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Nikita Noemi Rothenbächer 2014
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In Zusammenarbeit mit der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes
Das Drama, in einem falschen
Körper zu leben
Transgender-Menschen lehnen ihr natürliches Geschlecht
ab. In Italien haben sie es schwer, sie werden diskriminiert. Dank eines
Kinofilms über ein ergreifendes Schicksal kommt Bewegung in die Debatte.
Catania, Sizilien. Davide Cordova befindet sich mitten in
der Pubertät. Doch für Mädchen interessiert er sich nicht. Während seine
Klassenkameraden auf dem Schulhof mit ihren ersten romantischen Erfahrungen
prahlen, verzieht sich Davide lieber allein in Musikläden. Er stöbert nach
Platten seines Helden Boy George.
Der britische Sänger sorgt Anfang der 80er-Jahre mit seiner
Band "Culture Club" und Hits wie "Do you really want to hurt
me" international für Furore. Boy George schminkt sich und kleidet sich kunterbunt.
"Warum mache ich das nicht auch?", fragt sich Davide.
Flucht vor der Hormontherapie
Der Vater ist über die Anwandlungen des Sohnes höchst
besorgt. Er schickt Davide zu einem Psychologen. Der verschreibt ihm eine
Hormontherapie. "Ich war einfach nur noch verwirrt", erinnert sich
Davide. "Dann erkannte ich, dass mir da etwas Schlimmes angetan
wurde." Er haut von zu Hause ab. Damals ist er 15 Jahre alt.
In den ersten Tagen schläft er in öffentlichen Parks. Er
schlägt sich bis Taormina durch. Dort begegnet er zwei Herren, die die
bekannteste Schwulenbar der Stadt leiten. In ihrem Etablissement werden
Travestie-Shows dargeboten, im Stil der 40er-Jahre, inspiriert von Marlene
Dietrich. "Das war meine Rettung", sagt Davide.
Eine Frau im Körper eines Mannes
Davide ist heute 47 Jahre alt. Er steht offen dazu, eine
Frau zu sein, die im Körper eines Mannes gefangen ist. Sein wahres Ich
offenbart er auf der Bühne. "Fuxia Loka" heißt die Figur, die er
geschaffen hat. Eine imposante Dame, die sich knallig anzieht und grellen
Lippenstift aufträgt.
Die singt und tanzt und dem Schicksal die Stirn bietet.
"Fuxia" ist eine Anspielung auf das Wort "fucsia", pink.
"Ich hülle mich in diese kräftigen Farben, um dem Grau des Lebens zu
entfliehen", sagt Davide. Seine Geschichte hat das Kino inspiriert.
"Più buio di mezzanotte", heißt der Film, der dieses Jahr angelaufen
ist.
"Nach der Nacht kommt der Tag"
Der Titel ist eine Hommage an Davides Großmutter. Wenn er
traurig war, flüsterte sie ihm stets diesen Satz ins Ohr: "Dunkler als zu
Mitternacht kann's nicht werden." Also: "Nach der Nacht kommt der
Tag."
Der autobiografische Film wirft ein Schlaglicht auf eine
Bevölkerungsgruppe, die in der öffentlichen Wahrnehmung Italiens in der
Vergangenheit nahezu ausgeblendet wurde. Früher sprach man gern von
Transsexuellen. Heute hat sich die Bezeichnung Transgender-Menschen,
transgeschlechtliche Menschen oder einfach nur Transmenschen durchgesetzt.
Das sind Männer oder Frauen, die sich mit ihrem angeborenen
Geschlecht nicht identifizieren können. Sie sehnen sich danach, das Geschlecht
zu wechseln, oder lehnen die klassische Zuordnung einer Geschlechterrolle sogar
ganz ab.
Ein Film machte das Thema "Transgender" populär
In diesem Jahr ist Transgender in Italien zu einem Thema
geworden, das im Fernsehen, in Zeitungen und Internetforen diskutiert wird.
Neben dem Film Davides tragen dazu auch Kampagnen bei. Der Transgender-Verband
Movimento Identità Transsessuale (MIT) schaltete im Internet und auf sozialen
Netzwerken wie Facebook die Anzeige "Un altro genere è possibile",
was so viel bedeutet wie "Ein anderes Geschlecht ist möglich".
