Montag, 4. Mai 2015

Geschlechtsidentität und Menschenrechte im internationalen Kontext


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015

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Geschlechtsidentität und Menschenrechte im internationalen Kontext
Im internationalen Menschenrechtsschutz hat sich Vieles zum Positiven entwickelt. Zugleich aber lässt die geschlechtliche Vielfalt und Randständigkeit von Trans* und Inter* sie weiterhin zum Ziel von Diskriminierung und Gewalt werden.


Einleitung
Über  47 Mitgliedsstaaten des Europarates war ich erschüttert über die Wissensdefizite bezüglich der Menschenrechtsbelange von transgender Personen, sogar bei politischen Entscheidungsträgern.

"Was Thomas Hammarberg, der ehemalige Menschenrechtskommissar des Europarates, beobachtet hat, ist ein bis heute ungelöstes Menschenrechtsproblem. Die rechtliche, medizinische und gesellschaftliche Diskriminierung von Transsexuellen, Transidenten, Transgendern, transgeschlechtlichen Menschen (kurz: Trans*), aber auch die von Intersexuellen, Intersex, zwischen- oder intergeschlechtlichen Menschen (kurz: Inter*) ist vielfach belegt, politisch umstritten und menschenrechtlich nur ungenügend thematisiert.

Das verwundert nicht, steht doch nicht weniger als das gesellschafts- und staatstragende Zweigeschlechtersystem auf dem Spiel.

Sieht man genauer hin, entdeckt man hinter der Einfalt des Systems jedoch eine Vielfalt von Menschen, die - gleich welchen Geschlechtes - als Rechtsträger_innen in ihren Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrechten bis heute nahezu überall auf der Welt massiv eingeschränkt sind.

Dieser Artikel bietet einen kurzen Abriss der Geschichte internationaler Menschenrechte in Bezug auf Geschlechtsidentität sowie globale Einblicke in die Lebens- und Diskriminierungssituation von Trans* und Inter*.

Als deutsches Autor_innen-Team haben wir uns entschieden, mithilfe von lokalen Selbstzeugnissen internationaler Aktivist_innen den Weg von Unsichtbarmachung, Ausschluss und Unterdrückung hin zum Sichtbarwerden und zu wertschätzender Anerkennung von geschlechtlicher und körperlicher Vielfalt zu beschreiben.


Vielfalt von Geschlecht - ohne Recht? 

Was meint eigentlich diese Vielfalt geschlechtlicher Identitäten genau, die nicht zu verwechseln ist mit dem deutschen Konzept der "sexuellen Identität"?

Letzteres findet im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Anwendung und umfasst Homo-, Bi- Trans- und Intersexuelle, wird allerdings im internationalen Sprachgebrauch eher mit dem Begriffspaar sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität (SOGI) wiedergegeben.

Global und auf der Ebene der Vereinten Nationen (VN) setzt sich zunehmend die Definition des englischen gender identity, wie in den Yogyakarta-Prinzipien (YP) formuliert, durch: "Unter 'geschlechtlicher Identität' versteht man das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, das der betroffene Mensch bei seiner Geburt hatte, übereinstimmt oder nicht übereinstimmt; dies schließt die Wahrnehmung des eigenen Körpers (darunter auch die freiwillige Veränderung des äußeren körperlichen Erscheinungsbildes oder der Funktionen des Körpers durch medizinische, chirurgische oder andere Eingriffe) sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts, z.B. durch Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen, ein."[ 

Indem die YP bewegungspolitische Formulierungen aufgreifen, geben sie trans* und inter* Menschen die Definitionsmacht über ihr ureigenes geschlechtliches Empfinden und dessen Ausdrucksform(en) zurück.

Damit stehen die YP am Ende einer über 60-jährigen, kontroversen und bis in die jüngste Vergangenheit vorwiegend medizinisch-psychologisch geführten Debatte zur Identitätsbestimmung, die Trans- und Intersexualität nach wie vor pathologisiert.

Die YP wurden 2006 von einem international besetzten Gremium von Menschenrechtsspezialist_innen aus dem Globalen Süden und Norden in der indonesischen Stadt Yogyakarta entworfen und abgestimmt.

