Mittwoch, 2. März 2016

Ein neues Gesetz reicht nicht aus! Für die Gleichberechtigung von Intersexuellen muss mehr passieren.


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016

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Ein neues Gesetz reicht nicht aus!
Für die Gleichberechtigung von Intersexuellen muss mehr passieren.

Viele Ärzte sehen in Intersexualität immer noch eine Störung, die behandelt werden muss. Betroffene sehen das ganz anders.

Der Begriff "Zwitter" wird als diskriminierend empfunden

Bei intersexuellen Menschen sind nicht alle geschlechtsbestimmenden Merkmale wie Chromosomen, Hormone, Keimdrüsen oder äußere Geschlechtsorgane eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Bei ihnen kommen gleichzeitig - vollständig oder teilweise - Geschlechtsmerkmale vor, die sich typischerweise entweder bei Frauen oder bei Männern finden. Vor der Einführung des Begriffs "Intersexuelle" war meist von "Zwittern" die Rede. Diese Bezeichnung kann jedoch diskriminierenden Charakter haben.
Experten schätzen, dass auf etwa 1500 bis 2000 Geburten ein Fall von Intersexualität kommt. Vertreter von Betroffenen schätzen die Zahl höher ein und verweisen unter anderem auf die großen Probleme, das Phänomen physisch wie hormonell klar zu fassen. Intersexuellen-Gruppen fordern seit längerem entschiedenere Maßnahmen, um Betroffene gegen Diskriminierung zu schützen und ihren Status rechtlich wie gesellschaftlich abzusichern.

Intersexualität als eigenständige Kategorie

In mehreren außereuropäischen Ländern wird Intersexualität inzwischen rechtlich als eine eigenständige Kategorie neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht anerkannt. Dazu zählt unter anderem auch Australien. Mit der Neuregelung in Deutschland wird dagegen kein drittes Geschlecht geschaffen, wie das Innenministerium betont. Eine derartige Kategorie lasse sich in das deutsche Rechtsystem aus prinzipiellen Gründen nicht einfügen.

Änderung des Personenstandsgesetzes

Am 1. November 2013 tritt das Personenstandsgesetz in Deutschland in Kraft, das um folgenden Absatz ergänzt wurde: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen."

Wenn sich das Geschlecht eines Neugeborenen nicht eindeutig bestimmen lässt, muss der Standesbeamte dieses im amtlichen Geburtenregister künftig offen lassen. Das sieht eine Änderung des Personenstandsgesetzes vor, die zum 1. November in Kraft tritt. Die Neuregelung bezieht sich auf Fälle von Intersexualität. Kritiker bezweifeln, dass die Option, das Geschlecht offen zu lassen, intersexuellen Menschen wirklich hilft.

im Vorfeld war die Regelung wegen ethischer Bedenken äußerst umstritten, eine Lösung zu finden war aus rechtlichen Gründen kompliziert. Mit der Änderung soll der Druck von den Eltern genommen werden, sich unmittelbar nach der Geburt auf ein Geschlecht festzulegen, ohne die weitere Entwicklung des Kindes abwarten zu können. Bislang waren Eltern verpflichtet, innerhalb einer Woche die Geburt ihres Kindes samt Namen und Geschlecht beim Standesamt zu melden. Andernfalls drohte eine Geldstrafe. Die Neuregelung geht auf Anregungen des Deutschen Ethikrats zurück, der Regierung und Parlament in komplizierten ethischen Fragen berät.

Bei Geschlecht muss "ungeklärt" eingetragen werden

Die Möglichkeit, das Geschlecht eines Kindes als "ungeklärt" im Register vermerken zu lassen, bestand dem Ministerium zufolge auch bisher schon. In der Praxis sei diese Option aber nur selten angewandt worden, weil Eltern und Ärzte sich in der Regel auf eine Zuordnung geeinigt hätten. Nun ist es aber verpflichtend, dass diese offen bleibt, wenn sich das Geschlecht nicht zweifelsfrei klären lässt. Es wird dann in die entsprechende Zeile gar nichts vermerkt. Die Betroffenen können dann später jederzeit über ihr Geschlecht entscheiden.
Ethikrat argumentiert mit Persönlichkeitsrecht

Der Ethikrat vertrat in seiner im Februar 2012 veröffentlichten Stellungnahme die Auffassung, dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliege, wenn Menschen gezwungen würden, sich im Personenstandsregister als "weiblich" oder "männlich" einzutragen.

