Montag, 9. Mai 2016

True sexual freedom does not exist yet // Echte Geschlechtsfreiheit gibt es noch nicht

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016

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Echte Geschlechtsfreiheit gibt es noch nicht

Ab dem 1. November muss das Geburtenregister keine Aussage mehr über das Geschlecht eines Neugeborenen treffen.

Die Rechte intersexueller Kinder werden damit gestärkt. Sie können später selbst entscheiden, ob sie sich eher als Mann oder Frau fühlen. Auch wenn der Gesetzgeber damit fast ein neues Grundrecht geschaffen hat, gibt es immer noch keine echte Geschlechtsfreiheit!

Das Geschlecht eines Menschen wurde bisher im Geburtenregister erfasst und in seiner Geburtsurkunde eingetragen. Was im Einzelfall einzutragen war, gab das Gesetz allerdings nicht vor. Auch über die Art der Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit traf es keine Aussage. Das deutsche Recht ging vielmehr stillschweigend davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gibt, Männer und Frauen.

Und es setzte ebenfalls voraus, dass sich das Geschlecht aufgrund äußerer, körperlicher Merkmale ergibt. Diese Selbstverständlichkeit hat der Gesetzgeber nun mit dem Personenstandsrechtsänderungsgesetz aufgegeben. § 22 PStG, in dem es bisher nur um den fehlenden Vornamen eines Kindes ging, wird ein dritter Absatz hinzugefügt, der folgenden Wortlaut hat: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen."

Nahezu ein neues Grundrecht


Die neue Vorschrift könnte für Intersexuelle, das heißt für Menschen, die nicht eindeutig in die Geschlechtskategorien Mann und Frau eingeordnet werden können, nahezu zu einem Grundrecht werden. Jedenfalls ist sie revolutionär. Weicht damit das deutsche Recht doch von dem binären System der Zweigeschlechtlichkeit und vor allem davon ab, einem Kind bei seiner Geburt zwingend ein Geschlecht zuzuweisen.

Grund für die Neuregelung ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Transsexualität.

Die Verfassungsrichter hielten es für nicht mit dem Persönlichkeitsrecht vereinbar, dass sich Transsexuelle einer geschlechtsändernden Operation aussetzen mussten, um personenstandsrechtlich im empfundenen Geschlecht anerkannt zu werden (Beschl. v. 11.01.2011, Az. 1 BvR 3295/07).

Transsexualität betrifft zwar – anders als die Intersexualität – nicht die äußeren Geschlechtsmerkmale, sondern die Abweichung zwischen dem körperlichen und dem psychischen Geschlecht, das heißt dem sexuellen Fühlen einer Person.
Das höchste deutsche Gericht hat damit aber das Geschlecht von körperlichen Merkmalen unabhängig gemacht. Relevant ist nicht mehr der "kleine Unterschied", sondern im Wesentlichen das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung.

Auch der Deutsche Ethikrat fordert in seiner Stellungnahme zur Intersexualität neben den Einträgen "männlich" und "weiblich" als dritten Geschlechtseintrag "anderes" (BT-Drs. 17/9088, S. 59).

Echte Geschlechtsfreiheit gibt es noch nicht


Verlässliche Zahlen über die Häufigkeit von Intersexualität existieren nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass fast jedes 200. Neugeborene intersexuell ist. Neu ist das Phänomen nicht. Bereits das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 enthielt fünf Paragrafen, die sich mit den Rechten von (im damaligen Sprachgebrauch) Zwittern befassten. Nach der Geburt sollten "die Aeltern" bestimmen, "zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen".

Das damalige Recht war erstaunlich modern. "Einem solchen Menschen" wurde "nach zurückgelegtem 18 Jahre" die Wahl frei gelassen, "zu welchem Geschlecht er sich halten wolle." Die ab November geltende Regelung entspricht dem im Ergebnis mit dem einzigen Unterschied, dass  nach der Geburt kein Geschlecht eingetragen werden muss, die Eltern werden also zu keiner Entscheidung verpflichtet.

Echte "Geschlechtsfreiheit" gibt es aber auch heute noch nicht. Sowohl die Ehe als auch die eingetragene Lebenspartnerschaft knüpfen an die Geschlechtszugehörigkeit an, wenn auch unabhängig von äußeren Geschlechtsmerkmalen. Ein "Neutrum" kann weder heiraten noch eine Lebenspartnerschaft eingehen. Die Neuregelung ist deshalb lediglich ein erster Schritt dahin, intersexuelle Menschen zumindest gesetzlich nicht mehr zu diskriminieren.

