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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013
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Änderung des Personenstandsgesetzes
Am 1.
November 2013 tritt das Personenstandsgesetz in Deutschland in Kraft, das um
folgenden Absatz ergänzt wurde: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch
dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne
eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen."
Im Deutschen
Bundestag wurde am 31. Januar ein Gesetz verabschiedet, das Eltern und Ärzten
eines Babys mit nicht eindeutigem Geschlecht die Entscheidung abnehmen soll,
das Kind als Mädchen oder Junge im Geburtsregister eintragen zu lassen.
Das
geänderte Personenstandsgesetz ist heute, am 1. November, Inkrafttreten und
trägt damit der Tatsache Rechnung, dass etwa jedes 4500ste in Deutschland
geborene Kind nicht dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen ist.
Intersexuelle Kinder haben beide Anlagen und sind nicht eindeutig Mädchen oder
Junge.
Noch immer wird im Babyalter operiert
Bis vor nicht allzu langer Zeit empfahlen Ärzte den Eltern massiv, ihr Kind
einem der beiden Geschlechter zuzuweisen, es operieren zu lassen und ganz nach
dem klassischen Junge-Mädchen-Profil zu erziehen. Bis in die 1990er Jahre galt
in den meisten Fällen bei OPs das Prinzip der besseren Machbarkeit: "It's
easier to make a hole than to build a pole" (Es ist einfacher ein Loch zu
graben, als einen Pfahl zu errichten), also wurden fast alle intersexuell geborenen
Kinder zu Mädchen. Dass überhaupt operiert werden musste, stand nur selten zur
Debatte. Lediglich wenn Eltern sich vehement gegen alle ärztlichen Ratschläge
durchsetzten, blieb das Kind unversehrt, in mehr als drei Vierteln war das
nicht der Fall.
Im September 2012 wandte sich eine Gruppe Betroffener mit einem
offenen Brief ans Hamburger Universitätsklinikum und forderte
eine umfassende Aufarbeitung. Ärztliche Empfehlungen aus den 1950er bis 1970er
Jahren, wie sie die Schweizer Gruppe aus ihren Unterlagen zitiert, klingen
brutal: "Nach Möglichkeit soll die Operation schon vor dem vierten
Lebensjahr durchgeführt werden. Bei leichteren Fällen ist lediglich die
Entfernung der Klitoris erforderlich. Das Organ soll dabei exstirpiert
[vollständig entfernt, Anm. d. Red.] und nicht amputiert werden, da sich sonst
lästige Erektionen des zurückgebliebenen Stumpfes einstellen können."
Auch heute noch werden zwischengeschlechtliche Kinder operiert, oft wird
ein erhöhtes Krebsrisiko als Grund angeführt, das etwa bei innenliegenden Hoden
besteht. Dass es sich um einen statistischen Wert handelt und das
Entartungsrisiko deutlich geringer als früher angenommen ist, hindert die
meisten Ärzte nicht an einer sogenannten Gonadektomie, einer Entfernung der
hormonbildenden Keimdrüsen. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie ihr
Leben lang Medikamente nehmen müssen, um die Hormone zu ersetzen. Und natürlich
Unfruchtbarkeit.
Leben zwischen den Geschlechtern
Vom 2. Mai bis 19. Juni 2011 führte der Deutsche
Ethikrat eine Online-Umfrage unter betroffenen Menschen zum
Thema Intersexualität durch. Dabei kam auch heraus, was den Befragten besonders
fehlt: "Am häufigsten werden öffentliche Aufklärung und Enttabuisierung -
insbesondere in Schulen, an Universitäten, bei Medizinern und Psychologen -
gefordert." Zum Personenstandsrechts kam es zu folgenden Ergebnissen:
"Im Hinblick auf das Personenstandsrecht fordern 43 Prozent eine
Beibehaltung der Unterscheidung männlich/weiblich. 36 Prozent plädieren für
eine andere Lösung und 22 Prozent fordern die Ergänzung um eine dritte
Kategorie."
Der Ethikrat empfahl dem Bundestag die Änderung des Personenstandsgesetzes.
Nun kann dies als rechtliche Grundlage für weitere Aufklärung dienen. Hertha
Richter-Appelt, stellvertretende Direktorin des Instituts für Sexualforschung
und Forensische Psychiatrie am Hamburger UKE, hat auch den Ethikrat beraten.
