Samstag, 30. September 2017

Schutz und Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt Schlussfolgerungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend


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Schutz und Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt Schlussfolgerungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus der Arbeit der Interministeriellen Arbeitsgruppe Trans- und Intersexualität Berlin, 21.September 2017 


Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD für die 18.Legislaturperiode ist vereinbart: „Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende Diskriminierungen […] von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Wir verurteilen […] Transphobie und werden entschieden dagegen vorgehen. […] Die durch die Änderung des Personenstandrechts für intersexuelle Menschen erzielten Verbesserungen werden wir evaluieren und gegebenenfalls ausbauen und die besondere Situation von trans- und intersexuellen Menschen in den Fokus nehmen“. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sich diesem Auftrag umfassend gewidmet. Auf interministerieller Ebene wurde in Form einer Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein regelmäßiger Austausch mit dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium der Verteidigung geführt. Begleitend zur interministeriellen Arbeitsgruppe hat sich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und Sachverständigen intensiv mit nationalen wie internationalen Entwicklungen, wissenschaftlichen Studien sowie gesellschaftlichen Diskursen zu Schutz und Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt auseinandergesetzt.

Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind auf vier öffentlichen Fachaustauschen vorgestellt und diskutiert worden und sind anschließend in die Arbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe eingeflossen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass auf Grundlage der Begleitforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (veröffentlicht unter www.bmfsfj.de), des intensiven Dialogs mit Sachverständigen und Zivilgesellschaft sowie dem interministeriellen Austausch hierzu aus Sicht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend folgender dringender gesetzgeberischer und gesellschaftspolitischer Handlungsbedarf besteht: 1. Die Ersetzung des Transsexuellengesetzes durch ein Gesetz zum Schutz und zur Akzeptanz der geschlechtlichen Vielfalt Das Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahre 1980 stellt nach sechs Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu darin als verfassungswidrig erkannten Regelungsinhalten keine menschen- und grundrechtskonforme Gesetzesgrundlage dar. Nach Überzeugung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend muss das TSG durch ein menschenrechtsbasiertes Gesetz zum Schutz und zur Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt ersetzt und insbesondere die im noch geltenden TSG enthaltene Begutachtungspflicht vor einem Vornamens- oder Personenstandswechsel beendet werden. Der Begutachtungspflicht liegt ein obsoletes Verständnis von Transsexualität als psychischer Erkrankung zugrunde. Dieses Verständnis hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert und fußt heute auf dem Selbstbestimmungsrecht jeder einzelnen Person in Bezug auf die eigene Geschlechtsidentität. Die mit der Begutachtung betrauten Fachleute haben dargelegt, dass sie sich bei der Begutachtung allein auf die Selbstaussage der antragstellenden Person beziehen können. Daher sollten Vornamens- und Personenstandswechsel künftig in einem einfachen, transparenten und schnellen Antragsverfahren durchgeführt werden. Ein solches Verfahren ist in anderen europäischen Ländern bereits gelebte Rechtspraxis. 2. Eine klarstellende Verbotsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass Eltern von Kindern mit angeborenen Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale in Operationen ohne zwingende medizinische Notwendigkeit nicht einwilligen dürfen – ergänzend dazu eine obligatorische Beratungspflicht für Eltern Mit Blick auf Kinder mit angeborenen Variationen der Geschlechtsmerkmale (sog. intergeschlechtliche Kinder) ist es erforderlich, das bereits existierende standesrechliche Operationsverbot durch eine klarstellende Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu ergänzen. 

Das medizinische Standesrecht lehnt Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen des Kindes ab, wenn sie (nur) auf optische Geschlechtsnormierung abzielen. Da die Zahl der Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern stagniert, ist eine zusätzliche gesetzliche Klarstellung in § 1631c BGB, dass Eltern in solche Eingriffe nicht für ihr Kind einwilligen dürfen, zwingend geboten. Eine solche Verbotsregelung sollte gelten, bis die Kinder ein Alter erreicht haben, in dem sie frei und nur nach vorheriger informierter Einwilligung über ihr körperliches Erscheinungsbild selbst entscheiden können. Damit würde Deutschland auch den Concluding Observations des CEDAWAusschusses der Vereinten Nationen zum 7. und 8. Staatenbericht vom März 2017 nachkommen. Zum effektiven Schutz von Säuglingen und Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale ist ergänzend zu den rechtlichen Regelungen ein obligatorisches Beratungsangebot für ihre Eltern zu etablieren. 