Die Rechtsexpert_innen verfassten darin einen Katalog von 29 Prinzipien zu verschiedenen Schutzbereichen aus spezifischer trans* und inter* Sicht.
Sie sind nicht bindend, werden aber mittlerweile als Lehrmeinung internationaler Völkerrechtler_innen neben völkerrechtlichen Verträgen, Völkergewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Hilfsmittel zur Feststellung von Völkerrecht herangezogen.

Ein begleitender rechtswissenschaftlicher Kommentar stellt klar, dass sie keine neuen Rechte schaffen, sondern lediglich bestehende verbindliche Menschenrechtsstandards und Schutzmechanismen aus SOGI-Perspektive(n) zusammenfassen.LSBTI-Bewegungsorganisationen entwickelten zu ihrer Umsetzung einen aktivistischen Leitfaden, um die Adaption der YP voranzubringen.

Gerade westliche Staaten, die den globalen Süden und Osten gerne auf Menschenrechtskonformität in Bezug auf SOGI-Fragen drängen, machen sich unglaubwürdig, wenn sie sich den YP fortgesetzt verweigern.

Hierzu zählt leider nach wie vor auch Deutschland. 

Wie gestaltet sich nun der aktuelle internationale Diskriminierungs- und Menschenrechtsschutz? Die Anerkennung und der Schutz von Geschlechtsidentität sind in den VN-Menschenrechtsverträgen selbst nicht explizit genannt, dennoch ist ein allgemeines Diskriminierungsverbot gegeben, das alle Menschen - also auch Trans* und Inter* - umfasst.

Die Anerkennungsgeschichte von sexueller Orientierung ist dabei der von Geschlechtsidentität vorgängig und verläuft teilweise überlappend.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte schon 1981 und damit als erste internationale gerichtliche Instanz fest, dass die Verfolgung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen unter Erwachsenen menschenrechtswidrig sei.

Diesem Urteil folgten zahlreiche weitere Entscheidungen bezüglich der Legalisierung homosexueller Praktiken. Aus Perspektive von trans* oder inter* Personen mag der sexualitätsbezogene Aspekt des internationalen Menschenrechtsschutzes auf den ersten Blick nicht relevant erscheinen. Aber da in vielen Ländern der Welt die juristische und/oder medizinische Anpassung an das Identitätsgeschlecht nicht vorgesehen ist, können sie sich im Falle der Strafbarkeit von gleichgeschlechtlichen Handlungen jener schuldig machen - selbst wenn sie heterosexuelle Kontakte und Partnerschaften suchen.

Allgemein geraten trans* und inter* Selbstrepräsentationsweisen häufiger in Konflikt mit Geschlechterstereotypen, weil ihr Geschlechtsausdruck meist nicht eindeutig ist, das heißt, sie werden in Zusammenhang mit Partnerschaften oft als schwul oder lesbisch interpretiert und entsprechend sanktioniert. 

Von mindestens fünf Staaten ist bekannt, dass sie ein drittes Geschlecht anerkennen beziehungsweise in Reisepässen als Geschlechtseintrag ein "X" vorsehen (Indien, Pakistan, Nepal, Australien, Neuseeland).
In Bezug auf völkerrechtliche Abkommen fanden sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität 2009 in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 20 des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erstmals Erwähnung.

Jener bekräftigte darin, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in die Kategorie des sonstigen Status (Artikel 2.2) des internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fallen. Damit fand gleichzeitig das Konzept der Geschlechtsidentität als verbotener Diskriminierungsgrund zum ersten Mal Eingang bei den VN.

Die Einführung der ersten Resolution zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität führte über drei vergebliche Resolutionsanläufe und erhebliche Widerstände hinweg 2011 schließlich zum Erfolg. Auf Initiative von Südafrika und besonders dank intensiver NRO-Arbeit der auf internationaler Ebene noch sehr jungen Trans*-Organisationen fand sich am 17. Juni 2011 im VN-Menschenrechtsrat zwar eine äußerst knappe, aber zum ersten Male eine Mehrheit für eine SOGI-Resolution, die den allgemeinen Diskriminierungsschutz für LSBTI betont. 

Auf regionaler Ebene finden im interamerikanischen Menschenrechtssystem der Organisation Amerikanischer Staaten erste Auseinandersetzungen mit beiden Merkmalen der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität statt.

Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und ihr Gerichtshof befassten sich bisher "nur" mit sexueller Orientierung.
Die afrikanische Charta der Menschenrechte der Afrikanischen Union ist seit 1986 in Kraft, seit 2004 gibt es auch einen afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, allerdings war die Frage der Geschlechtsidentität bisher noch nicht Gegenstand von Rechtsprechung oder Erlassen.

Im asiatisch-pazifischen Raum hat 2009 das Asien-Pazifik-Forum die Annahme der Yogyakarta-Prinzipien beschlossen, die seitdem Leitprinzip sind. 

Im europäischen Menschenrechtssystem hat das zwar nicht bindende, aber Grundlagen schaffende Themenpapier zu Geschlechtsidentität und Menschenrechten von Thomas Hammarberg zentrale Bedeutung und wird von trans* Aktivist_innen geschätzt.

Hier wurden 2009 insbesondere für trans* Personen wegweisende menschenrechtliche, aber auch gesundheitliche und soziale Standards formuliert - inter* Perspektiven jedoch größtenteils vernachlässigt. 2010 folgten die Verabschiedung von Empfehlungen im Ministerrat und ein Beschluss der Generalversammlung des Europarates, die sich gegen die Diskriminierung auch aufgrund von Geschlechtsidentität wenden.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Europarat als die weltweit erste zwischenstaatliche Einrichtung schon 1989 zu den Bedingungen von Transsexuellen äußerte. Er sprach Empfehlungen wie die Ermöglichung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen an die Mitgliedstaaten aus, die allerdings größtenteils folgenlos blieben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) behandelt Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität seit 2002 als "Verletzung von Persönlichkeitsrechten, also von Freiheitsrechten".

Anders als der Europäische Gerichtshof (EuGH), der alle Klagen von trans* Menschen als geschlechtsspezifische Benachteiligung abgeurteilt hat, sieht der EGMR keinen Zusammenhang mit der Benachteiligung "wegen des Geschlechts".

Die Diskriminierung von Inter* wurde bisher an keinem der beiden Gerichte behandelt.

Das mag an ihrer besonderen Marginalisierung und den Entmachtungspraxen in Recht und Medizin liegen.


Lebenslagen und Diskriminierung von Intersexuellen  und Transsexuellen
 

Weltweit sind viele Trans* und Inter* trotz der sich allmählich verbessernden internationalen Menschenrechtslage nach wie vor Ziel von Diskriminierung und Gewalt bis hin zu Kapitalverbrechen. 

Gesundheit.
In den meisten Ländern dieser Welt ist eine juristische sowie medizinische Geschlechtsangleichung an das Identitätsgeschlecht versagt beziehungsweise ist an hohe und entmündigende Hürden geknüpft.

Dies können zwingend vorgeschriebene Operationen, die Sterilisation oder auch hohe Behandlungskosten sein.

Die derzeit international anerkannten Klassifizierungssysteme für Krankheiten führen die Diagnose "Geschlechtsidentitätsstörung" entweder als psychische Gesundheitsstörung (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz: DSM) oder listen Transsexualität als Geistes- und Verhaltensstörung (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, kurz: ICD). 

Die medizinischen Diagnosen Transsexualität und Intersexualität werden einerseits dazu benutzt, Trans* und Inter* als abweichend und krank zu stigmatisieren. Andererseits bildet der Krankheitsstatus beziehungsweise der Leidensdruck an der gesellschaftlichen Reaktion in manchen Ländern die Basis für die Kostenerstattung medizinischer Maßnahmen. Zugang zu medizinisch überwachter und bezahlbarer Hormontherapie und geschlechtsangleichenden Maßnahmen gibt es nur in wenigen Ländern.

Qualitätsstandards für Operationen existieren häufig nicht. 

In Ländern, in denen keine trans*- oder inter*-spezifische gesundheitliche Betreuung existiert, und dort, wo Trans* und Inter* nicht die Vorbedingungen für eine medizinische Behandlung erfüllen, besorgen sie sich häufig die Hormone auf dem Schwarzmarkt und nehmen diese ohne medizinische Betreuung ein.

Ebenso ohne medizinische Aufsicht spritzen viele Transfrauen industrielles Silikon zum Brustaufbau ein oder lassen Genitalanpassungen (vor allem Emaskulationen) ausführen - mit oft gravierenden gesundheitlichen Schäden bis hin zur Todesfolge. 

In Indien wird Trans* häufig unterstellt, HIV-positiv beziehungsweise an AIDS erkrankt zu sein.

