Mittwoch, 20. Juni 2018

Transgender-Gesundheit im Fokus

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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Transgender-Gesundheit im Fokus

Menschen, deren subjektiv erlebtes Geschlecht von dem ihnen bei Geburt zugeordneten Geschlecht abweicht, oder die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zuordnen, werden als trans* bezeichnet. Der offen gehaltene Begriff wird als Sammelbegriff für spezifischere Begriffe wie transgender, transident, transgeschlechtlich oder transsexuell verwendet. Trans* ist als Begriff in der Community verwurzelt und wird sowohl von Individuen zur Selbstbeschreibung als auch in Veröffentlichungen in den Bereichen Aktivismus und Forschung genutzt.

Die Diskrepanz zwischen Geschlechtserleben und körperlichen Geschlechtsmerkmalen kann in einem Leidensdruck resultieren, der als Geschlechtsdysphorie bezeichnet wird. Um diesen Leidensdruck zu verhindern oder zu lindern, und um ein Leben im bevorzugten Geschlecht besser zu ermöglichen, streben viele trans* Menschen eine Änderung ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale an. Da der Zugang zu den hierfür notwendigen Behandlungsmaßnahmen reglementiert ist, ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen medizinischer Selbst- und Fremdbestimmung, wobei die jeweiligen Bestimmungen und das Niveau der Reglementierung von Land zu Land stark variieren. Dieses Spannungsfeld besteht vor dem Hintergrund einer Pathologisierung von trans* Identitäten und den Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen, denen trans* Menschen oftmals auf individueller sowie struktureller Ebene ausgesetzt sind.

Unabhängig von transitionsbezogenen Behandlungen benötigen trans* Menschen Gesundheitsversorgung, die ihrem Trans*-Sein Rechnung trägt und so z. B. den spezifischen Bedarf an Krebsvorsorge bedient, ohne die trans* Identität der Patient_innen als Anlass für eine Pathologisierung zu nehmen. International strebt die 1979 gegründete World Professional Association for Transgender Health (WPATH) einen selbstbestimmten und menschenwürdigen Zugang von trans* Menschen zur Gesundheitsversorgung an. Mit ihren Standards of Care veröffentlichte sie – zwar stark auf die Situation von trans* Menschen in westlichen Ländern bezogene – international anwendbare Qualitätsrichtlinien für Gesundheitsfachkräfte, die mit und für trans* Menschen arbeiten.

Anfang 2014 auf der 23. WPATH-Konferenz in Bangkok gegründet, stellt die European Professional Association for Transgender Health (EPATH) als europäische Tochterorganisation der WPATH ein weiteres Puzzle-Teil in der Entwicklung hin zu einer qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Transgender-Gesundheitsversorgung dar. Die EPATH versteht, der Definition der Weltgesundheitsorganisation folgend, Gesundheit als einen ganzheitlichen Zustand, der mehrere Ebenen einschließt: Die Organisation möchte so nicht nur einen Austausch über medizinisch-psychotherapeutische Ansätze, sondern auch ein Ende der Diskriminierung sowie eine Erhöhung der sozialen Akzeptanz von geschlechtsnonkonformen und/oder trans* Menschen erreichen. Gesundheit schließt somit sowohl medizinische als auch gesellschaftliche Perspektiven ein und berührt neben der individuellen Mikroebene auch die gesellschaftliche Makroebene. Die EPATH hat erkannt, dass nachhaltige Verbesserungen im Bereich der Transgender-Gesundheit nur durch eine Gesamtbetrachtung dieser Ebenen und ihres Zusammenspiels erlangt werden können. Um diese Bestrebungen voranzubringen und empirisch zu untermauern, orientiert sich die EPATH stark an Forschung aus den relevanten Bereichen der Medizin, Psychologie und Gesellschaftswissenschaften. Um Forschende, Behandelnde und Vertreter_innen aus Politik und Aktivismus zusammenzubringen und gegenüber Dritten zu vertreten, besteht die EPATH aus den drei Divisionen: klinische Arbeit, Politik und Forschung. Mit ihrer Arbeit verfolgt die Organisation drei große Ziele. Erstens strebt die EPATH an, den Wissens- und Erfahrungsstand in Europa bezüglich der Transgender-Gesundheitsversorgung zu vergrößern und so die Vernetzung europäischer Länder in der Transgender-Gesundheitsversorgung voranzubringen. Zweitens möchte die EPATH Forschungsergebnisse durch Publikationen und Konferenzen verbreiten. Drittens strebt die EPATH auf internationaler Ebene Kooperationen mit Organisationen an, die ähnliche oder gleiche Ziele verfolgen. Diese Ziele sollen mit einer zwei-jährlich abgehaltenen Konferenz erreicht werden.