Bis heute komme es vor, dass von der typischen Erscheinungsform abweichende Geschlechtsausprägungen als medizinisch behandlungsbedürftig angesehen würden. Die Folge sind geschlechtsangleichende Operationen. "Zahlreiche betroffene Menschen, die in ihrer Kindheit einem 'normalisierenden' Eingriff unterzogen wurden, empfanden ihn später als verstümmelnd und hätten ihm als Erwachsene nie zugestimmt", teilt der Ethikrat mit.
Ich habe meinen Körper verlassen, um andere zu bewohnen – und das alles geschah, bevor ich sechzehn wurde. Nun aber, mit einundvierzig, spüre ich, dass mir noch eine weitere Geburt bevorsteht." In Jeffrey Eugenides' Roman "Middlesex" erspürt die Hauptfigur Calliope, wofür Deutschland bislang noch kein Gefühl entwickelt hat. Entwickeln konnte, muss man eigentlich sagen. Doch das soll sich ändern. Im Deutschen Bundestag wurde am 31. Januar ein Gesetz verabschiedet, das Eltern und Ärzten eines Babys mit nicht eindeutigem Geschlecht die Entscheidung abnehmen soll, das Kind als Mädchen oder Junge im Geburtsregister eintragen zu lassen.

Das geänderte Personenstandsgesetz ist heute, am 1. November, Inkrafttreten und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass etwa jedes 4500ste in Deutschland geborene Kind nicht dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen ist. Intersexuelle Kinder haben beide Anlagen und sind nicht eindeutig Mädchen oder Junge.

Noch immer wird im Babyalter operiert

Bis vor nicht allzu langer Zeit empfahlen Ärzte den Eltern massiv, ihr Kind einem der beiden Geschlechter zuzuweisen, es operieren zu lassen und ganz nach dem klassischen Junge-Mädchen-Profil zu erziehen. Bis in die 1990er Jahre galt in den meisten Fällen bei OPs das Prinzip der besseren Machbarkeit: "It's easier to make a hole than to build a pole" (Es ist einfacher ein Loch zu graben, als einen Pfahl zu errichten), also wurden fast alle intersexuell geborenen Kinder zu Mädchen. Dass überhaupt operiert werden musste, stand nur selten zur Debatte. Lediglich wenn Eltern sich vehement gegen alle ärztlichen Ratschläge durchsetzen, blieb das Kind unversehrt, in mehr als drei Vierteln war das nicht der Fall.

Im September 2012 wandte sich eine Gruppe Betroffener mit einem offenen Brief ans Hamburger Universitätsklinikum und forderte eine umfassende Aufarbeitung. Ärztliche Empfehlungen aus den 1950er bis 1970er Jahren, wie sie die Schweizer Gruppe aus ihren Unterlagen zitiert, klingen brutal: "Nach Möglichkeit soll die Operation schon vor dem vierten Lebensjahr durchgeführt werden. Bei leichteren Fällen ist lediglich die Entfernung der Klitoris erforderlich. Das Organ soll dabei exstirpiert [vollständig entfernt, Anm. d. Red.] und nicht amputiert werden, da sich sonst lästige Erektionen des zurückgebliebenen Stumpfes einstellen können."

Auch heute noch werden zwischengeschlechtliche Kinder operiert, oft wird ein erhöhtes Krebsrisiko als Grund angeführt, das etwa bei innenliegenden Hoden besteht. Dass es sich um einen statistischen Wert handelt und das Entartungsrisiko deutlich geringer als früher angenommen ist, hindert die meisten Ärzte nicht an einer sogenannten Gonadektomie, einer Entfernung der hormonbildenden Keimdrüsen. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie ihr Leben lang Medikamente nehmen müssen, um die Hormone zu ersetzen. Und natürlich Unfruchtbarkeit.