Aufgrund der so projizierten vermeintlichen Übertragungs- und Ansteckungsgefahr für andere Menschen sind oft nur Sterilisations- beziehungsweise Kastrationsmethoden und geschlechtsangleichende Maßnahmen außerhalb von Krankenhäusern verfügbar, die nicht sicher sind und meist zu Komplikationen, mitunter zum Tod führen.

Sind trans* und inter* Menschen tatsächlich HIV-infiziert, sind sie oft Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt. 

Während Trans* häufig unter der Verweigerung gewollter medizinischer Behandlung leiden, werden Inter* durch Zwangsbehandlungen traumatisiert.

Sie werden vor allem in den ausdifferenzierten Gesundheitssystemen des globalen Nordens, aber auch vermehrt im Süden, im nicht-einwilligungsfähigen Alter ohne tatsächliche medizinische Notwendigkeit geschlechtszuweisend operiert.

Kleinkindliche Genitale gelten bis zu einer gewissen Größe als "uneindeutig" und werden operationstechnisch bedingt meist als weiblich angelegt.

Traumatisierende Weiterbehandlungsmethoden (etwa Bougieren, das künstliche Weiten der Neo-Vagina) sind die Folge. Die meisten Neo-Genitale weisen - entgegen medizinischer Machbarkeitsversprechen - keine oder keine ausgeprägte Sensibilität auf, Unfruchtbarkeit ist oft eine weitere Konsequenz.

Medizinische Fehler oder Fehlbehandlungen können kaum nachvollzogen werden, da eine Akteneinsicht vor allem für im Säuglingsalter vorgenommene Eingriffe oft nicht gewährleistet ist beziehungsweise Verjährungsfristen greifen.

Inter* Aktivist_innen bezeichnen diese in vielen Ländern gängige Praxis als Genitalverstümmelung, die den betreffenden Personen die Möglichkeit zur freien geschlechtlichen und sexuellen Selbstentfaltung nimmt.
Darüber haben wir in unserem Blog http://trans-weib.blogspot.de/ mehr als einmal Berichtet!

Die wichtigste Forderung für eine verbesserte Situation für Inter* lautet daher, gesundheitlich nicht zwingend erforderliche medizinische Eingriffe nur im einwilligungsfähigen Alter vorzunehmen.
Nach dem Prinzip der vorherigen informierten Zustimmung sollten Inter* selbst wählen können, ob, wann und welche geschlechtsangleichende Maßnahmen sie durchführen lassen möchten.[ 

Klinische Ethikkommissionen, bestehend aus Psycholog_innen, Medizinethiker_innen, Endokrinolog_innen und weiterem Fachpersonal, sollen neuerdings etwa in Brasilien Eltern bei der Geburt eines als DSD klassifizierten Kindes in ihrer Entscheidung unterstützen.

Betroffenenorganisationen lehnen Fremdentscheidungen jedoch grundsätzlich ab. Sie kritisieren zudem, dass der neue medizinische Terminus DSD für Intersex darauf ausgelegt ist, immer mehr Intersexvarianten, beispielsweise auf genetischer Basis, zu identifizieren und unzutreffenderweise als behandlungsbedürftig darzustellen. Es besteht auch die Befürchtung, dass mittels pränataler Diagnostik Eltern bei DSD entweder eine pränatale Hormonbehandlung oder gar der Schwangerschaftsabbruch nahegelegt wird. 

In Australien und Kolumbien haben Gerichtsurteile das elterliche Zustimmungsrecht anstelle ihrer geschäftsunfähigen Kinder bei geschlechtszuweisenden Eingriffen bereits stark eingeschränkt - aber nicht unmöglich gemacht.
Auch in Deutschland konnte sich der Deutsche Ethikrat nicht zu dem von Intersex-Verbänden dringend geforderten Moratorium für solche Operationen durchringen.

Die unkritische Einführung solch westlicher medizinischer Standards gefährdet Inter* zunehmend auch im globalen Süden.
Dies gilt vor allem für die wenigen noch vorhandenen vorkolonialen Gesellschaften, die von der Zweigeschlechtlichkeit abweichende sozioreligiöse Strukturen kennen, in denen Inter* und Trans* geschützt leben können. 

