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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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Im Namen Allahs
Porträt Ludovic-Mohamed Zahed gründete bei Paris die
erste Moschee für Homosexuelle in Europa. Er kämpft für die Homo-Ehe – und für
einen Islam, der niemanden diskriminiert
Zur Person: Ludovic-Mohamed Zahed wird 1977 in Algier
geboren. Er wächst mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester auf.
Mit 12 schließt er sich einer Gruppe junger Salafisten an, aus der er später
wegen seiner auffälligen Zuneigung zu Männern ausgeschlossen wird. Im Jahre
2010 gründet er den Verein HM2F („Homosexuelle Muslime Frankreichs“) und
eröffnet im November 2012 östlich von Paris eine „Moschee für alle“, in der
Homosexuelle, Transsexuelle und Feministinnen zusammenkommen sollen. 2011
heiratet Zahed den Südafrikaner Qyiaam in dessen Heimat. Als sie ihre Ehe mit
einer traditionellen muslimischen Hochzeitszeremonie ohne rechtliche Wirkung
in Frankreich bestätigen, sorgt das landesweit für Aufsehen.
Seit mehreren Jahren forscht Zahed im Rahmen seiner
Doktorarbeit zum Verhältnis von Islam und Homosexualität. Im März 2012
erscheint sein Buch Le Coran et la Chair („Der Koran und das Fleisch“). Auch in
Deutschland ist das Thema bereits Forschungsgegenstand.
Nach Meinung des
Münsteraner Professors für Arabistik, Thomas Bauer, seien homoerotische
Dichtungen über Jahrhunderte Bestandteil der arabisch-islamischen Kultur
gewesen. Erst im 19. und insbesondere in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts hätten im Zuge der Radikalisierung des Islam homophobe Tendenzen
stark zugenommen. In sieben muslimischen Ländern steht auf Homosexualität noch
immer die Todesstrafe, darunter Jemen, Saudi-Arabien, Iran und Sudan.
Ein kleines Zimmer in Algier. Im Dunkel der Nacht wälzt sich
der 17-jährige Mohamed Zahed in seinem Bett hin und her. Er schaut auf den
schlafenden Jungen, mit dem er das Zimmer teilt. Beide gehören zu einer Gruppe
junger Salafisten. Sie beten jeden Tag zusammen, manchmal ab morgens um vier
bis spät in die Nacht. Und sie pauken Arabisch. Wie besessen wiederholt Zahed
Koranverse. Er will ein guter Muslim sein. Mehr noch, er will den Islam lehren
und Imam werden.
Doch nun bringt die Anwesenheit dieses Jungen ihn um den
Verstand. Er spürt den unaussprechlichen Wunsch, einen Mann zu berühren. Keiner
darf davon erfahren. Und doch: Da sind diese Bilder, Träume und die
Erinnerungen an das seit Beginn der Pubertät unterdrückte Verlangen. Es ist der
Moment, in dem Zahed sich eingesteht, dass er homosexuell ist. Aber es wird
noch ein langer Weg bis zu dem Punkt, an dem er eines Tages offen sagt: Ich bin
ein gläubiger Muslim – und ich liebe Männer.
Fast zwei Jahrzehnte später kann er befreit darüber
sprechen. Und er hat einen Ort geschaffen, der ihn mit seiner Vergangenheit
versöhnt. Im vergangenen November hat er östlich von Paris eine Moschee für
Schwule und Lesben, für Feministinnen und Transsexuelle eröffnet. Aus Angst vor
gewalttätigen Übergriffen achtet er darauf, dass die Adresse geheim bleibt. Als
Treffpunkt schlägt er ein Café am Ufer der Seine vor, gegenüber von Notre Dame.
Etwas abgehetzt betritt er es. Eine Besprechung mit seiner Professorin habe ihn
aufgehalten, sagt er. Zahed promoviert zu seinem Lebensthema: In seiner
Doktorarbeit in Anthropologie will er zeigen, wie der Koran es tatsächlich mit
Homosexualität hält.
