Dienstag, 19. Mai 2020

Ungarisches Parlament verabschiedet transfeindliches Gesetz

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2020

Es wird immer schwerer, Hass und Unwahrheiten wie Diskriminierung  zu entgehen
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Ungarisches Parlament verabschiedet 

transfeindliches Gesetz!

Trotz Kritik aus dem In- und Ausland wird Ungarn demnächst Transsexuelle nicht mehr rechtlich anerkennen.

Das Einkammern-Parlament Ungarns hat am Dienstag mit 133 zu 57 Stimmen endgültig einen Gesetzentwurf angenommen, der mehrere Verordnungen zur Corona-Krise umfasst und zugleich in einem Artikel (Nummer 33) zu Änderungen im Personenstandswesen die Rechte von trans Personen und auch Intersexuellen einschränkt, in einem der schwersten Angriffe auf LGBTI-Rechte in Europa der letzten Jahre.

Diverse Änderungsanträge der Opposition wurden von der Regierungsmehrheit abgelehnt, berichtet die Háttér Society. Sie und weitere LGBTI-Organisationen wollen nun den Präsidenten bitten, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, sondern dem Verfassungsgericht vorzulegen. Das Gesetz sei ein weiteres Beispiel für Menschenrechtsverletzungen durch die Fidesz-Regierung, so die Háttér Society.

Mit der Änderung würde in dem Personenstandseintrag einer Person beim Standesamt künftig nicht mehr das "Geschlecht" erfasst, sondern das "Geschlecht zur Geburt" – definiert als "das biologische Geschlecht", wie es "durch primäre geschlechtliche Merkmale und Chromosomen bestimmt" werde. Ebenso wie der rechtliche Vorname solle die Geschlechtsangabe nicht mehr änderbar sein. Auf diesen Datenbestand basieren alle weiteren offiziellen Dokumente wie Personalausweise oder Führerscheine.

Der Entwurf war erst am 31. März, ausgerechnet am International Transgender Day of Visibility, vom stellvertretenden Ministerpräsident Ungarns, dem Christdemokraten Zsolt Semjén, ins Parlament eingebracht worden. "Da es unmöglich ist, das eigene biologische Geschlecht vollständig zu ändern, muss gesetzlich festgelegt werden, dass es auch nicht beim Standesamt geändert werden kann", heißt es zur Begründung. Das Gesetz lässt unklar, was mit bestehenden Personenstandseinträgen von trans Personen geschehen soll.

Ein "bösartiges Gesetz"
Rechtsexperten gehen davon aus, dass das Gesetz weder vor dem Verfassunsgericht Ungarns noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand haben würde; das Straßburger Gericht hatte mehrfach Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt, wenn trans Personen kein schneller und transparenter Zugang zur Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens ermöglicht wird. Und das nationale Verfassungsgericht hatte bereits mehrfach – zuletzt 2018 einstimmig – zu trans Personen geurteilt, dass es aufgrund der in der Verfassung garantierten Menschenwürde ihr Recht sei, entsprechende rechtliche Anerkennung zu erlangen.

Allerdings hatten Regierung und Verwaltung in den letzten Jahren Urteile weitestgehend ignoriert. Laut Budapest Pride galt in dem Land lange ein vergleichsweise fortschrittliches Verfahren, das ein Gutachten, aber keine Behandlung zur Änderung des Personenstandseintrags vorsah. Es war allerdings nicht gesetzlich definiert. 2014 folgten erste Richtlinien, die allerdings zahlreiche Fragen offen ließen. Nachdem die Ombudsstelle für Menschenrechte 2016 wie später auch das Verfassungsgericht ein Gesetz einforderte, wurde die Anerkennungspraxis mit Verweis auf ein anstehendes, aber nie erlassenes Gesetz von einigen Ausnahmen und einigen kurzen Zeitfenstern abgesehen praktisch komplett ausgesetzt. Auf Urteile, die Anerkennung von trans Personen fortzusetzen, wurde nicht reagiert.
Das Gesetz sei ein "Schritt in die Vergangenheit" und schlicht "bösartig", hatte die unabhängige Abgeordnete Bernadett Szél folglich während einer Ausschussberatung kritisiert. Ihr Versuch, Botschaften von trans Personen vor zu lesen, wie das Gesetz sie betreffen würde, wurde vom Vorsitzenden abgeblockt.

"In Ungarn brauchst Du eine ID, um ein Fahrrad auszuleihen, um ein Busticket zu kaufen oder ein Paket abzuholen", berichtete Ivett Ördög, eine 38-jährige Transfrau, dem "Guardian". Das Gesetz bedeute, "sich andauernd vor komplett fremden Menschen outen zu müssen." Das Gesetz könne zu zusätzlicher Diskriminierung und Gewalt führen, befürchten LGBTI-Organisationen. Die Regierung setze schon länger auf Minderheiten ausgrenzende Sprache, kritisierte Tamás Dombos von der Organisation Háttér Society. "Jetzt ist das nicht mehr nur Diskurs, jetzt werden daraus Gesetze."

Das Vorhaben hatte zu starker Kritik im In- und Ausland geführt, die Háttér Society listet etwa offizielle Schreiben von Vertretern der Vereinten Nationen, des Europarats und der EU. So forderten Mitte April 63 EU-Abgeordnete interfraktionell die Regierung auf, das Gesetz nicht zu verabschieden . Der Chef des Ministerpräsidentenamtes und Fidesz-Abgeordnete Gergely Gulyás hatte darauf mit einem trotzigen Antwortschreiben reagiert, wonach das Gesetz lediglich eine überfällige Definition von "Geschlecht" vorsehe und dem Staat entsprechende Handlungen auferlege, was aber nicht Grundrechte von Menschen verletze: Man schreibe Personen damit nicht vor, wie sie sich identifizieren oder verhalten sollten, so wie man ihnen nicht vorschreibe, was sie zu denken hätten. Die irreführende Antwort verwies noch darauf, dass der Staat nicht nur Menschenrechte garantierte, sondern auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau und den "Schutz von Familien und Kindern".
Orbáns Traum von einer Welt ohne "Gender-Ideologie"
Die von der rechten Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán angeführte ungarische Regierung gilt als LGBTI-feindlich, so ließ sie 2018 per Erlass das Studienfach "Gender Studies" verbieten, um die "christliche Familie" zu schützen . 2017 hatte Orbán persönlich den "Welt-Kongress der Familien", das jährliche Treffen von anti-homosexuellen und anti-transsexuellen Aktivisten aus aller Welt, in Budapest eröffnet. Im Februar 2020 forderte der Regierungschef in einem Memorandum eine Europäische Volkspartei ohne "Gender-Ideologie" und praktisch ohne Ehe für alle . 2012 hatte seine Regierung eine neue Verfassung verantwortet, die die Ehe als Verbindung aus Mann und Frau definiert.
Erst vor rund zwei Wochen hatte das Parlament mit seiner breiten Regierungsmehrheit eine Erklärung beschlossen, die sogenannte Istanbul-Konvention nicht zu ratifizieren. Das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt sei abzulehnen, weil es unter anderem "destruktive Gender-Ideologie" beinhalte, indem es englischsprachig von "Gender" statt "Sex" spreche und dabei auch auf gesellschaftliche Geschlechterrollen verweise.


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