Personenstand und rechtliche Lage.
Um diskriminierungsfrei im Identitätsgeschlecht zu leben, ist für viele Trans* und manche Inter* der Zugang zu Verfahren für die Geschlechtseintragung und Vornamensänderung entscheidend.

Ausweisdokumente weisen oft das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht aus. Verfahren zur Änderung sind, wenn überhaupt vorhanden, langwierig und bürokratisch. In dieser Zeit sind Trans* und Inter* häufig in ihrer Teilhabe an Bildung, dem Arbeitsmarkt, an Sozial- und Gesundheitssystemen eingeschränkt und in ihrer Bewegungs- und Reisefreiheit gehindert. 

Im Rahmen des Transrespekt-versus-Transphobie-Projektes wurden 61 Länder unter anderem auf die Möglichkeit hin untersucht, den Vornamen sowie die Geschlechtseintragung rechtlich zu ändern. In 30 Ländern sind Änderungen möglich, allerdings sind diese an jeweils variierende Bedingungen geknüpft, in der Regel jedoch psychiatrische Gutachten, geschlechtsangleichende Maßnahmen und mitunter auch die Unfruchtbarmachung umfassen. 

Auch in den meisten afrikanischen Ländern fehlt bisher eine geschlechterspezifische Antidiskriminierungsgesetzgebung. Eine Ausnahme bildet die Gender Recognition Legislation in Südafrika. Das Problem liegt hier allerdings in der Umsetzung des Gesetzes: In der Realität stoßen viele Trans* und Inter* ohne operative geschlechtsangleichende Maßnahmen, die im Gesetz zwar nicht explizit gefordert werden, trotzdem auf Probleme bei den Behörden. Diese können häufig erst dann gelöst werden, wenn mit Hilfe von Selbsthilfegruppen Anwälte eingeschaltet werden oder dies angedroht wird. Allerdings haben viele Trans* (wie auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und Inter*) häufig keinen Zugang zu den wenigen Beratungsangeboten und wissen demnach nicht, wie sie die grundsätzlich gute Rechtslage zu ihrem Schutz einsetzen können. 

In vielen Ländern werden trans*- und inter*-spezifische Bedürfnisse kaum von nicht-trans* oder -inter* Menschen, der Öffentlichkeit und auch der Politik wahrgenommen werden.

Es existieren kaum Informationsangebote, verschiedene Geschlechtidentitäten und sexuelle Orientierungen werden von den wenigen, die sensibilisiert sind, unter der Kategorie LSBTI zusammengefasst und in der öffentlichen Wahrnehmung häufig mit Homosexualität gleichgesetzt - und sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen sind in einer Vielzahl von afrikanischen und islamisch geprägten Staaten kriminalisiert, die Strafen gehen bis hin zur Todesstrafe.
Insgesamt ist ein besorgniserregender Trend zur Kriminalisierung auch von trans* Ausdrucksweisen zu beobachten. 

Obwohl hierzulande vor allem von Ethnolog_innen oft als Positivbeispiel zitiert, kämpft auch die trans*, inter* und hijra-Community in Indien nach wie vor um eine rechtliche Anerkennung ihrer Identität(en). 2009 wurden die Begriffe sexuelle Orientierung und LSBT in die indische Verfassung aufgenommen.

Geschlechtsidentität und Trans*/Inter*/hijra werden jedoch nicht explizit genannt.

In Dokumenten, wie dem Pass, der Wähleridentifikationskarte oder auch im Zensus können sich Trans* inzwischen als "andere(s)" Geschlecht eintragen, wenn sie sich nicht als Mann oder Frau identifizieren. Individuelle Trans*-Identitäten können jedoch nicht angegeben werden.

Ebenso kann das Geschlecht auf Geburtsurkunden nach wie vor nicht geändert werden. Am fortschrittlichsten innerhalb Indiens ist die Gesetzgebung für Trans* im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu.

Dieser verfolgt eine offene Politik gegenüber Transfrauen/hijra und hat eine Reihe unterstützender Maßnahmen eingeführt, unter anderem eine besondere Zuständigkeit für Trans* in den sozialen Sicherungssystemen.

Die National Legal Services Authority hat die Transgender inzwischen in die Definition marginalisierter Gruppen integriert. Dies ermöglicht Trans* beispielsweise die Inanspruchnahme eines kostenlosen Rechtsbeistands. 

