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Geschrieben
und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
Hey Du hast es und brauchst es,
deswegen Spende Blut, denn es fehlt in der ganzen Welt!
Ich habe Ihn, Du auch?
Organspenden können andere zum Leben verhelfen, sei stolz auf dich selbst mache
Ihn Dir den Organspende Ausweis!
Hey you have it and need it, so donating blood,
because it is missing in the world!
I
had him, you also? Organ donation can help others to life, be proud of your self
doing Him Get donor card!
Der Kampf für
ein Leben
Micha ist als intersexuelles Kind geboren, weder Mann noch Frau. Dann wurde
Micha zu einem Jungen operiert. Es war der Beginn einer Biografie voller
Schmerzen und Selbstzweifel.
Micha ist
etwa 14 Jahre alt und liegt auf einer Krankenhausliege, den Unterleib entblößt.
Der behandelnde Arzt verlässt den Raum in der Universitätsklinik Innsbruck. Als
er wieder hereinkommt sind einige Medizinstudentinnen an seiner Seite. Dann
nimmt der Arzt ein Lineal und beginnt, Michas Penis zu vermessen. Eine
Praxisstunde für die Studentinnen, eine Qual für Micha und seine Mutter, die
mit im Raum ist. Micha liegt da, wie betäubt, wartet, dass es vorübergeht. Wie
bei all den anderen Untersuchungen zuvor.
Die
Uniklinik Innsbruck schreibt, solche Vorführungen stets nur mit Einverständnis
durchgeführt zu haben. Der behandelnde Arzt schreibt, er erinnere sich heute
nicht mehr an die Situation. Micha und die Mutter erinnern sich sehr genau.
Es sind die
frühen 2000er Jahre. Mediziner haben damals genaue Vorstellungen davon, wie ein
gesundes Genital auszusehen hat. Bis 9 Millimeter eine Klitoris, ab 25
Millimeter ein Penis. Alles dazwischen ist ein Fehler, der mit dem Skalpell
korrigiert wird, weil der Körper nicht eindeutig der Kategorie Junge oder
Mädchen zugeordnet werden kann. Micha aber ist dazwischen. Micha ist
intersexuell.
Jahrzehntelang
wurden Kinder wie Micha chirurgisch korrigiert, um „richtige“ Jungen oder
Mädchen zu werden. Es gibt in der deutschen Sprache kein Pronomen für Micha,
deshalb wird Micha in diesem Text „ersie“ genannt.
Niemand weiß
genau, wie viele Personen intergeschlechtlich sind. Die Definitionen, wer dazu
zählt und wer nicht, gehen weit auseinander. Grundsätzlich sind damit Personen
gemeint, die weder eindeutig als Mann noch als Frau geboren werden. Etwa, wenn
eine Person mit weiblichen Chromosomen Hoden hat oder der Körper die
Sexualhormone nicht verarbeiten kann.
Mutmaßlich
ist weltweit
fast jeder 50. Mensch intergeschlechtlich. Damit gäbe es so viele
intergeschlechtliche Personen wie es Personen mit roten Haaren gibt. In
Deutschland wurden jahrzehntelang jedes Jahr mehrere hundert, wenn nicht
tausende Kinder operiert, Hoden amputiert, Hautlappen zu künstlichen Penissen
verlegt, Klitoris abgeschnitten.
Heute hat
sich die medizinische Praxis verändert. Doch operiert wird noch immer. Viele
sagen: noch immer zu häufig. Deshalb hat Micha mit BuzzFeed News Deutschland
gesprochen und Einblick in seine Krankenakten gewährt. Damit das Thema
öffentlich bekannt wird.
„Ich kann
nicht begreifen, warum man mir all das angetan hat, alle diese Schmerzen. Warum
man mich nicht gemocht hat. Warum man mich nicht lieben konnte“, sagt Micha.
Micha steht
auf einem asphaltierten Flachdach, vier Stockwerke über den Straßen im
Stadtteil Lindenau in Leipzig. Es ist ein bewölkter Vormittag im Juni 2018.
Hier oben sind keine Menschen zu sehen, auf dem Dach fühlt Micha sich wohl.
Ersie schleppt einen Sitzsack über die steile Leiter vom Dachboden ins Freie
und setzt sich darauf. In den Etagen darunter leben zwanzig Menschen in einem
Wohnhausprojekt, offene Küche, es riecht nach Räucherstäbchen, ein Baby weint,
im Nachbargarten röhrt eine Kettensäge.
