Sonntag, 25. September 2016

I thought I am the only monster in the world! /// Ich dachte, ich bin das einzige Monster der Welt!


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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«Ich dachte, ich bin das einzige Monster der Welt»

Elisabeth Müller sieht aus wie eine Frau. Aber wer sie so nennt, wird gleich gerügt. Denn sie ist ein Hermaphrodit, im Volksmund schlicht Zwitter, und kämpft dafür, dass Menschen wie sie nicht operativ zu Frau oder Mann manipuliert werden.

«Ich bin nicht Frau.» Wer Elisabeth Müller mit «Frau Müller» anspricht, wird umgehend zurechtgewiesen. Wie dann? «Entweder Elisabeth Müller, ich mache das auch gerne, dass ich Leute mit ihrem vollen Namen anspreche. Oder Hermaphrodit Müller.»

Gut. Aber ist Müller nun Organistin oder Organist, leitet sie oder er einen Chor in der Schenefelder Stephansgemeinde? «Ich bevorzuge Kirchenmusiker, die neutrale Form. ‹Sie› und ‹Ihr› ist in Ordnung, man kann ja auch nicht von ‹es› reden. Aber Frau geht nicht. Ich bin ein weiblicher Hermaphrodit, aber noch lange keine Frau», betont sie.

In ihrem Ausweis steht eines der beiden Geschlechter, «welches, können sie sich denken.» Das geht in Deutschland nicht anders. Elisabeth Müller sieht auch aus wie eine Frau. Aber sie hat xy-Chromosomen wie ein Mann, und bis zu einer Operation hatte sie auch kleine Hoden. Es gibt zwar einen Scheideneingang, aber weder Gebärmutter noch Eierstöcke. «Erst, wenn die Verstümmelungen und Menschenrechtsverletzungen an uns aufhören und wir eine menschliche Würde anerkannt bekommen, ist mir das egal. Dann kann man gerne Frau zu mir sagen.»

Im Umgang mit Hermaphroditen sind wir nicht geübt. Das liegt schon daran, dass viele gar nicht wissen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die weder Mann noch Frau sind. Und dass das kein Fehler ist. Schuld daran sind, da gibt es für Elisabeth Müller keinen Zweifel, die «Medizyner, so nenne ich sie, weil sie zynisch sind». Rund 100.000 Menschen in Deutschland werden weder als Frau noch als Mann geboren. «Es gibt unendlich viele Varianten, manche reden von 4000. Xy-Frauen wie ich sehen wie Frauen aus, haben aber einen männlichen Chromosomensatz.»

Andere haben weibliche Chromosomen und innere weibliche Geschlechtsorgane, sehen aber männlich aus. «Das ist das sogenannte Adrenogenitale Syndrom, die werden von Medizinern meist ziemlich brachial verweichlicht: das Genital abgeschnitten, eine künstliche Scheide angelegt, die Harnröhren, wie sie es für richtig halten. Sie wollen offenbar an der heiligen Kuh festhalten, dass der Mensch nur ein Mensch ist, wenn er Mann oder Frau ist.»

Dagegen wehrt sich Hermaphrodit Müller mit Händen und Füßen. Seit 1997 kämpft sie mit der Selbsthilfegruppe xy-Frauen gegen die Bevormundung durch die Medizin. Sie selbst war 24, als ein Arzt ihr die Hoden abnahm – angeblich wäre das Krebsrisiko sonst extrem hoch gewesen. «Erwiesenermaßen völlig falsch.» Durch die Behandlung sei sie erst krank geworden, betont sie, zumal sie zusätzlich noch mit Östrogenen behandelt wurde, also mit weiblichen Hormonen. «Die haben meinen Körper ganz kaputt gemacht. Er war ja Testosteron gewohnt.»
Krank bedeutete Depressionen, Veränderungen im Gehirnstoffwechsel, ein Gefühl wie weichgespült, Blutarmut. «Das Gehirn verlangte nach sehr viel Süßem und ich habe stark zugenommen.» Jetzt nimmt sie männliche Hormone, um die fehlende Produktion der Hoden auszugleichen. Das hilft.