Obwohl auf nationaler Ebene gesetzlich nicht kriminalisiert, sind in Argentinien travesti, Transsexuelle und Transgender ähnlichen lokalen Regelungen unterworfen, die zum Beispiel das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechtes in der Öffentlichkeit oder das Anbieten von Sex-Dienstleistungen - oft die einzige Einnahmequelle - im Namen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral und Ordnung unterbinden.

Gleichzeitig verfügt Argentinien über den derzeit weltweit fortschrittlichsten Gesetzentwurf zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsangleichung. Die Personenstandsänderung ist qua Eigenerklärung möglich und verzichtet auf eine pathologisierende Diagnose. Zusätzlich gewährt er Trans* auf Basis der freien, informierten Zustimmung Zugang zu allen gewünschten medizinischen Maßnahmen innerhalb eines staatlich finanzierten Gesundheitssystems. 

Aufgrund der noch kaum existenten inter*-Bewegung und der allgemeinen Unsichtbarkeit von Inter* werden nur äußerst selten Fälle von Diskriminierung aktenkundig.

Einer der wenigen ist der Fall Muasya in Kenia. Die intersexuelle Person, die als Mann lebte und wegen der Teilnahme an der Gruppenvergewaltigung einer Frau verurteilt wurde, reichte gegen die für sie als falsch empfundene Unterbringung im Männergefängnis Klage ein.

Ohne die Gründe für die Verurteilung in Abrede zu stellen, verdeutlicht dieser Fall die generelle Problematik der Geschlechtertrennung in öffentlichen Einrichtungen für Inter* wie für Trans*. 

Sozioökonomische Situation.
Armut und Arbeitslosigkeit stellen für trans* Personen überall auf der Welt eine elementare Sorge dar.

In den meisten Ländern des Globalen Südens sind sie damit automatisch in ihrer Existenz bedroht. Viele sehen aufgrund ihrer extremen Stigmatisierung keinen anderen Ausweg als Sexarbeit oder die Arbeit in anderen illegalen oder gefährlichen Untergrundökonomien.

Sind Trans* berufstätig, sind sie an ihrem Arbeitsplatz Diskriminierung im Sinne von Mobbing und Schikanen durch die Arbeitgeber_innen oder Kolleg_innen ausgesetzt.

In Indien können viele trans* und inter* Menschen nicht zur Schule gehen und nicht legal arbeiten, da sie auf allen gesellschaftlichen Ebenen diskriminiert werden. Akzeptanz finden transfrauen/hijra und inter* Menschen nur in traditionellen, aber stigmatisierten "Berufen" wie Segnungen (gegen Geld oder Geschenke) und Betteln. Auch in Südost- und Ostasien leiden Trans* besonders unter Armut. 

Gewalt, gesellschaftliche Diskriminierung und Stigmatisierung.

Transphobie überschneidet sich teilweise mit Homophobie, denn besonders Personen mit nicht geschlechtskonformen Auftreten sind Ziel von Diskriminierung und Gewalt

Die Dunkelziffern sind sehr hoch. So wird zum Beispiel in Ländern des Balkans Gewalt zum Teil von den eigenen Familien, aber vor allem von Polizei, extremistischen Gruppen und Hooligans ausgeübt.

Auch in afrikanischen Ländern ist das Maß an Diskriminierung und Gewalt sehr hoch: mitunter kommt es zu Folter und Morden. Eine Ursache könnte in der erhöhten Sichtbarkeit und internationalen Thematisierung von lesbisch-schwulen Anliegen liegen, die Gegenreaktionen auslöst. 

Von politischen Entscheidungsträgern und anderen wird die Gewalt entweder propagiert oder sie verhalten sich nicht dazu. Nur selten finden sich öffentliche Fürsprecher, die sich für den Schutz der Menschenrechte von LSBTI einsetzen.

All dies schafft ein gesellschaftliches Klima der Kriminalisierung und Stigmatisierung.

In verschiedenen Ländern wie dem Senegal wurden Trans* von der Polizei inhaftiert, misshandelt und missbraucht. Auch in Indien werden sie häufig von Polizisten zum Sex gezwungen - ohne eine Möglichkeit, Beschwerde einzulegen oder sich rechtlich dagegen zu wehren.
In Tansania wurden mehrere Trans* exhumiert und deren Körper tagelang öffentlich zur Schau gestellt. Straflosigkeit bis offene Unterstützung bestärkt die Täter in ihrem Verhalten. Die menschenrechtlichen Garantien auf Schutz vor willkürlichen Festnahmen, Folter und unmenschlicher Behandlung werden von Polizei und Sicherheitskräften missachtet. 