Eltern intergeschlechtlicher Säuglinge und Kinder benötigen Informationen darüber, dass es Menschen gibt, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist und darüber, dass es für die Entwicklung von Kindern von großer Bedeutung ist, ihre geschlechtliche Identität im entscheidungsfähigen Alter selbst bestimmen zu können. Eltern müssen befähigt werden, ihr Kind in seiner Entwicklung zu unterstützen und allein das Kindeswohl in den Vordergrund ihrer Entscheidungen zu stellen. 3. Die Aufnahme einer weiteren Geschlechtskategorie im Personenstandsrecht Seit 2013 besteht mit § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz die Möglichkeit, die Geschlechtsangabe bei Menschen, bei denen die Zuordnung zu einem Geschlecht unklar ist, offen zu lassen. Das bloße Offenlassen des Geschlechtseintrages schafft jedoch keine positive Anerkennung eines Geschlechts, sondern verhindert lediglich die fälschliche Zuordnung zu den Kategorien männlich oder weiblich. Damit bleibt intergeschlechtlichen Menschen jedoch eine gleichberechtigte Anerkennung ihrer Geschlechtlichkeit im Hinblick auf Körper und Identität verwehrt. Nach Einschätzung des im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellten Gutachtens des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist die Einführung einer weiteren Geschlechtskategorie aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. Daher sollte für Menschen, die sich nicht im binären Geschlechtssystem als männlich und weiblich verorten (können), im Personenstandsrecht neben den bisherigen Kategorien weiblich und männlich sowie dem Offenlassen des Geschlechtseintrages eine weitere Geschlechtskategorie aufgenommen werden. 4. Ein klarstellendes Diskriminierungsverbot im Hinblick auf geschlechtliche Vielfalt Ergänzend zu den oben aufgeführten Regelungsnotwendigkeiten bedarf es eines klarstellenden Diskriminierungsverbots im Hinblick auf Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale. 

Der gesetzliche Schutz soll von weitreichenden Maßnahmen zur Akzeptanzförderung und zum Schutz vor Diskriminierung begleitet werden. 5. Der Ausbau von Maßnahmen zur Akzeptanzförderung und zum Abbau von Diskriminierung Der 2008 erstmals erstellte Nationale Aktionsplan gegen Rassismus wurde in der 18. Legislaturperiode um die Phänomene Homosexuellen- und Transfeindlichkeit erweitert und grundlegend überarbeitet. Die aus Sicht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend notwendigen Anforderungen bezüglich einer wirksamen Bekämpfung von Homosexuellen- und Transfeindlichkeit wurden nur allgemein aufgenommen. Zu Recht stellt der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus fest, dass vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen und Fragestellungen im Bereich sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einer ressortübergreifenden Herangehensweise bedürfen. Aus Sicht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist hierfür ein unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu erarbeitender Nationaler Aktionsplan zum Schutz und zur Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und geschlechtlicher Vielfalt das passende Instrument. 6. Die Schaffung von flächendeckenden Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für Trans- und intergeschlechtliche Menschen und ihre Familien Die vorhandenen Beratungsstrukturen und -angebote der Selbsthilfe und der ehrensowie hauptamtlichen Peerberatung wie auch der Beratungsangebote von psychosozialen Erziehungs-, Jugend-, Familien- und Lebensberatungsstellen sowie schulpsychologischen Beratungszentren sollten koordiniert ausgebaut und gestärkt werden. 

Die Belange von trans- und intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen müssen dabei gesondert in den Blick genommen werden. Wichtige Aspekte dabei sind auch die Sensibilisierung relevanter Berufsgruppen zum Thema, eine alters- und lebenslagenspezifische Beratung und die Erstellung von Aufklärungs- und Schulungsmaterialien. 

Quelltext: https://www.bmfsfj.de/blob/119686/619f9892b9f7d198c205dbdc82bcad56/positionspapier-schutz-anerkennung-inter-trans-data.pdf

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