begründung aus dem Bundesinnenministerium.
Michael Wunder, Leiter der Arbeitsgruppe Intersexualität im Ethikrat, bezeichnete die Gesetzesänderung daher als „halbherzig“. Der Ethikrat, der im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zur Intersexualität erarbeitete, hatte vorgeschlagen, dass im Geburtenregister neben „männlich“ und „weiblich“ auch die Kategorie „anderes“ zur Verfügung steht – wie das etwa in Australien der Fall ist. „Eine Nichteintragung im Geburtsregister trifft die Sache nicht“, sagt Wunder, der in seiner Tätigkeit als Therapeut häufig mit Intersexuellen zu tun hat. „Diese Menschen haben nicht kein Geschlecht, sondern es kommen vielgestaltige Geschlechter vor. Daher sage ich auch nicht ,drittes Geschlecht‘, es gibt ein viertes, fünftes und sechstes.“ So sei die Schöpfung, und es gehe darum, sie zu akzeptieren. Und das bedeute in der Konsequenz eben auch, das Versicherungsrecht, das Familienrecht und andere Rechtsbereiche zu reformieren.

Der Ethikrat hatte in seiner Stellungnahme vom Februar 2012 nicht nur eine Änderung des Personenstandsrechts vorgeschlagen. Noch wichtiger sei den Mitgliedern der Arbeitsgruppe eine Änderung der Regelungen zur medizinischen Behandlung gewesen, berichtet Wunder. Operative Maßnahmen bei Menschen mit weiblichen und männlichen Keimdrüsen ist nach Ansicht des Ethikrats ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Wahrung der sexuellen Identität. Für eine solche Operation dürfe sich nur der Betroffene höchstpersönlich entscheiden, wenn er in ein entscheidungsfähiges Alter kommt. Die Eltern sollten nur dann entscheiden können, wenn das Kindeswohl ohne Operation massiv gefährdet wäre.

Früher waren Operationen an Neugeborenen mit doppeltem Geschlecht die Regel. In den meisten Fällen wurden sie zu Mädchen umoperiert – mit teilweise gravierenden gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Betroffenen. Interessenvertretungen intersexueller Menschen geißeln solche Eingriffe daher als „genitale Verstümmelungen“. Bei einigen Medizinern hat in den vergangenen Jahren ein Umdenken eingesetzt. „Es gibt jedoch keine repräsentative Studie, die belegt, dass es tatsächlich weniger Operationen als früher gibt“, sagt Wunder. Daher sei auch hier eine gesetzliche Regelung notwendig.

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