„Ich habe mich geschämt für das,
was ich bin.“
was ich bin.“
Neben Micha
und dem blauen Sitzsack liegt ein Buch. „Ein intersexuelles Leben“ steht darauf.
Es ist die Biografie der Intersex-Aktivist*in Hida Viloria, eine Erzählung von
einem abenteuerlichen, spannenden und erfüllten Leben, als Mann und als Frau,
mit tollem Sex und vielen Freundschaften, ohne Medikamente und ohne
Operationen. „Ein Leben“, wiederholt Micha den Titel. „Das habe ich bis heute
nicht geschafft. Das ist mir verwehrt geblieben.“ 1991 wird Micha W. in einem Krankenhaus in den
Tiroler Bergen in Italien geboren. Im Osten liegt Österreich, im Westen die
Dolomiten. Es ist eine Kaiserschnittgeburt, die zweite für Michas Mutter. „Sie
haben wieder einen Jungen“, sagen die Ärzte zu Frau W. Nach zwei Tagen wird sie
in ein Untersuchungszimmer geführt, dort liegt ihr Kind im Strampelanzug. Das
Kind sei uneindeutig sagen die Ärzte. Der Vater wird mit dem Neugeborenen in
die Universitätsklinik Innsbruck geschickt. Hypospadie, diagnostizieren die
Ärzte. Später ist den medizinischen Akten von „Pseudohermaphroditismus
masculinus“ die Rede. Ein „unechter Hermaphrodit“, weil Micha männliche
Chromosomen hat.
Bei Micha
endet das Urinloch nicht an der Spitze des Penisses, sondern unten, wie bei
einem weiblichen Körper. Und das Genital des Kindes ist uneindeutig. Die Ärzte
raten, ein Mädchen aus dem Kind daraus zu machen.
Die Eltern
nennen das Kind Michael. Damit sie, wenn es doch ein Mädchen werden soll, ein A
an das Namensende hängen können.
„Es ist
einfacher ein Loch zu graben, als einen Stab zu errichten“, lautet ein
geflügelter Intersex-Chirurgenspruch. Die meisten Kinder mit
Hermaphroditismus-Diagnosen wie Micha wurden seit etwa den Sechziger Jahren zu
Mädchen operiert. Möglichst früh sollte ein eindeutiges Geschlecht zugeordnet werden,
damit die Kinder von der Gesellschaft akzeptiert werden, so das Prinzip der
sogenannten „Optimal Gender Policy“.
Grundgedanken
dieser Theorie haben sich bis heute gehalten. Heterosexueller Sex, besonders
Penetration, müsse möglich sein, ebenso die Möglichkeit, Kinder zu bekommen.
Der gesellschaftliche Konsens bestimmt die medizinische Praxis.
„Meine Diagnose hat für mich früher
bedeutet, dass ich ein defekter Mann bin.“
Michas Vater
wehrt sich gegen den Rat der Ärzte. Die Hoden und der Penis sollen nicht
amputiert werden, dafür will er nicht verantwortlich sein. Damit ist die
Entscheidung gefallen: Das Kind soll ein Junge sein. Die Operationen beginnen.
Drei Monate
später entnehmen die Ärzte Baby Michael eine linsengroße Biopsie aus einem der
Hoden, um die Gene und Hormonwerte zu bestimmen. Männlicher Chromosomensatz,
46,XY, auch PAIS genannt. Der Säugling bekommt Hormonspritzen zum
„Simulationstest“, um zu sehen, wie die Sexualhormone reagieren. Michas Mutter
ist zu Hause und weint viel, aus Sorge um das Kind.
„Wir haben
auch nicht genau gewusst, was man tun sollte“, sagt Michas Vater. „Man hat
immer gehofft, das man das Beste tut. Aber man ist abhängig von den Ärzten.“
Die
Mediziner machen einen Gentest von Vater, Mutter und Michas Bruder. Sie wollen
herausfinden, ob Michas Diagnose erblich ist.
Die
Ergebnisse sind heute im Internet zu finden, zum Beispiel in den Vortragsfolien
eines Chirurgen aus Innsbruck, der Micha den Akten zufolge mehrfach operiert
hat. Der Pressestelle der Uniklinik zufolge handelt es sich um einen Vortrag
für Vorlesungen.