Auf rosa und blauem Hintergrund sind eine Mann und eine Frau
abgebildet. Dazu steht geschrieben: "Frau im Leben, Mann auf dem
Papier" beziehungsweise "Mann im Leben, Frau auf dem Papier".
Die PR-Aktion richtet sich nicht nur an die Allgemeinheit, sondern auch an
Betroffene. Angegeben sind eine Mail-Adresse und eine Telefonnummer.
Bekennender Homosexueller in der Regierung
Die Politik ist aufgewacht. Hielten die Parteien bislang
kategorisch am traditionellen Modell Mann-Frau-Familie fest, so ist eine
vorsichtige Öffnung hin zu alternativen Lebensentwürfen und sexuellen
Identitäten erkennbar. Mit dem Sozialdemokraten Ivan Scalfarotto rückte im Frühjahr
ein bekennender Homosexueller in die Regierung von Premierminister Matteo Renzi
ein.
Ein Gesetz zu Lebenspartnerschaften wird im Parlament
behandelt. Francesca Pascale, die Freundin des ehemaligen Ministerpräsidenten
Silvio Berlusconi, setzt sich seit kurzem für die Rechte von Schwulen und
Lesben ein und wurde sogar Mitglied bei der Interessenvertretung Arcigay.
Auch Transgender wird berücksichtigt. Der
sozialdemokratische Senator Sergio Lo Giudice brachte einen Gesetzesentwurf
ein, der die rechtliche Situation der Transmenschen stärken würde.
Pöbeleien und Diffamierungen
Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass
Transgender-Menschen im katholischen Italien immer noch einen extrem schweren
Stand haben. Pöbeleien und Diffamierungen sind an der Tagesordnung. Der
rechtliche Rahmen ist streng. Wer das Geschlecht auf seinem Personalausweis
ändern lassen will, der muss einen chirurgischen Eingriff und eine
Sterilisation über sich ergehen lassen. Das schreibt ein Gesetz aus dem Jahr
1982 vor.
Auf dem Arbeitsmarkt werden Transmenschen oft diskriminiert.
"Arbeit zu finden ist derzeit nahezu unmöglich. Selbst hervorragende
Lebensläufe und Referenzen helfen nicht. Der Personalausweis, auf dem ein
Vorname verzeichnet ist, der mit dem dem äußeren Erscheinungsbild nicht
korrespondiert, stellt eines der größten Hindernisse dar", sagt
MIT-Präsidentin Porpora Marcasciano.
"Italien schneidet im europäischen Vergleich schlecht
ab", sagt Julia Ehrt, Professorin für Mathematik an der
Humboldt-Universität und Direktorin des Verbands Transgender Europe. Das gelte
sowohl für Gesetze, die die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrages
beträfen, als auch für den Schutz vor Diskriminierung: "In Italien gibt es
keinen expliziten Schutz."
Italien ist vergleichsweise rückständig
Andere Länder wie Deutschland, aber auch Dänemark, die
Niederlande, Portugal und Schweden seien da deutlich weiter. "Die
Situation für Transmenschen hat sich in Europa in den vergangenen 20 Jahren
verbessert. Das Thema wird auf europäischer Ebene nicht mehr als medizinisches,
sondern als Menschenrechtsthema behandelt", sagt Ehrt. "Allerdings
gibt es hier nach wie vor einen erheblichen Nachholbedarf." Eben auch in
Italien.
Dass sich aber etwas tut, beweist das Beispiel von
Alessandra Bernaroli, 43. Die Angestellte einer Bank in der Region
Emilia-Romagna hieß vor einigen Jahren noch Alessandro und war seit 2005
glücklich mit Alessandra verheiratet. Dann rang sie sich drei Jahre später zu
einer Operation durch, aus Alessandro wurde Alessandra.
Nach Geschlechtsumwandlung Ehe aufgelöst
Ein Gericht in Bologna erkannte die Geschlechtsumwandlung
zwar an, verhängte aber gleichzeitig, dass die Ehe aufgelöst wird. Dagegen
begehrten Alessandra und ihre gleichnamige Partnerin auf.
"Wir haben eine Liebesbeziehung. Sie lässt sich nicht
auseinanderreißen, wenn Schwierigkeiten auftreten. Das ist ein
Lebensprojekt", sagt Francesca. Doch anfangs stieß dem Paar Unverständnis
entgegen, von Gewerkschaften, Anwälten und Homosexuellen-Verbänden. "Alle
dachten, ich sei verrückt", erinnert sich Alessandra. "Ich musste
mich im Zentrum Bolognas hinstellen und ein Transparent hochhalten." Das
Paar klagte sich durch die Instanzen.
Zuerst in einem Zivilverfahren, dann bis vor das
italienische Verfassungsgericht. Fünf lange Jahre. Schließlich bekamen
Alessandra und Alessandra im Juni in einer denkwürdigen Entscheidung Recht. Das
Verfassungsgericht hielt es in seinem Urteil 170/2014 für unrechtmäßig, die Ehe
aufzulösen, sofern dem Paar keine andere vom Staat anerkannte Partnerschaft
offen steht.
Lebenspartnerschaft muss in Gesetz gefasst werden
"Das ist ein sehr wichtiges Urteil", sagt Anwalt
Michele Giarratano, der Alessandra Bernaroli in den ersten Instanzen vor
Gericht vertrat. "Das Verfassungsgericht hatte zwar nicht den Mut, klar zu
sagen, dass die Ehe gültig bleibt. Aber es hat dem Parlament den Auftrag
gegeben, umgehend ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass Lebenspartnerschaften
zwischen Menschen gleichen Geschlechts regelt."
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts müsse auch das
Transgender-Gesetz aus dem Jahr 1982 angepasst werden, fügt Giarratano an. Zwei
Paragrafen seien hinfällig geworden. Wirklich euphorisch ist er dennoch nicht.
"Leider lässt sich die italienische Politik die Agenda von den Gerichten diktieren",
sagt Giarratano. "Ich wünsche mir, dass das Parlament ein Portion Würde
beweist und aus eigenem Antrieb Gesetze auf den Weg bringt, die dienlich
sind."
Davide Cordova denkt langfristig. Er kümmert sich um junge
Transmenschen, die wie er einst selbst nach Orientierung und Halt suchen.
"Fuxia Loka" ist ruhiger geworden und drängt nicht mehr vors
Publikum. "Das habe ich viel zu lange gemacht", sagt Davide.
Inzwischen macht er deswegen immer häufiger auf der Bühne Platz für Nachwuchstalente.
Ermutigung für viele junge Menschen
In einer Stranddiskothek hat er die künstlerische Leitung
übernommen. Er legt das Programm fest und engagiert Sänger und Artisten aus dem
ganzen Land. "Ich wirke jetzt hinter den Kulissen und kümmere mich um
andere Aspekte", sagt er.
Ansonsten macht er Werbung für seinen Film. Das Schönste
seien nicht die Publicity, sondern die Zuschriften. "Ich erhalte sehr viel
Post von jungen Menschen. Sie haben die gleichen Probleme, wie ich sie damals
hatte. Durch den Film fühlen sie sich ermutigt. Sie schreiben mir: 'Das kann
ich auch schaffen'", erzählt Davide. Dann sagt er: "Nützlich zu sein
ist für mich die größte Freude."
"Zur Hochzeit sagte mein
Mann, er sei eine Frau!"
In der Nacht vor ihrer Hochzeit erfährt Marianne, dass
ihr Mann als Sonja weiterleben möchte. Ihre traditionelle Familienplanung
zerbricht, trotzdem haben die beiden geheiratet. Chronik einer Liebe.
Die schwarzen Haare nach hinten gegelt, schlank, aber
kräftig, breite Schultern – so steht Chris am Bahnhof einer bayrischen
Kleinstadt vor Marianne. Er fährt einen getunten VW Polo 6N – roter Lack,
dunkle Scheiben, tiefergelegte Karosserie. Aufreißer-Typ, so lautet das Urteil
der 22-jährigen Marianne, als sie Chris nach einem Internet-Chat kennenlernt.
Kein Milchbubi. Diese Ausstrahlung zieht sie an.
Und für ihn war es sowieso Liebe auf den ersten Blick, wird
sie später erfahren. Auch wenn sie sich an jenem Tag in ihrem schweren
Cordmantel alles andere als hübsch fühlte. Marianne ist da noch in einer
anderen, unglücklichen Beziehung – aber Chris will auf sie warten. "Er war
anders als die Männer, die ich vor ihm hatte. Er war offener. Und er war
trotzdem ein echter Kerl, das hat mir imponiert." Vor sechs Jahren wurden
die beiden ein Paar.
Anfang Juni 2008 macht ihr der vier Jahre ältere Chris einen
Antrag – ganz spontan in einer Therme: "Weißt du was, eigentlich würde ich
dich gerne heiraten!" Marianne kann ihr Glück nicht glauben und flüstert
in sein Ohr: "Wenn du das wirklich ernst meinst, dann schwimmst du noch
eine große Runde und fragst mich richtig!" Die Frage aller Fragen kommt
früh, aber Marianne wusste, diese Beziehung ist etwas Besonderes. Das junge
Paar teilt fast jedes Hobby; die Leidenschaft für Autos, Tuning, esoterisch
angehaucht sind beide. "Chris war noch nicht vollständig, ich war wie das
letzte Puzzle-Stück, das gefehlt hat. Je länger ich mit ihm zusammen war, desto
mehr habe ich gespürt, das ist der Mann fürs Leben – es hat einfach alles
gepasst", erinnert sich die Bayerin.
Traum vom altmodischen Rollenbild
Nur an einem Tag ist etwas komisch. Marianne kommt früher
von ihrer Kinderpfleger-Ausbildung nach Hause, doch von innen steckt ein
Schlüssel, sie kann nicht in die Wohnung. Sie klopft, sie klingelt – Christian
muss doch da sein – und setzt sich zum Warten auf die Treppe.
Eine Dreiviertelstunde später knarrt dann doch die
Wohnungstür, "ich habe geschlafen und nichts gehört", murmelt Chris.
Doch Marianne weiß, was los ist, sie glaubt es zumindest. "Hier war doch
eine andere Frau, du hast mich betrogen", schreit sie, denn sie riecht
Parfüm. Im Badezimmer findet sie hinter dem Schrank Dessous, am Waschbecken
steht Kajal. "Ich wusste, die andere ist zum Balkon raus", erinnert
sich Marianne. Aber Chris kann ihre Zweifel zerstreuen.
Typisch Mann, typisch Frau: Marianne träumte immer von
diesem "altmodischen Rollenbild". Der Mann verdient das Geld, sie
kümmert sich um die Kinder. Das erwarten vor allem ihre Eltern. Wenn sie sich
einmal in ihrem Leben verloben sollte, hat sie sich als junges Mädchen
geschworen, dann will sie binnen eines Jahres heiraten. Das Paar legt den
Hochzeitstermin auf Chris' Geburtstag – er soll das Datum bloß nicht vergessen
– und plant eine schlichte Trauung mit Sektempfang.
In der Nacht zur Hochzeit, 3.30 Uhr: Marianne liegt wach.
Sie ist nervös, gespannt, sie hat diesen Tag lange herbeigesehnt. Nur der Mond
hellt das Schlafzimmer auf. Sie hört Chris atmen. Er ist noch wach, das spürt
sie. Sie dreht sich um, tippt auf seine Schulter – und erschrickt. So verheult
hat sie Chris noch nie gesehen; überhaupt hat er noch nie vor ihr geweint.
Panik. Marianne denkt, Chris wolle alles absagen, wolle sie nicht mehr. Er
setzt sich auf.
"Ich kann mein bisheriges Leben nicht so weiterführen,
das wäre eine Lüge! Ich will dich nicht verlieren, aber ich muss als Frau
leben", sagt Chris, den sie als echten Kerl kannte. Als Macho.
Hat er den Spaß beim Sex bloß vorgespielt?
Dass Transgender-Menschen vor ihrem Coming-Out die Rolle
ihres körperlichen Geschlechts "übererfüllen", beobachten
Sexualtherapeuten häufig. So spielen spätere Transfrauen – die von Geburt an
sichtbar und eindeutig männlich sind, sich aber als Frau fühlen – viele Jahre
oder Jahrzehnte den perfekten Mann; gründen eine Familie, bekommen Kinder. Sie
versuchen, ihre Rolle zu leben, immer etwas übertrieben. Doch der Wunsch, eine
Frau zu sein, bleibt wie programmiert, kommt wieder und wieder und wird
stärker.
Heute sagt Marianne, sie habe in diesem Augenblick nur noch
verdrängen wollen. Sie habe gehofft, er sei kurzzeitig verwirrt, er suche
Ausflüchte, nicht zu heiraten. "Ich habe sofort angefangen zu weinen. Ich
habe gedacht, das kann doch nur ein Albtraum sein!" Warum sagt er ihr das
jetzt? Hat er sie die ganze Zeit belogen? Als sie Sex hatten, war alles nur
gespielt?
An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Marianne schaut zu, wie
sich die Zeiger der Uhr drehen, wie die Sonne aufgeht. Innerlich weiß sie: Ihr
Leben wird nicht so verlaufen, wie sie es sich vorgestellt hat. Wenn er
wirklich transsexuell ist, wird sie nie Kinder haben. Am Morgen beantwortet
Marianne ihrem zukünftigen Ehemann dann seine letzte Frage, ob sie ihn
verlassen werde: "Ich liebe dich und werde dich natürlich heiraten."
Wenn sie das wiederholt, liegt ihre Betonung auf dem Wörtchen natürlich, als
hätte sie keine Wahl gehabt. Warum hätte sie sich von ihm trennen sollen? Er
hat sie nicht betrogen, habe nur gesagt, wie er sich fühlt.
Der innere Druck
Transsexualität ist vorgeburtlich festgelegt und tritt in
allen Bevölkerungsschichten auf. Wie viele Transsexuelle es gibt, lässt sich
nur schwer beziffern. Sie werden erst sichtbar, wenn sie sich zu dieser
Diagnose bekennen. Etwa 13.000 Menschen haben seit 1991 ihr Geschlecht via
gerichtlichem Entscheid angepasst. Aber Transsexualität lässt sich nicht
messen. Manche Beratungsstellen sprechen von 120.000 bis 160.000 Transgender im
Bundesgebiet. "Dieser innere Widerspruch wird nicht sofort verstanden. Sie
werden ja nicht geboren mit einer Urkunde, in der 'transsexuell' steht. Bis die
Betroffenen das für sich selbst begriffen und sich eingestanden haben, kann
viel Zeit vergehen", sagt Patricia Metzer von der Deutschen Gesellschaft
für Transidentität und Intersexualität.
Ein Coming-Out zwischen Mitte 20 und Mitte 40 ist alles
andere als selten, der innere Druck hat sich bis dahin angestaut, der soziale
Wechsel wird unausweichlich.
Marianne hatte ihren Hochzeitstag genau geplant. Zwischen
acht und neun Uhr macht sie sich zurecht. Um elf Uhr wird das Paar von Chris'
Bruder und Trauzeugen im Honda seiner Eltern abgeholt, den seine Mutter mit
gelben Rosen geschmückt hat. Über sein Geständnis werden beide an ihrem
Hochzeitstag kein Wort mehr sprechen. Ganz leger stehen sie vor dem Beamten,
Marianne in Bluse, Chris in Jeans und Sakko. Ihre Eltern sind dabei, stolz,
Marianne hat vor Glück Tränen in den Augen. Sie steckt Chris den goldenen Ring
an, küsst ihn. "Ich wusste, es war die richtige Entscheidung!"
Doch wie ihr Leben weitergehen sollte – offen. "Ich
wollte auf keinen Fall, dass jemand mitbekommt, dass mein Mann jetzt meint,
transsexuell zu sein. Mir war das peinlich." Marianne hoffte, was viele
Angehörige am Anfang hoffen: Das geht vorbei. Sie orakelt, ihr Mann kämpfe
unterbewusst gegen seinen Vater. Der habe ihm vorleben wollen, dass Männer
mehrere Frauen haben müssen, betrügen, nur dann seien sie richtige Kerle.
Der innere Kampf
Als sich Chris im Kindergartenalter als Hexe verkleidet, ist
er sicher, dass er eine Frau ist. Als junger Mann streift er nachts in Kleidern
und mit Perücke durch die Straßen, aber niemand darf ihn erkennen. In der
Damenabteilung einzukaufen traut er sich nicht, seine Kleider stiehlt er mit
Brecheisen und Metallsäge aus Altkleiderbehältern.
Im Keller lagert er seine Beute, posiert mit ihr vorm
Spiegel. Aber immer wieder meint er, sich überwinden zu müssen, schminkt sich
ab, duscht sich, packt seine Kleider und den Schmuck in den Müllsack und ist
wieder der Macho, der Autos tunt und mit Frauen schläft. Sich einzugestehen,
dass er selbst eine Frau ist, scheint ihm 26 Jahre unvorstellbar. Er hat
Selbstmordgedanken, weil er seine Rolle einfach nicht erfüllen kann. Erst mit
der Hormonumstellung geht der innere Kampf zu Ende. Es ist wie eine Befreiung,
plötzlich kann sie wieder atmen.
Um den Personenstand beziehungsweise den Namen offiziell zu
ändern, müssen zwei Gutachter für das Amtsgericht bestätigen: Die Vorstellung,
das Geschlecht zu wechseln, ist glaubwürdig, besteht seit mehr als drei Jahren
und wird sich nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr ändern.
Die Gutachten nehmen maximal ein Jahr in Anspruch und werden
von Psychologen und Sexualtherapeuten erstellt. An eine geschlechtsangleichende
Operation und eine Scheidung ist die juristische Änderung des Geschlechts nicht
mehr gebunden. Da sich das Aussehen in dieser Übergangszeit zum Teil erheblich
von amtlichen Dokumenten unterscheidet, bieten Transsexuellen-Verbände
sogenannte Ersatzausweise an. Die Zahl dieser Papiere steigt Jahr für Jahr,
2014 werden voraussichtlich 500 Exemplare ausgestellt.
Eine Art zweite Pubertät durch die Hormone
Ein halbes Jahr nach der Hochzeit sagt Marianne zu Chris
erstmals Sonja*. Sonja verändert sich durch die weiblichen Hormone, die sie
jeden Tag nimmt; sie hat Stimmungsschwankungen, erlebt eine Art zweite
Pubertät. Sie mag, sie will, sie ist trotzig. "Zu Heiraten bedeutet, dass
man durch gute und schlechte Zeiten geht; und es gab Zeiten, da hat das
Negative klar überwogen", erinnert sich Marianne; aber Chris sei ihr
Seelenverwandter, und Sonja bleibe das.
Anfangs konnte Sonja nicht so laufen wie eine Frau, nicht so
sprechen, hat sich beim Schminken mit dem Kajal ins Auge gestochen. Marianne
hat ihr das Frausein beigebracht, aus Liebe. Als sie ihrer Familie von dem
sozialen Wandel ihres Mannes erzählt, beginnt der zweite Kampf. Mariannes
Vater, ihre Mutter wollen es nicht glauben und fordern dann: "Lass dich
scheiden! Du kannst so nicht glücklich werden."
Doch Marianne steht zu Sonja, so schwer das auch ist. Sie
weiß, dass sich ihre Mutter etwas anderes für sie gewünscht hat, sie weiß, dass
ihre Mutter – auch wenn sie ihr das nie sagen würde – nächtelang weint. Sonja
hat sich in der Zwischenzeit von ihrer Familie entfernt, hat keinen Kontakt
mehr zu ihren Brüdern, die noch immer Chris in ihr sehen. Aber der hat jetzt
lange, blonde Haare und steht vor seiner geschlechtsangleichenden OP. Sonja
habe mit dem Thema Transsexualität dann nichts mehr zu tun, möchte deshalb auch
nicht erkannt werden, unauffällig als Frau in der Gesellschaft untertauchen.
Jedoch: Ihre Vergangenheit wird man ihr wohl immer ansehen.
"Mein Leben ist schöner geworden"
Der Wandel von Mann zu Frau ist für die Betroffenen oft mit
einem sozialen Abstieg verbunden. Mehr als die Hälfte der Transfrauen sind auf
Sozialleistungen angewiesen, wird geschätzt. "Häufig verlieren sie ihren
Arbeitsplatz und haben auch später mit Berührungsängsten zu kämpfen, weil es
immer heißt: 'Das ist doch in Wahrheit ein Mann!'", sagt Patricia Metzer,
die Betroffene berät. Transmänner, die bei Geburt körperlich weiblich sind und
den Weg zum Mann auf sich nehmen, schaffen im Gegensatz oft einen Aufstieg. Das
männliche Verhalten sei einfacher zu erlernen, sagen Therapeuten, die Hormone
bewerkstelligen durch den einsetzenden Bartwuchs und den Stimmbruch den Rest.
