Freitag, 11. März 2016

Schadensersatz für Intersexuelle // Damages for intersexed


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016

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Mangelnde Aufklärung: Schadensersatz für Intersexuelle

Eine Intersexuelle wurde in den 90-er Jahren im Universitätskrankenhaus Erlangen ohne ausreichende Aufklärung hormonell behandelt und operiert. Nun hat das Landgericht Nürnberg-Fürth dem Opfer Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die  behandelnden Ärzte zugesprochen.
Die damals 20-jährige hatte 1995 einen Arzt aufgesucht, da sich bei ihr nur schwach ausgeprägte weibliche Merkmale zeigten. Dieser ordnete eine hormonelle Behandlung und einen operativen Eingriff an. Aus heutiger Sicht des Opfers wäre beides nicht nötig gewesen. Zwar liegt bei ihr der Chromosomensatz XY eines Mannes vor, sie weist jedoch äußerlich weibliche Geschlechtsmerkmale auf. Fallen diese Kennzeichen so auseinander, so spricht man von Intersexualität.
Häufig fühlen die Betroffenen sich, so auch die Klägerin, weder als Frau noch als Mann. Die geschlechtsangleichende Operation war somit für sie keine wirkliche Lösung. Eine selbstbestimmte Entscheidung dazu war ihr aber nicht möglich, da sie nie über ihre genetische Disposition aufgeklärt worden war.  Außerdem war sie weder über das Ausmaß, noch über die Folgen oder Alternativen der Therapie unterrichtet worden. Schließlich wäre auch eine Behandlung als Mann möglich gewesen. Des Weiteren hätte alternativ eine geschlechtspezifische Behandlung ganz unterbleiben können. Hätte das Opfer diese Möglichkeiten gekannt, so hätte es nicht in eine Therapie eingewilligt. Hinzu kommt, dass die geschlechtsangleichende Behandlung für sie erhebliche gesundheitliche Probleme zur Folge hatte. Dies führte sogar zur Erwerbsunfähigkeit.
Die Mediziner verteidigten sich mit dem Argument, Lehrbücher hätten auch in den 90er Jahren noch dazu geraten, durch eine möglichst frühe Zuweisung an ein Geschlecht, die psychosexuelle Gesundheit der Patienten zu schützen. Auch wurde davor gewarnt, dass eine Aufklärung zu einem Schock führen könnte.  Heutige Behandlungen schließen die Unterrichtung über den Chromosomenbefund mit ein.
Ohne Aufklärung gilt Operation als Körperverletzung
Da keine Aufklärung stattgefunden hatte, ist die Einwilligung in die Behandlung und Operation nicht wirksam. Diese sind somit als Körperverletzung anzusehen. Daher sprach das Gericht der Klägerin Schmerzensgeld und Schadensersatz zu. (Urt. v. 17.12.2015, Az. 4 O 7000/11). Eine Entscheidung über die Höhe wird noch erwartet. Bereits 2008 war in einem ähnlichen Verfahren in Köln gegen den behandelnden Arzt entschieden worden.

INTERSEXUELLE HAT ANSPRUCH AUF SCHADENERSATZ WEGEN MANGELNDER AUFKLÄRUNG
Das LG Nürnberg-Fürth hat einer Intersexuellen grundsätzlich einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen das Universitätsklinikum Erlangen zuerkannt (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 17.12.2015, Az.: 4 O 7000/11; Quelle: juris Logo)
Geklagt hat Martina H. (Name geändert). Sie soll hier – ihrem Wunsch folgend – nicht als Klägerin oder Kläger bezeichnet werden, denn gerade darum geht es in diesem Rechtsstreit: Martina H. wirft den Beklagten – dem Universitätsklinikum Erlangen und einem dort tätigen Arzt – nicht nur vor, sie falsch behandelt zu haben. Sie stützt ihre Klage vor allem auch darauf, vor der Behandlung als damals 20-Jährige nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, dass sie nicht nur weibliche, sondern auch männliche Geschlechtsanteile hat, also weder Mann noch Frau ist, sondern – so beschreibt sie sich selbst – ein Zwitter. Statt ihr dies mitzuteilen, habe man sie im Rahmen einer geschlechtszuweisenden Therapie mit erheblichen gesundheitlichen Nebenfolgen als Frau behandelt. Damit habe man ihr die Möglichkeit genommen, als Mann therapiert zu werden oder den Zustand ohne eindeutige Geschlechtszuordnung zu belassen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie in die Behandlung nicht eingewilligt.
Die Beklagten verteidigen sich unter anderem damit, dass bis Mitte der 90er-Jahre in ärztlichen Lehrbüchern noch eine frühzeitige Zuweisung zu einem Geschlecht empfohlen worden sei und man zum Schutz der psychosexuellen Gesundheit und einer ungestörten Geschlechtsidentität von einer "radikalen" Aufklärung abgeraten habe. Das LG Nürnberg-Fürth bejaht dem Grunde nach einen Anspruch von Martina H. auf Schmerzensgeld und Schadensersatz insoweit, als eine feminisierende Operation im Juli 1995 ohne wirksame Einwilligung vorgenommen worden und daher rechtswidrig gewesen sei. Nach Auffassung des Landgerichts sei zwar kein Behandlungsfehler der Beklagten feststellbar, die von Martina H. erteilte Einwilligung sei jedoch unwirksam, weil die Ärzte ihr kein zutreffendes Bild von ihrem gesundheitlichen Zustand vermittelt hätten. Dazu hätte es auch 1995 schon gehört, der erwachsenen Martina H. den Zustand ihres intersexuellen Genitals mitzuteilen und ihr Ursachen und Folgen jedenfalls in den Grundzügen verständlich zu erläutern. Nur so hätte Martina H. die Bedeutung und Tragweite der ihr vorgeschlagenen feminisierenden Behandlung erkennen und eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können. Martina H. stehe deshalb gegen das Universitätsklinikum Erlangen dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu.
Zur Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes bedürfe es allerdings einer weiteren Beweisaufnahme. Insoweit werde der Prozess fortzusetzen sein. Der mitverklagte ausführende Operateur hingegen hafte nicht dafür, dass Martina H. von anderer Seite bei der Entwicklung des Gesamtbehandlungskonzepts nur unzureichend aufgeklärt worden sei. Die gegen ihn erhobene Klage hat das Gericht deshalb abgewiesen. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht rechtskräftig. Die Parteien können gegen das Urteil Berufung zum OLG Nürnberg einlegen.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Nürnberg Nr. 20/2015 v. 17.12.2015

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