Auf der
Titelseite ist die Nahaufnahme eines entblößten Kindergenitals, daneben das
Logo der Universität Innsbruck. Ein weiteres Bild von „Patient W.“ zeigt das
Geschlecht während einer Operation. Das Genital ist zwischen den petrolgrünen
Tüchern freigelegt. Ein Venenkatheter ist am Penisschaft eingestochen, das
Genital blutet stark, oben aus der Spitze ragt ein dicker, dunkelroter Faden.
Auf Anfrage
von BuzzFeed News gibt die Pressestelle der Uniklinik Innsbruck an, der Arzt
erinnere sich nicht an den Patienten. Sämtliche Vorgänge um den damals
minderjährigen Patienten seien nur mit Einverständnis seiner
Obsorgeberechtigten erfolgt, gibt die Pressestelle auf eine zweite Nachfrage
von BuzzFeed News an.
Weder Micha
noch Michas Eltern erinnern sich daran, zugestimmt zu haben, dass von Micha
Fotos gemacht oder verbreitet werden dürfen.
Da der
Patient anonym geblieben sei „war eine gesonderte Genehmigung nicht
erforderlich“, schreibt die Klinik.
„Micha war
in der Universitätsklinik ein Versuchskaninchen“, sagt Michas Mutter heute im
Telefonat mit BuzzFeed News.
Ihre Stimme
klingt leise und zögerlich, immer wieder antwortet sie „Das fragen Sie besser
meinen Mann“. Erst nach einigen Wochen und mehreren Gesprächen hatte Micha
genug Vertrauen gefasst, um einem Gespräch von BuzzFeed News mit der Familie
zuzustimmen. Eltern und Kind tun sich schwer, über all das zu reden. Auch
deshalb nennen wir den Nachnamen der Familie in diesem Text nicht.
Der einzige
Vertraute der Familie ist über die Jahre hinweg der behandelnde Kinderarzt in
einer Tiroler Kinderklinik. Er gibt Hoffnung, Vertrauen.
„Er hat uns
gesagt, das wird ein ganz normaler Junge. Aber jetzt ist doch nicht alles gut“,
sagt Michas Mutter heute. Der Kinderarzt ist 2017 verstorben.
An viele
Details von damals erinnert sich Frau W. kaum, vielleicht will sie es auch
nicht. „Ich weiß es nicht mehr“, antwortet sie, immer wieder. „Vielleicht
hätten wir zu einem Psychologen gemusst. Ich sehe ihn eher als Mann. Obwohl.
Ich weiß auch nicht.“
In den
Gesprächen mit Micha und den Eltern klingen Vorwürfe durch, tiefe Einschnitte,
die sich durch die Kleinfamilie ziehen.
„Ich habe
das Gefühl, dass ich von meiner Familie bemitleidet wurde für das, was ich
bin“, sagt Micha.
Micha wächst
in einem konservativen Tausendsechshundert-Einwohnerdorf zwischen Bergen und
Wäldern auf. Bilder aus der Kindheit zeigen Micha unter dem Weihnachtsbaum, auf
dem Schlitten, mit dem Bruder in Karohemden auf einem alten Baumstamm.
Das Dorf ist
von grünen Hügeln umgeben, von der Hauptstraße aus kann man hohe Berge im
Westen sehen. Von den Balkonen der Ferienhotels hängen rote und pinke
Geraniensträucher. Jedes Bild auf Google ein Postkartenmotiv.
Sonntags
trifft sich die Gemeinde in der Kirche. Im Spätsommer wird eine Kräuterweihe
veranstaltet, die Jungfrau Maria wird mit der Heilkraft von Goldrute,
Wiesenkümmel und Heideröschen geehrt. Hier gibt es nur Jungen und Mädchen.
Mit zwei
Jahren liegt Micha unter Vollnarkose in der Kinderabteilung der Uniklinik in
Innsbruck. Es ist der erste Versuch, das kleine Geschlecht zu einem Penis zu
machen. Drei Chirurgen sind den Akten zufolge an der Operation beteiligt.
Michas
medizinische Akten lesen sich wie Baupläne.
„Keine
Blutung. Schaumgummikompressionsverband. Dauerkatheter.“
In der
Familie wird über das Thema nicht gesprochen. Wenn Micha wieder einmal in der
Klinik ist, versuchen die Eltern das vor ihren Verwandten nicht zu thematisieren.
Niemand weiß von Michas Intergeschlechtlichkeit. Nicht die Nachbarn. Nicht die
Lehrer. Nicht die anderen Kinder. Niemand sieht Micha je nackt. Als in der
Schule geschwommen wird, geht Micha nicht hin.
