Mittwoch, 7. September 2016

Paragraf 175: Maas kündigt Gesetzentwurf für Oktober an

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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Paragraf 175: Maas kündigt Gesetzentwurf für Oktober an
Im kommenden Monat will das Justizministerium einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Opfer der Schwulenverfolgung im Nachkriegsdeutschland vorlegen.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat am Dienstag bei der Haushaltsdebatte angekündigt, im kommenden Monat einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung von Opfern des Paragrafen 175 vorzulegen: "Rechtspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik", erklärte der saarländische Sozialdemokrat. "Ich werde deshalb noch im Oktober einen Gesetzentwurf vorlegen, um Männer, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt worden sind, endlich zu rehabilitieren." Sein Ministerium veröffentlichte dieses Zitat auch auf Twitter.
Maas hatte im Mai angekündigt, dass sein Ministerium einen derartigen Gesetzentwurf erarbeiten werde. Anlass war ein Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nach dem der Staat verpflichtet sei, die Unrechtsurteile gegen Männer, die Männer lieben, aufzuheben und die Opfer der Schwulenverfolgung zu entschädigen.

Im Juli legte Maas ein "Eckpunktepapier" vor. Demnach sollen einerseits verurteilte Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die einvernehmlichen Sex miteinander hatten, andererseits Erwachsene und Personen über 16 Jahre, die wegen einvernehmlichem Sex bestraft wurden, rehabilitiert werden. Diese Regelung orientiert sich am Schutzalter für Heterosexuelle. Nicht aufgehoben werden Verurteilungen, wenn Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt wurden oder Nötigung oder Gewalt im Spiel war.
Opposition macht Druck

Die Opposition mahnt bereits seit Monaten an, die Rehabilitierung zügig und umfassend zu beschließen. Die Linke warnte davor, inhaltliche Abstriche zu machen: "Ein extra Antrag der Betroffenen und eine Extra-Nachfrage über die Zusendung der Bestätigung sollten nicht notwendig sein. Für jeden Betroffenen sollte es auch von Amts wegen eine angemessene Entschädigung für die menschenrechtswidrige Verurteilung und deren Folgen geben", forderte die Linkenpolitikerin Carola Stange (queer.de berichtete). Die Grünen kündigten im August zudem an, einen eigenen Antrag im Bundestag einzubringen, um den Prozess zu beschleunigen (queer.de berichtete). Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck begründete den Zeitdruck mit dem fortgeschrittenen Alter vieler Verfolgunsopfer.

Noch ist unklar, wie weit sich Maas gegen Widerstände in CDU und CSU durchsetzen kann. Auch Art und Höhe einer Entschädigung sind noch völlig unklar. Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) fordert neben einer individuellen Entschädigung auch einen zweistelligen Millionenbetrag, der als kollektive Entschädigung im Rahmen eines Fonds Projekte für die Opfer des Paragrafen ermöglichen soll, etwa Beratungsarbeit.

Die Unionsfraktion hatte 2011 noch einen Antrag zur Rehabilitierung im Bundestag abgelehnt – angeblich aus verfassungsrechtlichen Gründen. In der Bundestagsdebatte erklärte damals der CDU-Rechtsexperte Ansgar Heveling, der Antrag auf Aufhebung aller Urteile sei ein Versuch, "rückwirkend die deutsche Rechtsordnung und damit unsere Rechtsstaatlichkeit" auszuhebeln (queer.de berichtete).

Die Debatte um die Rehabilitierung von Opfern der deutschen Schwulenverfolgung zieht sich bereits seit Jahren hin: 2000 hatte sich der Bundestag in einer einstimmig beschlossenen Resolution für die Schwulenverfolgung entschuldigt. Zwei Jahre später hob die damalige rot-grüne Bundesregierung gegen die Stimmen von Union und FDP die Urteile aus der Nazi-Zeit auf. Die rund 50.000 nach 1945 wegen ihrer Homosexualität verurteilten Männer gelten aber nach wie vor als vorbestraft, obwohl in der Bundesrepublik bis 1969 die Nazi-Version des Paragrafen 175 Bestand hatte. In der DDR gab es ebenfalls über 4.000 Verurteilungen aufgrund von Homosexualität – in den Siebziger- und Achtzigerjahren drohte in Ostdeutschland sogar lesbischen Frauen eine Bestrafung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung.


Paragraf 175: Fast alle Opferakten in NRW vernichtet
Viele Betroffene könnten bei einer Individualentschädigung ihre Verfolgung nur schwer nachweisen, zeigt eine Kleine Anfrage im Düsseldorfer Landtag.