Leben zwischen den Geschlechtern


Vom 2. Mai bis 19. Juni 2011 führte der Deutsche Ethikrat eine Online-Umfrage unter betroffenen Menschen zum Thema Intersexualität durch. Dabei kam auch heraus, was den Befragten besonders fehlt: "Am häufigsten werden öffentliche Aufklärung und Enttabuisierung - insbesondere in Schulen, an Universitäten, bei Medizinern und Psychologen - gefordert." Zum Personenstandsrechts kam es zu folgenden Ergebnissen: "Im Hinblick auf das Personenstandsrecht fordern 43 Prozent eine Beibehaltung der Unterscheidung männlich/weiblich. 36 Prozent plädieren für eine andere Lösung und 22 Prozent fordern die Ergänzung um eine dritte Kategorie."

Der Ethikrat empfahl dem Bundestag die Änderung des Personenstandsgesetzes. Nun kann dies als rechtliche Grundlage für weitere Aufklärung dienen. Hertha Richter-Appelt, stellvertretende Direktorin des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Hamburger UKE, hat auch den Ethikrat beraten. 2010 sagte sie in einem Interview mit der "Brigitte": "Das psychosoziale Geschlecht sollten Eltern auf keinen Fall offen lassen." Neben der Frage, wie man bei einem Baby oder Kleinkind das psychosoziale Geschlecht erkennt, stellt sich auch die Frage: Können Eltern ein Kind nicht geschlechtsneutral erziehen? Zu stern.de sagt Frau Richter-Appelt: "Ich kann mir wenige Eltern vorstellen, die das von ihrer eigenen psychischen Struktur her ohne größere Probleme schaffen. Also es ohne Unterstützung schaffen, in den Kindergarten zu gehen und zu sagen 'Ich möchte das Kind weder als Mädchen noch als Jungen erziehen. Können Sie bitte entsprechend mit dem Kind umgehen?' Da müssen sie auf vernünftige Kindergärtnerinnen stoßen. Dann kommt das Kind in die Schule, dann muss man mit den Lehrern reden und so weiter. Ich glaube, es ist für ein Kind einfacher, wenn sie sagen, wir erziehen das Kind mehr oder minder als Mädchen, aber sehr tolerant. Früher hat man Kinder so erzogen, dass man einem dem weiblichen Geschlecht zugewiesenen Kind, wenn es angefangen hat mit Autos zu spielen, die Autos weggenommen hat. Und analog hat man das mit Jungs gemacht. Das ist natürlich Wahnsinn, da pressen Sie die Kinder in irgendwas rein, wo sie sich überhaupt nicht entwickeln können. Und unsere Erfahrung aus der Studie ist: Intersexuelle Menschen erleben sich oft dazwischen."

Aufklärung muss her!

Doch Eltern, die sich das zutrauen, gibt es heutzutage durchaus, das weiß Richter-Appelt, einige kennt sie persönlich: "Ich sage nicht, dass es nicht geht. Kinder mobben relativ wenig, was Geschlecht angeht. Das war immer die Angst von Ärzten, wenn das Kind in die Sauna geht oder in die Schule kommt, werde es gehänselt. Ich glaube aber, das sind sehr viel mehr die Ängste der Erwachsenen", berichtet sie.
Und da hilft nur Aufklärung, für die Akzeptanz einer mehr als zweigeschlechtlichen Welt reicht das ergänzte Gesetz allein nicht aus. Dass wir auch ein sprachliches Problem haben mit einem "unbestimmten Geschlecht", stellte Burkhard Müller in seinem Artikel "Der Mensch, die Männin" in der "Süddeutschen Zeitung" fest. Sprache sei zäh und träge, was man bereits an Notlösungen wie "Professorinnen" oder "Professor/inn/en" merke, wenn man Professoren und Professorinnen anschreiben wolle. Doch in der Sprache kann sich nur widerspiegeln, was auch gelebt wird - und davon die zahlreichen Varianten zwischen den Geschlechtern zu leben, zu akzeptieren, gleichzubehandeln und in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen, sind wir noch meilenweit entfernt.

