Sonntag, 8. Mai 2016

Was ist Intersexualität?

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016

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Was ist Intersexualität?

Die Natur bringt neben Männern und Frauen auch Menschen hervor, deren körperlichgeschlechtliche Anlagen nicht in dieses kulturell gewachsene, binäre Schema einzuordnen sind. 

Bei zwischengeschlechtlichen Menschen deuten die wesentlichsten körperlichen Geschlechtsmerkmale, d. h., die Chromosomen (und die auf diesen befindlichen Gene), die Gonaden (Hoden, Eierstöcke und Mischformen) und das Genital (Größe, Funktionsweise und Verlauf der Harnröhre) nicht alle eindeutig auf das gleiche körperliche Geschlecht als Mann oder Frau hin. Offiziellen Schätzungen zufolge leben etwa 80.000 bis 120.000, medizinisch mit dem Begriff „intersexuell“ („DSD“, “Disorders of sex development“) klassifizierte, Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. 

Der Begriff der „Intersexualität“ beschreibt Menschen mit angeborenen, von der kulturell motivierten, geschlechtlichen Erwartungshaltung abweichenden, somatischen Varianten der Geschlechtsanlagen. Der weitaus überwiegende Teil, etwa 95%, dieser Personengruppe, wurde und wird nach ihrer Geburt genital-chirurgischen und verschiedensten medikamentösen Eingriffen zur Veränderung ihrer grundlegenden angeborenen Geschlechtsmerkmale unterzogen. Die Eingriffe erfolgten und Erfolgen bei diesen Personen orientiert an dem medizinisch-technisch Realisierbaren mit dem Zweck, willkürlich (da unter Außerachtlassung geltender Menschenrechte und noch nicht einmal mit gültigem medizinischen Standard) eine geschlechtliche Eindeutigkeit herzustellen, und zwar ungeachtet ihrer Persönlichkeitsrechte, ihrer physiologisch-biologisch determinierten Anlagen und unter Abwesenheit evidenter wissenschaftlicher Erkenntnisse hierzu. 

Die intersexuellen Menschen sehen diese Eingriffe, die ohne ihre Zustimmung und ohne eine umfassende Aufklärung erfolgen, als unerträglichen Eingriff in ihre Autonomie und als einen würdelosen Gewaltakt an. Die irreversiblen und umfassenden, psychosomatischen und seelischen Einbußen sowie die nur durch lebenslange Medikation aufrecht zu erhaltenden sekundären Geschlechtsmerkmale entfalten für die gesamte Lebensspanne der Betroffenen und für alle Lebensbereiche umfassende unterdrückende Wirkung.

In besonderem Maße führt eine dem biologischen chromosomalen Geschlecht entgegengesetzte Hormontherapie zur Verringerung der körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit und langfristig zu erheblichen gesundheitlichen Nebenwirkungen. Intersexuelle Menschen lassen sich hinsichtlich ihrer Biographien in zwei wesentliche Gruppen unterteilen. 

Da sind einerseits die vor 1945 geborenen, die im wesentlichen Opfer der Rassenhygiene des Nationalsozialismus wurden. Jene, die diese Zeit überlebten, wurden von ihren Familien versteckt. 

Hermaphrodismus wurde zum lebenserhaltenden Tabu erklärt. 


Die zweite Gruppe sind diejenigen, die nach 1946 geboren wurden, insbesondere jene - heute mehrheitlich - die nach 1950 geboren wurden. 

Der vorliegende Bericht konzentriert sich auf diese Gruppe, obwohl es auch noch intersexuelle Menschen aus der Zeit vor 1945 gibt, die überlebten und noch heute leben. Die Zuordnung zu einem Geschlecht erfolgt in Deutschland bisher nach einer standesamtlichen Verordnung aus dem Jahre 1937. 

Diese Verordnung hat trotz des nationalsozialistischen Hintergrundes immer noch Bestand, mit gravierenden Folgen für intersexuelle Menschen. Ab 2009 wurde das Personenstandsrecht insoweit verbessert, als es jetzt möglich ist, die Geschlechtseintragung bei Geburt erst einmal auf unbestimmte Zeit offen zu lassen. 

