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Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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Gen für Transsexualität
Neben sozialen Faktoren spielt auch das Erbgut eine Rolle, wenn Männer sich
als Frauen fühlen, berichten australische Forscher.
Mitunter denken Eltern, sie könnten es ihren Söhnen
ausreden, wenn diese sich sehnlich wünschen, ein Mädchen zu sein.
Doch Sexualwissenschaftler vermuten längst, dass neben
sozialen auch biologische Faktoren eine Rolle spielen, wenn kleine Jungen gerne
die Unterwäsche ihrer Mutter anziehen, wenn sie in der Pubertät mit Neid auf
die wachsenden Brüste der Mädchen blicken und wenn sie sich schließlich - oft
nach einem langen Leidensweg - als Erwachsene für eine Umoperation zur Frau
entscheiden.
Nun präsentieren Wissenschaftler aus Australien erstmals
handfeste genetische Ursachen für Mann-zu-Frau-Transsexualität.
Die Forscher vom Prince Henry's Institute of Medical
Research untersuchten die Gene von 112 weiblichen Transsexuellen, die als Mann
geboren worden waren, sowie die von 258 gewöhnlichen Männern. In dieser bisher
größten genetischen Studie zum Thema fanden sie heraus, dass die Transsexuellen
häufig ein übermäßig langes Gen für den Androgenrezeptor besitzen - für ein
Molekül also, das im Körper die Wirkung des männlichen Sexualhormons
Testosteron vermittelt.
Ein langes Gen ist weniger tüchtig als ein kurzes. "Im
Mutterleib könnten die Kinder daher weniger Testosteron ausgesetzt gewesen
sein", vermuten die Forscher um Vincent Harley in der Fachzeitschrift
Biological Psychiatry: Das Gehirn sei deshalb während der Fötal-Entwicklung
feminisiert worden.
Dieser Interpretation stimmt auch Bernd Meyenburg von der
Universität Frankfurt zu. Sie decke sich mit bisherigen Vermutungen. Der
Experte für Transsexualität warnt allerdings davor, gleich zu Hormonkur und
Skalpell zu greifen, sobald der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung
auftritt. Hintergrund seien auch nicht immer die Gene.
Wenn Jungen sich mit Mädchen identifizieren, liege das oft
daran, dass ihre Mutter "emotional abwesend" sei - weil sie an
Depressionen leidet zum Beispiel. "Die Transsexualität ist dann ein
Ausdruck des Wunsches, die Nähe zur Mutter wiederherzustellen", sagt
Meyenburg.
Quelltext: http://www.sueddeutsche.de/wissen/gefuehl-und-geschlecht-gen-fuer-transsexualitaet-1.520647
"Das Gehirn ist ein
Geschlechtsorgan"
Kim Schicklang kam mit männlichen Genitalien auf die Welt - wusste aber
immer, dass sie eine Frau ist. Von einem langen Weg zum eigenen Geschlecht und
dem Kampf für Selbstbestimmung.
Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst das
Transsexuellengesetz für verfassungswidrig erklärt: Nun darf der Gesetzgeber
von Betroffenen, die ihren Personenstand ändern wollen, nicht mehr verlangen,
dass sie sich dafür vorher einer genitalen Operation unterzogen haben müssen.
"Ein Mensch
weiß selbst, welches Geschlecht er hat"
Vielen mag
dies als ein liberaler Schritt erscheinen. Betroffene sehen das anders: Kim
Schicklang, 38, Jahre alt, ist Radiomoderatorin und 1. Vorsitzende des Vereins
Aktion Transsexualität und Menschenrecht in Ludwigsburg bei Stuttgart. Sie hat
sich selbst vor eineinhalb Jahr für eine Operation entschieden und kritisiert
das Gesetz als menschenunwürdig.
sueddeutsche.de:
Frau Schicklang, Sie sind eine Frau - aber als Mann geboren?
Kim
Schicklang: Nein. Ich sage, ich bin als Frau geboren - aber da fangen die
Probleme schon an. Richtig ist: Ich bin mit einem Penis auf die Welt gekommen.
