Sonntag, 25. Juni 2017

They violate human rights. Nevertheless, children are still operated on whose genitals are not clearly attributable to a gender. /// Sie verletzen Menschenrechte. Trotzdem werden weiter Kinder operiert, deren Genitalien nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind.


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2017
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Operationen gehören verboten
Sie verletzen Menschenrechte. Trotzdem werden weiter Kinder operiert, deren Genitalien nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind.

Eine neue Studie, die erstmals die Zahl geschlechtsverändernder Operationen an nicht zustimmungsfähigen intergeschlechtlichen Kindern untersucht hat, kommt zu dem Schluss, dass die Zahl der Eingriffe nicht wesentlich zurückgegangen ist. Zwar sind seit 2005 die ärztlichen Leitlinien in Deutschland überarbeitet worden, dies hat aber nur zu einer Verschiebung auf leicht andere Diagnosen, nicht zu einem Rückgang der umstrittenen Operationen geführt.

Die Anfang Dezember erschienene Studie „Zur Aktualität kosmetischer Operationen ‚uneindeutiger‘ Genitalien im Kindesalter“ stellt fest, dass im untersuchten Zeitraum zwischen 2005 und 2014 jedes Jahr rund 1.700 Kinder zwischen null und neun Jahren operiert werden. Die Datenanalyse hat gezeigt, dass dabei die Anzahl der klassischen Intersexdiagnosen gesunken, aber die Zahl der Diagnosen, die zu den „Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale“ zu rechnen sind, erheblich gestiegen ist.

Zu vermuten ist, dass die Ärzte die Veränderung der Leitlinien zur Behandlung von Kindern mit klassischen Intersex-Diagnosen so verarbeitet haben, dass sie die Diagnosen verändert haben und die Operationen weiterhin durchführen. Bis zur Überarbeitung der medizinischen Behandlungsleitlinien für kosmetische Genitaloperationen an intergeschlechtlichen Kindern rieten diese bei „Störungen der sexuellen Differenzierung“ zu einer operativen „Korrektur“ eines „uneindeutigen“ Genitals.

Die Anpassung an das als (für Babys!) normal empfundene Aussehen der Geschlechtsteile sollte idealerweise innerhalb der ersten sechs Lebensmonate erfolgen. Dass die Kinder nicht gefragt wurden, versteht sich von selbst. Viele Ärzte und Eltern sind weiterhin überzeugt, dass eine „geschlechtsangleichende“ Operation das Kind vor gesellschaftlicher Diskriminierung, Spott und zudringlichen Fragen bewahren wird, also dem „Kindeswohl“ dient. Die invasiven und irreversiblen Eingriffe können aber schwere Folgen für das geistige und körperliche Wohlergehen der Kinder haben und müssen daher als Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit gewertet werden.

Die Studie wurde vom Bundesfamilienministerium gefördert, das allerdings nicht die daraus notwendigen Schlüsse ziehen will. Der Ende Oktober veröffentlichte Zwischenbericht des Ministeriums zur Situation von inter- und transsexuellen Menschen geht auf nur sehr wenige Forderungen der Interessensvertretungen intergeschlechtlicher Menschen ein. Die Stärkung nicht diskriminierender Beratung, auf die das Ministerium fokussiert, ist notwendig, aber keineswegs hinreichend. Da diese Operationen Menschenrechtsverletzungen darstellen, kann es nicht den Eltern überlassen werden, sie durchzuführen oder nicht.

Damit jetzt schon Betroffene nachvollziehen können, was mit ihren Körpern gemacht wurde, müssen so schnell wie möglich die Aufbewahrungsfristen für die Krankenakten über die jetzigen zehn Jahre hinaus verlängert und der Beginn der Verjährungsfristen auf das Erreichen der Volljährigkeit festgesetzt werden. Dafür zu sorgen, dass diese menschenrechtsverletzenden Eingriffe beendet werden, erfordert mehr als Beratung und das Vertrauen auf die Selbstregelung der Ärzteschaft – gerade wenn man die Beweise präsentiert bekommen hat, dass letztere unter anderem Label Business als usual machen.
Ein eindeutiges Verbot von kosmetischen Genitaloperationen wäre ein gesellschaftliches Signal, dass das Kindeswohl eben darin besteht, ein Kind so sein zu lassen, wie es ist.


Kampf um Anerkennung von Intersexualität
Kein drittes Geschlecht
Vanja findet, er*sie sei weder weiblich noch männlich – und zieht durch alle gerichtlichen Instanzen, um sich im Ausweis „inter/divers“ eintragen zu lassen.