Die EPATH-Gründungskonferenz mit dem Titel Transgender Health Care in Europe fand vom 12. bis 14. März 2015 in Gent, Belgien statt. Mit ihrem interdisziplinären Programm aus über 100 Präsentationen, 34 Posterpräsentationen, 13 interdisziplinären Workshops und der Ausrufung der EPATH Student Initiative etablierte sie die EPATH als wichtige Plattform für den interdisziplinären und internationalen Austausch zu Transgender-Gesundheitsversorgung. Die drei Divisionen klinische Arbeit, Politik und Forschung waren durch die Programmstruktur sowie durch Programmpunkte repräsentiert, die einen festen Bestandteil zukünftiger EPATH-Konferenzen bilden sollen.

Vertreter_innen der klinischen Arbeit stellten unter dem Titel Transgender Health Care in Europe die untereinander stark variierenden Organisationsstrukturen, Richtlinien und Rahmenbedingungen der Transgender-Gesundheitsversorgung ihrer Länder vor. Die Beiträge stammten aus Belgien (Els Elaut, UZ Gent), Deutschland (Timo O. Nieder, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), Spanien (Esther Gómez Gil und Clara de Castro, Hospital Clinic Barcelona), dem Vereinigten Königreich (John Dean, Devon Partnership NHS Trust) und der Türkei (Şahika Yüksel, CETAD Istanbul).

Die politische Division der EPATH wurde durch das Symposium Human Rights and Health Care in Europe angesprochen. Neben Grußworten von politischen Vertreter_innen sprach Annelou De Vries (Universitätsklinikum VU Amsterdam) zu Zukunftsperspektiven der Gesundheitsversorgung für trans* Jugendliche. Petra De Sutter (UZ Gent) hielt einen Vortrag zu Möglichkeiten der Reproduktion für trans* Menschen. Abschließend unterstrich Richard Köhler von Transgender Europe (TGEU) in seinem Vortrag die Wichtigkeit eines menschenrechtsbezogenen Fokus, um die durch individuelle und strukturelle Diskriminierung prekäre Situation vieler trans* Menschen in Europa zu verbessern. Die derzeitig hauptsächliche Verortung des Themas in der Medizin und der Psychotherapie könne die Problematik nicht lösen und pathologisiere Individuen oftmals, anstatt ihnen die nötige Unterstützung zu gewähren. Für TGEU sei mit der EPATH eine neue Partnerin entstanden, um den gesellschaftlichen und sozialen Aspekten auf europäischer Ebene einen höheren Stellenwert einzuräumen. Um das Thema der Konferenz über das Fachpublikum hinaus für Diskussionen zu öffnen, war dieses Symposium neben den Konferenzteilnehmer_innen auch für Vertreter_innen von Nichtregierungsorganisationen und Institutionen sowie für Interessierte zugänglich. Darüber hinaus bot die Konferenz auch die wertvolle Möglichkeit für den Austausch zwischen Expert_innen in eigener Sache und fachlichen Expert_innen, da unter den Teilnehmer_innen sowie den Tagungsassistent_innen viele trans* Menschen vertreten waren. Programmatisch für die liberale Ausrichtung der Organisation war außerdem die im Laufe der Konferenz wiederkehrende Thematisierung von Genderqueerness. Von Behandelnden und Forschenden oft ausgespart, war das bewusste Einschließen von genderqueeren, non-binären Menschen in Vorträgen und Diskussionen ein weiterer Schritt hin zu einer bedarfsgerechten Transgender-Gesundheitsversorgung, die sich der Realität geschlechtlicher und identitärer Vielfalt öffnet.

Die Möglichkeit des Austausches zu klinischen Arbeit wurde ergänzt durch das Symposium The Year in Review, das Forscher_innen verschiedener Disziplinen eine Plattform bietet, die neuesten Entwicklungen und Forschungsergebnisse aus ihrem Feld vorzustellen und so in einen interdisziplinären Austausch zu treten.