Was sagen wir den anderen?
Kurz nach der Geburt erfahren die Reuters, dass sie ein intersexuelles Kind bekommen haben. Erste Fragen an die Ärzte sind kaum beantwortet, da folgen die Entlassung aus der Klinik und der Alltag.
Wenn Sie zum ersten Mal von der Familie Reuter lesen, also noch gar nicht wissen, dass die Reuters gar nicht Reuter heißen, dann klicken Sie hier und sehen, wie alles begann. Wenn Sie aber bereits auf die Fortsetzung der Geschichte gewartet haben, wie Maria Reuter den Schritt aus dem Schutzraum Krankenhaus in ihren Alltag geschafft hat, dann lesen Sie einfach weiter.

Es war rund eine Woche nach der dramatischen Entbindung, Not-Kaiserschnitt wegen Fußlage des Babys, Diagnose uneindeutiges Geschlecht, als Familie Reuter nach Hause fuhr und sich fragte: Was sagen wir? Engste Freunde und die Familie waren eingeweiht, dass statt des erwarteten Mädchens ein Kind mit nicht eindeutigem Geschlecht zur Welt gekommen war. Im Krankenhaus hatte eine zwar mitfühlende, aber letztlich sehr medizinische Aufklärung stattgefunden, bei der die Eltern zum ersten Mal mit der Tragweite des Befundes konfrontiert worden waren. Intersexuell, zwischengeschlechtlich, mehrdeutig: Das heiß ersehnte Mädchen hatte mehr mit auf die Welt gebracht, als alles, wovon die Eltern jemals gehört hatten.
Jetzt nichts Falsches sagen

Nun war also die Woche in der Klinik vorbei, die Begegnung mit dem Alltag stand an. Neben Freunden und Familie würden Fragen von Menschen kommen, die einfach im Vorbeigehen kurz in den Kinderwagen schauen und ein Baby angucken wollen. Und garantiert nach dem Geschlecht fragen, wenn die Kleidung nicht rosa oder hellblau ist. "Ich sehe uns noch hier ankommen und ich wollte, dass wir wissen, ob wir jetzt Junge oder Mädchen sagen", erzählt Maria Reuter von der Stunde ihrer Heimkehr. "Es ist uns niemand begegnet, wir konnten unbemerkt durch das Treppenhaus nach oben gelangen, aber dann war klar: Das ist jetzt das, was ansteht." Statt stolz das eigene Kind präsentieren zu können, muss eine Strategie her. "Das war der absolute Tiefpunkt", weiß Maria Reuter noch genau.

Die ersten Tage nach der Heimkehr aus dem Krankenhaus werden zur emotionalen Achterbahnfahrt. Das Dilemma mit der geschlechtlichen Uneindeutigkeit ist überwältigend, die eheliche Kommunikationsfähigkeit steht auf dem Prüfstand. Und ganz nebenbei sind das Baby und der große Bruder zu versorgen. Während die Mutter dem Problem aus dem Weg gehen möchte und zunächst darauf drängt, einfach zu sagen, es sei ein Mädchen, ist ihr Mann strikt dagegen. Irgendwann wird den Eltern die gesamte Dimension bewusst: "Wir hatten das Gefühl, was auch immer wir jetzt sagen, könnte falsch ausgelegt werden. Was machen wir, wenn es dann hinterher doch anders ist?" Die Eltern erkennen, mit wie viel Stigma ein Geschlechtswechsel behaftet ist: "Der Gedanke, dass das Geschlecht sich ändern kann, ist in dem Moment unheimlich erschreckend. Man denkt, da kommt man gleich in einen Topf mit Transvestiten und Transsexuellen und fragt sich: 'Mit wem werde ich da in eine Schublade gesteckt?' Das sind Leute, die bisher immer weit weg waren." Bald merken die beiden, dass dies genau die Art Vorurteil ist, vor dem sie sich selbst fürchten: "Ach so, die haben sich das auch nicht ausgedacht, um die Welt zu ärgern! Die wollen einfach nur sie selber sein."