Kinderrechte: Eltern dürfen nicht über alles entscheiden


Wesentlich an der Neuregelung des Gesetzes ist, dass die betroffenen Kinder nicht mehr von ihren Eltern in die Schablonen "männlich" oder "weiblich" gepresst werden müssen. Sie können vielmehr später selbst entscheiden, zu welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.

Damit werden auch ganz wesentlich die Rechte der Kinder anerkannt. Kinder dürfen im Kern ihrer Menschenwürde nicht Gegenstand von Entscheidungen ihrer Eltern sein. Das bedeutet auch, dass operative Eingriffe zur Herstellung der "Eingeschlechtlichkeit" unterbleiben müssen, bis das Kind selbst darüber befinden kann.

Erkennt man derartige Kinderrechte an, müssen sie freilich auch im Hinblick auf andere Eingriffe gelten. Nicht nur der Gesetzgeber, auch die Religionsgemeinschaften sollten darüber nachdenken, ob Kinder nicht selbst darüber entscheiden können sollten, ob sie ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession mit einem operativen Eingriff dokumentieren wollen.


Verdoppeltes Gen verursacht Intersexualität


Wissenschaftler der University of California machen die Kopie eines Gens für das Schicksal eines Kindes verantwortlich, als Zwitter zur Welt zu kommen. Ein Duplikat des Geschlechts-bestimmenden Gens WNT-4 auf dem selben Chromosom bewirkt demnach, dass ein männlicher Embryo die Merkmale beider Geschlechter ausbildet, also sowohl Hoden als auch Eierstöcke. Einmal der Ursache auf die Spur gekommen, hoffen die Forscher, nun Tests zur Früherkennung von Hermaphrodismus und vielleicht sogar pränatale Behandlungsmethoden entwickeln zu können.


Was definiert das Geschlecht?


Dass sich Mann und Frau rein physisch unterscheiden, ist klar. Aber am Anfang ihres Lebens ist das noch ganz anders. In den ersten fünf Wochen kann sich der Embryo in Richtung männlicher oder weiblicher Anatomie entwickeln. 

So entstehen seitlich der Nieren zwei Genitalleisten und zwei Paar Gänge, von denen einer die weibliche Gebärmutter und Eileiter bilden kann und der andere die Anhangsgebilde der männlichen Genitalien, nämlich Nebenhoden, Vas deferens und Samenblasen. Nach sechs Wochen fällt dann die Entscheidung für den weiteren Entwicklungsweg: Eierstöcke oder Hoden. Kommt es zur Entwicklung von Hoden, setzen diese Testosteron frei, das die Ausbildung männlicher Samengänge unterstützt. Dazu werden weitere Hormone gebildet, welche die potenzielle Gebärmutter und die Eileiter schrumpfen lassen. Wenn die Gonaden sich aber in Richtung Eierstock entwickeln, sezernieren diese Östrogene, und der Mangel an Testosteron lässt die männlichen Anlagen schwinden. 

Die Sexualhormone steuern auch die Entwicklung der äußeren Genitalien und spielen insbesondere in der Pubertät bei der Entstehung der sekundären Geschlechtsmerkmale wie Brustdrüsen und Barthaare eine wichtige Rolle.

Jegliche Änderung in diesem Entwicklungsprozess kann einen dramatischen Einfluss auf das Geschlecht des Menschen haben. Genmutationen im Rahmen der Gonadenentwicklung können dazu führen, dass sich trotz XY-Chromosomen weibliche Merkmale entwickeln, und Veränderungen im Hormonsystem können die männliche Entwicklungslinie einleiten, obwohl XX-Chromosomen vorliegen.

Kampf der Geschlechter


Laut einigen Wissenschaftlern kann sich das Geschlecht lange Zeit nach Abschluss der eigentlichen Entwicklung auch wieder ändern. Nach Untersuchungen an Mäusen taumeln die Gonaden sogar ihr ganzes Leben lang zwischen männlich und weiblich hin und her. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2009 berichteten Wissenschaftler über die Inaktivierung des Gens Foxl2 in erwachsenen weiblichen Mäusen und wie sich hierdurch die Granulosazellen, die eigentlich die Entwicklung von Eiern unterstützen, in Sertolizellen umwandelten und die Spermienentwicklung einleiteten.

