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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2017
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deswegen Spende Blut, denn es fehlt in der ganzen Welt!
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Intersexuell
wird die neue Normalität
In den USA wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Landes
das Geschlecht in einer Geburtsurkunde in „intersexuell“ geändert. Die
55-Jährige Sara Kelly Keenan musste jahrelang dafür kämpfen.
Sara Kelly Keenan wurde vor 55 Jahren in einem Krankenhaus
im New Yorker Stadtteil Brooklyn als Junge geboren. Und als Mädchen. Sie hat
männliche Gene, weibliche Genitalien und von beiden Geschlechtern Teile der
Fortpflanzungsorgane. Früher nannte die Gesellschaft diese Personen verächtlich Zwitter.
Heute werden sie als intersexuell bezeichnet. Ein Begriff, der ein drittes
Geschlecht beschreiben soll.
Keenan wusste lange
nicht, dass sie anders war, auch wenn sie es innerlich immer spürte. Ihre Ärzte
hatten es ihr jahrelang verschwiegen oder auf ihre kritischen Fragen
ausweichend und mit Lügen geantwortet. Selbst ihre Adoptiveltern hatten keine
Ahnung. Das Waisenhaus, in dem Keenan die ersten fünf Monate ihres Lebens
verbringen musste, schrieb in die Papiere des Babys zunächst „Junge“, bevor es
das Geschlecht nach drei Wochen in „weiblich“ änderte. Den neuen Eltern aus
Long Island verriet man das allerdings nicht.
Für die
Anerkennung reicht heute ein ärztliches Attest
„Mein Leben war lange
voller Lügen und Betrug“, sagt Kennan in einem Gespräch mit der „Welt“. „Mehr
als 40 Jahre wusste ich nicht, dass ich intersexuell war.“ Als die heute
55-jährige Frau aus Kalifornien ihre ganze Wahrheit herausfand, kämpfte sie
auch für eine offizielle Anerkennung. Mit Erfolg. Im vergangenen Monat änderten
die New Yorker Gesundheitsbehörden ihre Geburtsurkunde von „weiblich“ in
„intersexuell“. Keenan ist damit die Erste, die in Amerika auch offiziell ein
drittes Geschlecht zugeordnet bekam. „Mit einem ärztlichen Attest kann jeder
bei uns einen Antrag stellen, um sein Geschlecht zu ändern“, sagte der Sprecher der
Gesundheitsbehörden von New York, Julien Martinez.
„Es war ein wundervolles und motivierendes Gefühl, als ich
meine neue Geburtsurkunde in der Post fand und zum ersten Mal das Wort
‚intersexuell‘ lesen konnte“, sagt Keenan. Ab sofort sei das Geschlecht eines
Menschen nicht mehr nur „männlich oder weiblich“. Es gebe jetzt auch noch eine
dritte Definition dafür, wie man geboren wurde. Keenan bevorzugt als Personalpronomen
aber weiterhin das weibliche Sie: „Ich bin mittlerweile alt und mein ganzes
Leben daran gewöhnt.“
Ein Baby von 1500 ist weder Junge noch Mädchen
Auf wie viele Menschen die neue Geschlechtsbezeichnung intersexuell zutrifft,
ist unklar. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Baby unter 1500 weder
eindeutig als Junge oder Mädchen geboren wird. Keenan glaubt, dass die Zahl
noch höher liegen könnte. Viele wüssten es gar nicht. Andere ahnen es, wollten
es aber nicht wahrhaben. Und dann gebe es die Babys, die „umoperiert“ würden,
damit man sie eindeutig zuordnen könne. Früher sei das weltweit gängige Praxis gewesen, die auch noch heute regelmäßig durchgeführt
werde.
„Viele Babys wurden und werden noch immer dadurch
verstümmelt“, sagt Keenan.
„Die Menschenrechtsorganisation der Vereinten
Nationen hat das als Genitalverstümmelung und Folter am Menschen verurteilt.“
Keenan gibt aber zu, dass einige Operationen notwendig sind, wenn das Baby kein
funktionierendes Harnsystem und Probleme beim Urinieren hat. „Die meisten
Eingriffe sind aber völlig unnötig und werden ohne Einwilligung des Patienten
durchgeführt“, sagt Keenan. „Warum lässt man diese Kinder nicht entscheiden,
wenn sie älter sind und über ihren Körper selbst bestimmen können?“ Die
Anerkennung des dritten Geschlechts intersexuell könnte diesen Menschen jetzt
helfen.