Ungut hatte sich Elisabeth Müller immer gefühlt. Schlimmer: «Ich dachte, ich bin das einzige Monster auf der Welt.» Die ersten Erinnerungen an ihr Anderssein, das sind ständige Besuche in der Hamburger Uniklinik. «Ein unwürdiges Treiben, keiner hat richtig was dazu gesagt, aber ich habe gespürt, dass etwas abartig ist.» Das einzige, was ihre Mutter ihr sagte war, dass es Frauen gebe, die keine Kinder bekommen können. «Ich habe gespürt, dass ich dazugehöre, und dass ich meine Tage nicht bekommen werde.»

Mit 16 Jahren gab ihr ein Psychologe ein Buch über Zwitter und sagte die Schlagworte: «Männliche Keimdrüsen». Seitdem las sie viel und sprach mit niemandem darüber. Aber ihr schwante, dass sie doch nicht die einzige sein könnte, wenn es ein Buch über sie gab. «Ich konnte das logisch nicht fassen, war gefangen im tabuisierten, unlogischen Bereich. Das war völlig irre, hat mich moralisch kaputtgemacht», erzählt sie heute.

Hermaphrodit Müller ist heute hochdramatischer Sopran, spielt Orgel bei Hochzeiten und Beerdigungen und leitet Chöre. «Ich habe sehr hart gearbeitet, psychologische Schwerstarbeit», schildert sie ihren Weg dahin. «Als klassischer Sänger muss man offensiv mit dem Körper arbeiten, das geht auch psychisch ans Eingemachte, man muss sehr bei sich sein, sich sehr annehmen», beschreibt sie.

Nach der verhängnisvollen Operation begann sie sich zu öffnen, sprach mit Freunden, ihrer Mutter und mit ihrem Partner, mit dem sie damals zusammenlebte. Der hatte sich bis dahin nur darüber gewundert, wie sie so zuverlässig ihre Menstruation vor ihm verstecken konnte. Elisabeth Müller lacht schallend, als sie das erzählt. Sie lacht auch über die Nachbarin, die sie im Fernsehen gesehen hat und sich nicht so recht traut, das Wort «Zwitter» auszusprechen, oder über die Gerüchte, sie sei «lesbisch».

Wenn sie den Leuten heute sagt, «ich bin nicht Frau», staunen fast alle. Aber die meisten kapieren es, nur einige beharren auf dem weiblichen Vornamen. «Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, ihn zu ändern. Ich möchte mir jetzt nicht auch noch meine ganze Herkunft kaputtmachen, weil Mediziner sie kaputtmachen und Politiker das noch unterstützen», sagt sie.
Irgendwann hat ein Arzt damals einen anderen Betroffenen rausgerückt, wie Müller es nennt. Das war der Anfang der Selbsthilfe. Heute bieten die xy-Frauen telefonischen Erstkontakt für Menschen an, die verunsichert sind, sich vielleicht auch als einziges Monster auf der Welt fühlen.

So hat Elisabeth Müller auch Luzi Veit geholfen: Den Hermaphroditen, der jetzt den Schattenbericht über zwischengeschlechtliche Menschen an die Uno verfasst hat, im Rahmen des Cedaw-Berichtes, der regelmäßig die Gleichstellung von Frauen dokumentieren soll. Ein großer Erfolg für Hermaphrodit Müller und die Intersexuellen-Bewegung. Denn die Uno hat Deutschland nun aufgefordert, innerhalb von zwei Jahren offenzulegen, was sie gegen die Menschenrechtsverletzungen gegen Zwitter unternommen hat.

Die meisten Hermaphroditen leben völlig versteckt und isoliert. Die Selbstmordrate wird bei 20 bis 30 Prozent vermutet. Ein großer Teil der Hermaphroditen werde als Transsexueller behandelt, erklärt Müller. Dabei gebe es etwa zehnmal so viele Zwitter wie Transsexuelle. «Es ist sowas von erbärmlich, was da mit den Menschen gemacht wird», sagt sie. Und: «Es ist schon Gnade, dass ich so weit gekommen bin, wie ich bin. Ich hatte ein vergleichsweise leichtes Leben.»


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