2010 sagte sie in einem
Interview mit der "Brigitte": "Das psychosoziale
Geschlecht sollten Eltern auf keinen Fall offen lassen." Neben der Frage,
wie man bei einem Baby oder Kleinkind das psychosoziale Geschlecht erkennt,
stellt sich auch die Frage: Können Eltern ein Kind nicht geschlechtsneutral
erziehen? Zustern.de sagt Frau Richter-Appelt: "Ich kann mir
wenige Eltern vorstellen, die das von ihrer eigenen psychischen Struktur her
ohne größere Probleme schaffen. Also es ohne Unterstützung schaffen, in den
Kindergarten zu gehen und zu sagen 'Ich möchte das Kind weder als Mädchen noch
als Jungen erziehen. Können Sie bitte entsprechend mit dem Kind umgehen?' Da
müssen sie auf vernünftige Kindergärtnerinnen stoßen. Dann kommt das Kind in
die Schule, dann muss man mit den Lehrern reden und so weiter. Ich glaube, es
ist für ein Kind einfacher, wenn sie sagen, wir erziehen das Kind mehr oder
minder als Mädchen, aber sehr tolerant. Früher hat man Kinder so erzogen, dass
man einem dem weiblichen Geschlecht zugewiesenen Kind, wenn es angefangen hat
mit Autos zu spielen, die Autos weggenommen hat. Und analog hat man das mit
Jungs gemacht. Das ist natürlich Wahnsinn, da pressen Sie die Kinder in
irgendwas rein, wo sie sich überhaupt nicht entwickeln können. Und unsere
Erfahrung aus der Studie ist: Intersexuelle Menschen erleben sich oft
dazwischen."
Aufklärung muss her
Doch Eltern, die sich das zutrauen, gibt es heutzutage durchaus, das weiß
Richter-Appelt, einige kennt sie persönlich: "Ich sage nicht, dass es
nicht geht. Kinder mobben relativ wenig, was Geschlecht angeht. Das war immer
die Angst von Ärzten, wenn das Kind in die Sauna geht oder in die Schule kommt,
werde es gehänselt. Ich glaube aber, das sind sehr viel mehr die Ängste der
Erwachsenen", berichtet sie.
Und da hilft nur Aufklärung, für die Akzeptanz einer mehr als
zweigeschlechtlichen Welt reicht das ergänzte Gesetz allein nicht aus. Dass wir
auch ein sprachliches Problem haben mit einem "unbestimmten
Geschlecht", stellte Burkhard Müller in seinem Artikel "Der Mensch,
die Männin" in der "Süddeutschen Zeitung" fest. Sprache sei zäh
und träge, was man bereits an Notlösungen wie "Professorinnen" oder
"Professor/inn/en" merke, wenn man Professoren und Professorinnen
anschreiben wolle. Doch in der Sprache kann sich nur widerspiegeln, was auch
gelebt wird - und davon die zahlreichen Varianten zwischen den Geschlechtern zu
leben, zu akzeptieren, gleichzubehandeln und in unserer Gesellschaft sichtbar
zu machen, sind wir noch meilenweit entfernt.
Nach Schätzungen des Ethikrates leben in Deutschland etwa 80.000 Menschen,
die wie die Romanfigur Calliope, nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet
werden können. Sie haben zum Teil sowohl weibliche, wie auch männliche
Geschlechtsorgane; zum Teil sind sie zwar anatomisch Frauen, verfügen jedoch
über einen deutlichen Überschuss an männlichen Geschlechtshormonen. Es gibt
unzählige Formen von Intersexualität.
Ein Ausschuss der Vereinten Nationen hatte die deutsche Bundesregierung im
Jahr 2009 dafür gerügt, diese Menschen nicht hinreichend vor Diskriminierungen
zu schützen, und zugleich aufgefordert, Maßnahmen zum Schutz ihrer
Menschenrechte zu ergreifen. Eine solche Maßnahme entfaltet nun Wirkung. Von
diesem Freitag an regelt das Personenstandsgesetz, dass Neugeborene, die weder
dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, ohne
Angabe des Geschlechts in das Geburtenregister einzutragen sind. Zuvor mussten
Eltern innerhalb des ersten Lebensmonats angeben, ob ihr Kind ein Mädchen oder
ein Junge ist. Auch im Reisepass, der anders als der Personalausweis eine
Angabe über das Geschlecht enthält, kann vom 1. November an statt „F“ und „M“
auch ein „X“ eingetragen werden. Zwar wurde das Passgesetz selbst nicht
geändert; diese Möglichkeit ist aber in einer europäischen Verordnung
vorgesehen, die wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts die Regelung des
deutschen Passgesetzes verdrängt.