Keenan selbst weiß nicht, ob auch sie nach der Geburt
operiert wurde. „Ich habe keinen offiziellen medizinischen Report, aber auch
keine Narben, die das belegen könnten“, sagt sie. In ihrer Geburtsklinik in
Brooklyn, die mittlerweile geschlossen wurde, gab es ein Feuer, bei dem ihre
Unterlagen verbrannten. Und ihre biologischen Eltern konnte sie nicht fragen,
sie hat sie nie persönlich kennengelernt: „Ich bin das Kind einer heimlichen
Affäre zwischen einem verheirateten Bankchef und seiner alleinstehenden
Angestellten.“
Der Vater wollte sein Kind nicht zum Sohn machen
Keenan weiß aber, dass die Ärzte ihrem Adoptivvater
angeboten hatten, seine Tochter zum Jungen zu machen. „Sie wollten einen Penis
rekonstruieren und mir Hormone geben, um mich männlich zu machen.“ Ihr Vater,
der ihr das erst vor fünf Jahren auf dem Sterbebett gestanden hatte, lehnte ab.
„Sara ist meine Tochter und ein Mädchen“, soll er den Chirurgen gesagt haben.
Es war das erste Mal, dass er davon erfuhr, dass seine Tochter nicht eindeutig
weiblich ist.
Damals war Keenan in der neunten Klasse und bereits 1,82
Meter groß. Und sie wollte unbedingt ein Junge sein. „Ich hatte bis dahin nie
mit Puppen gespielt“, erinnert sie sich an die Zeit, als sie 15 war. Sie habe
sich wie ein typischer Junge verhalten: „Ich habe mit anderen gerauft und
wollte zu den Pfandfindern gehen.“ Ihre Eltern dagegen steckten sie lieber in
eine Mädchengruppe, was sie gar nicht interessierte.
„Damals habe ich meinen Körper gehasst“, erzählt Keenan, die
aufgrund fehlender Hormonbildung keine Anzeichen von Pubertät zeigte. Es war
die Zeit, als sie auch an Selbstmord dachte. „Ich habe mein ganzes Leben
gehasst, glaubte, verflucht zu sein, und sah keine Hoffnung für mich.“ Nur die
katholische Erziehung ihrer Adoptiveltern habe sie von dem fatalen Schritt
abgehalten. „Ich wollte nie in der Hölle schmoren“, lacht Keenan heute über
diese Selbstmordgedanken.
Von den Ärzten fühlte sie sich angelogen – mehrmals
Ein Jahr später, mit 16 Jahren, musste sie sich dann doch
wegen des Ausbleibens der Pubertät einer Operation unterziehen und eine
Hormontherapie machen. „Die Ärzte sagten mir, dass sie Gewebe von
unterentwickelten Eierstöcken entfernen müssten“, erzählt Keenan. Die Wahrheit
war das wohl nicht. Heute wisse sie, dass es vermutlich Überreste von
Hodengewebe war. Nach dem Eingriff versicherten ihr die Ärzte, dass sie „zu 100
Prozent ein Mädchen“ sei, das nur keine Hormone produzieren könne. „Das war
eine weitere Lüge in meinem Leben“, sagt Keenan. Auch ihre Adoptivmutter müsse
das gewusst haben, gesagt habe sie nichts. Sie starb drei Jahre nach dem
Eingriff an Lungenkrebs.
Die ganze Wahrheit über ihr Geschlecht erfuhr Keenan, die
immer geahnt hatte, dass mit ihr etwas anders ist, erst kurz vor ihrem 50.
Geburtstag – nach einer Internetrecherche und einem Gentest. Ihr Mann, mit dem
sie heute seit 29 Jahren glücklich verheiratet ist, hatte sie dazu ermutigt.
„Es hat ihn nie gestört, als ich herausfand, dass mein Geschlecht intersexuell
ist“, sagt Keenan, die als Lebens- und Diät-Coach arbeitet. Kennan war selbst
lange Zeit mit mehr als drei Zentnern übergewichtig. „Ich wollte meinen nicht
perfekten Körper hinter dem Fett verstecken.“
„Intersexuelle Menschen werden heute besser behandelt als
noch im vergangenen Jahrhundert“, sagt die 1,90 Meter große Keenan. Die
Gesellschaft habe sich in vielen Bereichen weiterentwickelt. Bis zur vollen
Anerkennung des dritten Geschlechts wird es aber noch länger dauern. In den USA
ist Kalifornien am fortschrittlichsten. Dort sollen bereits im kommenden Jahr
Führerscheine mit „X“, dem Zeichen für intersexuell, ausgestellt werden. Bei
Reisepässen sträube sich noch das Außenministerium. „Dennoch, es ist ein
Anfang“, sagt Keenan. Auch in Oregon werde über das Thema diskutiert. Und
hoffentlich bald auch in allen anderen Bundesstaaten. „Intersexuell“, sagt
Keenan, „wird die neue Normalität.“
Quelltext: https://www.welt.de/vermischtes/article161077462/Intersexuell-wird-die-neue-Normalitaet.html
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