Samstag, 20. Oktober 2018

Beim Thema Transsexualität muss die Kirche noch ihre Hausaufgaben machen. Das war ein Ergebnis einer dreitägigen Konferenz an der Uni Frankfurt.


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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Beim Thema Transsexualität muss die Kirche noch ihre Hausaufgaben machen. Das war ein Ergebnis einer dreitägigen Konferenz an der Uni Frankfurt. Vortragende und Plenum waren ziemlich queer zusammengesetzt: etliche transidente und intersexuelle Menschen waren da, dazu Neurowissenschaftler aus aller Welt, Psychologen, Biologinnen und Theologen.

"Liebe Menschen", so begann Gerhard Schreiber, Theologe an der Uni Frankfurt, seine Begrüßung – so war niemand gezwungen, sich in eine Geschlechts-Schublade einzuordnen. "Damen und Herren" hätte geradezu kurios gewirkt bei der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften". Schreiber hatte dazu Neurowissenschaftler, Biologinnen, Juristinnen und Theologen eingeladen, um alle auf den neuesten Stand und miteinander ins Gespräch zu bringen.

Die Hirnforscher durften beginnen. Mark Solms, Neurowissenschaftler und Psychoanalytiker aus Kapstadt, zeigte, wie sich das Geschlecht eines Menschen schon vor der Geburt im Gehirn entwickelt und wie kompliziert es ist, die Unterschiede zwischen "männlich" und "weiblich" zu bestimmen. Sein Kollege Dick Swaab aus Amsterdam ergänzte, dass man die sexuelle Identität eines Kindes nach der Geburt nicht mehr ändern kann. "Wir sind unser Gehirn", lautet der Titel seines Buches. Der 81-jährige Biologe Milton Diamond aus Honolulu zeigte Fotos von Menschen mit sowohl männlichen als auch weiblichen 
Geschlechtsmerkmalen ("Intersexuelle") und von Menschen, deren Körper aussehen wie "Männer", die aber im Gehirn "Frauen" sind ("Transfrauen") oder umgekehrt ("Transmänner"). Diamond zeigte damit, welche große Vielfalt es in der Natur gibt.

Manche Menschen wollen sich gar nicht bei "Mann" oder "Frau" einordnen, und letztendlich können es die Hirnforscher auch nicht. Je nachdem, wie man biologische, anatomische, chromosomale, hormonelle, neurologische, genetische, psychologische oder soziale Merkmale kombiniert, ergeben sich unendlich viele Geschlechter. Da kommt die Frage nach dem praktischen Sinn der Ursachenforschung im Gehirn auf: "Woher es kommt, interessiert die Menschen nicht mehr, sobald sie ihren Weg gefunden haben", brachte es ein Teilnehmer kritisch auf den Punkt. Auch einige der 19 Referenten bekräftigten diese Sicht: Der Psychiater und Psychotherapeut Horst-Jörg Haupt aus Luzern warb für geschlechtliche Selbstbestimmung und der evangelische Theologe Dirk Evers von der Universität Halle-Wittenberg sagte fast andachtsgleich: "Vor Gott sind wir als diejenigen angesehen, die in keiner Zuschreibung, in keiner Rolle aufgehen."

Sensibilität war gefragt – auch in der Sprache. Der Psychologe Kurt Seikowski aus Leipzig spricht statt "Transsexualität" lieber von "Transidentität", denn die betreffenden Menschen hätten ja kein Problem mit ihrer "Sexualität". Jemand fragte, was denn bitte "männliche und weibliche Eigenschaften" sein sollen. "Wir müssen den Schubladenschrank loswerden!", forderte Regina Ammicht Quinn vom Zentrum für Gender und Diversitätsforschung in Tübingen.

"Es gibt keine christliche Sexualmoral"

"Aber in der Schöpfungsgeschichte steht doch: er schuf sie als Mann und Frau", mögen Bibelkundige einwenden. Dirk Evers präzisierte, dass in 1. Mose 1,27 die Adjektive "männlich" und "weiblich" stehen. In demselben Vers wird allen Menschen Gottebenbildlichkeit zugesprochen. "In der wechselseitigen Bezogenheit und seiner sexuellen Diversität entspricht der Mensch seinem Schöpfer", erklärte Evers. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sah das auch so: Die Zweigeschlechtlichkeit sei "nicht das einzige Schöpfungsgemäße, gegenüber dem andere geschlechtliche Orientierung als defizitär zu beurteilen wäre", sagte er und forderte: "In der evangelische Kirche sollen sich Menschen jeglichen Geschlechts und verschiedener sexueller Prägung von Gott geliebt und angenommen fühlen." Jung sagte außerdem, dass eine "Entmoralisierung erforderlich" sei.

Moral? Ja, darum geht es immer noch, mindestens in der katholischen Kirche. Welches Problem die mit der Geschlechtlichkeit hat, zeigte die Theologin Regina Ammicht Quinn: Eine klare Zweigeschlechtlichkeit bedeute Ordnung, es darf keine Vermischung und "Unreinheit" geben. "Schmutz" wäre zum Beispiel Körperflüssigkeit am falschen Ort – Chaos bricht aus, nichtpassende Körper müssen "aufgeräumt" werden, 
"Transsexualität ist dann eine Kampfansage an die Schöpfungsordnung", erläuterte Ammicht-Quinn. Gott habe aber gar kein Interesse daran, mit Reinheitsgeboten Ordnung zu schaffen.

 "Es gibt keine christliche Sexualmoral", war ihre steile These. Ammicht Quinn forschte stattdessen vom Begriff "trans" ausgehend nach "Grenzüberschreitungen" im Christentum. Sie fand: die vom Menschen zu Gott (Transzendenz), die von Gott zu den Menschen (Inkarnation) und die "Bekehrung zu einem Gott, der größer ist als die menschlichen Ordnungsversuche" (Konversion). Um Sex muss es also gar nicht gehen beim Thema "Transgeschlechtlichkeit". Mit dieser Erkenntnis war Regina Ammicht Quinn ihren Kollegen um ein paar Nasenlängen voraus.




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