Die Hamburger Psychotherapeutin Hertha Richter-Appelt, eine der führenden Expertinnen zum Thema Intersexualität, erklärt die Verunsicherung betroffener Eltern Kinder so: "Eltern haben Fantasien über ihre Kinder, das geht schon vor der Geburt los. Die Tatsache, dass es ein Kind ist, bei dem man nicht weiß, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist, verunsichert erst mal. Man fragt sich, ob dieses Kind Partner haben wird, wie es im Beruf zurechtkommt et cetera. Eine sehr aufgeklärte Familie wird offen damit umgehen können, das erfordert jedoch starke Persönlichkeiten. Es gibt auch Familien, wo die Eltern nicht wollen, dass die Geschwister erfahren, was mit diesem Kind los ist. Auch heute noch."


Kind ohne Namen


Schließlich wird dem Paar klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Das Versteckspiel muss ein Ende haben, sie waren ja auch früher keine verschlossene Menschen gewesen. Es hilft nur Ehrlichkeit. Für Maria Reuter kommt es zur ersten Begegnung mit einem Fremden: "Es war ein Nachbar, der die Straße fegte. Ein älterer Herr, den ich nicht besonders gut kannte, und er fragte gleich: 'Was ist es denn?' Dann habe ich gesagt: 'Ich kann es Ihnen leider nicht sagen. Wir wüssten es auch gerne, aber das Kind ist mit uneindeutigen Geschlecht geboren und es werden noch weitere Tests gemacht.'" Nachdem es erst einmal raus war, ging die Mutter immer beherzter vor. "Ich habe sehr früh angefangen, die Leute zu ermutigen, und gesagt: 'Ich freue mich, dass Sie fragen!'" Und als eine gewisse Routine eingesetzt hatte, folgte der nächste Schritt und sie sagte: "Ihr könnt mich auch übermorgen wieder fragen, ob es schon was Neues gibt!" Sie hätte sonst das Gefühl gehabt, dass weiterhin Unsicherheit im Raum steht. Das Verrückte war: Kaum jemand fragte nach. "Sobald man das Kind kennt, verliert die Frage zum Geschlecht offenbar an Relevanz", schließt Maria Reuter heute daraus.

Natürlich gibt es auch kuriose Erlebnisse wie dieses: "Wir hatten eine Versicherungskarte, da stand drauf: Ohne Namen und dann der Nachname, also 'Ohne Namen Reuter', weil das Kind ja noch keinen Vornamen hatte. Mit dieser Versichertenkarte ging ich damals in die Apotheke bei uns um die Ecke, um die Augentropfen zu bekommen, die Babys am Anfang kriegen. Die Apothekerin guckt darauf und lacht sich kaputt. Das ist ja auch total lustig! Ich fand es schön, dass sie so natürlich reagiert hat. Am nächsten Tag kam ich zurück, um das Medikament abzuholen, da war ihr das hochnotpeinlich, dass sie so gelacht hatte! Sie war offenbar inzwischen aufgeklärt worden, was Sache ist. Ich glaube, das ganze Viertel wusste längst Bescheid, als wir noch darüber nachgedacht haben, 'Wem sagen wir was?'."

Auswahl an geschlechtsneutralen Namen wächst


Die Reuters beschließen, ihrem Kind einen weiblichen Vornamen sowie einen geschlechtsneutralen Mittelnamen zu geben. Letzteres wäre heute nicht mehr notwendig: "Das würde ich heute anders machen, denn der Rufname ist der Rufname, das ist das, was das Kind gewohnt ist und den wechselt man nicht einfach so. An seinem Namen hängt man ja, das bin ich, das ist ein Stück meiner Identität. Heute würde ich dem Kind sofort einen androgynen Namen geben." Sascha, Robin, Luca, Mika - die Auswahl an geschlechtsneutralen Namen nimmt zu. Ein Vorname muss heute nicht mehr geschlechtsspezifisch sein, spätestens seit 2010 auch nicht mehr durch einen eindeutigen zweiten Vornamen ergänzt werden, wie die Juristin Konstanze Plett von der Universität Bremen, die sich schon lange mit Intersexualität beschäftigt, im Gespräch mit stern.de erklärt.

Das Kind der Reuters geht inzwischen zur Schule und findet seinen Namen zum Glück prima. Nach der großen Anteilnahme in unseren Facebook-Kommentaren wollen wir Ihnen nicht vorenthalten, was Maria Reuter ihrem Kind antwortete, als es zum ersten Mal gefragt hat: "Was bin ich denn jetzt?".

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