Sonntag, 4. September 2016

Weder Mann noch Frau: Wenn Kategorien versagen Intersexualität /// Neither male nor female: If categories fail intersexuality


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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Weder Mann noch Frau: Wenn Kategorien versagen
Intersexualität
Nach Schätzungen des Sozialministeriums leben in Niedersachsen 4.000 bis 6.000 Menschen, deren Geschlecht sich nicht eindeutig zuordnen lässt. Die Zahlen schwanken - je nachdem wie Intersexualität definiert wird. Der Deutsche Ethikrat hat in siner "Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen in Deutschland" 2012 festgehalten, "dass intersexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden." Außerdem hat er empfohlen, eine dritte Geschlechtskategorie im Personenregister einzuführen - neben "männlich" und "weiblich" etwa die zusätzliche Kategorie "anders". Seit November 2013 besteht die Möglichkeit, das Geschlecht eines Kindes nach der Geburt offen zu lassen. Ein Offenlassen sei aber keine Lösung, kritisiert die Unterstützergruppe "Dritte Option". Vielmehr solle die Identität anerkannt werden. In einigen Ländern, etwa in Neuseeland, Nepal und Indien, gibt es eine dritte Kategorie. Im Juli 2014 hat in Emden die erste vom Land geförderte Beratungsstelle für intersexuelle Menschen ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist Anlaufstelle für Eltern von intersexuellen Kindern und Erwachsenen. Weitere Informationen bieten auch die "Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität" und der Verein "Intersexuelle Menschen".

Vanja ist 25 Jahre alt, trägt kurze braune Haare, Brille und einen Bart. Wer versucht, Vanja in eine der Kategorien "männlich" oder "weiblich" zu pressen, kommt schnell an seine Grenzen. Es geht schlicht nicht. Vanja ist nichts davon oder beides; intersexuell - mit Anteilen beider Geschlechter. "Der 25-Jährige" oder "Die 25-Jährige"?  "Ich glaube, ich finde es immer ganz schön, wenn für mich Pronomen vermieden werden", sagt Vanja. Es gebe auch die Möglichkeit, von "er/sie" zu sprechen. Wenn das aber gar nicht ginge, dann doch lieber "er" als "sie".

Viele intersexuelle Kinder werden nach der Geburt operiert
Es gibt viele verschiedene Ausprägungen von Intersexualität - abhängig etwa von Chromosomen, Hormonen und Anatomie. Bei manchen Kindern kann das Geschlecht gleich nach der Geburt nicht eindeutig festgestellt werden. Oft werden sie dann operiert, damit sie zweifelsfrei in die eine oder andere Kategorie passen. Doch bei Vanja war es anders: "Meine Eltern haben mich als weiblich eintragen lassen, weil ich auch erst mal als weiblich wahrgenommen wurde."

"Ich fand das alles gar nicht seltsam"
Je älter Vanja wurde, desto mehr stellte sich heraus, dass er/sie sich doch nicht klar zuordnen ließ und auch nicht zuordnen lassen wollte. Die Stimme wurde tiefer, dem "Mädchen" wuchs ein Bart. "Ich glaube, ich fand das für mich selber gar nicht so seltsam. Es war einfach so", erinnert sich Vanja. Problematisch sei eher die Reaktion von anderen gewesen: "Es gibt dann so Jungs- und Mädchengruppen und Jungs- und Mädchenspiele und wenn das dann da alles nicht so rein passt, dann reagieren Leute schon manchmal komisch."

"Es stimmt einfach nicht, dass es nur Männer und Frauen gibt"
In Vanjas Ausweis steht, dass er/sie eine Frau ist. Doch das will Vanja ändern lassen. Deshalb hat er/sie beim Standesamt in Gehrden (Region Hannover) beantragt, dass der Eintrag in der Geburtsurkunde in "inter/divers" geändert wird. "Es stimmt einfach nicht, dass es nur Männer und Frauen gibt. Ich bin keine Frau in dem Sinne."  "Ist doch egal, was im Ausweis steht" könnte jetzt eine Antwort sein. Aber das ist Vanja eben nicht egal. Es geht um eine rechtliche Anerkennung der Identität. "Bei den sinnlosesten Sachen wird erwartet, dass Angaben zum Geschlecht gemacht werden, sogar wenn ich ein Zugticket im Internet bestelle", sagt Vanja. Jedes Mal müsse er/sie falsche Angaben machen. "Es ist immer irritierend und passt einfach nicht."

Vanja ist bewusst an die Öffentlichkeit gegangen
Diskriminierung im Alltag erlebt Vanja immer wieder, auch wenn sie oft gar nicht als solche gemeint ist. "Von öffentlichen Toiletten, wo es kompliziert wird, bis hin zu Klamottenläden, die streng nach Geschlechtern getrennt sind". Doch am meisten treffen Vanja Aussagen wie "So was gibt es doch gar nicht"  und "Was bist du denn nun wirklich". Auch deshalb hat er/sie entschieden, nicht klammheimlich beim Gehrdener Standesamt die Änderung zu beantragen, sondern an die Öffentlichkeit zu gehen. "Es ist ein Kreislauf, der sich gegenseitig bestärkt: Menschen, die nicht Männer oder Frauen sind, trauen sich nicht, darüber zu sprechen oder sollen sich anpassen, damit sie nicht auffallen." Und weil niemand darüber rede, fühle sich der Rest darin bestätigt, dass es ja nur Männer und Frauen gibt.

"Es gibt noch viel Unwissen und Vorurteile"
Vanja ist nicht alleine. Er/sie wird unterstützt von der Gruppe "Dritte Option". Die Mitglieder halten Vorträge zu Intersexualität und klären auf. Das Thema sei mittlerweile zwar schon bekannter, trotzdem gebe es immer noch viel Halbwissen und Vorurteile, sagt Unterstützer Moritz.

Unterstützergruppe will bis vor der Bundesverfassungsgericht ziehen
Noch wartet Vanja auf eine Entscheidung über den Antrag. Die Gruppe ist aber fest entschlossen, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, sollte es nötig werden - und rechnet sich gute Chancen aus: "Unsere Argumentation ist juristisch recht wasserdicht", sagt Louis, einer der Anwälte der Gruppe. Der Deutsche Ethikrat habe bereits anerkannt, dass es Menschen gibt, die nicht in die Kategorien "männlich" oder "weiblich" passen. "Wenn das zugestanden wird, dann muss es diesen Personen auch ermöglicht werden, ihre Identität im Ausweis eintragen zu lassen." Es sei nur die Frage, wann sich ein Gericht findet, das sich traut, die ungewöhnliche Entscheidung zu treffen.


Vanja kämpft weiter für das dritte Geschlecht
Der Rechtsstreit um die Feststellung des Geschlechts der intersexuellen Person Vanja geht in die nächste Runde. Vanja hatte beim Amtsgericht Hannover die Eintragung eines dritten Geschlechts erstreiten wollen. Das lehnte das Gericht in einem schriftlichen Verfahren ab. Die Angabe des Geschlechts mit "inter" oder "divers" sei gesetzlich nicht vorgesehen, hieß es im Oktober. Nun hat Vanja Beschwerde eingelegt. Der Fall geht damit zum Landgericht in Hannover.

Nicht Frau, nicht Mann
Vanja hatte bewusst den Weg an die Öffentlichkeit gewagt, um auf alltägliche Diskriminierungen aufmerksam zu machen. Oft, so Vanja, seien sie gar nicht als solche gemeint. Vor öffentlichen Toiletten etwa werde es für Vanja - weder Mann, noch Frau - immer kompliziert. Vanja trägt Anteile beider Geschlechter in sich. Die Eltern nahmen Vanja als Mädchen wahr, doch wuchs ihrem "Mädchen" schon bald ein Bart. Die Entscheidung, nach einer Ablehnung vom Amtsgericht Beschwerde einzulegen, war schnell getroffen. "Wir haben schon damit gerechnet, dass das Amtsgericht den Antrag ablehnen wird", sagte ein Sprecher von Vanjas Unterstützergruppe im Oktober. Sie wollen im Zweifel bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um eine dritte Kategorie durchzusetzen.

"Inter" oder "Divers" gibt's im Gesetz nicht
Das Amtsgericht Hannover hat im Fall "Vanja" die Eintragung eines dritten Geschlechts abgelehnt. Der/die 25-Jährige hatte mit einem Antrag erreichen wollen, dass in der Geburtsurkunde die Geschlechtsangabe von "weiblich" in "inter" oder "divers" geändert wird. Die Richterin entschied in dem schriftlichen Verfahren, dass die Angabe "inter" oder "divers" gesetzlich nicht vorgesehen ist. Eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht sei nicht notwendig, da nicht zu erkennen sei, dass die gesetzliche Regelung gegen die Verfassung verstößt, so die Richterin. Gegen die Entscheidung kann Beschwerde eingereicht werden.

Eine politische, keine rechtliche Frage

Das sogenannte Personenstandsgesetz erlaube mittlerweile zwar, dass der Eintrag nach der Geburt ganz offen gelassen wird; aber eben nicht die sogenannte dritte Kategorie. "Die Frage nach einer dritten Option im Pass ist momentan eine politische Frage, keine rechtliche", sagte Amtsgerichtssprecher Jens Buck NDR 1 Niedersachsen. Um einen dritten Eintrag möglich zu machen, müsste das Gesetz geändert werden.

Eltern ließen das Kind als Mädchen eintragen
Geschätzt 4.000 bis 6.000 Menschen in Niedersachsen können und wollen nicht in die eine oder andere Kategorie gesteckt werden, denn ihre Körper haben Merkmale beider Geschlechter - sie sind intersexuell. In ihrem Ausweis müssen sie sich aber für "männlich" oder "weiblich" entscheiden. So geht es auch Vanja. Die Eltern haben das Kind als Mädchen eintragen lassen; obwohl das so nicht stimmt. Deshalb beantragte Vanja nun im Alter von 25 Jahren vor dem Standesamt Gehrden, dass der Eintrag in der Geburtsurkunde in "inter/divers" geändert wird. Die Behörde hatte den Antrag zur Entscheidung an das Amtsgericht Hannover weitergeleitet.

 
Nächste Instanz ist das Landgericht

"Wir haben schon damit gerechnet, dass das Amtsgericht den Antrag ablehnen wird", so eine Sprecher von Vanjas Unterstützergruppe. Daher seien sie nicht enttäuscht. Die Gruppe will die Entscheidung des Amtsgerichts aber nicht hinnehmen und Beschwerde einlegen. Dafür hat sie nun einen Monat Zeit. Als nächste Instanz muss sich dann das Landgericht Hannover mit dem Fall beschäftigen. Vanja und seine/ihre Unterstützer wollen sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um eine dritte Kategorie durchzusetzen.

Oberlandesgericht: Kein "inter" als Geschlecht
Es geht um ein einzelnes Wort: In Vanjas Geburtsurkunde soll die Angabe "weiblich" gestrichen und stattdessen "inter/divers" eingetragen werden. Diesen Antrag hatte der 25-jährige Vanja im Sommer im Standesamt Gehrden (Region Hannover) beantragt, ohne Erfolg. Die Behörde hatte den Antrag zur Entscheidung an das Amtsgericht Hannover weitergeleitet, das die Eintragung eines dritten Geschlechts im Oktober ablehnte. Die Angaben "inter" oder "divers" seien gesetzlich nicht vorgesehen, erklärte die Richterin damals. Nun hat auch das Oberlandesgericht Celle die Beschwerde zurückgewiesen. 

 "Drittes Geschlecht nicht vorgesehen"

Das Gericht urteilte, dass die Voraussetzungen für einen solchen Eintrag nicht vorlägen. Wenn ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sei, dann könne die Angabe des Geschlechts zwar offenbleiben, ein drittes Geschlecht "divers" oder "inter" sei jedoch nicht vorgesehen. Vanja könne demnach, so das Gericht, eine Streichung des Eintrags "weiblich" erreichen.
Im Notfall bis vor das Bundesverfassungsgericht
Vanja wird von der Initiative "Dritte Option" unterstützt. Um eine dritte Kategorie durchzusetzen, wollen sie nun gemeinsam vor den Bundesgerichtshof ziehen. Der Staat müsse geschlechtliche Identitäten jenseits von Frau und Mann anerkennen. In Deutschland haben nach Angaben des Bundesverbandes Intersexueller Menschen rund 80.000 bis 120.000 Menschen zugleich männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale.

 Nicht Frau, nicht Mann

Vanja hatte bewusst den Weg an die Öffentlichkeit gewagt, um auf alltägliche Diskriminierungen aufmerksam zu machen. Oft, so Vanja, seien sie gar nicht als solche gemeint. Vor öffentlichen Toiletten etwa werde es für Vanja - weder Mann, noch Frau - immer kompliziert. Vanja trägt Anteile beider Geschlechter in sich. Die Eltern nahmen Vanja als Mädchen wahr und ließen ihn bei der Geburt als Mädchen registrieren. Doch wuchs ihrem "Mädchen" schon bald ein Bart. Er sieht sich weder als Mann noch als Frau. Es stimme einfach nicht, dass es nur Männer und Frauen


Fall Vanja: BGH gegen drittes Geschlecht
Ist Vanja eine Frau oder ein Mann? Aus Vanjas Sicht keines von beiden. Zwar wurde 1989 in das Geburtenregister das Geschlecht "Mädchen" eingetragen, doch eine Antwort auf die Geschlechter-Frage ist für sie oder ihn nur schwer zu geben. Vanja aus der Nähe von Hannover will sich nicht zwischen den beiden Kategorien entscheiden müssen. Vanja ist intersexuell und kämpft nun bereits seit Jahren dafür, sich als Geschlecht eine dritte Variante wie "inter" oder "divers" in die Geburtsurkunde eintragen zu lassen. Doch das hat nun auch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe abgelehnt - eine Entscheidung, die der Unterstützerkreis "Dritte Option" nicht akzeptieren will. Die Kampagne hat eine Verfassungsklage für September angekündigt.
Weiteres Geschlecht nicht Wille des Gesetzgebers
Seit November 2013 ist es möglich, das Geschlecht eines Neugeborenen offenzulassen, wenn eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist. Mehr erlaubt das "binäre Geschlechtersystem" der deutschen Rechtsordnung aber nicht - so die Auffassung der BGH-Richter. Die Schaffung eines weiteren Geschlechts entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers. Vanja habe allerdings die Option, das Geschlecht "Mädchen" nachträglich aus dem Geburtenregister löschen zu lassen.

 Eine Ablehnung nach der anderen

Vanjas juristischer Weg nahm seinen Anfang im Sommer 2014 am Standesamt Gehrden (Region Hannover). Dort hatte "er" - wenn Vanja sich entscheiden müsste, wäre das das am ehesten passende Pronomen - den Antrag auf eine dritte Kategorie zunächst gestellt. Die Behörde reichte den Antrag zur Entscheidung an das Amtsgericht Hannover weiter. Das lehnte ab - genauso wie die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Celle.



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