Ein anderer Islam
Er legt seinen Mantel und ein Palästinensertuch über einen
Stuhl und bestellt eine heiße Schokolade. Er ist gerade ein gefragter
Gesprächspartner und viel unterwegs in diesen Tagen, in denen Frankreich
erbittert über das Gesetz zur Gleichstellung von Homosexuellen streitet. Alle
großen Religionsgemeinschaften sind sich in ihrer Ablehnung einig. Trotz dieses
Widerstands hat die französische Nationalversammlung am Dienstagnachmittag für
den Gesetzentwurf für eine "Ehe für alle" gestimmt. Der Senat muss
aber noch zustimmen.
Der Streit um die Homo-Ehe hat eine Debatte um Glauben und
sexuelle Identität losgetreten, die in den Augen von Zahed auch viele bislang
unsichtbare Muslime betrifft. Ihnen möchte er eine Stimme geben. Und eine
Moschee, in der nicht gegen gleichgeschlechtliche Liebe angepredigt wird. Sie
ist die einzige ihrer Art in Europa, Vorbilder gibt es in Kanada und in den
USA. In Zaheds Moschee versammeln sich an die 20 Männer und Frauen regelmäßig
zum Freitagsgebet. Sie eint der Traum von einem Islam, der Homosexuelle nicht
zu Aussätzigen macht. „Es gibt viele Muslime, die schrecklich unter diesem
angeblichen Widerspruch leiden“, sagt Zahed und lässt ein Päckchen Zucker in
seine Tasse rieseln.
Paris-Algier. Das sind die Koordinaten auf seiner Reise zu
sich selbst. In seiner Kindheit in Algier läuft er in den Röcken seiner Mutter
durch die Wohnung, in der Schule gilt er als „Schwuli vom Dienst“. Für seinen
Vater ist Homosexualität unaussprechlich. Er warnt seinen Sohn: „Eher breche
ich dir das Kreuz und beerdige dich bei lebendigem Leib, bevor du so wirst.“
Sein älterer Bruder beschimpft ihn als Heulsuse und Weichei. Dann zieht die
Familie nach Paris. Zahed vergräbt sich in den Koran. Mit Allahs Hilfe, so
glaubt er, könne er ein richtiger Mann werden.
Wegen der Geschäfte des Vaters geht die Familie Mitte der
Neunziger wieder zurück nach Algier. Zahed schließt sich dort jungen Salafisten
an. Die Sehnsucht nach Spiritualität und die Faszination für den Propheten
Mohammed sind zu dieser Zeit sein ganzer Lebensinhalt – bis auf diese Nächte,
in denen er wach liegt.
Ein Anschlag verändert sein Leben grundlegend. Am 30. Januar
1995 explodiert eine Autobombe im Zentrum Algiers. Durch den Terror einer
islamistischen Gruppe sterben 42 Menschen. „Es war eine Katastrophe für mich.
Das hatte nichts mehr mit Spiritualität zu tun. Mit dieser politisch
motivierten Gewalt wollte ich nichts zu tun haben“, erinnert Zahed sich heute.
Sein Vertrauen in die radikalen Jünger Mohammeds schwindet. Und diese stören
sich an seiner auffallenden Zuneigung zu anderen Männern. Er sorgt für
Unbehagen, schließlich wird er ausgeschlossen.
C‘est comme ça! – Er ist so!
Der Bruch mit der Gemeinschaft wirft ihn in eine tiefe
Lebenskrise: „Danach folgten schreckliche zwei Jahre. Ich dachte an Selbstmord.
Meine sexuelle Identität war eine unleugbare Tatsache. Meinen Glauben
aufzugeben, erschien mir daher damals als die einzige Lösung.“
Die Familie zieht nach Marseille und mit ihr auch Zahed,
wieder ein Neuanfang in Frankreich. Mit 20 bekommt er einen französischen Pass,
von nun an soll er mit Vornamen Ludovic heißen. Auf den Beinamen Mohamed will
er trotzdem nicht verzichten, obwohl er seinem Glauben abgeschworen hat. Nun
kann er seine lang verdrängten Wünsche ausleben. Er trifft sich mit Männern,
durchgefeierte Nächte, schneller Sex. Doch nach seiner ersten längeren
Beziehung folgt der Schock: Sein HIV-Test ist positiv.
