Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle
Rechte vorbehalten!
Geschrieben und Bearbeitet von
Nikita Noemi Rothenbächer 2014
Bitte kopiert den Link und Gebt
diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
In Zusammenarbeit mit der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes
Röcke trage ich
immer noch
Vor einem halben Jahr habe ich mich entschieden, ab sofort
als Mann zu leben. Die Umstellung hat viel Kraft gekostet, meine Bachelorarbeit
musste ich aufschieben.
Mann sieht sich im Spiegel von hinten. Bin ich wirklich ich?
Robert Langdon steuert zielsicher durch die langen Gänge des
Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums der Berliner Humboldt-Universität. Eine Hand
in der Hosentasche, mit der anderen lässig schlenkernd. Das weiße Hemd strahlt,
die blank polierten Schuhe klackern leise auf dem gefliesten Boden. Der
Harvard-Professor ist zu Besuch in der Bundeshauptstadt und nutzt die Zeit vor
der am Abend beginnenden Konferenz, um sich ein wenig im Bibliotheksbestand
umzusehen. Die anderen Bibliotheksbesucher sehen ihn allerdings nicht, den
Harvard-Professor. Was sie sehen, ist eine 23-jährige Frau mit kurzen Haaren,
Altherrenhemd und Anzugschuhen. Sie sehen mich.
Seit einem halben Jahr habe ich keinen Fuß mehr an die Uni
gesetzt. Ich fühle mich immer noch fremd hier, deshalb schlüpfe ich in die
Rolle von Robert Langdon, dem Protagonisten der Romane von Dan Brown. Vor etwas
mehr als einem halben Jahr folgte einer Kette von Erkenntnissen eine
Entscheidung, die mein Leben sehr verändert hat. Um Silvester herum habe ich
mich viel mit Gender Studies und Texten über Transidentitäten beschäftigt und
auch ein paar Trans*Personen kennengelernt. Vorher hatte ich oft das Gefühl
gehabt, die Welt wäre wie verschoben. Beim Austausch mit den Trans*Personen
erlebte ich dagegen vom ersten Augenblick an eine erholsame Stimmigkeit und ein
Gefühl des Dazugehörens. Gleichzeitig begann ich, mich sehr stark selbst zu
hinterfragen und knüpfte dabei an Fragen an, die ich mir schon seit langer Zeit
stellte: Warum bin ich eine Frau? Was macht mich zu einer solchen?
Viele Konflikte der Vergangenheit, die mit meinem Geschlecht
zu tun hatten, tauchten in geballter Ladung auf und ließen sich nicht länger
verdrängen. Ich erinnerte mich zum Beispiel, dass ich als Kind ein seltsames
Mädchen gewesen war und sich mein Umfeld des Öfteren über mein nonkonformes
Verhalten wunderte. Als Jugendliche habe ich es unter großen Anstrengungen
geschafft, mich wie eine Frau zu verhalten. Ich trainierte mir einen leisen und
indirekten Sprachgestus an und setzte, nachdem ich stark wegen meiner
unsozialen Art kritisiert worden war, alles daran, anderen mehr Aufmerksamkeit
zu schenken.
Als ich Anfang des Jahres meine Geschlechtszugehörigkeit
immer stärker infrage stellte, machte sich meine chronische
Sehnenscheidenentzündung wieder bemerkbar. Mein Magen schnürte sich zu, sobald
ich mich auch nur in die Nähe eines Computers begab. Ich stand kurz vor meiner
Bachelorarbeit, doch jeden Tag verkrampfte ich mich mehr und mehr. Ein
psychosomatischer, stechender Schmerz, direkt unter der Lunge, hielt mich ab
vom Laufen, Essen, Schlafen, Atmen. Nachdem ich wochenlang im Bett verbracht hatte,
fasste ich den Entschluss, mich vom Frau-Sein zu verabschieden und als Mann zu
leben. Ein großer Stein viel mir vom Herzen. Ich konnte mich endlich
entspannen.
Die Neupositionierung ging jedoch stark an meine Grundfesten
und war so kräfteraubend, dass mir kaum noch Energie für Anderes blieb. Nur mit
großer Anstrengung konnte ich die nötigsten Dinge des Alltags bewältigen.
Joggen gehen, eine E-Mail schreiben, Essen kochen. Manchmal gelang es mir nicht
einmal, aus dem Haus zu gehen.
