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Nikita Noemi Rothenbächer 2014
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In Zusammenarbeit mit der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes
Erlöst durch Hormone
Ein Mann möchte eine Frau sein. Jahrzehntelang nagt dieser
Zwiespalt an ihm, bis er sich dazu entschließt, sein Geschlecht zu ändern. Als
er endlich die dazu nötigen Hormone nimmt, geht alles sehr schnell.
Fast 46 Jahre lang lebte Johanna Schrenk* im falschen
Körper. Mit einem kräftigen Jungskörper raufte sie sich früher auf dem
Pausenhof, später zeugte sie drei Kinder mit ihm. Aber der Körper passte nicht
zu ihr. Denn Johanna, die damals noch Christoph hieß, fühlte sich: wie eine
Frau. "Ich versuchte klarzukommen mit dem, was die Natur vorgegeben
hatte", erinnert sich Schrenk heute. Mit 24 lernte Christoph eine Frau
kennen, sie kamen sich näher, heirateten, bekamen drei Kinder. Eine Zeit lang
ging das gut. Er war jetzt Vater und Ehemann, das war die Realität, mit der er
sich Tag für Tag zu arrangieren versuchte.
Als Christoph Schrenk im Alter von 32 Jahren zum ersten Mal
von einer geschlechtsangleichenden Operation liest, kommt die Vergangenheit
wieder hoch. Doch nun ist da etwas, das schwerer wiegt: die Verantwortung
gegenüber der Familie. Die Kinder sind damals erst wenige Jahre alt. Womöglich,
denkt er, würden seine Frau und die Kinder bleibende Schäden davontragen, wenn
der Ehemann und Vater sich plötzlich in eine Frau und zweite Mutter
verwandelte.
Erst 14 Jahre später, im Jahr 2002, Schrenk ist inzwischen
46 Jahre alt, wird der innere Leidensdruck so stark, dass er Hilfe sucht.
"Ich habe eine Psychotherapie gemacht, fast ein Jahr lang, und habe mich
vor meiner Familie geoutet." Die Angehörigen sind sprachlos. Und entsetzt.
"Später unterstützten sie mich, so gut sie konnten." Aber erst einmal
ist Schrenk weitgehend auf sich allein gestellt.
Nach der Psychotherapie besucht Christoph Schrenk an der
Universitätsfrauenklinik Wien eine Sprechstunde für transidente Personen. So
nennen Mediziner Menschen, deren gefühlte Geschlechtsidentität nicht mit dem
Geschlecht ihres Körpers übereinstimmt. Er bringt alle Voraussetzungen mit, die
nötig sind für eine Hormontherapie, die sein Geschlecht umwandeln soll: eine
psychiatrische Diagnosestellung, eine entsprechende Psychotherapie.
"Zusätzlich muss durch umfassende Untersuchungen geprüft werden, ob der
Patient geeignet ist für eine Hormontherapie", sagt Ulrike Kaufmann,
Ärztin mit dem Schwerpunkt endokrinologische Gynäkologie, die heute die
Transidenten-Sprechstunde am Universitätsklinikum Wien leitet. Christoph
Schrenk besteht auch diesen Test.
Im August 2003 beginnt er mit seiner Hormontherapie. Er
nimmt täglich sogenannte Antiandrogene, die die Wirkung seiner männlichen
Geschlechtshormone hemmen – allen voran Testosteron. Zusätzlich bekommt er
weibliche Hormone. Er lässt sich regelmäßig untersuchen. Eine der
Hauptnebenwirkungen von Östrogenen können Blutgerinnsel sein, die in die Lunge
wandern und dort Gefäße verschließen. Sie treten selten auf, können aber
lebensgefährlich sein.
Schon nach zwei Wochen spürt Christoph Schrenk, wie das
Hormon beginnt, seinen Körper zu verändern. Er wird zur Sie. Die Brustwarzen
werden empfindlich, die für Östrogen sensiblen Zellen sprechen an, die Brust
fängt an zu wachsen. Bald beginnt das Fett in seinem Körper vom Bauch in die
Hüften zu wandern. Die Haut wird feiner, die Behaarung am Oberkörper und an den
Beinen geht zurück, bis nur noch ein Flaum aus zarten Härchen bleibt. "Es
war, als würde ich eine zweite Pubertät durchmachen", erzählt Schrenk.
Die hormonellen Veränderungen haben auch Auswirkungen auf
die Psyche. "Ich dachte immer, das wäre ein Klischee, aber ich wurde
tatsächlich emotionaler, habe häufiger geweint", sagt Schrenk. Nicht bei
allen, aber zumindest bei Schrenk verändert sich auch die sexuelle
Orientierung.
Manche Dinge aber vermag die Hormontherapie nicht zu
leisten. Der Bart im Gesicht wächst zwar langsamer, aber das einmal gewachsene
Haar muss entfernt werden; Schrenk lässt es weglasern. Auch der Stimmbruch kann
nicht mehr rückgängig gemacht werden; Schrenk nimmt Sprechunterricht, um die
weibliche Betonung zu erlernen.
Das Ergebnis ist verblüffend: Wenn Johanna Schrenk heute
spricht, hat sie zwar eine für eine Frau verhältnismäßig tiefe Stimme, aber man
denkt gar nicht daran, dass diese Person einmal einen Stimmbruch hatte. Auch
ihr Äußeres ändert sich drastisch: Christoph Schrenk auf einem Foto – kurze
braune Haare, männliches Gesicht. Johanna Schrenk – lange braune Haare,
weibliche Züge. Eine Folge der Hormontherapie: Sie hat Schrenk so gründlich
verwandelt, dass neue Bekanntschaften gar nicht auf die Idee kommen, dass diese
Frau einmal ein Mann war. Damit es so bleibt, trägt Johanna Schrenk Tag für Tag
ein östrogenhaltiges Gel auf die Haut auf. Bis zum Ende ihres Lebens wird sie
das tun müssen, denn sie hat keine Eierstöcke, in denen der weibliche Körper
das Östrogen vorwiegend produziert.
Warum manche Menschen eine sexuelle Identität spüren, die
von ihrem tatsächlichen Körpergeschlecht abweicht, darüber rätseln
Wissenschaftler. Eine Hypothese weist den Hormonen eine tragende Rolle zu: So
könnten Geschlechtshormone bereits im Mutterleib die sexuelle Differenzierung des
Gehirns und damit die später empfundene Identität prägen. Ein hormonelles
Ungleichgewicht führt womöglich dazu, dass diese mit der tatsächlich
ausgebildeten Sexualität nicht übereinstimmt.
Um ihren Körper endgültig an die empfundene Identität
anzupassen, hat sich Schrenk wie die meisten Mann-zu-Frau-Transsexuellen nach
einem Jahr auch zu einer Operation entschieden. Das Ergebnis: ein weibliches
Genital mit Schamlippen, Klitoris und Vagina. Schrenk sagt, sie könne heute
sexuelle Höhepunkte erleben: "Die Erregungsphase dauert länger, aber wenn
ich dann erregt bin, hält das auch nach dem Orgasmus noch länger an."
In den vergangenen Jahren haben Chirurgen zunehmend
Erfahrungen mit geschlechtsangleichenden Operationen sammeln können, denn
offenbar finden immer mehr Menschen den Mut, sich mit ihrem Missverhältnis
zwischen gefühlter Identität und Körper behandeln zu lassen.
Bei Ulrike Kaufmann haben sich im vergangenen Jahr 100
Menschen vorgestellt, fast doppelt so viele wie noch einige Jahre zuvor.
Offenbar wird die Geschlechtsumwandlung durch die Thematisierung in Medien und
im Internet langsam enttabuisiert. "Man sollte das Phänomen der
Transidentität nicht als Krankheit sehen, sondern als eine Art Normvariante der
Natur", sagt Kaufmann. Laut Studien hat ein Mann unter 12.000 das Gefühl,
eigentlich eine Frau zu sein; eine Frau unter 30.000 hat das Gefühl, ein Mann
zu sein. Kaufmann sagt: "Diejenigen, die sich wegen zu großem Leidensdruck
medizinische Hilfe suchen, können zahlreichen Studien zufolge ihre Lebensqualität
deutlich verbessern."
So war es auch bei Johanna Schrenk. Ihre Ehefrau ist zwar
ausgezogen, weil sie nicht lesbisch ist, doch Schrenk hat mit ihr und den
Kindern ein freundschaftliches Verhältnis. Johanna Schrenk selbst aber weiß,
dass es die richtige Entscheidung war, das Geschlecht angleichen zu lassen:
"Es ist eine Befreiung, ich habe das Gefühl, ich lebe endlich mein
richtiges Leben."
Neues Geschlecht, neuer Job
Monika Strub wurde biologisch als Mann geboren. Mit ihrer
Geschlechtsanpassung wechselte sie auch ihren Beruf. Doch als Frau suchte sie
lange nach einer neuen Arbeit.
Ein bisschen Horst steckt in Monika Strub immer noch. Das
merkt man schnell, wenn man sich mit der 36-Jährigen unterhält. Dann erzählt
die junge Frau aus dem Badischen mit tiefer Stimme und aus freien
Stücken, warum sie es seit Jahren so schwer hat im Berufsleben:
weil sie heute ein anderes Geschlecht hat. Monika Strub wurde als Mann geboren.
Äußerlich ist ihr das nicht mehr anzusehen. Strub hat verschiedene Eingriffe
einer Geschlechtsangleichung hinter sich. Nur ihre tiefe Stimme klingt noch
männlich. Sie hat sich die Stimmbänder bislang nicht operieren lassen.
"Ich dachte, ich versuche es erst einmal mit Singen zu Hause", sagt
sie. Eine höhere Stimmlage lasse sich nämlich auch erlernen, aber das dauere
seine Zeit.
Trotzdem hat Strub es schwer, einen Job zu finden. Zuletzt
war sie in einem Vorstellungsgespräch bei einer Zeitarbeitsfirma gescheitert.
"Glauben Sie nicht, dass es Probleme gibt?", hatte der Arbeitgeber
sie gefragt. Es war nicht die fachliche Qualifikation, an der er zweifelte.
Monika Strub glaubt, sie habe den Job nicht bekommen, weil ihr Gegenüber kein
Verständnis für ihre geschlechtliche Identität hatte. "Viele Arbeitgeber
sind damit überfordert", sagt sie.
Transgeschlechtliche Menschen werden in Deutschland sehr
häufig diskriminiert , insbesondere im Berufsleben. Das stellt auch eine Studie
im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes fest. Wer nicht in
seinem biologischen Geschlecht leben möchte oder ohne eindeutiges biologisches
Geschlecht geboren wurde, hat es schwer. So vielfältig wie die geschlechtliche
Identität, so vielfältig sind auch die Begriffe. Um die Vielfältigkeit
widerzuspiegeln, spricht die ADS-Studie von Trans*Personen .
Sie teilen das Schicksal anderer gesellschaftlicher
Minderheiten – mit einem großen Unterschied: Schwule und Lesben etwa haben
durch jahrelange Aufklärungsarbeit ein hohes Maß an Akzeptanz erreicht. In
manchen Branchen können sie mittlerweile sogar Karriere machen und angesehene
Politiker werden oder Fernsehmoderatorin zur Primetime. Transen, wie es oft
falsch und abfällig über transgeschlechtliche Menschen heißt, erwarten die
Leute allenfalls beim Christopher Street Day oder in freizügigen Berliner
Techno-Clubs – aber nicht nebenan im Büro. "Die Aufklärung über
Trans-Menschen in der Gesellschaft hinkt völlig hinterher", sagt Jannik
Franzen.
Franzen hat mit seinem Forscherkollege Arn Sauer die Studie
im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstellt. Sie stützt sich
auf Daten aus diversen internationalen Untersuchungen: Danach sind bis zu 54
Prozent der Trans-Personen arbeitslos. Und wer einen Job hat, kommt über ein
prekäres Beschäftigungsverhältnis meist nicht hinaus. Viele Trans-Menschen sind
für ihre Tätigkeit überqualifiziert, Karriere machen die wenigsten. Stattdessen
gibt es große Berührungsängste seitens Vorgesetzter und Kollegen, Mobbing und
gar Gewalt sind keine Seltenheit. Der Fall des Microsoft-Managers Michael
Wallent, der nach einer Geschlechtsumwandlung zur weiblichen Megan Wallent den
Top-Posten im Konzern noch festigte, gehört zu den Ausnahmen.
Monika Strub begann 2007 mit ihrer Geschlechtsangleichung.
Damals machte sie eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Als
Horst Strub hatte sie in der metallverarbeitenden Industrie gearbeitet.
"Ich habe mich dann aber neu orientiert, wollte etwas mit Menschen
machen", sagt die 36-Jährige. Doch die Suche nach Arbeit sei ein
"Spießrutenlauf" gewesen. Wegen ihrer Transidentität bekam sie auf
Bewerbungen Absagen, lange Zeit war Strub arbeitslos. Im Frühjahr versuchte sie
es sogar als Politikerin und bewarb sich für die Linken um ein Mandat im
baden-württembergischen Landtag. Die Partei blieb aber unter der
Fünf-Prozent-Hürde. "Ich habe mich dann zwischenzeitlich selbständig
gemacht und Brötchen ausgefahren", erzählt sie.
Das noch relativ junge Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
(AGG) von 2006 schreibt eigentlich vor, dass Menschen nicht wegen ihres
Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden dürfen. Wer
sich medizinisch-operativ angleichen lässt, kann seine gelebte Identität dann
im Personenstandsregister festschreiben lassen. Viele Trans-Menschen aber
wollen oder können sich gar nicht einem der beiden Geschlechter zuordnen.
Im Beruf werden solche Identitätskompromisse schwierig: Dort
zwingen Arbeitgeber Trans-Menschen nicht selten, entweder als Frau oder als
Mann aufzutreten. Da kann schon die Frage, welche Toilette der
Trans-Mitarbeiter benutzt, zur Eskalation führen. Dabei sind für viele
Betroffene schon Formulierungen wie "früher ein Mann" oder
"heute eine Frau" eine Diskriminierung, da diese Formulierung ihre
neue Identität nicht respektiert. Es gibt eben nicht nur schwarz und weiß,
männlich oder weiblich. Doch in der Medizin werde eine Geschlechtsidentität,
die nicht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht beziehungsweise
sich nicht als Frau oder Mann einordnen lässt, immer noch als "psychische
Störung" angesehen, kritisiert Studienautor Franzen.
Wie viele Trans-Menschen in Deutschland leben, ist schwer zu
sagen. Laut der erwähnten Studie gehen Schätzungen von 7.000 bis 100.000
Personen aus. Es könnte jedoch sein, dass die Zahl viel höher liegt. Denn
unklar sind die Abgrenzungen zwischen Menschen, die ohne eindeutiges Geschlecht
geboren wurden, Menschen, die sich im falschen Geschlecht fühlen und Menschen,
die sich in ihrem biologischen Geschlecht zwar generell wohl fühlen, aber
dennoch hin und wieder entlang von Geschlechtergrenzen wandeln. Hinzu kommen
Unterschiede bei der sexuellen Orientierung. Schließlich ist nicht jede
transgeschlechtliche Person automatisch gleich lesbisch oder schwul. Auch muss
jemand, der sein Geschlecht ändert, nicht automatisch die sexuelle Orientierung
ändern. Microsoft-Managerin Megan Wallent beispielsweise ist nach wie vor
glücklich mit ihrer Ehefrau verheiratet.
Aufklärungsprogramme werden jedoch vor allem von queer
lebenden Menschen vorangetrieben.
So bietet der Verein TransInterQueer in Berlin-Kreuzberg
Workshops an, die Arbeitgeber für das Thema Trans-und Intersexualität
sensibilisieren sollen. Einige Vertreter von Behörden, sozialen Einrichtungen
und Unternehmen waren schon da. Auch eine bundesweite Tagung beschäftigte sich
mit dem Berufsalltag transgeschlechtlicher Menschen. Im Ergebnisprotokoll des
Workshops werden die Probleme aufgelistet: Falsche Anreden oder die Weigerung
von Vorgesetzten, das richtige Pronomen zu verwenden. Kein firmeninterner
Ansprechpartner für Fragen der Gleichstellung. Pathologisierung. Und
schließlich offenes Lästern und Mobbing.
"Man entwickelt mit der Zeit ein dickes Fell", erzählt
auch Monika Strub aus ihrem Alltag. Die Leute seien eben noch immer zu
"altmodisch", um so etwas wie Transsexualität zu verstehen. Um das zu
ändern, engagiert sich die 36-Jährige weiter außerparlamentarisch: auf
Infoständen ihrer Partei in der Fußgängerzone oder auf CSD-Paraden. Und neulich
klappte es dann plötzlich auch mit einem Job. Seit kurzem
arbeitet Monika Strub in einem Altenpflegeheim in Freiburg
im Breisgau – das Vorstellungsgespräch sei überraschend gut gelaufen, sagt sie.
Der Arbeitgeber habe sich überhaupt nicht für ihre sexuelle Identität interessiert.
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