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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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«Erst
heute lebe ich so, wie ich bin»
«Transidentität
hat es immer gegeben, zu allen Zeiten und in allen Kulturen»: Psychologin
Myshelle Baeriswyl.
Transsexuelle sind zwar körperlich eindeutig Mann oder
Frau. Doch sie fühlen sich nicht so.
Was ist weiblich, was ist männlich? Wer bestimmt, ob jemand
ein Mann oder eine Frau ist? Was selbstverständlich erscheint, ist kulturell
geprägt und erlernt. Andere Kulturen gehen mit Geschlechterfragen anders um: In
Polynesien gibt es zum Beispiel die so genannten Fa'afafine: Menschen, die
körperlich eindeutig Männer sind, sozial aber als Frauen leben. Sie sorgen für
die Kinder und kümmern sich um den Haushalt. In Südasien sind die Hijras
bekannt: Auch sie sind meist männlich, wurden aber kastriert oder sie weisen
von Geburt an keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale im Sinne intersexueller
Menschen auf.
Die heutige westliche Gesellschaft hat jedoch Mühe mit
Geschlechtsvarianten. Das spüren auch transsexuelle Menschen. Sie nennen sich
allerdings lieber «transident», weil dieser Begriff deutlich macht, dass es um
die Identität geht und nicht um Sexualität. Denn Transmenschen können zwar
körperlich eindeutig einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden, sie
fühlen sich diesem Geschlecht aber nicht zugehörig. Warum das so ist, wissen
die Forscher bis heute nicht.
Unklar ist auch, wie viele Transmenschen in der Schweiz
leben. Eine von ihnen ist die promovierte Psychologin Myshelle Baeriswyl, die
die St. Galler Fachstelle für Aids- und Sexualfragen leitet. Auch sie
bestätigt, dass die Angaben sehr unterschiedlich sind. Zum einen sei aufgrund
von Angst und Scham die Dunkelziffer sehr hoch, zum anderen tritt
Transidentität in unzähligen Schattierungen auf. Die operative und
medikamentöse Geschlechtsangleichung ist ein möglicher Weg, andere sind damit
zufrieden, dauernd oder auch nur zeitweise die Kleidung des anderen Geschlechts
zu tragen. Viele gehen einen Mittelweg: Sie begeben sich in
psychotherapeutische Begleitung, lassen sich Hormone verschreiben, beantragen
eine Namensänderung, verzichten aber teilweise oder ganz auf geschlechtsangleichende
Operationen. «Als Fachfrau, Betroffene und Mitglied des Transgender Networks
Switzerland kenne ich viele transidente Menschen», sagt Baeriswyl. Die einen
bekennen sich dazu, andere leben dies heimlich.
Das schmerzhafte Outing
Myshelle Baeriswyl engagiert sich politisch und
wissenschaftlich für die Akzeptanz von Transmenschen, zum einen als Beraterin
für Transmenschen, aber auch in der Fachgruppe Trans* am Universitätsspital
Zürich. «Das Thema Transsexualität wird in den Medien zwar immer präsenter, die
Berichterstattung seriöser, und dadurch wagen möglicherweise immer mehr
Betroffene, sich zu outen», sagt sie. Das Outing sei aber nicht nur das Ende
eines langen Bewusstwerdungsprozesses, sondern vor allem der Anfang einer
Veränderung, einer «Transition», die praktisch jeden Moment des Alltags umfasst
und Jahre, ja lebenslang dauern kann. Das ist oft nicht nur eine
Herausforderung, sondern eine Überforderung. Die Suizidrate von Transmenschen
liegt deshalb weit über dem Durchschnitt, auch weit über dem von homosexuellen
Menschen.
Die meisten Transmenschen suchen deshalb psychologischen
Beistand. Umgekehrt sind Psychotherapeuten oft zum ersten Mal mit einem
Transmenschen konfrontiert und deshalb überfordert. An diesem Punkt setzt die
schweizweit einmalige interdisziplinäre Fachgruppe Trans* des
Universitätsspitals Zürich an. «Einmalig deshalb», so Baeriswyl, «weil das Team
nicht nur aus Psychiatern, Psychotherapeuten, Ärzten und Sozialarbeitern
besteht, sondern weil einige von uns selbst Transmenschen sind.» Es sei
wichtig, dass «nicht bloss Experten über uns reden, sondern dass wir selbst
über uns bestimmen».
Umstrittene Diagnose
Dass diese Gruppe an einem Spital angesiedelt ist, ist kein
Zufall: In der Medizin und Psychiatrie gilt Transsexualität noch immer als
Krankheit. Transsexuelle stehen dem widersprüchlich gegenüber: Einerseits haben
sie nur mit der entsprechenden Diagnose Zugang zu Krankenkassenleistungen, die
für psychotherapeutische Begleitung, Hormonbehandlungen und
geschlechtsangleichende Operationen nötig sind, andererseits empfinden sie sich
nicht als krank.
