Montag, 4. Mai 2015

Mehr Rechte für Transsexuelle



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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015

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Mehr Rechte für Transsexuelle

Um in homosexueller Partnerschaft leben zu können, mussten sich Transsexuelle bislang umoperieren lassen. Jetzt werden diese Regeln gelockert.

Sie fühlen sich fremd. Wie ungebetene Gäste im eigenen Körper. Transsexuelle erleben ihr Äußeres als falsche Verpackung des richtigen Inhalts. Von außen ein Mann, von innen eine Frau. Oder umgekehrt. Der Weg zum wahren Ich ist weit. Er führt für manche über geschlechtsanpassende Operationen und noch dazu durch einen Dschungel der Bürokratie. Doch der Weg wird einfacher. Ein neues Gesetz stärkt die Rechte Transsexueller, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben möchten. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat so entschieden.

Zur Anerkennung ihres gefühlten Geschlechts müssen sich die Betroffenen nun nicht mehr zwangsläufig operieren lassen. Bislang war das anders. Wer Mann bzw. Frau nicht nur fühlen, sondern auch sein wollte, musste harte, blutige, nicht gerade ungefährliche Konsequenzen ziehen.

Das Jahr 2003: Yvonne Buschbaum ist eine super Sportlerin. Stabhochsprung, traditionell ein Männerding. Sie wird Deutsche Meisterin. Doch dieser Triumph ist nur auf dem Papier ihr größter. Im Herzen ist es heute längst ihr neues Leben. Ihre neue Identität. Aus Yvonne Buschbaum, dieser dürren Athletin mit dem Bubi-Haarschnitt, die von ihren Konkurrentinnen als Außenseiterin abgetan wird, wird Balian Buschbaum. Ein attraktiver junger Mann mit sanftem Lächeln. Er gibt sich souverän, wirkt wie ein Dauersieger. Als solcher fühlt er sich auch. Als Gewinner im Kampf mit der eigenen Persönlichkeit. „Ich war nie eine Frau“, sagt Balian Buschbaum. Heute, mit 30 Jahren, spricht er offen über seine transsexuellen Erfahrungen, gerne auch in Talk-Shows.

Ein neues Leben mit allen Konsequenzen. Ganz so weit geht Hans-Gerd Spörkel nicht. Zumindest noch nicht. Der 54-Jährige arbeitet als Pfarrer im niederrheinischen Rees. Er ist 50, als er im kleinen Kreis zum ersten Mal in Worte fasst, was er ein Leben lang mit sich allein ausgemacht hat. Er fühlt sich als Frau, will mit der Männerlüge nicht mehr leben. Zu einer Operation hat er sich (noch) nicht entschieden, wohl aber zu einem anderen mutigen Schritt. Anfang Januar tritt er nach dem Gottesdienst vor seine Gemeinde, gesteht ihr beim Kaffee seine „Achterbahn der Gefühle“. Missachten, Anfeindungen – mit allem hätte Spörkel leben können. Muss er aber nicht. Die Gemeinde steht hinter ihm. Sie will ihren Herrn Pfarrer auch als Frau Pfarrerin akzeptieren. Das neue Gesetz wird er zur Kenntnis nehmen: Den Zwang chirurgischer Eingriffe bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erklärten die Richter am Freitag für unvereinbar mit der Menschenwürde und erinnern an das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Berlinerin hat geklagt
Geklagt hatte eine 62-jährige Berlinerin, die als Mann geboren wurde und sich als Frau wahrnimmt. Sie empfindet homosexuell und lebt mit einer Frau zusammen. Längst hat sie ihren männlichen Vornamen in einen weiblichen geändert, rein rechtlich gilt sie aber weiter als Mann. Denn: Sie hat sich nicht unters Messer gelegt, hat sich nicht von den Ärzten zu einer Frau ummodellieren lassen. Nach dem neuen Gesetz können Menschen wie die 62-Jährige nun auch offiziell eine homosexuelle Lebenspartnerschaft eingehen, wenn sie sich keiner Geschlechtsumwandlung unterziehen. Bislang hatte solchen Paaren nur die Ehe offen gestanden, wo sie sich dann zum aus ihrer Sicht unpassenden Geschlecht hätten bekennen müssen.

Reaktionen der Politiker
Die Politik reagiert gespalten auf die gestärkten Rechte Transsexueller. SPD-Politikerin Gabriele Fograscher begrüßt das Urteil. Das bisherige Gesetz sei nicht mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit vereinbar. Union und FDP wollen das Transsexuellengesetz ändern. „Da wird man eine Lösung finden müssen“, sagt der CDU-Abgeordnete Heiner Kamp dieser Zeitung. Man müsse aber aufpassen, dass die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau geschützt bleibe.

NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) begrüßt die Entscheidung des Gerichts. „Das Karlsruher Urteil ist ein eindeutiger Sieg für das Recht auf Selbstbestimmung“, sagt Steffens unserer Zeitung. Die Grünen-Politikerin lobt, dass Transsexuelle künftig auch ohne Geschlechtsumwandlung eine Homo-Ehe eingehen dürfen: „Endlich ist nicht mehr der Grad der operativen Anpassung Maßstab dafür, ob jemand Frau oder Mann sein darf, sondern das konsequente Empfinden und Leben eines Geschlechts entscheidend.“ Dies sei ein weiterer Schritt zur Anerkennung einer selbstbestimmten Lebensweise von Transsexuellen.