Zwei Jahre später zeigte ein anderes Forschungsteam die umgekehrte Reaktion, indem sie das Gen Dmrt1 inaktivierten und damit die Transformation von testikulären Zellen in ovariale Zellen erreichten. 

"Die Weiterentwicklung nach der Geburt war für uns ein großer Schock", erinnert sich Vincent Harley, der als Genetiker am MIMR-PHI Institute for Medical Research in Melbourne die Entwicklung der Gonaden untersucht.

Aber es gibt auch noch andere Ursachen für die Variationen in der Geschlechtsausbildung. 


Eine ganze Reihe von DSDs wird durch Veränderungen von Hormonsignalen der Gonaden und anderer Drüsen ausgelöst. Bei kompletter Androgenresistenz (CAIS) reagieren die Zellen nicht auf männliche Sexualhormone, meist weil die Funktion der Hormonrezeptoren gestört ist. Betroffene mit CAIS haben zwar ein Y-Chromosom und innen liegende Hoden, ihre äußeren Geschlechtsorgane sind aber weiblich, und sie entwickeln sich in der Pubertät zur Frau.

Die medizinische Definition von DSD (disorders of sexual development), beschreibt Besonderheiten und Störungen der Geschlechtsentwicklung, bei denen das anatomische Geschlecht einer Person nicht mit dem Geschlecht seiner Chromosomen und seiner Gonaden übereinzustimmen scheint – diese Bedingungen sind selten, und nur etwa einer von 4500 Menschen ist betroffen. 

Manche Wissenschaftler plädieren aber inzwischen auch dafür, die Definition zu erweitern und subtile anatomische Variationen einzuschließen, wie zum Beispiel eine leichte Hypospadie, bei der die Mündung der Harnröhre auf der Unterseite des Penis liegt und nicht an seiner Spitze. Wenn man alle diese möglichen Variationen betrachtet, zeigt jeder Hundertste eine Form der DSD, hat Vilain errechnet.

Aber das muss lange noch nicht alles sein. Seit den 1990er Jahren haben Forscher mehr als 25 DSD-Gene identifiziert, und Next-Generation-Sequencing hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Varianten aufgedeckt, die zu individuellen Unterschieden führen und nicht unbedingt als DSD anzusehen sind. "Aus biologischer Sicht ist das ein Spektrum", sagt Vilain.

Beim angeborenen androgenitalen Syndrom (CAH, congenital adrenal hyperplasia) beispielsweise produziert der Körper übermäßig viel männliche Geschlechtshormone. Betroffene mit XX-Chromosomen werden mit uneindeutigen Geschlechtsorganen geboren, wie einer vergrößerten Klitoris und mit Schamlippen, die ähnlich wie ein Skrotum verwachsen sind. Die Ursache ist in der Regel ein schwerer Defekt des Enzyms 21-Hydroxylase. Mutationen, die zu einer abgeschwächten, nichtklassischen Form des CAH führen, finden sich bei einer von 1000 Personen. Dabei kann es bei Frauen zu einer eher männlich anmutenden Gesichts- und Körperbehaarung kommen oder zu unregelmäßigen Monatsblutungen sowie Fertilitätsproblemen – es können aber auch keine Symptome auftreten. Derzeit sind viele Forscher vom Gen NR5A1 fasziniert, dessen Variationen unterschiedlichste Effekte verursachen, von unterentwickelten Gonaden bis hin zur leichten Hypospadie (angeborene Entwicklungsstörung der Harnröhre) bei Männern und zu vorzeitigen Wechseljahren bei Frauen.

Viele der Varianten werden nie erkannt oder nur, weil sich die Leute wegen Infertilität oder anderer Probleme in Behandlung begeben. 2014 wurde beispielsweise berichtet, dass Chirurgen im Rahmen einer Hernien-Operation bei einem Mann eine Gebärmutter entdeckten. 
Der Mann war immerhin schon 70 Jahre alt und hatte vier Kinder gezeugt.

Hoffe dieser Bericht gibt euch viele Erkenntnisse, verbleibe wie immer mit freundlichen Grüßen

Nikita Noemi

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