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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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Mangelnde Aufklärung: Schadensersatz für Intersexuelle
Eine Intersexuelle wurde in den 90-er Jahren im Universitätskrankenhaus
Erlangen ohne ausreichende Aufklärung hormonell behandelt und operiert. Nun hat
das Landgericht Nürnberg-Fürth dem Opfer Schadensersatz und Schmerzensgeld
gegen die behandelnden Ärzte zugesprochen.
Die damals 20-jährige hatte 1995 einen Arzt aufgesucht, da sich bei ihr nur
schwach ausgeprägte weibliche Merkmale zeigten. Dieser ordnete eine hormonelle
Behandlung und einen operativen Eingriff an. Aus heutiger Sicht des Opfers wäre
beides nicht nötig gewesen. Zwar liegt bei ihr der Chromosomensatz XY eines
Mannes vor, sie weist jedoch äußerlich weibliche Geschlechtsmerkmale auf.
Fallen diese Kennzeichen so auseinander, so spricht man von Intersexualität.
Häufig fühlen die Betroffenen sich, so auch die Klägerin, weder als Frau
noch als Mann. Die geschlechtsangleichende Operation war somit für sie keine
wirkliche Lösung. Eine selbstbestimmte Entscheidung dazu war ihr aber nicht
möglich, da sie nie über ihre genetische Disposition aufgeklärt worden
war. Außerdem war sie weder über das Ausmaß, noch über die Folgen oder
Alternativen der Therapie unterrichtet worden. Schließlich wäre auch eine
Behandlung als Mann möglich gewesen. Des Weiteren hätte alternativ eine
geschlechtspezifische Behandlung ganz unterbleiben können. Hätte das Opfer
diese Möglichkeiten gekannt, so hätte es nicht in eine Therapie eingewilligt.
Hinzu kommt, dass die geschlechtsangleichende Behandlung für sie erhebliche
gesundheitliche Probleme zur Folge hatte. Dies führte sogar zur
Erwerbsunfähigkeit.
Die Mediziner verteidigten sich mit dem Argument, Lehrbücher hätten auch in
den 90er Jahren noch dazu geraten, durch eine möglichst frühe Zuweisung an ein
Geschlecht, die psychosexuelle Gesundheit der Patienten zu schützen. Auch wurde
davor gewarnt, dass eine Aufklärung zu einem Schock führen könnte.
Heutige Behandlungen schließen die Unterrichtung über den Chromosomenbefund mit
ein.
Ohne Aufklärung gilt Operation als Körperverletzung
Da keine Aufklärung stattgefunden hatte, ist die Einwilligung in die
Behandlung und Operation nicht wirksam. Diese sind somit als Körperverletzung
anzusehen. Daher sprach das Gericht der Klägerin Schmerzensgeld und
Schadensersatz zu. (Urt. v. 17.12.2015, Az. 4 O 7000/11). Eine Entscheidung
über die Höhe wird noch erwartet. Bereits 2008 war in einem ähnlichen Verfahren
in Köln gegen den behandelnden Arzt entschieden worden.
INTERSEXUELLE HAT ANSPRUCH AUF
SCHADENERSATZ WEGEN MANGELNDER AUFKLÄRUNG
Das LG Nürnberg-Fürth hat einer Intersexuellen grundsätzlich
einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen das
Universitätsklinikum Erlangen zuerkannt (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom
17.12.2015, Az.: 4 O 7000/11; Quelle: juris Logo)
Geklagt hat Martina H. (Name geändert). Sie soll hier –
ihrem Wunsch folgend – nicht als Klägerin oder Kläger bezeichnet werden, denn
gerade darum geht es in diesem Rechtsstreit: Martina H. wirft den Beklagten –
dem Universitätsklinikum Erlangen und einem dort tätigen Arzt – nicht nur vor,
sie falsch behandelt zu haben. Sie stützt ihre Klage vor allem auch darauf, vor
der Behandlung als damals 20-Jährige nicht darüber aufgeklärt worden zu sein,
dass sie nicht nur weibliche, sondern auch männliche Geschlechtsanteile hat,
also weder Mann noch Frau ist, sondern – so beschreibt sie sich selbst – ein
Zwitter. Statt ihr dies mitzuteilen, habe man sie im Rahmen einer
geschlechtszuweisenden Therapie mit erheblichen gesundheitlichen Nebenfolgen
als Frau behandelt. Damit habe man ihr die Möglichkeit genommen, als Mann
therapiert zu werden oder den Zustand ohne eindeutige Geschlechtszuordnung zu
belassen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie in die Behandlung nicht
eingewilligt.
Die Beklagten verteidigen sich unter anderem damit, dass bis
Mitte der 90er-Jahre in ärztlichen Lehrbüchern noch eine frühzeitige Zuweisung
zu einem Geschlecht empfohlen worden sei und man zum Schutz der psychosexuellen
Gesundheit und einer ungestörten Geschlechtsidentität von einer
"radikalen" Aufklärung abgeraten habe. Das LG Nürnberg-Fürth bejaht
dem Grunde nach einen Anspruch von Martina H. auf Schmerzensgeld und
Schadensersatz insoweit, als eine feminisierende Operation im Juli 1995 ohne
wirksame Einwilligung vorgenommen worden und daher rechtswidrig gewesen sei.
Nach Auffassung des Landgerichts sei zwar kein Behandlungsfehler der Beklagten
feststellbar, die von Martina H. erteilte Einwilligung sei jedoch unwirksam,
weil die Ärzte ihr kein zutreffendes Bild von ihrem gesundheitlichen Zustand
vermittelt hätten. Dazu hätte es auch 1995 schon gehört, der erwachsenen
Martina H. den Zustand ihres intersexuellen Genitals mitzuteilen und ihr
Ursachen und Folgen jedenfalls in den Grundzügen verständlich zu erläutern. Nur
so hätte Martina H. die Bedeutung und Tragweite der ihr vorgeschlagenen
feminisierenden Behandlung erkennen und eine selbstbestimmte Entscheidung
treffen können. Martina H. stehe deshalb gegen das Universitätsklinikum
Erlangen dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu.
Zur Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes bedürfe es
allerdings einer weiteren Beweisaufnahme. Insoweit werde der Prozess
fortzusetzen sein. Der mitverklagte ausführende Operateur hingegen hafte nicht
dafür, dass Martina H. von anderer Seite bei der Entwicklung des
Gesamtbehandlungskonzepts nur unzureichend aufgeklärt worden sei. Die gegen ihn
erhobene Klage hat das Gericht deshalb abgewiesen. Die Entscheidung des
Landgerichts ist nicht rechtskräftig. Die Parteien können gegen das Urteil
Berufung zum OLG Nürnberg einlegen.
Quelle: Pressemitteilung des OLG Nürnberg Nr. 20/2015 v.
17.12.2015
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