Für Männer ist es dagegen schwieriger, in der weiblichen
Rolle anzukommen. Sie haben vorher versucht, um jeden Preis das männliche
Idealbild zu leben und versuchen sich nun mit aller Gewalt als Frauen. Oft
übertreiben sie. Die Highheels werden immer höher, die Schminke im Gesicht
immer dicker, die Röcke immer kürzer. Ein gesundes Maß zu finden ist ein
langwieriger Lernprozess.
Was Marianne an ihm mochte, war die Art, wie er mit ihr
gesprochen hat: "Kleine, Mausi", wie ein Mann eben zu seiner Freundin
spricht, das vermisst sie. Was Marianne an ihr mag, ist ihr Blick, sind ihre
Augen. "Der Mann, der zur Frau wurde, ist definitiv meine große
Liebe!" Sonja habe viele schöne Seiten, die Chris nie gezeigt habe. Auch
wenn Marianne von sich sagt, dass sie nicht lesbisch sei und sich nicht
generell zu Frauen hingezogen fühle, sei ihre Partnerschaft eben keine
Zweck-WG. "Wir haben eine normale Beziehung, von Mensch zu Mensch. Wir
küssen uns, sind zärtlich zueinander. "
Auch wenn die Nacht vor ihrer Hochzeit eine Achterbahn der
Gefühle war, von "Juhu, ich werde heiraten' über 'Oh Gott, was erzählt er
mir jetzt' zu 'Irgendwie schaffen wir das', sagt sie: "Mein Leben ist
schöner geworden, auch wenn ich das nie gedacht hätte." Sobald Sonja
vollkommen eine Frau ist, wollen beide noch einmal heiraten. Diesmal möchte
Marianne den Antrag machen. "Ich werde sogar ein Kleid anziehen. Und Sonja
soll das Hochzeitskleid à la Sissi bekommen, dass sie sich wünscht."
Quelltext: http://www.welt.de/vermischtes/article131350215/Zur-Hochzeit-sagte-mein-Mann-er-sei-eine-Frau.html
Box-Legende outet sich als transsexuell
Im Alter von 61 Jahren hat sich die britische Ex-Profi-Boxer
Frank Maloney als transsexuell geoutet. Maloney gab Anfang August über den
„Sunday Mirror“ bekannt, dass sie sich einer Geschlechtsanpassung unterziehe
und in Zukunft den Vornamen Kellie tragen werde.
„Ich wurde im falschen Körper geboren und wusste immer, dass
ich eine Frau bin“, sagte Maloney dem Boulevardblatt. „Ich habe ein weibliches
Gehirn. Ich wusste vom Zeitpunkt, als ich mich mit anderen vergleichen konnte,
dass ich anders war“. Als Junge habe Maloney nie „Jungs-Spiele“ spielen wollen,
„aber ich habe das doch getan, um sicherzustellen, dass ich nicht als
andersartig angesehen werde“.
Maloney wuchs in London auf und wurde zunächst Boxer,
schließlich ein Boxtrainer. Den größten Erfolg hatte Maloney, als ihr
Schützling Lennox Lewis 1992 Box-Weltmeister wurde. Jetzt erklärte sie, dass
sie während dieser Zeit sehr unglücklich gewesen sei: „Ich wusste, dass ich
entweder weitermache und Erfolg habe oder mich von einer Brücke stürze und
meinem Verlangen nachgebe und damit zur Witzfigur werde“. Im Boxsport habe sie
nie jemandem von ihrer Transsexualität erzählt, weil dies niemals akzeptiert
worden wäre.
Inzwischen hat sich Maloney vom Boxsport zurückgezogen und
vor zwei Jahren eine Hormontherapie begonnen. Sie appellierte an die
Öffentlichkeit, ihrer Geschlechtsanpassung „mit Toleranz“ zu begegnen. (mg)
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