Die Förderung der Menschenrechte von "T" und "I" wäre jedoch unvollständig, würde sie nur den globalen Süden und Osten in den Blick nehmen. Die westliche Introspektive zeigt schnell: Selbst in den Ländern des Nordens sind LSBTI weder rechtlich noch gesellschaftlich vollkommen gleichgestellt - auch nicht in Deutschland, wie die fortgesetzte Ungleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft, der medizinisch-rechtliche Umgang mit Zwittern sowie das erst 2011 vom Bundesverfassungsgericht als Menschenrechtsverletzung außer Kraft gesetzte Sterilitätsgebot im Transsexuellengesetz verdeutlichen. Das niederländische Transsexuellengesetz schreibt die Sterilität nach wie vor zwingend vor und ruft internationale Menschenrechtsorganisationen auf den Plan.

Bewegungspolitik stärken 

Die Menschenrechtsverletzungen sind eindeutig, der Menschenrechtsschutz noch nicht.
[37] Ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Diskriminierungslagen von Trans* und Inter* herzustellen ist eine internationale Menschenrechtsaufgabe, die alle gleichermaßen leisten müssen. Trans* und Inter* haben ähnliche aber auch unterschiedliche Probleme. Gemeinsamkeiten liegen zum Beispiel im Mangel an geschlechtlicher Selbstbestimmung, in der fehlenden Akzeptanz von Zwischengeschlechtern und der Pathologisierung. Unterschiede finden sich vor allem darin, dass es für Trans* keinen oder einen mit hohen Hürden versehenen Zugang zu gewünschter und nötiger medizinischer Versorgung gibt, wohingegen Inter* ungewünschte und unnötige Eingriffe abwehren müssen. 

Aktuelle Menschenrechtsinstrumente und an LSBTI gerichtete Programme verfolgen unter Verwendung des Begriffes Geschlechtsidentität eine einbeziehende Strategie, wobei jedoch die konzeptionelle Schärfe und Tiefe unterschiedlich sind. Meist herrscht die rein rhetorische Einbeziehung in SOGI ohne inhaltliche Entsprechung der Problemlagen von trans* und inter* Personen vor. Selbst wenn Geschlechtsidentität inhaltlich ausgestaltet ist, finden sich dann vor allem die Bedürfnisse von Trans* wieder. Inter*, ihre Anliegen und ihre körperliche und geschlechtliche Vielfalt sind selbst im Geschlechtsidentitätskonzept randständig bis unsichtbar - eine konzeptionelle Leerstelle, die sich auch im Ausbleiben von Fördermitteln widerspiegelt.
[38] So existiert beispielsweise keine empirische Forschung zu den Lebens- und Diskriminierungslagen von Inter* und nur wenig zu Trans*. Solche Forschungsvorhaben sollten partizipativ erfolgen: Sogenannte betroffenenkontrollierte Ansätze zielen darauf, dass die Menschen, deren Erfahrungen Gegenstand der Untersuchung sind, an der Konzeption, Ausführung, Auswertung und Veröffentlichung teilhaben, dass ihr spezielles Wissen in die Forschung einfließt, und dass die Forschung für sie nützlich sein muss. Daran sollten die jeweiligen Bewegungen beteiligt werden. 

Sowohl die Trans*- als auch die Inter*-Bewegung werden von der großen LSB(TI)-Bewegung marginalisiert, es finden sich kaum trans* und inter* Repräsentant_innen. Während eine sich gerade formierende Trans*-Bewegung, die sich zunehmend auch international organisiert, erste Emanzipationsgewinne verzeichnen kann, steht die Inter*-Bewegung noch ganz am Anfang. Trans* und Inter* kämpfen manchmal zusammen - manchmal getrennt. Gemein ist beiden jungen Emanzipationsbewegungen, dass sie dringend mehr (bewegungs-)politische Aufmerksamkeit, Geld und Öffentlichkeit erhalten müssen. Denn sie allein sind in der Lage, die Entpathologisierung, Entstigmatisierung und als oberstes Primat die Selbstbestimmungsrechte ihrer Mitglieder durchzusetzen.

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