Jahrelang hatte ich versucht, das Verhalten von Frauen zu
imitieren
Ich distanzierte mich immer heftiger von meiner weiblichen
Sozialisation und meinem bürgerlichen Vornamen. Freundinnen und Freunde
vermieden bereits, mich bei meinem Vornamen zu nennen. Eine Zeit lang schwebte
ich namenlos zwischen den Welten. Bis zu jenem Tag, an dem ich mir selbst einen
neuen Namen gab. Ich hatte das Gefühl, neugeboren zu sein, beziehungsweise
zurückversetzt zu sein in eine Zeit, als ich noch ein kleiner Junge war. Es kam
mir so vor, als würde ich wie im Zeitraffer zum Skateboard fahrenden
Jugendlichen heranwachsen. Meine Mimik, die seit Jahren verkrampft war von
angestrengten Versuchen, das Verhalten von Frauen zu imitieren, entspannte sich
allmählich. Allerdings sprachen mich zu Beginn noch viele Personen meines
Umfelds wechselnd mit neuem und altem Namen an, was nicht gerade förderlich
dafür war, ein Selbstbewusstsein für meine neu gewählte Identität zu schöpfen.
Ein ganzes Semester habe ich gebraucht, bis ich meinen
Alltag wieder normal bestreiten konnte. Glücklicherweise konnte ich mein Umfeld
von Anfang an in den Transitionsprozess miteinbeziehen. Mir war es wichtig,
Familie und Freundeskreis sofort einzuweihen, damit sie die Entwicklungen
nachvollziehen können. Ich bin der Ansicht, dass die Akzeptanz des Umfelds für
die neue Identität besonders wichtig ist, da das Gefühl für sich selbst in
Interaktionsprozessen entsteht.
Mittlerweile nennt mich niemand mehr bei meinem alten Namen,
recht selten fällt noch das weibliche Pronomen. Manchmal irritiert mich das,
ich beginne jedoch, mich daran zu gewöhnen. Freundinnen und Freunde sagen mir,
ich habe mich kaum verändert. Ausgeglichener und sicherer würde ich wirken,
weniger unruhig. Sie sagen auch, dass sie mich heute wie in einem anderen Licht
sehen. Vieles, was sie früher irritiert habe, wie zum Beispiel die Art und
Weise, wie ich Menschen begrüße, würde nun Sinn ergeben.
WARUM LESERARTIKEL?LESERARTIKEL SCHREIBENDER
ZEIT-ONLINE-WALD
Text- und Bildbeiträge unserer Leser bereichern unsere Inhalte
um zusätzliche Sichtweisen, Erfahrungsberichte und Meinungen. Sie sind von
Menschen, die wissen, wovon sie sprechen, weil sie es selbst erlebt haben oder
unmittelbar betroffen sind. Oder weil sie sich in einem bestimmten Thema sehr
gut auskennen. Erzählen Sie unseren Lesern die Geschichten, die wir nicht
erzählen können. Und zeigen Sie ihnen die Fotos und Videos, die sie sehen
sollten. Zur Artikeleingabe
Im nächsten Semester werde ich endlich wieder Vorlesungen
besuchen können. Meine Professorinnen und Professoren habe ich schon
schriftlich von der Namensänderung in Kenntnis gesetzt, woraufhin ich sehr
freundliche, mit dem korrekten Pronomen betitelte Antworten erhalten habe. Mein
Institut ist recht überschaubar, deshalb wurde ich bei meinen kurzen Abstechern
dort bereits mit dem neuen Namen angesprochen. Ein paar hatten die Änderung bei
Facebook gesehen und weitererzählt.
Voller Vorfreude schwinge ich mich nun täglich auf mein Rad
und sause zur Uni. In der Bibliothek feiere ich jeden Gang zur Herrentoilette
als Erfolgserlebnis. Ich bin froh über die Entscheidung zur Neudefinition.
Viele alltägliche Situationen sind heute für mich leichter zu bewältigen, weil
ich weiß, wer ich bin und wie ich mich verhalten möchte. Ich habe das Gefühl,
ich will erwachsen werden und einen Platz in der Gesellschaft finden.
Geschlechtsangeleichende Maßnahmen habe ich nicht in Planung, da ich meinen
Körper so mag, wie er ist. Ich trage gelegentlich auch nach wie vor Röcke, weil
es sich meiner Meinung nach nicht ausschließt, sich wie eine Frau zu kleiden,
wenn man ein Mann ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen