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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
Hey Du hast es und brauchst es,
deswegen Spende Blut, denn es fehlt in der ganzen Welt!
Ich habe Ihn, Du auch?
Organspenden können andere zum Leben verhelfen, sei stolz auf dich selbst mache
Ihn Dir den Organspende Ausweis!
Hey you have it and need it, so donating blood,
because it is missing in the world!
I
had him, you also? Organ donation can help others to life, be proud of your self
doing Him Get donor card!
Das dritte
Geschlecht
Marktfrauen in JuchitanAusgerechnet in Mexiko, dem Land des
"Machismo", gibt es eine Stadt, in der augenscheinlich alte
matriarchale Strukturen überlebt haben.In Juchitán geben die Frauen den Ton an:
Eigensinnig und selbstbewusst prägen sie eine Kultur des gesellschaftlichen und
ökonomischen Miteinander, die sich dem weltweit vorherrschenden Konkurrenz- und
Wachstumsdenken erfolgreich widersetzt. Am Beispiel der Frauen von Juchitán
wird deutlich, dass es zu unserer patriarchalisch geprägten - und in vielem selbstzerstörerischen
- "Normalität" lebbare Alternativen gibt.
Juchitán kennt mehr als nur zwei Geschlechter. Nicht nur ist
die Bisexualität sehr verbreitet1 sondern es stehen auch andere, bei uns
homosexuell definierte gesellschaftliche " Rollen " zur Verfügung,
der "Muxe'" und die "Marimacha". Aber nichts ist starr in
dieser Gesellschaft, nichts fügt sich einer Normierung. Der Muxe' kann auch
verheiratet sein und Kinder haben und bleibt doch ein Muxe', während sein
Geliebter einfach als "Mann " gilt. Die Marimacha kann wie ein Mann
auftreten, dennoch gibt es auch weibliche Marimachas.
Auf seiner Wanderung von Süd- nach Nordamerika trug der
heilige Vicente Ferrer, Schutzpatron von Juchitán, einen großen Sack voller
"putos" (Schwule) auf dem Rücken. In Kolumbien, Zentralamerika und
Guatemala soll er je einen von ihnen abgesetzt haben. In Juchitán aber sei der
Sack gerissen. Deshalb gäbe es hier so viele. Das ist die Geschichte, die die
Muxe's von Juchitán erzählen, wenn man sie fragt, warum die männliche
Homosexualität hier eigentlich so sichtbar sei.
Die Muxe's haben einen gesellschaftlich akzeptierten,
anerkannten Platz in Juchitán. Dies ist um so erstaunlicher, als im übrigen
Mexiko mit seinem Männlichkeitsideal des "Machismo" Homosexualität
durchgängig stark diskriminiert wird. Dieser "Abweichung" ist man
sich in Juchitán voll bewusst. Lachend und mit unverhohlenen Gesten werden die
Fremden auf die Muxe's aufmerksam gemacht, was in der Regel völlig überflüssig
ist, denn deren Aufmachung und aufreizendes Verhalten sind nicht zu übersehen.
Und wie auf viele andere Eigenheiten auch, ist man in Juchitán stolz auf diesen
Unterschied. Das ungenierte Hindeuten auf die Muxe's ist Bestandteil des
Verhaltenskodex der Akzeptanz. Kreischend freuen sich die Frauen über die
anzüglichen Späße und Gesten der " afeminados "‚ der sich weiblich
gebenden Männer.
Auf dem nordamerikanischen Kontinent ist das Phänomen der
akzeptierten männlichen Homosexualität von vielen Gruppen der
nord-amerikanischen Indianer bekannt. Deshalb wird sie auch häufig als
"institutionalisiert" bezeichnet (Whitehead 1981; Lang 1990). Bekannt
ist aus diesem Zusammenhang auch die seltsame Mischung aus anzüglicher Erotik
und derben Späßen einerseits sowie der Übernahme ehrenvoller Aufgaben und
würdevollem Verhalten andererseits.
Wer ist ein Muxe'?
Ich hatte bereits viele Transvestiten in den Straßen von
Juchitán gesehen, als ich bei meinem ersten Besuch einer Vela (großes Fest)
feststellte, dass die Formen des Muxe'-Seins überaus vielfältig sind. Es war
die "Vela Lopez" im Jahre 1983, und Miguel Lopez Lena war Gastgeber
in einem doppelten Sinne. Er war Mayordomo und zugleich Besitzer des riesigen
Ballsaales, des sogenannten Salon, einer großen Halle, in die er eingeladen
hatte. Miguel empfing an der Seite seiner Mutter die Gäste, die ihm
freundschaftlich-respektvoll die Hand schüttelten: einem Mann, von etwa dreißig
Jahren, mittelgroß, mit einer Anlage zum Fülligsein, aber noch
wohlproportioniert. Von den übrigen Männern unterschied er sich lediglich durch
den schweren Goldschmuck, den er um Hals, Armgelenke und an den Fingern trug.
Wie bei seiner Mutter und bei vielen der Besucherinnen bestand die Kette aus
dicken Goldmünzen.
Bis zu diesem Abend hatte ich die Haltung der Juchitecos
gegenüber den Muxe's als besonders großherzige Toleranz verstanden. Nun musste
ich feststellen, dass meine Interpretation nur von den eigenen kulturellen
Mustern geprägt war. Miguel wurde mit so viel Respekt behandelt, und er
strahlte eine solch selbstverständliche, lässige Autorität aus, man begegnete
ihm mit so viel unverstellter Zuvorkommenheit, dass "Toleranz" dafür
ein viel zu abfällig gefärbtes Wort war.
Er hatte in dieser Gesellschaft offensichtlich einen
anerkannten Platz, ohne jegliche Abstriche.
Liegt es daran, dass er aus einer reichen Familie stammt und
selbst wohlhabend ist? Oder liegt es daran, dass er mit Ausnahme des Schmucks
und eines gewissen manierierten Verhaltens und Sprachstils, nicht mit dem Kodex
der männlichen Erscheinungsform bricht?
Zwei junge Männer auf dem Markt lassen mich erkennen, dass
die Zusammenhänge in Juchitán grundsätzlich anderer Natur sind.
Den einen erkenne ich erst nach Monaten, aufgrund der
inzwischen gewonnenen Erfahrung, als Muxe'. Er ist
"Fruchtverkäuferin" und trägt die typische Frauen-Tracht. Dieses
"Mädchen" war mir schon lange aufgefallen. Es war im Vergleich zu
seinen "compañieras" geradezu erbärmlich dünn, schminkte sich nicht,
trug selten eine Blume, und das halblange Haar hing immer lose herunter,
anstatt in Zöpfen geflochten zu sein. Alles, was ich als Antwort bekomme, als
ich nach der ungewöhnlichen Kleidung des jungen Mannes frage, ist: "Dieser
Junge ist sehr fleißig". Daraus klingen große Anerkennung und Respekt.
Mehr scheint es über ihn nicht zu sagen zu geben. Diese Meinung höre ich häufig
über einzelne wie auch über die Muxe's insgesamt. Sie gelten als besonders
arbeitsam, und zwar in den Frauendomänen. Hier steht ein Mann seine
"Frau" und wird dafür anerkannt.
Nicht der Geschlechtsrollenwechsel ist das Thema, sondern
die gelungene oder misslungene Erfüllung der Verpflichtungen, die man damit
übernimmt.
Gleichberechtigung einmal andersherum?
Der andere junge Mann auf dem Markt, den ich im Blick habe,
arbeitet als "regatona", er verkauft Brot und mit kleingehacktem
Fisch gefüllte Paprikaschoten, die er selbst zubereitet. Er trägt Hosen,
T-Shirt und darüber eine Schürze, die langen Haare zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden - und als Gipfel der Verwegenheit schon einmal ein buntes
Stirnband. Er gluckt, ganz nach Art der Marktfrauen, immer mit den
"muchachas" aus der Umgebung seines Verkaufsplatzes zusammen, ganz
offensichtlich wohl gelitten und gut integriert.
Die Achtung und der Respekt, die ihm entgegengebracht
werden, sind für Alfredo ein ganz bewusstes, explizites Kriterium für sein
Wohlbefinden. Er weiß, wie die anderen Muxe's auch, dass dies im übrigen Mexiko
alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb betont er während
unserer Gespräche immer wieder, dass man ihn schätzt, achtet, liebt.
Er braucht täglich eineinhalb bis zwei Stunden, um sich
fertigzumachen. Wortreich entschuldigt er sich, dass er einer kurzfristig
ausgesprochenen Einladung nicht folgen konnte, weil sie zu spät kam und ihm
keine hinreichende Zeit zum Schminken ließ. Das sagt er klipp und klar, das
heißt, seine Bedingungen sind für ihn bindend, naturgegeben. Entsprechend
gefestigt ist sein Selbstbewusstsein.
Alfredo erklärt seine tuntige Homosexualität damit, dass er
so geboren worden sei. "Ich wurde so geboren. Ich bin so, soweit ich mich
zurückerinnern kann. Mit zehn Jahren habe ich schon mit den Jungen geflirtet.
Ich lebe glücklich, sowie ich bin, denn in meiner Familie straft mich niemand,
niemand demütigt mich. Sie akzeptieren mich, so wie ich bin."
"Ich habe nie Männerarbeit getan. Ich betrachte mich
als Frau, deshalb kann ich nichts anderes tun, das ist reine Wahrheit. Und
meine Familie betrachtet mich als Frau. Denn was immer passiert, ich kann ihnen
in ihren Angelegenheiten helfen. Dann stehe ich ihnen bei, und so sehen sie
mich auch."
Zusammen mit seiner Schwester und seinem Schwager, der
Schneider ist, und deren zwei Kindern bildet er einen Haushalt. "Das
Ökonomische halten wir nicht getrennt. Wir arbeiten zusammen. Unser bisschen
Geld handhaben wir gemeinsam. Es reicht. Obwohl ich mit dem Sticken nicht viel
verdiene, komme ich doch über die Runden. Es reicht, um das zu tun, was mein
Herz mir sagt."
Muxe's, ihre Männer und ihre Frauen
Mit Alfredo diskutiere ich, wer ein Muxe' ist.
Er klärt mich darüber auf, dass nur ein Teil des
homosexuellen Paares als Muxe' gilt, der andere ist schlicht ein Mann: Ein
Mann, der mit einer Frau lebt, aber zugleich ein Verhältnis mit einem Muxe'
eingeht, ist ein Mann.
Aber es gibt auch Männer, die niemals Beziehungen mit Frauen
haben, sondern in einer festen Paarbeziehung mit einem anderen Partner, mit
einem Muxe', zusammenleben, die dennoch als Mann, als ‚hombre' gelten und nicht
als Muxe'. Um meine Verwirrung komplett zu machen, gibt es aber auch Männer,
die fest mit einer Frau zusammenleben, die verheiratet sind, Kinder haben und
dennoch als Muxe' gelten.
Alfredo hat zu all diesen Lebensformen und möglichen
Kombinationen von Geschlechtsidentitäten eine klare Meinung. Zum einen ist er
dagegen, in einer festen Paarbeziehung mit einem Mann zu leben. "Sie leben
mit dem Muxe', weil der arbeitet, und zwar für ihren Unterhalt, weil der ihnen
alles gibt, was sie wollen. Ich will nicht, dass mir so etwas passiert. Und ich
mag nicht mit einem Mann zusammen auf ein Fest gehen - hinterher, nach dem
Fest, in der Nacht, dann schon; aber mit ihm zusammen hingehen, nein. Denn ich
gehe ja auf das Fest, um mich mit meinen Freundinnen zu unterhalten, um mit
ihnen zu trinken und zu tanzen. Ich mag nicht, dass mir ein Mann dann Zeichen
macht, dass er an mir herumzerrt. Das gefällt mir nicht. Wenn ein Muxe' fest
mit einem Mann zusammenlebt, als Ehemann, dann kann er nichts mehr unabhängig
tun, nicht mehr ohne seine Erlaubnis ausgehen. Ich möchte aber frei wie eine
Schwalbe sein."
Zur Geschichte der Homosexualität in Amerika
Die gesellschaftlich sichtbare männliche Homosexualität
scheint bei fast allen Völkern des von den Europäern entdeckten amerikanischen
Kontinents verbreitet gewesen zu sein. Es gibt kaum einen Chronisten der
Eroberungszeit, der nicht davon zu berichten wüsste. Die Sexualität zwischen
Männern, die sie meist unmittelbar mit Analverkehr gleichsetzen, galt den
Spaniern als "pecado abominable"‚ verabscheuungswürdige Sünde.
Entsprechend berichteten die Konquistadoren über ihre Bemühungen, dieses
schändliche Laster ("vicio nefando") auszurotten, indem sie die
Menschen bestraften, sie bei der Inquisition verbrannten, überall gegen die
Sünde predigten und jegliche Abbildungen zerstörten.
In Juchitán herrscht das Diesseits, gilt der Augenblick, man
lebt die Gegenwart in ganz anderer Weise als bei uns. Das Morgen, das Leben für
ein Einlösen der Hoffnungen in der Zukunft, das unsere christliche
Verhaltensweisen bestimmt, vermag bei den Zapoteken des Isthmus nicht Einzug zu
halten. Dieser Haltung entspricht, dass es in Juchitán keine rigide Norm gibt,
kein abstraktes Regelwerk, welches das richtige und gute Tun definiert, das
allein Erlösung, Gratifikation oder Entwicklung garantieren könne.
Die wichtigste Instanz für das richtige oder falsche Verhalten
ist die öffentliche Meinung. Allerdings hat diese öffentliche Meinung
ihrerseits den Vorteil, dass sie sich nicht an starren Normen orientiert,
sondern, den realen, vielfältigen Verhältnissen entsprechend, selbst flexibel
ist. Man spricht ständig übereinander, aber auch miteinander, deshalb kann man
Verständnis für die spezielle Situation des anderen aufbringen. Nicht zuletzt
dieser Umgang mit den Normen verpflichtet die Menschen aufeinander und
verstärkt den gemeinschaftlichen Charakter.
Francisco Guerra, Mediziner und Psychiater, weist noch auf
eine andere wichtige Funktion dieser Moral, die diesseitig, gegenwartsbezogen
und an die Gemeinschaft gebunden ist, hin. Es ist die therapeutische, heilende
Wirkung, die Befreiung von seelischen Konflikten, die im Öffentlichwerden von
Ereignissen und Lebensumständen liegt.
Einerseits wird die Öffentlichkeit gefürchtet. Andererseits
aber bleibt nichts verborgen, und deshalb geschieht der Prozess des
Öffentlichmachens, der Erleichterung und Läuterung ständig.
Sexualität und Rationalität
Wer homosexuell ist, hat keine Vernunft, keine
"ratio" und kann deshalb versklavt werden. Auf diese Formel kann die
Diskussion in Spanien über die Berechtigung der Unterwerfung der einheimischen
Völkerschaften des neuentdeckten Kontinents gebracht werden. Es gab Befürworter
und Gegner dieser Anschauung. Homosexualität war das Thema der Konquista.
Spanien hatte durch die Bulle des spanischen Papstes
Alexander VI. "Inter cetera" von 1493 die Herrschaft über die Neue
Welt übertragen bekommen, verbunden mit der Verpflichtung, die amerikanischen
Indianer im katholischen Glauben zu unterweisen.
Ihr Heidentum lieferte den Grund für Krieg, Eroberung und
Besetzung ihres Gebietes. Diese Legitimation aber stand hinsichtlich ihrer
Logik auf schwachen Beinen.
Wie konnte die vorgebliche Weigerung der amerikanischen
Völker, den christlichen Glauben zu übernehmen, Grund für Krieg und Eroberung
sein, wenn sie bis dahin überhaupt nicht mit dem Christentum in Berührung
gekommen waren, wenn sie es gar nicht kannten, wenn es ihnen gar nicht
gepredigt worden war?
Dies war der Hintergrund der Argumentation von Las Casas,
des Verteidigers der Indios, der für eine friedliche, freiwillige
Christianisierung durch Überzeugungsarbeit plädierte.
Das Gegenargument, prominent vertreten durch Sepulveda,
lautete kurz zusammengefasst:
Die Indios sind gar keine Menschen, denn es fehlt ihnen an
Vernunft. Deshalb sei es Rechtens, sie kriegerisch zu unterwerfen. Diejenigen,
die eine höhere Intelligenz haben, seien von Natur aus die Führer und Herren
über die anderen; diejenigen mit mangelndem Urteilsvermögen von Natur aus Sklaven.
Ein wichtiger Beweis dafür, dass die einheimischen
Völkerschaften Amerikas von mangelndem Urteilsvermögen, von mangelnder
"ratio" seien, war die "Sünde wider die Natur". Selbst wenn
sie noch nichts vom christlichen Glauben hätten gehört haben können, so gäbe es
dennoch christliche Züge in einem rein menschlichen Urteilsvermögen, die in der
Natur des Menschen lägen. Würde gegen sie verstoßen, dann wären diese Wesen von
Natur aus nicht vernunftbegabte Menschen, sondern eben Sklaven.
Hier können wir am Beginn der Neuzeit gleich das neue
Verständnis von "Natur" an historisch richtungweisender Stelle
finden. Die Natur wird definiert; sie ist nicht mehr die große, lebensspendende
Unbekannte, über die die Menschen etwas in Erfahrung bringen, von der sie lernen
und an die sie sich anpassen, sondern das, was sie ist, wird festgelegt.
Damit ist einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg der
Entstehung und absoluten Vorherrschaft der Naturwissenschaft in den nächsten
Jahrhunderten vollzogen.
Man definiert in Naturgesetzen, wie die Natur vorgeblich
beschaffen ist!
Sie wird "rationalisiert", in der ursprünglichen,
wie der modernen Bedeutung des Wortes. Die Entmystifizierung geht mit dem
Verlust der Achtung vor der Natur einher, sie wird nun rational nutzbar,
ausplünderbar.
Sepulvedas Argument, warum die Unterwerfung der
einheimischen amerikanischen Völker berechtigt sei, nimmt also bereits die
Denkfigur des Biologismus an, die gerade uns Frauen so bekannt ist.
Moralische, kulturelle und herrschaftsbedingte Urteile
werden verabsolutiert, als objektiv und universal gültig hingestellt, indem sie
als "natürlich" definiert werden. Und im nächsten Schritt wird als
Rechtfertigung dafür, warum die Arbeit von Frauen und Sklaven unentgeltlich
getan werden muss, auf die Natur verwiesen.
Das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert, die Beendigung
des Mittelalters und der Anbruch der Neuzeit legten die Grundlagen der modernen
Weitsicht. Der rassistische Diskurs, wie er heute in Termini von Entwicklung
und Unterentwicklung fortgesetzt wird, ist ein wesentlicher Baustein in diesem
Prozess. Vor dem fünfzehnten Jahrhundert war die Welt weniger in gegensätzliche
Rassen, sondern mehr in "Christen" und "Ungläubige"
geteilt. Mit der Eroberung Amerikas aber wird eine gesamte Rasse als niedrig,
von mangelnder "ratio" stigmatisiert.
In derselben Zeit entsteht auch der sexistische Diskurs, der
ebenso unausweichlich zum modernen Weltbild gehört wie der Rassismus. Der Frau
fehle es qua Geschlecht an Urteilsvermögen. Ursache für die mangelnde
Rationalität sei ihre Sexualität, die sei nämlich unersättlich, steht im
Hexenhammer, dem Strafgesetzbuch für die Gerichtsverfahren gegen die Hexen
(Institoris und Sprenger 1486/87, in: Becker et al. 1980).
Konquista und Hexenverfolgung gehören nicht nur zeitlich
zusammen, sondern sie haben auch den gleichen geistesgeschichtlichen
Entstehungszusammenhang. Bindeglied ist der Diskurs über Sexualität und
Rationalität.
Sexualität wird als Gegensatz von Vernunft definiert, und
zwar die nicht reglementierte, nicht patriarchalisch kontrollierte Sexualität.
Nur eine einzige, reduzierte, gezähmte, vergewaltigte Form
der Sexualität bleibt übrig, die nicht im Gegensatz zur Vernunft steht, die
Fortpflanzungssexualität, die zugleich unterworfene weibliche und
Zwangsheterosexualität ist.
Kurz, die Männerherrschaft über die Frauen ist in der
Moderne eng mit der Feindseligkeit gegenüber der Homosexualität verknüpft, und
beides wiederum mit der spezifischen Rationalität der Entwicklungs- und
Wachstumsideologie.
Dass die institutionalisierte männliche Homosexualität in
Mesoamerika und bei den nordamerikanischen Indianern insgesamt durch die
Kolonialisierung und die moderne Entwicklung sehr gelitten hat, ist nicht
weiter verwunderlich. Schließlich ist die Gesellschaft der anstürmenden
europäischen Kolonialmächte kriegerisch-patriarchalisch und zweck-rational
orientiert.
Ein entscheidender Mechanismus dieser Herrschaft ist die
frauenstrafende, aber auch männerbindende moderne Zwangsheterosexualität.
Deshalb leidet die soziale Stellung der männlichen
Homosexualität nicht nur unter dem Verlust des weiblichen Status, sondern es
gilt auch das Umgekehrte. Der Sodomiediskurs begleitet und rechtfertigt
unzählige Maßnahmen und Handlungen, die die moderne Frauenunterdrückung in der
Neuen Welt etablieren.
Das dritte Geschlecht
In Juchitán wie bei den mesoamerikanischen und den
nordamerikanischen Indianern ist es die Arbeit, die für die übrige Gesellschaft
das Geschlecht eines Individuums definiert. Anders als bei uns, wo von Frauen
in der männlichen Berufsdomäne heute noch behauptet wird, sie würden dadurch an
weiblicher Anziehungskraft verlieren, werden die Muxe's durch das Ausüben
weiblicher Arbeiten in ihrer Erotik nicht neutralisiert, sondern ganz im
Gegenteil sexuell definiert.
In Juchitán gelten die Muxe's als besonders erotisch. Sie
scheinen geradezu bemüht, in jeder Lebenslage sexuell herausfordernd zu wirken.
Auf die Frage, ob sie Mann oder Frau seien, erhält man
unweigerlich die Antwort: weder das eine noch das andere, sie sind Muxe's. Ihr
eigenständiger Status wird dadurch unterstrichen, dass für sie bestimmte
Arbeiten gleichsam reserviert sind. Die Muxe's haben also, wie die Männer und
die Frauen auch, die Möglichkeit, sich über die Arbeit eine
Geschlechtsidentität zu verschaffen.
Voraussetzung für die Identifikation des Muxe' über die
Arbeit ist freilich, dass die Arbeit in Juchitán nach Männer- und Frauenarbeit
eingeteilt ist. Denn unter diesen Bedingungen gibt es Zwischenbereiche, die
naheliegender- und idealerweise von einem "Zwischengeschlecht"
besetzt werden können.
Im Gegensatz zur geläufigen Anschauung, die bei uns gerade
auch in der Frauenbewegung anzutreffen ist, dass die Aufhebung der
geschlechtlichen Arbeitsteilung die bestehende Ungerechtigkeit gegenüber der
Frauenarbeit aufheben würde, sehen wir in Juchitán, dass deren Akzentuierung
befreiende Momente mit sich bringt. Nicht die geschlechtliche Arbeitsteilung an
und für sich ist also das Problem - wie wir eurozentrisch anzunehmen geneigt
sind -‚ sondern die Art und Weise, wie die Arbeit geteilt wird.
Muxe'-Arbeit in Juchitán ist die Herstellung des
Papierschmuckes für die großen Feste. Dabei handelt es sich um eine künstlerische
Betätigung - um eine typische Männerarbeit also, wohingegen die Feste selbst
Frauensache sind. Musik, Poesie und Malerei sind Angelegenheit der Männer.
Diese "luftigeren" Tätigkeiten auszuüben ist für Frauen unehrenhaft.
Ihre Arbeit ist immer unmittelbar nutzbringend für das Überleben. Auch die
Stickmuster der Galatracht werden häufig von Muxe's entworfen, wodurch sie in
gewisser Weise ebenfalls eine Zwischenstellung (zwischen Kunst und
Frauenhandwerk) einnehmen.
Muxe's sind außerdem Barbesitzer ("cantineras")‚
eigentlich eine weibliche Tätigkeit, allerdings auch einer besonderen
Kategorie:
Bierverkäuferinnen und Barbesitzerinnen gelten als erotisch
besonders anziehende Frauen, die aus dieser Tatsache Kapital schlagen. Es passt
gut zum Bild vom erotischen Wesen des Muxe', sich genau hier zu platzieren.
Darüber hinaus aber können Muxe's alle Frauenarbeiten übernehmen. Sie können
dann das Prestige, das diesen Tätigkeiten als Frauentätigkeiten zukommt, noch
dadurch mehren, dass sie sie besonders gut ausüben.
Aber es sind nicht nur die Arbeiten, die den Mann
gesellschaftlich zum Muxe' machen, sondern auch die Sexualität. So gibt es
Muxe's, die bei PEMEX, der staatlichen Erdölgesellschaft, arbeiten, eine
typisch männliche Tätigkeit. Viele von ihnen werden durch Eltern oder Verwandte
zu männlichen Arbeiten gezwungen, wodurch sie davon abgehalten werden sollen,
Muxe's zu werden. Das freilich hat noch in keinem Fall gefruchtet. Manche aber
bleiben bei der erlernten männlichen Arbeit, trotz der anderen sexuellen
Präferenz. Sie gelten dann dennoch ungebrochen als Muxe's.
Was, so fragte ich schließlich, macht also einen Muxe' aus.
Ist es doch in erster Linie die sexuelle Praxis, wie in den modernen westlichen
Gesellschaften, da Muxe's sowohl weibliche wie männliche Arbeiten tun können?
Auch dies trifft nicht zu, da ja viele Männer, die mit
Männern schlafen, nicht als Muxe's bezeichnet werden und da Muxe's durchaus
verheiratet sein und Kinder haben können.
Die Antwort lautet: Es ist das "Muxe'ische", das
den Muxe' ausmacht - die Art zu gehen, zu sprechen, sich zu kleiden und zu
schmücken, es sind die Gesten und die Bewegungen, es sind also die
Ausdrucksformen und Verhaltensweisen von Arbeit und Sexualität.
Es handelt sich um ein kulturelles oder subkulturelles
Syndrom, in dem Tätigkeit und angeborene Natur, Arbeit und Sexualität nicht
getrennt werden.
Muxe's sind ein drittes Geschlecht.
Dieser eigenständige Geschlechtsstatus ist möglich, weil
Mann und Frau, das Männliche und das Weibliche, ebenfalls einen eigenständigen
Geschlechtsstatus mit je gesellschaftlich zugestandenem Wert haben.
Diese Tatsache prägt die gesamte Gesellschaft.
Die geschlechtliche Arbeitsteilung ist in Juchitán, wie bei
uns, mehr als ein mechanisches Organisationsprinzip. Sie ist zugleich Produkt
und Quelle der Weltanschauung. In ihr findet sich der Gegenstandsbezug der
Menschen, das heißt das gesellschaftliche Naturverhältnis wieder.
In Juchitán geschieht das Erschließen von Welt mit Hand und
Bauch, wohingegen bei uns die Hand und die Sicht (das Auge) dominieren.
Unser modernes Verhältnis zur äußeren und inneren Natur ist
in erster Linie instrumentell, Hand und Sicht kombinierend. Es ist zugleich
"männlich": das Penetrierende, Unterwerfende, Aneignende, Erobernde.
Das lebensspendende, nährende Weibliche wird hingegen nicht
als menschlicher Zugang zur Natur, sondern, des Menschlichen beraubt, als Natur
selbst definiert. Entsprechend ist bei uns die Sexualität aus der Ökonomie
ausgeschlossen, und zwar nicht die Sexualität allgemein, sondern die weibliche
und alle anderen nicht männlich, sondern weiblich definierten Formen gleich
mit.
In Juchitán hingegen bedeutet Wirtschaften Aneignung von
Natur mit männlichem und weiblichem Naturbezug, einschließlich der Mischform
des Muxe'ischen, dem eine eigene Sexualität, also ein eigener Naturbezug, eine
eigene Arbeitsweise zugestanden wird.
Der Zusammenhang jedoch ist ein noch weitreichenderer:
Weil in der matrifokalen Gesellschaft Bauch, Hand und Sicht,
Sexualität und Ökonomie nicht getrennt werden, gilt die lebensspendende, nähren
alltägliche Arbeit auch als produktiv.
Gesellschaftlich akzeptierte, vielfältige Formen der
Sexualität und Subsistenzorientierung gehören zusammen!
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