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Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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Mehr Rechte für Transsexuelle
Um in homosexueller Partnerschaft leben zu können, mussten
sich Transsexuelle bislang umoperieren lassen. Jetzt werden diese Regeln
gelockert.
Sie fühlen sich fremd. Wie ungebetene Gäste im eigenen
Körper. Transsexuelle erleben ihr Äußeres als falsche Verpackung des richtigen
Inhalts. Von außen ein Mann, von innen eine Frau. Oder umgekehrt. Der Weg zum
wahren Ich ist weit. Er führt für manche über geschlechtsanpassende Operationen
und noch dazu durch einen Dschungel der Bürokratie. Doch der Weg wird
einfacher. Ein neues Gesetz stärkt die Rechte Transsexueller, die in
gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben möchten. Das Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe hat so entschieden.
Zur Anerkennung ihres gefühlten Geschlechts müssen sich die
Betroffenen nun nicht mehr zwangsläufig operieren lassen. Bislang war das
anders. Wer Mann bzw. Frau nicht nur fühlen, sondern auch sein wollte, musste
harte, blutige, nicht gerade ungefährliche Konsequenzen ziehen.
Das Jahr 2003: Yvonne Buschbaum ist eine super Sportlerin.
Stabhochsprung, traditionell ein Männerding. Sie wird Deutsche Meisterin. Doch
dieser Triumph ist nur auf dem Papier ihr größter. Im Herzen ist es heute
längst ihr neues Leben. Ihre neue Identität. Aus Yvonne Buschbaum, dieser
dürren Athletin mit dem Bubi-Haarschnitt, die von ihren Konkurrentinnen als
Außenseiterin abgetan wird, wird Balian Buschbaum. Ein attraktiver junger Mann
mit sanftem Lächeln. Er gibt sich souverän, wirkt wie ein Dauersieger. Als
solcher fühlt er sich auch. Als Gewinner im Kampf mit der eigenen
Persönlichkeit. „Ich war nie eine Frau“, sagt Balian Buschbaum. Heute, mit 30
Jahren, spricht er offen über seine transsexuellen Erfahrungen, gerne auch in
Talk-Shows.
Ein neues Leben mit allen Konsequenzen. Ganz so weit geht
Hans-Gerd Spörkel nicht. Zumindest noch nicht. Der 54-Jährige arbeitet als
Pfarrer im niederrheinischen Rees. Er ist 50, als er im kleinen Kreis zum
ersten Mal in Worte fasst, was er ein Leben lang mit sich allein ausgemacht
hat. Er fühlt sich als Frau, will mit der Männerlüge nicht mehr leben. Zu einer
Operation hat er sich (noch) nicht entschieden, wohl aber zu einem anderen
mutigen Schritt. Anfang Januar tritt er nach dem Gottesdienst vor seine
Gemeinde, gesteht ihr beim Kaffee seine „Achterbahn der Gefühle“. Missachten,
Anfeindungen – mit allem hätte Spörkel leben können. Muss er aber nicht. Die
Gemeinde steht hinter ihm. Sie will ihren Herrn Pfarrer auch als Frau Pfarrerin
akzeptieren. Das neue Gesetz wird er zur Kenntnis nehmen: Den Zwang
chirurgischer Eingriffe bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erklärten
die Richter am Freitag für unvereinbar mit der Menschenwürde und erinnern an
das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Berlinerin hat geklagt
Geklagt hatte eine 62-jährige Berlinerin, die als Mann
geboren wurde und sich als Frau wahrnimmt. Sie empfindet homosexuell und lebt
mit einer Frau zusammen. Längst hat sie ihren männlichen Vornamen in einen weiblichen
geändert, rein rechtlich gilt sie aber weiter als Mann. Denn: Sie hat sich
nicht unters Messer gelegt, hat sich nicht von den Ärzten zu einer Frau
ummodellieren lassen. Nach dem neuen Gesetz können Menschen wie die 62-Jährige
nun auch offiziell eine homosexuelle Lebenspartnerschaft eingehen, wenn sie
sich keiner Geschlechtsumwandlung unterziehen. Bislang hatte solchen Paaren nur
die Ehe offen gestanden, wo sie sich dann zum aus ihrer Sicht unpassenden
Geschlecht hätten bekennen müssen.
Reaktionen der Politiker
Die Politik reagiert gespalten auf die gestärkten Rechte
Transsexueller. SPD-Politikerin Gabriele Fograscher begrüßt das Urteil. Das
bisherige Gesetz sei nicht mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und
körperliche Unversehrtheit vereinbar. Union und FDP wollen das
Transsexuellengesetz ändern. „Da wird man eine Lösung finden müssen“, sagt der
CDU-Abgeordnete Heiner Kamp dieser Zeitung. Man müsse aber aufpassen, dass die
Ehe als Institution zwischen Mann und Frau geschützt bleibe.
NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) begrüßt
die Entscheidung des Gerichts. „Das Karlsruher Urteil ist ein eindeutiger Sieg
für das Recht auf Selbstbestimmung“, sagt Steffens unserer Zeitung. Die
Grünen-Politikerin lobt, dass Transsexuelle künftig auch ohne
Geschlechtsumwandlung eine Homo-Ehe eingehen dürfen: „Endlich ist nicht mehr
der Grad der operativen Anpassung Maßstab dafür, ob jemand Frau oder Mann sein
darf, sondern das konsequente Empfinden und Leben eines Geschlechts
entscheidend.“ Dies sei ein weiterer Schritt zur Anerkennung einer
selbstbestimmten Lebensweise von Transsexuellen.