Von der Zeit seines Ausprobierens und der Infektion erzählt
er in dem Pariser Café fast so, als beträfe das einen Fremden. Mit einem kurzen
Abwinken und ironischem Ton zeichnet er die Karikatur seines
„Klischee-Homo-Lebens“, wie er sagt, als er immer neue Affären aneinanderreihte
und in Bars abhing, um seinen Propheten und das Virus zu vergessen.
Während er redet, kramt er eine Mandarine aus seinem
Rucksack und legt dann ihre Schalen auf die weiße Untertasse vor sich. „Wollen
Sie auch eine?“ Den Hinweis auf die möglicherweise pikierten Kellner in dem
vornehmen Café weist er selbstbewusst zurück. „Ich brauch jetzt Vitamine!“
Dann erinnert er sich an die Zeit, als er das Versteckspiel
vor seiner Familie nicht mehr aushielt. Seinem Coming-out folgten
unterschiedliche Reaktion: Entsetzen und Hass beim älteren Bruder, wochenlang
Tränen bei der Mutter, Verständnis bei seiner jüngeren Schwester. „Am meisten
haben mich die Worte meines Vater berührt, der sagte: C‘est comme ça! Er ist
so, und wir werden ihn akzeptieren.“ Zahed hatte nach den Drohungen der
Kindheit nicht damit gerechnet. Umso überwältigter und dankbarer ist er für die
Reaktion.
Und Zahed findet eine neue Bestimmung. Er lernt andere
HIV-Infizierte kennen und beginnt, sich in einem Hilfsverein zu engagieren.
„Das erste Mal in meinem Leben sagte ich mir: Du bist ein guter Mensch, du
kannst anderen helfen, du bist kein perverser Teufel.“ Die Aufgabe gibt seinem
Leben wieder einen Sinn. Er reist durch Frankreich, hält Vorträge, berät
Infizierte und organisiert Demonstrationen.
Eine neue Bestimmung
Um Psychologie und Anthropologie zu studieren, geht er nach
Paris. An der renommierten École des Hautes Études en Sciences Sociales fällt er
als intellektueller Kopf auf. Besonders mit seinen genauen Kenntnissen des
Korans beeindruckt er die Professoren. Zu Studienzwecken liest er die einst
auswendig gelernten Verse wieder. Ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit
überkommt ihn, nachdem er eine Weile sogar im Buddhismus nach Antworten gesucht
hatte. Zahed pilgert nach Mekka, es ist die Rückkehr zu Allah. „Ich hatte mich
all die Jahre ausgelebt, aber ohne Freude, ohne wirklich erfüllt zu sein. Nun
spürte ich endlich, wer ich wirklich bin. Mein Leben erschien mir wieder
sinnvoll.“
2010 gründet er den Verein „Homosexuelle Muslime
Frankreichs“, der heute 300 Mitglieder zählt. Er will andere ermutigen, aus der
Unsichtbarkeit aufzutauchen. „Ich dachte zunächst, wir brauchen keine eigene
Moschee. Ich wollte in den bestehenden Strukturen für unsere Rechte kämpfen.
Doch dann starb ein Transsexueller und kein Imam wollte ihn beerdigen. Das hat
mich betroffen gemacht. Genauso wie der Fall einer muslimischen Frau, der die
traditionelle Hochzeitszeremonie verwehrt wurde, weil sie einen Christen zum
Mann nehmen wollte.“ Er beschließt, eine eigene Moschee zu eröffnen und findet
Hilfe bei buddhistischen Freunden, die ihm einen Raum zur Verfügung stellen.