Im Kampf für eine dritte Option jenseits der Geschlechtseinträge „männlich oder weiblich“ ist Vanja vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gescheitert. Vanja kämpft seit Juli 2014 dafür, seinen*ihren Eintrag im Geburtenregister von „weiblich“ auf „inter/divers“ zu ändern. Eine Gruppe von Unterstützer*innen begleitet das Vorgehen mit der Kampagne „Dritte Option“. Angefangen haben sie den Weg durch die gerichtlichen Instanzen vor dem Standesamt Gehrden bei Hannover. Nachdem nun der Bundesgerichtshof die Klage zurückwies, kündigten Vanja und die „Dritte Option“ an, am 2. September eine Verfassungsbeschwerde einzureichen.

Vanja hatte zur Begründung des Antrags eine Chromosomenanalyse vorgelegt – er*sie sei weder Mann noch Frau, schrieb Vanja in dem Antrag. Bei der Geburt 1989 hatten Vanjas Eltern ihn*sie als Mädchen eintragen lassen. „Ich bin jedoch keine Frau“, teilte Vanja dem Standesamt mit, das in Sachen Personenstandsrecht zuständig ist. „Aber auch eine Änderung des Eintrags, dass ich ein Mann bin, würde nicht der Wahrheit entsprechen. Einzig ein alternativer Eintrag würde den Tatsachen entsprechen.“

Das Standesamt sah sich nicht in der Lage, darüber zu entscheiden, und gab den Fall an das Amtsgericht Celle. Dies entschied, dass eine dritte Option nach geltendem Recht nicht möglich ist. Ebenso urteilte das Oberlandesgericht in Hannover und nun auch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Höchstens das Aussparen des Geschlechtsantrags komme infrage: Seit November 2013 können Eltern den Geschlechtseintrag des Kindes leer lassen, wenn das Geschlecht nach der Geburt nicht eindeutig zuzuordnen ist – dies ist auch rückwirkend möglich.

Mit diesem Zugeständnis erkennt der Gesetzgeber an, dass es Menschen gibt, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen – das bestätigte auch der Bundesgerichtshof in der Begründung des Urteils. Dort steht, dass es die Menschenwürde in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gebiete, die selbst empfundene Geschlechtsidentität jedes Menschen anzuerkennen und ihm damit zu ermöglichen, „entsprechend seines empfundenen Geschlechts leben zu können“.

Allerdings, so sieht es die „Dritte Option“, seien damit nur die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht von Transsexuellen gewahrt – nicht das von Intersexuellen. Das will der BGH aber auch gar nicht: „Wie sich den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen lässt, entspräche die Schaffung eines weiteren Geschlechts auch nicht dem Willen des Gesetzgebers“, steht in der Begründung. Denn: „Anders als bei der Zuordnung zu einem schon bestehenden Geschlecht wären durch die Schaffung eines weiteren Geschlechts staatliche Ordnungsinteressen in weitaus erheblicherem Umfang betroffen.“

Welche staatlichen Ordnungsinteressen gemeint sind, führt der BGH nicht aus. Auch Pressesprecherin Yvonne Ott kan nur mutmaßen, wie das gemeint ist: Man könne die Regel ja nicht ausschließlich im Personenstandsrecht ändern – schließlich sei das gesamte Rechtssystem auf eine binäre Geschlechterordnung ausgerichtet. Man müsste dann alle Bereiche ändern. Kurz gesagt: „Man kann nicht im Personenstandsrecht die Welt verändern.“

Scheitert die gesetzliche Gleichstellung von Intersexuellen also daran, dass sie der Legislative und der Judikative zu viel Arbeit bescheren würde? Das wird wohl das Verfassungsgericht entscheiden müssen. Die Begründung kommt Moritz Schmidt verständlicherweise schwach vor. Außerdem, sagt er, bestehe die Notwendigkeit, die Gesetze zu überarbeiten ja ohnehin wegen der Möglichkeit, den Geschlechtseintrag leer zu lassen. „Was passiert, wenn eine Person ohne Geschlechtseintrag heiraten will? Oder Kinder adoptieren?“ Auch deshalb rechnet er sich gute Chancen aus, dass Vanja vor dem Verfassungsgericht Recht bekommt. Ohnehin seien sie nicht davon ausgegangen, bei einer früheren Instanz erfolgreich zu sein.




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