Das Coming-out, der Moment also, in dem sich ein Transmensch
zu seiner Identität bekennt, ist einschneidend. «Trans zu sein, bedeutet
Sichtbarkeit», erklärt Baeriswyl. Und damit habe die Umwelt Probleme. Zum
Beispiel am Arbeitsplatz. Wie viele andere Transmenschen in der Schweiz verlor
auch sie ihren früheren Job. «Als Mann gefeiert, als Frau gefeuert», so ihr
lakonisches Fazit. Damit steht sie nicht allein da: Eine Untersuchung des
Transgender Networks kam zum Ergebnis, dass die Arbeitslosenrate unter
Transmenschen in der Schweiz über 20 Prozent liegt. Trotz im Durchschnitt
besserer Ausbildung.
Brüche im Privatleben
Auch im Privaten hinterlässt ein Coming-out tiefe Spuren. So
auch bei Baeriswyl. Sie selbst hatte ihr Coming-out vor rund dreieinhalb
Jahren, im Alter von 48 Jahren. Damit gehört sie zu den Spätzündern. «Dass ich
anders bin als andere, habe ich zwar schon mit 6 Jahren gespürt, aber gewusst,
worum es sich handelt, das habe ich erst mit den ersten Medienberichten und vor
allem dank des Internets», sagt sie. Es folgten Jahre des Zweifels, des
Mit-sich-Ringens, der gespielten Normalität. Irgendwann ging es nicht mehr.
«Dank psychologischer Begleitung kam ich zur Erkenntnis, dass nur ein
Coming-out mir zu einem lebenswerten Leben verhelfen kann», sagt sie.
Danach ging es Schlag auf Schlag: Erste Hormone, die Ehe
ging in die Brüche, Freunde und Verwandte kehrten ihr den Rücken, die
beruflichen Beziehungen gingen verloren, Epilation, Namensänderung. Die beiden
Kinder, damals 13 und 16 Jahre alt, hatten zunächst Probleme und baten sie,
sich nicht in der Schule zu zeigen. Mit der Zeit hätten sie sich daran gewöhnt.
«Ich stand aber auch schon auf dem Balkon und dachte: Jetzt habe ich alles, Haus,
Familie und Job verloren – was soll das alles noch?» Der Preis sei hoch.
Eine Konsequenz davon ist, dass Myshelle Baeriswyl oft das
Wort «Kampf» fallen lässt, wenn sie von ihrer Transition spricht. Das betrifft
etwa Schwierigkeiten bei den Krankenkassen, bei der Jobsuche, im Umgang mit
Spitälern, aber auch bei der amtlichen Anerkennung. «Die Vornamensänderung war
zwar aufwendig, ging aber noch relativ einfach», sagt sie. Das eidgenössische
Amt für Zivilstandswesen hat jüngst die Bedingungen für Transmenschen etwas
vereinfacht. Problematisch sei, dass in der Schweiz für die Änderung des
Geschlechtseintrages in der Regel noch immer eine geschlechtsangleichende
Operation oder zumindest der Nachweis «irreversibler Sterilität» verlangt
werde. «Ein staatliches Fortpflanzungsverbot für eine Bevölkerungsgruppe, in
diesem Fall für Transmenschen, ist ein ungeheurer Verstoss gegen grundlegende
Menschenrechte und eines modernen humanitären Staates unwürdig.»
Wie schwierig es ist, nach einem Outing wieder ein ganz normales
Leben zu führen, realisieren viele Transmenschen erst mit der Zeit. So schrieb
die Psychologin und Transfrau Annette Güldenring: «In den meisten Fällen wird
erst mit der Zeit realisiert, dass die Aussenseiterrolle zeitlebens weiter
bestehen wird. Diese Erkenntnis muss geleistet werden, um eine selbstsichere
Position in einer transsexuellen Identität zu finden.» Auch Myshelle Baeriswyl
erlebt fast täglich, wie schwierig dieser Weg ist. Sie erlebt häufig sexuelle
Anmache. Aber nicht etwa an Parties, wo es zu erwarten wäre – nein: Am
helllichten Tag an Tramhaltestellen, in Bussen, im Hauseingang, ja selbst an
der Kasse im Supermarkt. «Dies hat wohl auch damit zu tun, dass in der
Pornoindustrie die sogenannten Shemales äusserst gefragt sind», so Baeriswyl,
«also Transfrauen, die zwar noch ihren Penis haben, ansonsten aber extrem
weiblich aussehen.»
Wie gefährlich Transmenschen weltweit leben, zeigt der
Bericht von Trans Murder Monitoring, einem Projekt von Transgender Europe
(TGEU). Zwischen 2008 und 2012 wurden weltweit mehr als tausend Transmenschen
ermordet. Am meisten in Südamerika, vor allem in Brasilien. Auch Europa ist
keine Insel. Allein in der Türkei wurden in diesem Zeitraum 30, in Italien 20
und in Spanien 6 Transmenschen, fast ausschliesslich Transfrauen ermordet.
Doch trotz dieser negativen Erlebnisse überwiegen die
positiven Reaktionen bei weitem und Myshelle Baeriswyl sagt: «Ich würde den
Schritt jeder Zeit wieder machen. Denn ich wache jeden Morgen als der Mensch
auf, der ich eigentlich schon immer war, und bin glücklich.»
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