Und die meisten Menschen haben die Vorstellung, dass das Geschlecht so
funktioniert wie bei Ken und Barbie: Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es
entweder ein Mädchen oder Junge - und das kann man an den Genitalien ablesen.
sueddeutsche.de:
Und demnach wären Sie ein Ken?
Schicklang:
Ich hatte männliche Genitalien. Aber die sagen meiner Meinung nach noch nichts
über das Geschlecht aus. Das Geschlecht eines Menschen wird durch viele
Faktoren bestimmt - nicht nur durch das Vorhandensein von Penis oder Vagina.
Sondern auch durch Chromosomen und die Hormone, die in unterschiedlichen
Konzentrationen in einem Menschen vorkommen. Damit haben wir schon drei
Faktoren. Es gibt Studien aus der Biologie, der Neurowissenschaft und der
Genetik, die belegen, dass verschiedene Faktoren eine Rolle bei der Ausprägung
des Geschlechts spielen.
sueddeutsche.de:
Jemand ist dann nicht eindeutig Mann oder Frau?
Schicklang:
Bei der Mehrheit der Menschen gehen die meisten Faktoren in eine Richtung. Es
gibt Polaritäten und die meisten Menschen sind relativ eindeutig ein Mann oder
eine Frau. Es gibt aber auch kräftig gebaute Frauen mit stärkerer
Gesichtsbehaarung und Männer, die sehr feminin aussehen. Und es gibt Menschen,
die völlig uneindeutig sind.
sueddeutsche.de:
Und welcher Faktor macht Sie eindeutig zur Frau?
Schicklang:
Ein weiterer Faktor, der wichtiger ist als die anderen: das Gehirn.
sueddeutsche.de:
Sie haben also ein weibliches Gehirn?
Schicklang:
Ich vermute das, ja. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das Gehirn
einer transsexuellen Frau - also jemand wie ich - tatsächlich eher dem Gehirn
einer Frau entspricht. Auch das Gehirn des Menschen ist also ein
Geschlechtsorgan, auch dort findet eine geschlechtliche Spezifizierung statt.
sueddeutsche.de:
Was macht Sie so sicher? Woher wissen Sie, dass Sie eine Frau sind?
Schicklang:
Sie wissen doch auch, dass Sie eine Frau sind, oder?
sueddeutsche.de:
Ja, daran habe ich keinen Zweifel. Seit wann wissen Sie, dass Sie eine Frau in
einem Männerkörper sind?
Schicklang:
Gespürt habe ich schon immer, dass etwas nicht stimmt, dass etwas komisch ist.
In der Kindheit hatte ich immer wieder die Vorstellung, wie es wäre, im
richtigen Körper zu sein. Ohne Penis. In der Pubertät wurde es dann richtig
schwierig. Der Sportunterricht war verheerend, alleine die Vorstellung, mich
vor anderen umzuziehen.
sueddeutsche.de:
War Ihnen klar, dass Sie transsexuell sind?
Schicklang:
Ich hatte von Transsexualität gehört, und ich fand das total eklig. Ich dachte:
"So verrückt bin ich nicht." Die Vorstellung, ich sei ein Mann, der
sich zur Frau "um-operieren" lässt, erschien mir absurd. Ich wusste
ja, dass ich kein Mann bin, sondern eine Frau!
sueddeutsche.de:
Das sah Ihre Umwelt vermutlich anders.
Schicklang:
Für die Menschen um mich herum war ich natürlich ein Mann. Und ich habe
gemerkt, dass ich total verdreht wahrgenommen werde. Kein Wunder, wenn man
bedenkt, dass das Gehirn das eine Geschlecht hat und der Körper ein anderes.
sueddeutsche.de:
Hatten Sie Phasen, in denen Sie sich betont männlich gegeben haben?
Schicklang:
Es gab eine Zeit, da hab ich mir alte Anzüge gekauft und hatte das Gefühl:
"Was für eine lustige Karikatur!" Aber ich wollte auf Dauer keine
Karikatur sein.
sueddeutsche.de:
Und dann haben Sie Kleidung gekauft, die besonders weiblich war?
Schicklang:
Nein, ich habe mir Kleidung gekauft, die mir gefallen hat. Von Klischees halte
ich nichts. Die Sexualwissenschaftler und Psychoanalytiker, mit denen ich es zu
tun hatte, leider schon.
sueddeutsche.de:
Wann haben Sie diese Leute aufgesucht?
Schicklang:
Nach dem Outing. Irgendwann stand ich vor einem spiegelnden Fenster und musste
mir eingestehen: So unglaublich sich das anhört, ich bin eine Frau! Das war mit
33, und es war ein göttlicher Moment: Ich wusste auf einmal, dass ich mich
selbst gefunden habe. Das ist ein Prozess der Befreiung. Dann habe ich mir
Hilfe gesucht: Ich wollte wissen, welche medizinischen Schritte notwendig sind,
damit ich nicht nur weiß, dass ich eine Frau bin, sondern auch wie eine
aussehe.
sueddeutsche.de:
Konnten Ihnen die Mediziner helfen?
Schicklang:
Der Chirurg, der mich vor eineinhalb Jahren operiert hat, ja. Aber bis dahin
war es ein harter Weg. Das große Problem ist: Eine Frau, die weiß, dass sie
eine Frau ist, muss sich von verschiedenen Gutachtern untersuchen und sich zu
einem Mann mit psychischer Störung erklären lassen. Transsexualität gilt in
Deutschland immer noch - wie lange die Homosexualität auch - als
Geisteskrankheit: Laut der "Internationalen Klassifizierung von
Krankheiten" der Weltgesundheitsorganisation ist sie eine Form der
Geschlechtsidentitätsstörung.
sueddeutsche.de:
Und wie stellt der Gutachter eine psychische Störung fest?
Schicklang:
Die meisten Gutachter kommen aus der Psychoanalyse - und die hatte schon immer
ein Problem mit sexuellen Besonderheiten. Der Psychoanalytiker überprüft, wie
man sich geschlechtlich zeigt. Das ist ein absoluter Seelenstriptease. Der
Gutachter löchert einen mit Fragen über die Kindheit, die psychosexuelle
Entwicklung, die ersten sexuellen Erfahrungen, die Pubertät.
sueddeutsche.de:
Klingt nicht besonders angenehm.
Schicklang:
Da kommt man auch nicht unbedingt heil raus. Betroffene erleben oft psychische
Zusammenbrüche, weil es einfach viel zu heftig ist. Da werden Machtsituationen
ausgenutzt. Wenn die Gutachter nicht besonders sorgsam mit einem umgehen,
können sie damit ernsthafte psychische Schäden verursachen. Es hinterlässt
immer einen Schaden, wenn man eine transsexuellen Frau, die weiß, dass sie eine
Frau ist, daraufhin untersucht, ob sie nicht ein Mann mit Identitätsstörung
ist. Deshalb halte ich diese Begutachtung für einen Verstoß gegen die
Menschenrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem neuen
Transsexuellengesetz diese Sichtweise leider gestärkt.
sueddeutsche.de:
Das neue Gesetz erlaubt aber nun eine Änderung des Personenstands, ohne dass
sich Betroffene umoperieren lassen müssen. Ist das nicht positiv?
Schicklang:
Die allgemein gängige Vorstellung des "Um-operierens" ist schon
paradox: Kein Transsexueller hat den Wunsch, sich zu einem anderen Geschlecht
"um-operieren" zu lassen - er möchte in seinem eigenen Geschlecht
leben!
sueddeutsche.de:
Einverstanden. Aber geht das Gesetz nicht in die richtige Richtung?
Schicklang:
Nur auf den ersten Blick - der Gesetzgeber kann einen nun nicht mehr zwingen,
die Operation zu machen, um im Pass das Geschlecht zu ändern. Bisher war es so:
Man brauchte für die Änderung des Vornamens ein Gutachten, und ein zweites
Gutachten für die Änderung des Personenstands. Dafür musste man die Operation
vorweisen. Nun muss man das zwar nicht mehr - aber die zweite Begutachtung
könnte schärfer werden.
sueddeutsche.de:
Inwiefern?
Schicklang:
Es könnte noch genauer überprüft werden, ob jemand möglichst unauffällig im
vermeintlich "anderen" Geschlecht lebt. Da zählen dann Stereotype wie
lackierte Fingernägel, oder Kleider und Röcke.
sueddeutsche.de:
Nicht jede Frau läuft in Röcken und lackierten Fingernägeln herum.
Jeder Betroffene soll
selbst entscheiden können
Schicklang:
Eben. Das betrifft mein Recht auf freie Lebensgestaltung. Wenn man aber Pech
hat und diesen Stereotypen nicht entspricht oder nicht entsprechen will, wird
man nicht anerkannt. Und man darf nicht vergessen: Diese Gutachten kosten Geld
- für diese ganze personenstandsrechtliche Anerkennung legt man mehrere tausend
Euro hin. Und am Ende wird die Änderung unter Umständen trotzdem ablehnt und
man läuft mit falschen Papieren rum.
sueddeutsche.de:
Wie sollte es Ihrer Meinung nach geregelt sein?
sueddeutsche.de:
Ich bin dafür, dass jeder Betroffene das selbst entscheidet. Ein Mensch weiß
doch, welches Geschlecht er hat. Ich finde es ziemlich heftig, dass es Menschen
gibt, die sich anmaßen zu bestimmen, wer transsexuell ist und wer nicht. Das
ist völlig absurd, wer soll das von außen entscheiden können? Niemand kann in
das Gehirn eines anderen hineinschauen. An welchen Klischees soll man das denn
festmachen?
sueddeutsche.de:
Sie sind also dafür, dass jeder seinen Personenstand ändern kann, wie man seine
Adresse ändert?
Schicklang:
Was spräche dagegen? Es würde doch kein Mensch, der nicht wirklich betroffen
ist, aus Spaß seinen Personenstand ändern. Und es wäre sicher besser, als dass
Menschen mit falschen Papieren herumrennen und die richtigen nur bekommen, wenn
sie solche Verfahren über sich ergehen lassen. Ich verstehe ja, dass man das
Geschlecht eines Kindes bei der Geburt eintragen lässt - aber man sollte es den
Menschen, die sich irgendwann melden, nicht so schwermachen, das auch wieder zu
ändern.
sueddeutsche.de:
Haben Sie Ihren Personenstand geändert?
Schicklang:
Nein, ich bin laut meiner Papiere männlich, obwohl ich keinen Penis mehr habe.
Ich sehe nicht ein, dass mir irgendjemand das, was mir durch mein Outing
bewusst wurde - nämlich dass ich eine Frau bin - zu einer psychischen Störung
erklärt. Und schon gar nicht zur psychischen Störung eines Mannes! Ich soll
mich zum geisteskranken Mann erklären, damit ich als Frau geduldet werde, die
ich sowieso schon immer war? Nein, echt nicht. Dann sollen die Geschlechtseinträge
lieber falsch sein, das ist mir dann auch egal.
sueddeutsche.de:
Aber die Operation war trotzdem wichtig für Sie?
Schicklang:
Durch die Hormonbehandlung und die Operation habe ich ein viel besseres
Körpergefühl bekommen. Auch wenn die Spuren des Testosterons in meinem Körper
noch zu sehen sind. Ich kann endlich in den Spiegel schauen - und sehe mich.
Das Schönste an der Operation war: Die ganzen Märchen, man gehe als Mann zur OP
und wache als Frau wieder auf, haben nicht gestimmt. Ich bin aufgewacht und
habe festgestellt: Ich bin immer noch eine Frau.
Der Verein
Aktion Transsexualität und Menschenrecht (ATME e.V.) ist eine unabhängige
gemeinnützige Organisation, die sich für Menschenrechte transsexueller Menschen
einsetzt. Der Verein im Internet: www.atme-ev.de
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