Mit acht
bekommt Micha von den Eltern eine Stichsäge geschenkt. Mit zehn eine
Tischkreissäge. Jeden Tag cremt Michas Vater das Genital mit Testosteroncreme
ein, damit es wächst, so haben es die Ärzte verordnet. Als Micha alt genug ist,
das selbst zu übernehmen bricht ersie die Behandlung ab. „Irgendwie ist es doch
auch sexueller Missbrauch, was mir widerfahren ist“, sagt Micha.
Die
Forschungslage ist dünn und uneindeutig, beruht oftmals auf Stichproben, doch
mehrere Studien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, was die
geschlechtszuweisenden Operationen mit den heute erwachsenen Kinder teilweise
gemacht haben: „hohe Beeinträchtigung der Lebensqualität“, steht in den
wissenschaftliche Untersuchungen. Die Liste ist lang: geringes
Selbstbewusstsein, Bindungsschwierigkeiten, problematische Familienverhältnisse,
Traumata. Dazu Ängste, sich beim Geschlechtsverkehr zu verletzen, zerstörtes
Lustempfinden, Depressionen, Suizidalität.
In der
Schulzeit beginnen die Probleme. Micha ist kein glückliches Kind, aggressiv,
flüchtet oft alleine in die Natur. Dort bringt Micha sich als Jugendliche*r das
Bogenbauen bei. „Ich habe in einem Gefängnis gewohnt“, sagt Micha. „Ich habe
mir meine eigene Welt konstruiert. Das Bogenbauen war für mich Meditation. Es
hat mit Überleben zu tun. Ich habe davon geträumt, alleine in der Natur zu
leben.“ Wenn Micha kann, nimmt ersie damals die Werkzeuge mit nach draußen und
schnitzt, testet, wie sehr sich der Bogen biegt. Er darf nicht brechen.
Mit 13 kommt
Micha in die Pubertät. Stimmbruch und Bartwuchs bleiben aus, Micha wachsen Brüste.
Die Ärzte empfehlen, die Testosteroncreme nicht mehr am Genital, sondern an den
Brustdrüsen aufzutragen. Im Sommer arbeitet Micha als Tellerwäscher*in in einem
Tiroler Restaurant und trägt dicke Wollpullis, aus Scham, aus Angst.
Dann trifft
Micha zusammen mit den Eltern eine Entscheidung: Mastektomie.
Mit siebzehn
lässt Micha sich die Brüste amputieren. „Das war ein unnötiger und
selbstschädigendender Eingriff, den ich bis heute bereue“, sagt Micha. „Aus
damaliger Sicht war es aber eine große Erleichterung. Ich war geistig noch ein
Kind und mein Körper war mir immer fremd. Also habe ich gemacht, was von mir
verlangt wurde.“ Niemand habe die Entscheidung in Frage gestellt.
Ein
Schönheitschirurg in Stertzing übernimmt die Operation. Micha redet ungern darüber,
hat keine Akten aus dieser Zeit.
Michas
Privatsphäre ist irgendwo auf den Untersuchungstischen verloren gegangen,
vergraben unter Narben und der regelmäßigen Aufforderung, die Hosen
runterzulassen.
„Ich dachte
lange Zeit, dass ich für Liebe oder Sexualität total unfähig bin. Das wurde mir
so gesagt. Blöderweise habe ich das geglaubt“, sagt Micha heute. „Aber es hat
mir auch geholfen, diese Zeit zu überstehen. Sonst hätte ich realisiert, dass
ich total anders und einsam bin. Es ist ein Glück, dass ich heute noch lebe.“
2004
befragen Forscherinnen und Forscher Menschen mit einer ähnlichen Diagnose wie
Micha. Das Ergebnis: Fast zwei Drittel hatten Suizidgedanken, ein
Fünftel Suizidversuche hinter sich. Die meisten von ihnen wurden so wie Micha
hormonell und chirurgisch behandelt.
„Ich war in dieser Rolle gefangen. Ich
wusste ja nicht, dass es eine andere Möglichkeit gibt.“
Michas
Erinnerungen an Schmerzen, Krankenhausbetten und Vollnarkosen verschwimmen. Mit
Anfang zwanzig fordert ersie die Krankenunterlagen aus Innsbruck an. Als die
Papiere zum ersten Mal gesammelt auf dem Schreibtisch liegen, geht Micha nach
draußen Holz hacken. Bis der Mittelfinger bricht.
