Dienstag, 14. April 2015

Das Drama, in einem falschen Körper zu leben

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015

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Nun meine lieben Leser wenn man diesen Bericht gelesen hat, stellt sich die Minderheit in Deutschland einige Fragen!
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Das Drama, in einem falschen Körper zu leben
Transgender-Menschen lehnen ihr natürliches Geschlecht ab. In Italien haben sie es schwer, sie werden diskriminiert. Dank eines Kinofilms über ein ergreifendes Schicksal kommt Bewegung in die Debatte.

Catania, Sizilien. Davide Cordova befindet sich mitten in der Pubertät. Doch für Mädchen interessiert er sich nicht. Während seine Klassenkameraden auf dem Schulhof mit ihren ersten romantischen Erfahrungen prahlen, verzieht sich Davide lieber allein in Musikläden. Er stöbert nach Platten seines Helden Boy George.
Der britische Sänger sorgt Anfang der 80er-Jahre mit seiner Band "Culture Club" und Hits wie "Do you really want to hurt me" international für Furore. Boy Georgeschminkt sich und kleidet sich kunterbunt. "Warum mache ich das nicht auch?", fragt sich Davide.
Flucht vor der Hormontherapie
Der Vater ist über die Anwandlungen des Sohnes höchst besorgt. Er schickt Davide zu einem Psychologen. Der verschreibt ihm eine Hormontherapie. "Ich war einfach nur noch verwirrt", erinnert sich Davide. "Dann erkannte ich, dass mir da etwas Schlimmes angetan wurde." Er haut von zu Hause ab. Damals ist er 15 Jahre alt.
In den ersten Tagen schläft er in öffentlichen Parks. Er schlägt sich bis Taormina durch. Dort begegnet er zwei Herren, die die bekannteste Schwulenbar der Stadt leiten. In ihrem Etablissement werden Travestie-Shows dargeboten, im Stil der 40er-Jahre, inspiriert von Marlene Dietrich. "Das war meine Rettung", sagt Davide.
Eine Frau im Körper eines Mannes
Davide ist heute 47 Jahre alt. Er steht offen dazu, eine Frau zu sein, die im Körper eines Mannes gefangen ist. Sein wahres Ich offenbart er auf der Bühne. "Fuxia Loka" heißt die Figur, die er geschaffen hat. Eine imposante Dame, die sich knallig anzieht und grellen Lippenstift aufträgt.
Die singt und tanzt und dem Schicksal die Stirn bietet. "Fuxia" ist eine Anspielung auf das Wort "fucsia", pink. "Ich hülle mich in diese kräftigen Farben, um dem Grau des Lebens zu entfliehen", sagt Davide. Seine Geschichte hat das Kino inspiriert. "Più buio di mezzanotte", heißt der Film, der dieses Jahr angelaufen ist.
"Nach der Nacht kommt der Tag"
Der Titel ist eine Hommage an Davides Großmutter. Wenn er traurig war, flüsterte sie ihm stets diesen Satz ins Ohr: "Dunkler als zu Mitternacht kann's nicht werden." Also: "Nach der Nacht kommt der Tag."
Der autobiografische Film wirft ein Schlaglicht auf eine Bevölkerungsgruppe, die in der öffentlichen Wahrnehmung Italiens in der Vergangenheit nahezu ausgeblendetwurde. Früher sprach man gern von Transsexuellen. Heute hat sich die Bezeichnung Transgender-Menschen, transgeschlechtliche Menschen oder einfach nur Transmenschen durchgesetzt.
Das sind Männer oder Frauen, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht nicht identifizieren können. Sie sehnen sich danach, das Geschlecht zu wechseln, oder lehnen die klassische Zuordnung einer Geschlechterrolle sogar ganz ab.
Ein Film machte das Thema "Transgender" populär
In diesem Jahr ist Transgender in Italien zu einem Thema geworden, das im Fernsehen, in Zeitungen und Internetforen diskutiert wird. Neben dem Film Davides tragen dazu auch Kampagnen bei. Der Transgender-Verband Movimento Identità Transsessuale (MIT) schaltete im Internet und auf sozialen Netzwerken wie Facebook die Anzeige "Un altro genere è possibile", was so viel bedeutet wie "Ein anderes Geschlecht ist möglich".
Auf rosa und blauem Hintergrund sind eine Mann und eine Frau abgebildet. Dazu steht geschrieben: "Frau im Leben, Mann auf dem Papier" beziehungsweise "Mann im Leben, Frau auf dem Papier". Die PR-Aktion richtet sich nicht nur an die Allgemeinheit, sondern auch an Betroffene. Angegeben sind eine Mail-Adresse und eine Telefonnummer.
Bekennender Homosexueller in der Regierung
Die Politik ist aufgewacht. Hielten die Parteien bislang kategorisch am traditionellen Modell Mann-Frau-Familie fest, so ist eine vorsichtige Öffnung hin zu alternativen Lebensentwürfen und sexuellen Identitäten erkennbar. Mit dem Sozialdemokraten Ivan Scalfarotto rückte im Frühjahr ein bekennender Homosexueller in die Regierung von Premierminister Matteo Renzi ein.
Ein Gesetz zu Lebenspartnerschaften wird im Parlament behandelt. Francesca Pascale, die Freundin des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, setzt sich seit kurzem für die Rechte von Schwulen und Lesben ein und wurde sogar Mitglied bei der Interessenvertretung Arcigay.
Auch Transgender wird berücksichtigt. Der sozialdemokratische Senator Sergio Lo Giudice brachte einen Gesetzesentwurf ein, der die rechtliche Situation der Transmenschen stärken würde.
Pöbeleien und Diffamierungen
Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Transgender-Menschen im katholischen Italien immer noch einen extrem schweren Stand haben. Pöbeleien und Diffamierungen sind an der Tagesordnung. Der rechtliche Rahmen ist streng. Wer das Geschlecht auf seinem Personalausweis ändern lassen will, der muss einen chirurgischen Eingriff und eine Sterilisation über sich ergehen lassen. Das schreibt ein Gesetz aus dem Jahr 1982 vor.
Auf dem Arbeitsmarkt werden Transmenschen oft diskriminiert. "Arbeit zu finden ist derzeit nahezu unmöglich. Selbst hervorragende Lebensläufe und Referenzen helfen nicht. Der Personalausweis, auf dem ein Vorname verzeichnet ist, der mit dem dem äußeren Erscheinungsbild nicht korrespondiert, stellt eines der größten Hindernisse dar", sagt MIT-Präsidentin Porpora Marcasciano.
"Italien schneidet im europäischen Vergleich schlecht ab", sagt Julia Ehrt, Professorin für Mathematik an der Humboldt-Universität und Direktorin des Verbands Transgender Europe. Das gelte sowohl für Gesetze, die die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrages beträfen, als auch für den Schutz vor Diskriminierung: "In Italien gibt es keinen expliziten Schutz."
Italien ist vergleichsweise rückständig
Andere Länder wie Deutschland, aber auch Dänemark, die Niederlande, Portugal und Schweden seien da deutlich weiter. "Die Situation für Transmenschen hat sich in Europa in den vergangenen 20 Jahren verbessert. Das Thema wird auf europäischer Ebene nicht mehr als medizinisches, sondern alsMenschenrechtsthema behandelt", sagt Ehrt. "Allerdings gibt es hier nach wie vor einen erheblichen Nachholbedarf." Eben auch in Italien.
Dass sich aber etwas tut, beweist das Beispiel von Alessandra Bernaroli, 43. Die Angestellte einer Bank in der Region Emilia-Romagna hieß vor einigen Jahren noch Alessandro und war seit 2005 glücklich mit Alessandra verheiratet. Dann rang sie sich drei Jahre später zu einer Operation durch, aus Alessandro wurde Alessandra.
Nach Geschlechtsumwandlung Ehe aufgelöst
Ein Gericht in Bologna erkannte die Geschlechtsumwandlung zwar an, verhängte aber gleichzeitig, dass die Ehe aufgelöst wird. Dagegen begehrten Alessandra und ihre gleichnamige Partnerin auf.
"Wir haben eine Liebesbeziehung. Sie lässt sich nicht auseinanderreißen, wenn Schwierigkeiten auftreten. Das ist ein Lebensprojekt", sagt Francesca. Doch anfangs stieß dem Paar Unverständnis entgegen, von Gewerkschaften, Anwälten und Homosexuellen-Verbänden. "Alle dachten, ich sei verrückt", erinnert sich Alessandra. "Ich musste mich im Zentrum Bolognas hinstellen und ein Transparent hochhalten." Das Paar klagte sich durch die Instanzen.
Zuerst in einem Zivilverfahren, dann bis vor das italienische Verfassungsgericht. Fünf lange Jahre. Schließlich bekamen Alessandra und Alessandra im Juni in einer denkwürdigen Entscheidung Recht. Das Verfassungsgericht hielt es in seinem Urteil 170/2014 für unrechtmäßig, die Ehe aufzulösen, sofern dem Paar keine andere vom Staat anerkannte Partnerschaft offen steht.
Lebenspartnerschaft muss in Gesetz gefasst werden
"Das ist ein sehr wichtiges Urteil", sagt Anwalt Michele Giarratano, der Alessandra Bernaroli in den ersten Instanzen vor Gericht vertrat. "Das Verfassungsgericht hatte zwar nicht den Mut, klar zu sagen, dass die Ehe gültig bleibt. Aber es hat dem Parlament den Auftrag gegeben, umgehend ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass Lebenspartnerschaften zwischen Menschen gleichen Geschlechts regelt."
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts müsse auch das Transgender-Gesetz aus dem Jahr 1982 angepasst werden, fügt Giarratano an. Zwei Paragrafen seien hinfällig geworden. Wirklich euphorisch ist er dennoch nicht. "Leider lässt sich die italienische Politik die Agenda von den Gerichten diktieren", sagt Giarratano. "Ich wünsche mir, dass das Parlament ein Portion Würde beweist und aus eigenem Antrieb Gesetze auf den Weg bringt, die dienlich sind."
Davide Cordova denkt langfristig. Er kümmert sich um junge Transmenschen, die wie er einst selbst nach Orientierung und Halt suchen. "Fuxia Loka" ist ruhiger geworden und drängt nicht mehr vors Publikum. "Das habe ich viel zu lange gemacht", sagt Davide. Inzwischen macht er deswegen immer häufiger auf der Bühne Platz für Nachwuchstalente.
Ermutigung für viele junge Menschen
In einer Stranddiskothek hat er die künstlerische Leitung übernommen. Er legt das Programm fest und engagiert Sänger und Artisten aus dem ganzen Land. "Ich wirke jetzt hinter den Kulissen und kümmere mich um andere Aspekte", sagt er.
Ansonsten macht er Werbung für seinen Film. Das Schönste seien nicht die Publicity, sondern die Zuschriften. "Ich erhalte sehr viel Post von jungen Menschen. Sie haben die gleichen Probleme, wie ich sie damals hatte. Durch den Film fühlen sie sich ermutigt. Sie schreiben mir: 'Das kann ich auch schaffen'", erzählt Davide. Dann sagt er: "Nützlich zu sein ist für mich die größte Freude."

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