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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2020
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Aus Hass auf die Gleichheit /// Out of hatred of equality ///
Por odio a la igualdad
Aus Hass auf die Gleichheit
Im katholisch-konservativen Südosten Polens erklären sich immer mehr Regionen zu "LGBT-freien Zonen". Das Thema könnte nun sogar die Präsidentschaftswahl entscheiden.
Andrzej Duda ist angeschlagen. Noch vor wenigen Wochen schien die Wiederwahl des polnischen Präsidenten ungefährdet zu sein. Dann jedoch entschied das rechtskonservative Regierungslager, dem er angehört, die für Mai geplante Wahl wegen der Corona-Pandemie auf den 28. Juni zu verschieben. Die Umstände des Vorgangs waren demokratisch höchst zweifelhaft. Das schadete Duda. Seine Zustimmungswerte sanken schnell. Er liegt zwar noch immer vorn, aber mit Blick auf eine mögliche Stichwahl nur noch hauchdünn. Vor allem der nachnominierte Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski erweist sich als ernst zu nehmender liberaler Oppositionskandidat. In dieser Lage setzt Duda nun alles auf eine sehr spezielle Karte: Er spricht vom "Schutz unserer Kinder vor der LGBT-Ideologie".
So steht es in einer erzkonservativen Familien-Charta, die der Präsident am Mittwoch als zentralen Teil seines Programms vorstellte. Weitere Punkte sind die "Verteidigung der Ehe als Verbindung von Mann und Frau" und die Ablehnung aller Adoptionsrechte für homosexuelle Paare. Fast zeitgleich mit Dudas Charta-Präsentation legte Trzaskowski den Behörden mehr als 1,6 Millionen Unterschriften von Unterstützern seiner kurzfristigen Kandidatur vor und sicherte sich auf diese Weise die Teilnahme an der Wahl. Dudas parallele Aktion war da alles andere als ein Zufall. Sie zielte direkt auf Trzaskowski, der als Warschauer Stadtoberhaupt im Februar 2019 eine LGBT+-Erklärung veröffentlicht hatte. Er werde die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, intersexuellen und queeren Menschen (LGBT+) achten und fördern, hatte er angekündigt. Nicht zuletzt betreffe das den Sexualkundeunterricht an Schulen.
Die Aktion des Hauptstadt-Bürgermeisters trieb im weltanschaulich tief gespaltenen Polen schon damals das erzkonservative Lager auf die Barrikaden. Sichtbarstes Zeichen: Innerhalb gut eines Jahres erklärten sich rund 100 Gemeinden, Kreise und ganze Provinzen (Woiwodschaften) vor allem im ländlichen, stark katholisch geprägten Südosten zu "Zonen frei von LGBT-Ideologie", die inzwischen meist verkürzt als "LGBT-freie Zonen" bezeichnet werden. Initiiert hatte die Kampagne eine Zeitung, die ultrarechte Gazeta Polska, als Aufkleberaktion. Auch die ersten konservativen Gemeinderäte, die sich anschlossen, argumentierten meist reichlich unbedarft. Beim Auftakt im Kreis Świdnik bei Lublin hieß es etwa zur Begründung: "Wir wollen, dass die Eltern über die Erziehung ihrer Kinder entscheiden." Das zielte vor allem auf den Sexualkundeunterricht.
Allerdings dauerte es nicht lange, bis die nationalkonservative Regierungspartei PiS auf den Zug aufsprang. Parteichef Jarosław Kaczyński machte die Anti-LGBT-Kampagne 2019 zu einem zentralen Teil des Europa- und des polnischen Parlamentswahlkampfes. Kaczyńskis Devise lautete: "Die LGBT- und Gender-Bewegung bedrohen unsere polnische Identität, die Nation und den Staat." Die politische Zuspitzung blieb nicht ohne Folgen. Im Juli 2019 fielen in der ostpolnischen Provinzstadt Białystok mehrere Hundert Rechtsradikale über die Teilnehmer eines Gleichheitsmarsches her. Die Angreifer warfen Steine, Flaschen und Böller auf die Demonstrierenden, die ein Zeichen gegen Homophobie setzen wollten. Nur ein massiver Polizeieinsatz verhinderte Schlimmeres.