Die Operation
Geschlechtsumwandlungen gelten als nicht ungefährlich. Balian Buschbaum sagt, bei ihm seien die Eingriffe aufwändiger und komplexer als eine Herztransplantation gewesen. Bei ihm, der ehemaligen Top-Sportlerin Yvonne Buschbaum, beginnt die ersehnte Reise zum neuen Ich mit psychologischen Gesprächen und einer Hormontherapie. Es folgen Operationen, die größte dauert neun Stunden. Aus Teilen des Unterarms wird ein Penis geformt. „Es war all diese Mühen wert“, sagt der Balian Buschbaum von heute. Nach der OP verschickt er an Freunde folgende SMS: „Mit Stolz kann ich verkünden, dass ich nun vollständig ausgestattet bin.“ In einer Talkshow erzählt er später, dass sein Körper voll funktionsfähig ist. Sein ganzer Körper!

Sechs Tage muss er nach dem schweren Eingriff still im Bett liegen. Er hat viel Blut verloren. Vieles, vor allem die entscheidende Stelle, ist unter einem riesigen Haufen Mull versteckt. In dem Penis aus Unterarm-Gewebe steckt eine Penispumpe, die ihn funktionsfähig macht. Sie ist entwickelt für Männer, die unter Erektionsstörungen leiden. „Funktioniert prima“, sagt Buschbaum. Er hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Es heißt „Blaue Augen bleiben blau“.

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Gesetzesänderung berücksichtigt Intersexualität:Leben zwischen den Geschlechtern
Bisher ging das deutsche Gesetz davon aus, dass es genau zwei Geschlechter gibt: männlich und weiblich. Doch von November 2013 an ist es auch möglich, die Geschlechtszuweisung offen zu lassen.
Das deutsche Recht erkennt in Zukunft an, dass es intersexuelle Menschen gibt, die nicht über eindeutige körperliche Geschlechtsmerkmale verfügen. Im Geburtenregister kann das Feld, in das bislang „männlich“ oder „weiblich“ eingetragen wurde, frei bleiben. Im entsprechenden Paragraphen des Personenstandsgesetzes liest sich das so: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen“.

Intersexuelle müssen sich nicht auf ihr Geschlecht festlegen

Dem intersexuellen Menschen bleibt es damit vorbehalten, sich zu einem späteren Zeitpunkt auf „männlich“ oder „weiblich“ festzulegen – oder gar nicht. Wie sich die Neuregelung auf andere Rechtsgebiete auswirkt, etwa auf das Passgesetz, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt. In Reisepässen muss bislang der Geschlechtscode „F“ für weiblich oder „M“ für männlich eingetragen werden. Die Neuregelung im Personenstandsgesetz ist eine Reaktion auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. In dessen Augen ergibt sich aus dem Persönlichkeitsrecht, dass das „empfundene und gelebte“ Geschlecht respektiert werden muss - auch wenn ein Mensch kein eindeutiges Geschlecht hat.

Zwischen 85.000 und 120.000 Intersexuelle in Deutschland

Die neue Regelung gilt nur für intersexuelle, nicht aber für transsexuelle Menschen. Während Intersexuelle oder Hermaphroditen sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale haben können, fühlen sich Transsexuelle dem anderen Geschlecht zugehörig, sind aber aufgrund ihres Körpers eindeutig männlich oder weiblich. Schätzungen zufolge leben in Deutschland 85.000 bis 1200.000 Intersexuelle. Auf 5.000 Neugeborene kommt eines, das nicht eindeutig männlich oder weiblich ist. Körperlich zeigen sich die Besonderheiten unter anderem in den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen. Die Klitoris kann ungewöhnlich groß sein – bei insgesamt eher weiblichem Erscheinungsbild. Manchmal haben Intersexuelle einen Penis und entwickeln als Erwachsene doch eine weibliche Brust.

Genetische Signale für Entwicklung zu Mann oder Frau verantwortlich

Das genetische Geschlecht eines Menschen wird schon bei der Verschmelzung von Ei und Samenzelle festgelegt: XX bedeutet weiblich, XY männlich. Männliche und weibliche Genitalien wachsen aus den gleichen Geschlechtsdrüsen heran. Das Signal eines Gens auf dem Y-Chromosom sorgt für die Entwicklung der Hoden. Bleibt das Signal aus, entstehen wenig später die Eierstöcke. Schließlich differenzieren sich Penis oder Klitoris und Hodensack oder Schamlippen aus. Schwanken die Hormone im Embryo sehr stark oder kommt ein Signal nicht an, wächst ein intersexueller Mensch heran.

Die Freiheit, anders sein zu dürfen

Intersexualität zieht viele Fragen nach sich: Wie überhaupt lässt sich das Geschlecht eines Menschen festlegen? Anhand seiner Chromosomen, anhand seines Erscheinungsbildes oder anhand der Psyche? Viele Intersexuelle plädieren deswegen dafür, sich von der traditionellen Geschlechtereinteilung in männlich oder weiblich zu verabschieden. Sie haben lange Zeit dafür gekämpft, dass ein Leben zwischen den klassischen Geschlechterwelten anerkannt wird. Frühezeitig Entscheidungen zu erzwingen oder einen jungen Körper schon sehr früh durch Operationen in Richtung sexueller Eindeutigkeit zu verändern, lehnen viele ab.



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