Während der Konferenz wurde deutlich, dass in der Forschung weiterhin sehr unterschiedliche Standards vorherrschen. Auch zeigte sich eine mitunter starke Diskrepanz im Grad der Fortschrittlichkeit und Liberalisierung der Gesundheitsversorgung. So wurde u. a. die Monopolstellung der Gender-Klinik Oslo, Norwegen, ihre fehlende Kooperation und praktizierte Willkür in der Vergabe positiver Gutachten an behandlungsinteressierte trans* Menschen von der norwegischen Sozialwissenschaftlerin Janneke van der Ros in ihrem Panelbeitrag Citizenship and Trans*related Health Care Provision kritisiert. Als positiven Kontrast zu dieser restriktiven Praxis stellten Maddie Deutsch (u. a. University of California San Francisco) und Anita Radix (Callen-Lorde Community Health Center New York) in ihrem Workshop Reforming Transgender Health Care Delivery at the International Level Through the Informed Consent Model ein liberaleres Behandlungsverfahren vor. Bei dem von ihnen angewandten Informed Consent Model kommt die Gesundheitsversorgung von trans* Menschen ohne die sonst gängigen Reglementierungen aus. Behandlungssuchende benötigen kein psychologisches Gutachten, um transitionsbezogene Behandlungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Eine Selbstauskunft und die positive Einschätzung der Entscheidungsfähigkeit der Person durch die behandelnde medizinische Fachkraft sind ausreichend. Dadurch ist z. B. der Beginn der Hormonbehandlung direkt im Anschluss an ein Erstgespräch möglich. Die Forscher_innen betonten die Schutzfunktion dieses barrierefreien Zugangs zu Hormonen: Erfahrungen hätten gezeigt, dass sich trans* Menschen bei restriktiveren Behandlungsmodellen oftmals ohne adäquate ärztliche Begleitung Zugang zu Hormonen und anderen medizinischen Behandlungen verschafften und es dabei häufig zu gesundheitlichen Komplikationen komme. Des Weiteren berichteten Deutsch und Radix, dass die in ihren Behandlungszentren als freiwilliges Angebot zur Verfügung stehenden psychologische und psychotherapeutische Begleitung der Behandlungssuchenden von einem Großteil der Patient_innen angenommen und durch das Wegfallen des psychotherapeutischen Gutachtens als weitaus hilfreicher beschrieben werde, als in herkömmlichen Behandlungszusammenhängen. Auch seien die Behandlungszufriedenheit und das Wohlbefinden im Selbstbericht durch die Anwendung des Informed Consent Models gestiegen.

Die Verschiedenheit der Beiträge verdeutlichte, dass sich die bei der Konferenz vertretenen Disziplinen noch immer in einer Auseinandersetzung zwischen Akzeptanz und Pathologisierung von trans* Identitäten befinden. Auf der einen Seite wurde vonseiten mancher Vortragenden trans* Identitäten mitunter ihre Gültigkeit abgesprochen, wenn z. B. an Männern interessierte trans* Frauen als homosexuell bezeichnet wurden. Auf der anderen Seite wurden zahlreiche Studien vorgestellt, die trans* Identitäten nicht als das zu beforschende Thema, sondern als selbstverständliche Gegebenheit ansahen, wie etwa im Vortrag Families in Transition von Myrte Dierckx (Universität Antwerpen). Zum Teil wurde den Erfahrungen von trans* Menschen hier durch qualitative Methodik eine eigene Stimme gegeben und vereinzelt die traditionelle Trennung von Forschenden und „Beforschten“ durch die eigene trans* Identität der Forschenden aufgehoben.

Der EPATH stellt sich daher langfristig die Aufgabe, in Europa die Standards in Forschung und klinischer Arbeit in Zukunft auf hohem Niveau zu vereinheitlichen, um einen diskriminierungs- und barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung für trans* Menschen sicherzustellen und die Lebenssituation von trans* Menschen zu verbessern. In Europa lokalisiert, kann die EPATH hier besser Einfluss nehmen als die WPATH und fungiert so als sinnvolle Ergänzung neben der Dachorganisation. Mit über 350 Teilnehmenden, der Vielfalt der Beiträge und der Intensität der Diskussionen zeigte sich die Wichtigkeit der EPATH als treibende Kraft in der medizinischen Qualitätsverbesserung. Um jedoch eine umfassende und nachhaltige Verbesserung der Lebensrealitäten von trans* Menschen auf individueller wie gesellschaftlich-struktureller Ebene zu erreichen, sollte die EPATH ihren Blick stärker als bisher auf soziale und politische Aspekte richten. Bisher herrscht sowohl in der Organisation als auch bei der Konferenz eine vornehmlich von Medizin und Psychologie geprägte Perspektive auf trans*-bezogene Themen vor. Als Folge daraus sollten Sozial- und Rechtswissenschaften sowie Organisationen, Institutionen und Personen die sich auf dieser Ebene mit dem Thema Trans* beschäftigen, neben Medizin und Psychologie ebenbürtig vertreten sein.

Bei der Konferenz waren die meisten Länder Europas vertreten. Trotz des europäischen Fokus der EPATH nahmen darüber hinaus auch Forscher_innen und Behandler_innen aus den USA, Südafrika und Thailand teil. Jedoch wurde deutlich, dass neben den zum Teil überproportional repräsentierten Ländern (Vereinigtes Königreich, Niederlande, Deutschland) einige südosteuropäische Länder nicht bei der Konferenz vertreten waren. Eine Vernetzung mit den dort im Bereich der Transgender-Gesundheit Praktizierenden und Forschenden im Interesse der dort lebenden trans* Menschen wurde daher von den Organisator_innen der Konferenz als Ziel für zukünftige Konferenzen formuliert. Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits getan: 2017 wird die nächste EPATH-Konferenz, ausgerichtet vom Gender-Team der dortigen Universitätsklinik, in Belgrad, Serbien, stattfinden.




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