Die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) geplante Entschädigung der Nachkriegsopfer des Paragrafen 175 könnte zu einer "Farce" werden, warnte die Linkspartei in NRW am Montag in einer Pressemitteilung. Anlass ist die Antwort von Landesjustizminister Thomas Kutschaty (SPD) auf eine Kleine Anfrage des fraktionslosen Abgeordneten Daniel Schwerd, der von den Piraten zur Linken gewechselt ist.

Durch Schwerds Initiative kam heraus, dass in Nordrhein-Westfalen die meisten Gerichts- und Kriminalakten zum Paragraf 175 nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen bereits vernichtet worden sind. Eine Durchsicht, ob überhaupt noch Akten vorhanden sind, sei in den letzten vier Jahren nicht erfolgt, so der Justizminister in seiner Antwort.
"Wer Unterdrückung aufarbeiten will, darf Akten nicht vernichten lassen"

Sollte es zu einer Rehabilitierung der nach 1949 verurteilten Homosexuellen kommen, könnten viele Betroffene bei einer Individualentschädigung ihre Verfolgung nur schwer nachweisen, schlussfolgerte die Linke. Das vor einigen Wochen vom Bundesjustizminister vorgelegte Eckpunktepapier schlägt zwar eine pauschale Aufhebung der Urteile vor, verlangt bei Entschädigungszahlungen jedoch eine individuelle Beantragung (queer.de berichtete).

Die Landesregierung habe der Vernichtung der Akten "tatenlos zugesehen", kritisierte die Linke, obwohl sich der Landtag bereits 2012 für eine Entschädigung und Rehabilitierung der in der Bundesrepublik verfolgten Homosexuellen aussprach. "Wer Unterdrückung aufarbeiten will, darf Akten nicht vernichten lassen und muss sich einen Überblick über vorhandene Aktenbestände verschaffen", erklärte Schwerd.

Angesichts der venichteten Unterlagen könne man von den Opfern nicht verlangen, ihre Verfolgung zu belegen, meinte der Landtagsabgeordnete. "Ich erinnere daran, dass es schon bei der Entschädigung für Zwangsarbeit für die Betroffenen nicht nur sehr zeitaufwändig, sondern nahezu unmöglich war, die notwendigen Nachweise zu erbringen. Eine nicht erfüllbare Nachweispflicht darf es nicht geben."

Bundesjustizminister Heiko Maas hatte für die Opfer des Paragrafen 175, die keine Nachweise vorlegen können, einen "Entschädigungsfonds für Härtefälle" vorgeschlagen.


§175: Linke warnt vor "inhaltlichen Abstrichen" bei Rehabilitierung
Die Thüringer Linken befürchten, dass die Bundesregierung die Rehabilitierung von verfolgten Schwulen hinauszögert und verwässert.

Die Linksfraktion im Thüringer Landtag will den Druck auf die Bundesregierung bei der Frage der Entschädigung von Opfern des Paragrafen 175 erhöhen. Das kündigte Karola Stange, die gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion, am Dienstag in Erfurt an.

Stange erklärte, dass sich gegenwärtig "schon wieder zeitliche Verzögerungen und inhaltliche Abstriche" andeuteten. "Deshalb müssen Landtag und Landesregierung entsprechende Bundesratsaktivitäten auf den Weg bringen", erklärte die 56-Jährige. In Thüringen führt die Linkspartei mit Ministerpräsident Bodo Ramelow eine rot-rot-grüne Koalition an.

Besonders eine mögliche Einzelfallprüfung wird von ihrer Partei abgelehnt, so Stange weiter: "Ein extra Antrag der Betroffenen und eine Extra-Nachfrage über die Zusendung der Bestätigung sollten nicht notwendig sein. Für jeden Betroffenen sollte es auch von Amts wegen eine angemessene Entschädigung für die menschenrechtswidrige Verurteilung und deren Folgen geben." Gesetzesinitiativen, die diese inhaltlichen Eckpfeiler nicht berücksichtigen, seien zwar Schritte in die richtige Richtung, "aber keine wirklich angemessene und faire Lösung".

Im Mai hatte ein von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebenes Gutachten gefordert, die in der Bundesrepublik gefällten Urteile nach Paragraf 175 generell aufzuheben (queer.de berichtete). Bundesjustizminister Heiko Maas kündigte daraufhin sofort einen Gesetzentwurf an (queer.de berichtete), vor der Sommerpause legte er dazu ein Eckpunktepapier vor (queer.de berichtete). Noch müssen die Details aber mit der Unionsfraktion abgestimmt werden, in der es Vorbehalte gegen eine generelle Aufhebung gibt. 2011 hatten CDU/CSU noch gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner FDP eine Rehabilitierung von Opfern des Paragrafen 175 im Bundestag abgelehnt, angeblich aus verfassungsrechtlichen Bedenken.


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