Viele
intergeschlechtliche Menschen kämpfen noch immer um ihre medizinischen
Unterlagen, nur wenige bekommen sie. Die Betroffenen erzählen von abenteuerlich
klingenden Erklärungen der Krankenhäuser. Ein Hochwasser habe die Unterlagen
zerstört, erzählt etwa eine betroffene Person BuzzFeed News. Das Archiv sei
aufgelöst, eine andere. Oft sind die Akten einfach nicht mehr da, weil die
Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind.
Das soll
sich nun verbessern. „Alle Befunde sollen mindestens 30 Jahre aufbewahrt
werden“, steht in den neuen
medizinischen Leitlinien, die vor zwei Jahren veröffentlicht wurden. Sie
gelten als progressiv, gegen die Operationen und für mehr Aufklärung. Rechtlich
bindend sind sie nicht.
Der Arzt aus
Innsbruck, der Micha und der Mutter zufolge den Medizinstudentinnen gezeigt
hat, wie man Michas Penis vermisst, antwortet auf die Frage von BuzzFeed News,
wie er seine Behandlungspraxis heute beurteile: „Ich habe an die geschilderte
Situation keine konkrete Erinnerung [...].“ Die geschilderte Szene entspräche
aber „nicht der geforderten Wertschätzung der Würde eines Patienten und der
ärztlichen Sorgfaltspflicht, unabhängig von der Diagnose.“
Zuschauen
dürfen die Medizinstudierenden noch heute, gibt der Arzt an. Gerade bei
seltenen Variationen der Geschlechtsentwicklung sei die Anwesenheit von
StudentInnen für die Betroffenen und deren Familien „ohne Frage sehr
unangenehm, aber im Sinne der Weitergabe von Wissen leider unumgänglich – die
Zustimmung des Betroffenen vorausgesetzt!“
Michas Mutter
erinnert sich nicht daran, eine solche Zustimmung gegeben zu haben. Micha ist
sich sicher, von dem Arzt nicht danach gefragt worden zu sein.
„In den letzten zehn Jahren hätte ich so
viel erleben können. Diese zehn Jahre kriege ich nie wieder zurück.“
Micha
beginnt ein Physik-Studium in Innsbruck, achtzig Prozent der Kommilitonen sind
Männer. An der Uni findet Micha keinen Anschluss und die Stadt spült die
Erinnerungen an die Klinikbesuche wieder hoch. Jedes Wochenende fährt Micha
nach Hause, zieht wieder mit dem Bogen in die Wälder oder geht Skifahren.
In dieser
Zeit versteht Micha langsam, dass ersie intersexuell ist. Im Internet entdeckt
Micha das Onlineforum Bodies like ours. Auf der Plattform schildern
Intersexuelle ihre Erlebnisse, Micha liest sich durch die Gespräche in den
Foren. Und findet Personen mit der gleichen Diagnose wie ersie, aber mit
anderen Geschlechtern. Menschen, die als Männer leben, als Frauen, als
Dazwischen, oder mal so mal so. Michas Selbstwahrnehmung verändert sich.
Mit 22 kauft
sich Micha ein Zugticket nach Berlin. Zehn Stunden Fahrt, dann steht Micha in
einer Tagungsstätte mit drei dutzend anderen intergeschlechtlichen Menschen. Es
ist ein Treffen der Intersex-Gruppe „XY-Frauen“ – Personen mit männlichem
Chromosomensatz, die von der Gesellschaft als Frauen gelesen werden. Micha ist
verunsichert. „Ich hatte Angst, nicht dazuzupassen.“
Auf dem
Treffen wird viel über medizinische Details gesprochen. Die Masse an
Schicksalen, Leid und Trauma, die hier aufeinander treffen, ist für Micha
schwer erträglich. Aber in der Gruppe sieht Micha, dass ein Leben als
„Dazwischen“ möglich ist. Und beginnt zaghaft, die weiblichen Seite an sich zu
entdecken, die früher nie sein durfte.
Mit 24 zieht
Micha erneut um, beginnt ein Geologiestudium in Leipzig, knüpft Freundschaften.
Kurze Zeit
darauf beginnen neue gesundheitliche Probleme. Es sind Folgen der früheren
Operationen. Schon als Kind hatte Micha häufig Blasenentzündungen. Das
Narbengewebe konnte nicht mitwachsen, der Urin nicht richtig abfließen, durch
das Pressen beim Wasserlassen könnten die Nieren geschädigt werden.