Allerdings bekommt man dann nur eine Anmeldebestätigung. Eine offizielle Geburtsurkunde erhält man in Deutschland erst, wenn die Geschlechtseintragung als männlich oder weiblich nachgeholt wurde. Viele Rechte können in Deutschland nur ausgeübt werden gegen Vorlage einer Geburtsurkunde. So benötigt man diese zur erstmaligen Beantragung eines Personalausweises. Einen Personalausweis benötigt man, um ins Ausland zu reisen oder ein Bankkonto zu eröffnen. Der Teil der zwischengeschlechtlichen Menschen, der sich auf Grund seiner Geschlechtsidentität nicht auf die Eintragung als männlich oder weiblich festlegen lassen will, erhält entweder keine Geburtsurkunde oder bekommt immer noch per amtlichem Bescheid auf Grund der Einschätzung des Amtsarztes eine Eintragung als männlich oder weiblich vorgeschrieben – eine Diskriminierung im Sinne von Art. 10 lit. b des Allgem. Kommentars Nr. 20 zum Sozialpakt. 

Die Diskriminierung im Personenstandsrecht wurde nicht beseitigt, es wurde nur der Zeitdruck nach der Geburt gelindert. 


Zu den Diskriminierungen auf Grund einer falschen Geschlechtseintragung oder des Vorenthaltens einer Geburtsurkunde wird auf die Abschnitte dieses Parallelberichts zu den Menschenrechten auf Gesundheit (Art. 12 CESCR), auf soziale Sicherheit (Art. 9 CESCR) und auf den Schutz der Familie (Art. 10 CESCR) verwiesen. 

Diese Menschen, die völlig normal, jedoch mit variantem individuellem Geschlecht ausgestattet sind, werden als Intersexuelle bezeichnet, und ihre körperlich-geschlechtliche Abweichung unter den DSD-Syndromen zusammengefasst. 

Grundsätzlich haben „intersexuelle Menschen“ unbehandelt, bis auf einige wenige Ausnahmen [z.B. hinsichtlich des bei AGS1 möglichen Salzverlustes], auch im Verlaufe ihres weiteren Lebens keine schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen physiologischen Erkrankungen bezüglich ihrer geburtsgeschlechtlichen Besonderheiten zu befürchten. 

Die Berichterstatter(innen), so auch die Mehrzahl der organisierten intersexuellen Menschen, sind, entgegen dem vorgenannten medizinischen Mainstream, der von der Natur gerechtfertigten Auffassung, dass sie eine eigene Geschlechtsentwicklung, ein individuelles körperliches Geburtsgeschlecht und, wie alle anderen Menschen auch, ein Recht auf den Erhalt ihres Geburtsgeschlechts und auf den Schutz ihrer psychischen Geschlechtsidentität haben. 

Die körperlichen Varianzen intersexueller Menschen dürfen nicht Anlass sein, dass ihr Geburtsgeschlecht der beliebigen Interpretation und jedweder medizinischer Intervention durch andere Menschen, insbesondere Mediziner, ausgeliefert wird. Nicht als intersexuell klassifizierte Menschen dürfen sich hinsichtlich aller Aspekte ihres Geschlechtes sehr unterschiedlich entwickeln, und dies auch, ohne deswegen medizinische Interventionen fürchten zu müssen. 

Erst wenn ein Mensch im weiteren Verlauf seiner individuellen körperlichen und seelischen Geschlechtsentwicklung und ohne medizinische Interventionen selbstbestimmt zu der Überzeugung kommt, dass seine körperliche Varianz für seine Geschlechtsidentität nicht zutreffend ist und/oder von ihm als beeinträchtigend empfunden wird, -nur dann- kann seiner Varianz eine Behandlungsbedürftige pathologische Bedeutung zukommen. Hierbei kann die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe jedoch ausschließlich, unter voller Aufklärung über die gesundheitlichen Konsequenzen2 von Eingriffen, im selbstbestimmten Ermessen dieses Menschen liegen.
1
 AGS = AndrenoGenitales Syndrom Krankheitsbild infolge Überproduktion androgener Steroide durch die
Nebennierenrinde, mit und ohne Salzverlustsyndrom. Führt infolge in der weiteren Folge bei XXchromosomalen
Menschen zu Virilisierungserscheinungen.

2

 „Informed Consent“

Euch allen schönen Sonntag 
Mit freundlichen Grüßen
Nikita Noemi Rothenbächer

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