Die geschäftsführende Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht in den Neuerungen einen wichtigen
Schritt für die Abschaffung der Diskriminierung: „Für Intersexuelle bedeutet
das eine große Erleichterung, für unsere Gesellschaft eine wichtige
Modernisierung“, sagte sie dieser Zeitung und forderte, dass sich „diese
Haltung“ künftig „auf alle Bereiche der Rechtsordnung erstrecken“.
Mit größerer Zurückhaltung reagiert das Bundesinnenministerium, das für das
Personenstandsrecht zuständig ist. „Die Neuregelung erschafft keine neue
Geschlechtskategorie“, sagte ein Sprecher. Sie soll lediglich den Druck von den
Eltern nehmen, sich vorschnell auf ein Geschlecht festzulegen und
geschlechtsangleichende medizinische Operationen an ihrem Kind vornehmen zu
lassen. Die Idee sei aber schon, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine
Entscheidung zugunsten eines der beiden Geschlechter getroffen werde – auch
wenn das Gesetz sie zu einer solchen Entscheidung nicht zwinge. „In der
gesamten Rechtsordnung, insbesondere im Verfassungs- und Zivilrecht, existieren
nur die Geschlechter männlich und weiblich“, heißt es zur Begründung aus dem
Bundesinnenministerium.
Michael Wunder, Leiter der Arbeitsgruppe Intersexualität im Ethikrat,
bezeichnete die Gesetzesänderung daher als „halbherzig“. Der Ethikrat, der im
Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zur Intersexualität erarbeitete,
hatte vorgeschlagen, dass im Geburtenregister neben „männlich“ und „weiblich“
auch die Kategorie „anderes“ zur Verfügung steht – wie das etwa in Australien
der Fall ist. „Eine Nichteintragung im Geburtsregister trifft die Sache nicht“,
sagt Wunder, der in seiner Tätigkeit als Therapeut häufig mit Intersexuellen zu
tun hat. „Diese Menschen haben nicht kein Geschlecht, sondern es kommen
vielgestaltige Geschlechter vor. Daher sage ich auch nicht ,drittes
Geschlecht‘, es gibt ein viertes, fünftes und sechstes.“ So sei die Schöpfung,
und es gehe darum, sie zu akzeptieren. Und das bedeute in der Konsequenz eben
auch, das Versicherungsrecht, das Familienrecht und andere Rechtsbereiche zu
reformieren.
Der Ethikrat hatte in seiner Stellungnahme vom Februar 2012 nicht nur eine
Änderung des Personenstandsrechts vorgeschlagen. Noch wichtiger sei den
Mitgliedern der Arbeitsgruppe eine Änderung der Regelungen zur medizinischen
Behandlung gewesen, berichtet Wunder. Operative Maßnahmen bei Menschen mit
weiblichen und männlichen Keimdrüsen ist nach Ansicht des Ethikrats ein nicht
zu rechtfertigender Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit
und das Recht auf Wahrung der sexuellen Identität. Für eine solche Operation
dürfe sich nur der Betroffene höchstpersönlich entscheiden, wenn er in ein
entscheidungsfähiges Alter kommt. Die Eltern sollten nur dann entscheiden
können, wenn das Kindeswohl ohne Operation massiv gefährdet wäre.
Früher waren Operationen an Neugeborenen mit doppeltem Geschlecht die
Regel. In den meisten Fällen wurden sie zu Mädchen umoperiert – mit teilweise
gravierenden gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Betroffenen.
Interessenvertretungen intersexueller Menschen geißeln solche Eingriffe daher
als „genitale Verstümmelungen“. Bei einigen Medizinern hat in den vergangenen
Jahren ein Umdenken eingesetzt. „Es gibt jedoch keine repräsentative Studie,
die belegt, dass es tatsächlich weniger Operationen als früher gibt“, sagt
Wunder. Daher sei auch hier eine gesetzliche Regelung notwendig.
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