„Das Risiko
dieser Operationen ist erheblich“, sagt Michaela Katzer, Fachärztin für
Urologie, die häufiger intergeschlechtliche Personen behandelt und berät.
Hypospadien
werden auch heute noch in vielen deutschen Kliniken operiert. Neue Studien
zeigen jedoch, dass diese Hypospadien häufig ein Hinweis auf
Intergeschlechlichkeit ist. In diesen Fällen soll erst einmal kein chirurgischer
Eingriff erfolgen, so steht es in den aktuellen medizinischen Leitlinien.
Stattdessen sollen Bluttests oder Ultraschalle gemacht werden, um zu sehen, ob
das Kind intergeschlechtlich ist.
Wenn das
Kind nicht intergeschlechtlich ist, wird davon ausgegangen, dass das Kind sich
zu zu einem Jungen entwickeln wird. Dann wird die Harnröhrenöffnung an die
„richtige“ Stelle operiert. So können die Kinder im Stehen pinkeln.
„Die
Operation ist für das Gefühl der Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht nicht
entscheidend“, sagt Katzer. „Auch nicht, ob die Diagnose als intersexuell gilt
oder nicht. Die Frage ist, ob ihnen unnötiges Leid zugefügt wird.“ Sie habe
viele ältere Patient*innen mit Hypospadie gesehen, die nicht operiert wurden
und heute keine Einschränkungen haben, so Katzer.
Wie würde es
Micha heute gehen, hätten die Operationen nie stattgefunden?
„Die
Operationen haben mir einen erheblichen Teil meiner sexueller Empfindsamkeit
genommen. Und sie haben mich psychisch krank gemacht“, sagt Micha.
„Ich habe
nicht an ein Dazwischen gedacht. Diese Alternative war nicht da“, sagt Michas
Vater.
„Ich habe eine weibliche Seite, und die
habe ich nie zugelassen.“
Nur wenige
Kinder wachsen in Deutschland intergeschlechtlich auf, denn erst seit 2013
erlaubt es das deutsche Recht, den Geschlechtseintrag im Pass leer zu lassen.
Genutzt wird diese Option bislang nur in Einzelfällen. Studien zu nicht
medizinisch behandelten Kindern, die nicht binär aufwachsen, gibt es nicht. Es
sind zu wenige.
Aufgrund der
gesundheitlichen Probleme macht sich Micha auf die Suche nach einem Arzt, der
die Operationen aus der Kindheit korrigieren kann. Micha will eine künstlichen
Öffnung für die Harnröhre an die ursprüngliche Position verlegen lassen, hinter
das verengte, vernarbte Gewebe.
Zunächst
fragt Micha in seiner neuen Heimat Leipzig nach, beim St. Georg Krankenhaus.
Doch das lehnt die Operation ab. Das wäre schwere Körperverletzung, der
Eingriff entspreche nicht der medizinischen Lehre, habe eine Oberärztin im
Beratungsgespräch zu Micha gesagt. So steht es in einem Gedankenprotokoll von
Micha. „In ihrer Lehre komme ich doch überhaupt nicht vor“, habe Micha gesagt.
„Das stimmt“, habe die Ärztin geantwortet.
Micha lehnt
weitere Untersuchungen in der Klinik ab. Eine Oberärztin, deren Name auch auf
dem Entlassungsbrief der Klinik steht, sagt auf Anfrage von BuzzFeed News, sie
erinnere sich nicht daran, jemals so ein Gespräch geführt zu haben. Da sie sich
im Urlaub befinde, könnten keine weiteren Aussagen zu dem Fall getroffen
werden, teilt die Pressestelle BuzzFeed News mit.
2017 findet
Micha einen Arzt, der bereit ist, die Operation durchzuführen.
„Damit haben
wir alle bisherigen plastischen Eingriffe zunichte gemacht“, sagt Dr. Fornara
in einem Gespräch am Telefon. Er ist Direktor der Universitätsklinik für
Urologie in Halle und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie und hat
den Eingriff durchgeführt.
„Ich denke,
die Operation war notwendig“ sagt Fornara. „Es hätte letztlich keine
Alternative gegeben, die besser gewesen wäre.“
Die andere
Option für Micha wäre offenbar eine Reihe von Folgeoperationen gewesen, um die
„normale“ Harnröhre zu erhalten.