Doch damit nicht genug. Statt die hochkochenden Gemüter zu besänftigen, predigte wenige Tage später ausgerechnet der einflussreiche Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski gegen die "regenbogenfarbene Seuche" der LGBT-Bewegung, die er mit der "roten Seuche" des Kommunismus in Polen verglich. Eine führende Rolle in der Kampagne spielte zu diesem Zeitpunkt auch bereits die ultrarechte Stiftung "Instytut Ordo Iuris". Sie veröffentlichte einen Mustertext für eine "Kommunale Charta der Familienrechte", dessen sich interessierte Gebietskörperschaften fortan bedienen konnten. Wie Präsident Duda in seiner Wahlkampagne, so verwies auch diese Charta auf Artikel 18 der polnischen Verfassung: "Die Ehe als Verbindung von Frau und Mann, Familie, Mutterschaft und das Elternrecht stehen unter Schutz und in Obhut der Republik."
Jakub Gawron kann das alles bis heute nicht recht fassen. Der junge LGBT-Aktivist aus dem südostpolnischen Rzeszów träumt von einem "Polen gleichberechtigter Menschen, in dem jede Familie, unabhängig von ihrer Zusammensetzung, mit dem gleichen Respekt behandelt wird". Eine Diskriminierung homosexueller Paare mit Kindern kommt in den Träumen des 29-Jährigen dagegen nicht vor.
Ebenso wenig wie der Hass auf Menschen, die sich nicht in das klassische Geschlechter- und Familienraster pressen lassen, ob dieses Modell nun in der Verfassung festgeschrieben ist oder nicht. Schließlich steht dort auch: "Niemand darf aus welchem Grund auch immer im politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Leben diskriminiert werden."
Gawron weiß allerdings, dass es offene Feindschaft in Polen sehr wohl gibt. Er hat sie sogar auf einer Karte dokumentiert. Der "Atlas des Hasses", den er mit einem kleinen Team erarbeitet hat, zeigt die schnell wachsende Zahl der "Zonen", die sich für "frei von LGBT-Ideologie" erklärt haben. Dabei sind diese Deklarationen juristisch bedeutungslos. Niemand, der sich in einer der "Zonen" etwa für die Rechte von Homosexuellen einsetzt, kann dafür belangt werden. Im Gegenteil: Die polnische Verfassung schützt ausdrücklich "die Freiheit von jedermann, seine Anschauungen zu äußern". In der gelebten Wirklichkeit aber stehen die verbrieften Grundrechte nur auf dem einen Blatt. Auf einem anderen stehen gesellschaftlicher Gruppendruck oder offene Gewalt wie in Białystok.
Gawron pflegt deshalb inzwischen auch den Kontakt mit EU-Abgeordneten, die das Thema der "LGBT-freien Zonen" auf die Tagesordnung in Straßburg gehoben haben. Im vergangenen Dezember verurteilte das Europaparlament das Vorgehen scharf und forderte die Brüsseler Kommission auf, die Vergabe von Fördermitteln an Regionen zu stoppen, in denen Menschen offen diskriminiert werden.
Tatsächlich gehört der Südosten Polens zu den Gebieten in Europa, die am stärksten von EU-Hilfen profitieren. Auch einige Partnergemeinden in Westeuropa reagierten und setzten die Zusammenarbeit aus. Allerdings argumentieren manche, vor allem deutsche Kommunalpolitiker, man wolle lieber im Gespräch mit den Polen bleiben und Überzeugungsarbeit leisten, als alle Verbindungen zu kappen.
Ihre Hoffnung dürften die Dialogbereiten nun auf einen Sieg des liberalen Warschauer Oberbürgermeisters Trzaskowski bei der anstehenden Präsidentschaftswahl setzen. Allerdings könnte dessen größter Trumpf, seine Mobilisierungskraft im städtischen, weltoffenen und bürgerlich-liberalen Milieu, am Ende auch zum entscheidenden Nachteil werden.
Denn im strukturkonservativen Polen waren die Gegenbewegungen in der Vergangenheit meist stärker. "Es war klug von Duda, die Familienkarte zu spielen", urteilte denn auch die gemäßigte, durchaus regierungskritische Zeitung Rzeczpospolita über die jüngste Charta-Aktion des Präsidenten. Allerdings gab der Kommentator auch zu bedenken: "Derzeit steht Polen angesichts der Corona-Pandemie vor ganz anderen Problemen." Dudas Versuch, die Wahl in einen ideologischen Kampf zu verwandeln, könne deshalb auch scheitern.
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