Die Operation
Geschlechtsumwandlungen gelten als nicht ungefährlich.
Balian Buschbaum sagt, bei ihm seien die Eingriffe aufwändiger und komplexer
als eine Herztransplantation gewesen. Bei ihm, der ehemaligen Top-Sportlerin
Yvonne Buschbaum, beginnt die ersehnte Reise zum neuen Ich mit psychologischen
Gesprächen und einer Hormontherapie. Es folgen Operationen, die größte dauert
neun Stunden. Aus Teilen des Unterarms wird ein Penis geformt. „Es war all
diese Mühen wert“, sagt der Balian Buschbaum von heute. Nach der OP verschickt
er an Freunde folgende SMS: „Mit Stolz kann ich verkünden, dass ich nun
vollständig ausgestattet bin.“ In einer Talkshow erzählt er später, dass sein
Körper voll funktionsfähig ist. Sein ganzer Körper!
Sechs Tage muss er nach dem schweren Eingriff still im Bett
liegen. Er hat viel Blut verloren. Vieles, vor allem die entscheidende Stelle,
ist unter einem riesigen Haufen Mull versteckt. In dem Penis aus
Unterarm-Gewebe steckt eine Penispumpe, die ihn funktionsfähig macht. Sie ist
entwickelt für Männer, die unter Erektionsstörungen leiden. „Funktioniert
prima“, sagt Buschbaum. Er hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Es
heißt „Blaue Augen bleiben blau“.
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Gesetzesänderung
berücksichtigt Intersexualität:Leben zwischen den
Geschlechtern
Bisher ging das deutsche Gesetz davon aus, dass es genau
zwei Geschlechter gibt: männlich und weiblich. Doch von November 2013 an ist es
auch möglich, die Geschlechtszuweisung offen zu lassen.
Das deutsche Recht erkennt in Zukunft an, dass es
intersexuelle Menschen gibt, die nicht über eindeutige körperliche
Geschlechtsmerkmale verfügen. Im Geburtenregister kann das Feld, in das bislang
„männlich“ oder „weiblich“ eingetragen wurde, frei bleiben. Im entsprechenden
Paragraphen des Personenstandsgesetzes liest sich das so: „Kann das Kind weder
dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der
Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister
einzutragen“.
Intersexuelle müssen sich nicht auf ihr Geschlecht festlegen
Dem intersexuellen Menschen bleibt es damit vorbehalten,
sich zu einem späteren Zeitpunkt auf „männlich“ oder „weiblich“ festzulegen –
oder gar nicht. Wie sich die Neuregelung auf andere Rechtsgebiete auswirkt,
etwa auf das Passgesetz, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt. In Reisepässen
muss bislang der Geschlechtscode „F“ für weiblich oder „M“ für männlich
eingetragen werden. Die Neuregelung im Personenstandsgesetz ist eine Reaktion
auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. In dessen Augen ergibt
sich aus dem Persönlichkeitsrecht, dass das „empfundene und gelebte“ Geschlecht
respektiert werden muss - auch wenn ein Mensch kein eindeutiges Geschlecht hat.
Zwischen 85.000 und 120.000 Intersexuelle in Deutschland
Die neue Regelung gilt nur für intersexuelle, nicht aber für
transsexuelle Menschen. Während Intersexuelle oder Hermaphroditen sowohl
männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale haben können, fühlen sich
Transsexuelle dem anderen Geschlecht zugehörig, sind aber aufgrund ihres Körpers
eindeutig männlich oder weiblich. Schätzungen zufolge leben in Deutschland
85.000 bis 1200.000 Intersexuelle. Auf 5.000 Neugeborene kommt eines, das nicht
eindeutig männlich oder weiblich ist. Körperlich zeigen sich die Besonderheiten
unter anderem in den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen. Die Klitoris kann
ungewöhnlich groß sein – bei insgesamt eher weiblichem Erscheinungsbild.
Manchmal haben Intersexuelle einen Penis und entwickeln als Erwachsene doch
eine weibliche Brust.
Genetische Signale für Entwicklung zu Mann oder Frau
verantwortlich
Das genetische Geschlecht eines Menschen wird schon bei der
Verschmelzung von Ei und Samenzelle festgelegt: XX bedeutet weiblich, XY
männlich. Männliche und weibliche Genitalien wachsen aus den gleichen
Geschlechtsdrüsen heran. Das Signal eines Gens auf dem Y-Chromosom sorgt für
die Entwicklung der Hoden. Bleibt das Signal aus, entstehen wenig später die
Eierstöcke. Schließlich differenzieren sich Penis oder Klitoris und Hodensack
oder Schamlippen aus. Schwanken die Hormone im Embryo sehr stark oder kommt ein
Signal nicht an, wächst ein intersexueller Mensch heran.
Die Freiheit, anders sein zu dürfen
Intersexualität zieht viele Fragen nach sich: Wie überhaupt
lässt sich das Geschlecht eines Menschen festlegen? Anhand seiner Chromosomen,
anhand seines Erscheinungsbildes oder anhand der Psyche? Viele Intersexuelle
plädieren deswegen dafür, sich von der traditionellen Geschlechtereinteilung in
männlich oder weiblich zu verabschieden. Sie haben lange Zeit dafür gekämpft, dass
ein Leben zwischen den klassischen Geschlechterwelten anerkannt wird.
Frühezeitig Entscheidungen zu erzwingen oder einen jungen Körper schon sehr
früh durch Operationen in Richtung sexueller Eindeutigkeit zu verändern, lehnen
viele ab.
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