Die früheren
Operationen rückgängig zu machen widerspreche „dem herkömmlichen Denken des
Mediziners“, sagt Fornara über die Entscheidung der Klinik in Leipzig, die von
Micha gewünschte Operation abzulehnen. „Und daher ist auch die Haltung des
Mediziners verständlich. Unverständlich ist, dass er aus seinem Schemendenken
nicht herauskommt.“
Die
Beschwerden bezeichnet Fonara als „mentale Tortur“, ohne eine Behandlung hätte
Micha körperliche Probleme bekommen.
Für Fornara
genügend Gründe, um den Eingriff zu machen. „Man hat über diese Leute hinweg
entschieden“, sagt Fornara. „Es sind Menschen, die mit einer Welt kämpfen, die
sie nicht verstehen will.“
Es ist
später Sommer, Deutschland ächzt unter der Hitze. In den Straßen lassen die
Bäume vor Durst die Blätter hängen. Micha ist umgezogen, aus der großen WG in
eine eigene Wohnung. Über dem Bett hängt eine Flagge, gelb, mit einem violetten
Kreis. Es ist das Symbol der intergeschlechtlichen Menschen.
Erst vor
wenigen Monaten hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass es in
Deutschland eine dritte Geschlechtskategorie geben soll. Künftig wird man in
Pass und Geburtsurkunde vermutlich den Begriff „divers“ eintragen können.
Bundesjustizministerin
Katarina Barley äußerte mehrfach, dass sie mit einem Gesetz
geschlechtszuweisende Operationen an Intersex-Kindern verbieten will. So steht
es auch im Koalitionsvertrag. Aber in Deutschland sind gerade andere Themen
wichtig, es wird über Migration, Grenzschutz und Ankerzentren diskutiert.
Operationen,
um eindeutige Jungen und Mädchen zu formen, finden heute vorsichtiger und
seltener statt. Darüber gesprochen wird auch im Jahr 2018 kaum. Eine Studie der Humboldt-Universitätzeigt, dass auch heute noch regelmäßig intergeschlechtliche
Kinder operiert werden.
Intersex-Aktivist*innen
sprechen von Verstümmelung, Ärztinnen und Ärzte fühlen sich falsch dargestellt.
Der bekannteste Intersex-Arzt in Deutschland, Olaf Hiort, steht nach Angabe der
Pressestelle seiner Klinik derzeit nicht für Gespräche zur Verfügung.
Klagen gegen
frühere Unfruchtbarmachungen oder Folgeschäden existieren faktisch nicht. Die
Beweislage ist dünn, die Eltern haben den Operationen zugestimmt. Und sind die
Betroffenen alt genug, um selbst zu klagen, sind die Fälle meist verjährt.
„Ich will
eine Entschädigung”, sagt Micha. „Es kann nicht sein, dass jetzt alles okay
ist.“ Heute bewegt sich Micha zwischen dem Wunsch nach Gerechtigkeit und dem
Drang, mit all den medizinischen Akten und Schmerzen abzuschließen und sich neu
zu definieren. Es prallen zwei Welten aufeinander: Das bisherige Leben, eine
fremde und zugleich vertraute Rolle. Und die Möglichkeit, heute alles anders zu
machen.
„Ich will
etwas dazu sagen, was mich stark macht“, sagt Micha am Ende eines der vielen
Gespräche. „Für mich existieren diese Rollenbilder von Mann und Frau nicht
mehr. Ich picke mir von beiden Seiten raus, was mir gefällt. Ohne darauf zu
achten, ob das aus gesellschaftlicher Sicht zusammenpasst.“
Vergangenes
Jahr ist Micha in den Skiurlaub gefahren, stand mit Gepäck und dicker
Wintermütze an einem Bahnhof in Norditalien. Der Zug hatte Verspätung, Micha
ging an den Fahrkahrtenschalter und fragte, wann der Zug nun endlich komme. Die
Frau am Schalter begann zu plaudern, ihre Tochter sei früher auch Ski gefahren,
seit einem Beinbruch nicht mehr, wie schön, die Signorina solle die Reise
genießen.
Signorina.
„Ich war
stolz“, sagt Micha, „dass sie mich als Frau angesprochen hat. „Ich stand da mit
meinen Skiern in der Hand und meinem großen Rucksack auf dem Rücken und das hat
sich so richtig gut angefühlt.“
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