Am 30. November 2012 lädt Zahed zum ersten Gebet ein. „Viele
Muslime fragen mich, ob es bei uns völlig anders zugeht. Aber im Prinzip
gleicht unser Zeremoniell dem normalen Freitagsgebet. Nur gestalte ich unser
Zusammensein interaktiver, lasse die Gläubigen zu Wort kommen und diskutiere
mit ihnen über Fragen und Zweifel.“ Hauptsächlich arbeitet er derzeit aber an
seiner Doktorarbeit. Vergangenes Frühjahr erschien sein Buch Le Coran et
la Chair („Der Koran und das Fleisch“), eine Zwischenbilanz seiner Forschungen,
gepaart mit autobiografischen Elementen. „Es geht mir darum, eine
intellektuelle Basis für die These zu schaffen, dass der Koran keine Homophobie
lehrt“, sagt er.
Mohammed empfing auch Transsexuelle
„Die hetero-normative Tradition ist ja nicht zu Zeiten
Mohammeds vom Himmel gefallen. Die Verfolgung Homosexueller sowie die
Unterdrückung von Frauen ist erst mit der Politisierung des Islam ausgeartet.
Unter religiösen Vorwänden hat sich so eine soziale Kontrolle installiert.“ In
den Hadithen, den überlieferten Geschichten über das Leben und Wirken
Mohammeds, sei die Rede von „Mukhannathun“, von androgynen Männern, offenbar
auch von Transsexuellen. „Der Prophet hat sie sogar bei sich empfangen und
seine Frauen angewiesen, sich den Mukhannathun unverschleiert zu zeigen, weil
von ihnen keine körperliche Begierde zu befürchten war. Würde der Prophet heute
noch leben, er würde Schwule und Lesben trauen“, schreibt Zahed in seinem Buch.
Trotzdem betrachtet er selbst manche Homosexuellen-Aktivisten kritisch. Er sagt:
„Ich bin kein eifernder Verfechter einer übertriebenen Homophilie. Ich bin
nicht der Meinung, wir brauchen laufend Gay-Parades oder wir sollten alle aus
Prinzip auf der Stelle heiraten. Ich will nicht ein Dogma durch ein anderes
ersetzen.“
Draußen vor dem Café wartet ein junger, dunkelhäutiger Mann
auf Zahed. Voilà, mon mari, mein Ehemann, stellt er ihn vor. Zahed und Qyiaam
haben sich im August 2011 das Ja-Wort gegeben. Kennengelernt hatten sie sich
auf einer internationalen Konferenz homosexueller Muslime in Südafrika, der
Heimat Qyiaams. Dort ist die Eheschließung zwischen zwei Männern oder zwei
Frauen seit 2006 legal. Qyiaam spricht Französisch mit einem englischen Akzent.
Im Februar 2012 zelebrierten die beiden eine zweite
Hochzeitsfeier in ihrer Wohnung in Paris, obwohl die Zeremonie vor dem
französischen Gesetz keine Gültigkeit hatte. Ein Imam vermählte sie in
Anwesenheit von Familie und Freunden nach islamischer Tradition. Es war die
erste öffentlich bekannt gewordene Trauung dieser Art. „Ihr zieht den wahren
Islam in den Dreck“, schrieben erboste Muslime in Internet-Foren. Doch Zahed
erwähnt nur kurz all die hasserfüllten Nachrichten an ihn. Auch Todesdrohungen
hat er nach der Moschee-Eröffnung bekommen, aber er zitiert lieber die
ermutigenden Zuschriften. „Ich bin kein ängstlicher Mensch. Wir brauchen uns
nicht zu verstecken wie ein verletztes Tier vor dem Schlachter“, sagt er.
An François Hollandes neuem Gesetz zur Gleichstellung hängt
auch die gemeinsame Zukunft von Qiyaam und Zahed in Frankreich, da der
Südafrikaner sonst keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekommt. Doch die
beiden sind zuversichtlich, bald ein drittes Mal Ja sagen zu dürfen.
Heute, sagt Zahed, sei er ganz bei sich und nah bei den
anderen. Dann verschwindet er mit seinem Ehemann in einem Metro-Tunnel.
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