Montag, 29. Juni 2020

Menschen im falschen Körper: Wie Transgender in Russland leben /// People in the wrong body: how transgender people live in Russia /// Personas en el cuerpo equivocado: cómo viven las personas transgénero en Rusia

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2020
Escaping hatred and falsehoods like discrimination is becoming increasingly difficult

In times of fake news, social bots and hate speech, we believe more than ever that

Sites like https://trans-weib.blogspot.com/ play an important role.

Menschen im falschen Körper: Wie Transgender in Russland leben

Noch vor zehn Jahren waren Transgender in Russland eine "unsichtbare" Gruppe. Niemand wusste, wie viele von ihnen, wie sie lebten und was sie wollten. Aber die jüngsten Skandale rund um das Thema machen sie sichtbarer. Russia Beyond haben einige Transgender darüber erzählt, wie ihr Leben in Russland aussieht.

Als der achtjährige Iwan mit seiner Familie auf dem Dorf lebte, hatte er nur eine geringe Chance, Leute wie sich selbst zu treffen. Was für Leute? Er wusste es nicht. In seiner ganzen Kindheit lebte er mit dem Gefühl, dass mit seinem jungen Körper etwas nicht stimmte. Was noch schlimmer ist: Er hat nicht verstanden, was falsch war.

Die Familie zog dann später nach Tschita, eine Stadt in Sibirien nahe der Grenze zur Mongolei. Im Alter von 19 Jahren entdekcte Iwan, dass er schwul sei. Er mochte Männer. Mädchen interessierten ihn nicht, dafür aber ihre "weibliche Welt": Kleidung, Kosmetik, Sanftheit, Zärtlichkeit. Er lernte die lokale LGBT-Community kennen. Auf einer ihrer Partys wurde er zum ersten Mal nach seinem Geschlecht gefragt. Er war verwirrt, ging nach Hause, begann auf YouTube zu suchen.

Bald danach zog Iwan auch bei seinen Eltern aus. Mit 23 Jahren -begann er eine Hormontherapie, um eine Frau zu werden. Nach einem misslungenen Selbstmordversuch machte er eine Therapie. Jetzt ist er 24 Jahre alt und nur seine Schwester weiß, was mit ihm passiert.

"Ich denke, dass meine Eltern sich das oft fragen. Obwohl sie nie Fragen gestellt haben."

Iwan ist ein Typ mit einem blassen und schmalen Gesicht. Sein Haar ist kurz geschoren, um das Tragen einer Perücke zu erleichtern. Sein Körper verändert sich bereits. Wenn er seine Eltern besucht, zieht er ein "Sack-Ding" an und hofft, dass sie nie die Wahrheit erfahren werden.

"Ich kenne sie. Sie werden mich ablehnen. Ich möchte sie nicht verlieren. Lass alles so sein wie es ist."

Iwan hat einen "Plan des Verschwindens". Er will in eine andere Stadt gehen, eine Operation machen, seinen Namen ändern, ein neues Leben beginnen. Weil es für ihn besser ist zu verschwinden als sich zu öffnen. Aber dafür braucht er Geld. Und in seiner Lebensgeschichte, ist er überzeugt, "gibt es nichts Neues". So ergehe es jedem, der in einer kleinen russischen Stadt lebt und "immer wusste, denn der Körper verrät: Er gehört ihnen nicht."

Reine Biologie

"Eigentlich stimmt mit mir gar nichts. Obwohl ich viel durchgemacht habe. Erklären Sie einmal meiner Mutter und anderen, dass Sie in einem fremden Körper leben? Wie kann das überhaupt erklärt werden?"

Die 22-jährige Viktoria* ist in ihren Dokumenten immer noch ein Mann. Auch physisch. Sie hat noch chirurgische Korrektur des Geschlechtes machen lassen. Aber in ihrem Schrank gibt es seit vier Jahren nicht einmal mehr eine Jeans, denn "das ist Unisex." Nur Kleider und Röcke.

Viktoria lebt in Kaliningrad. Nur in Moskau oder St. Petersburg gibt es zumindest eine Gemeinschaft von Transgendern wie ihr. Aber Viktoria hat auch zuhause Freunde, sie kommuniziert mit Verwandten, sie hatte eine lange Beziehung mit einem Mann. Das einzige, was sie bisher mit ihrem Körper gemacht hat, ist eine Brustvergrößerung. 

"Im Alter von 14 Jahren war mir bereits klar, dass ich ein Mädchen bin und nicht anders leben kann. Ob ich will oder will nicht. Da war etwas körperlich falsch mit mir. Während meine Klassenkameraden in den Stimmbruch kamen, passierte bei mir gar nichts. "

Viktorias Brust wuchs sogar teilweise von selbst. Sie bezeichnet das heute als "Glück", denn es hat ihr einige Schwierigkeiten erspart, die andere Transgender haben. 

"Mein Vater hat nie bei uns gelebt, ich habe nicht mit ihm kommuniziert. Mama hat nicht aufgegeben, mich zu einem 'normalen Kind' zu machen. Sie meldete mich zu 'männlichen' Klubs wie Taekwondo und Boxen an. Im Friseurladen konnte ich mir die Haare schneiden. Bis 16 hat sie mir alle Klamotten gekauft. Maskulin, natürlich. Aber ich habe ihr bei jeder Gelegenheit gesagt: 'Mama, sieh mich an!'" 

Die Ärzte sagten, dass ihr Körper mehr weibliche Hormone produziert, darum braucht Viktoria keine hormonelle Korrektur. Nach dem Schulabsbschluss dann konnte Viktoria auch alle Männerkleidung abwerfen und in Frauenkleidung rausgehen.

"Ich habe mich der Gesellschaft perfekt angeschlossen, weil ich keine Hormontherapie mache.Mein Kopf ist in Ordnung. Viele andere bekommen Anfälle: versuchen Selbstmord, undem sie packungsweise Pillen schlucken. So werden sie verrückt."

Transgender-Leute leiden oft darunter, dass sie eine der "unsichtbarsten" und in Rechtsfragen begrenztesten sozialen Gruppen in Russland sind. Iwan beschreibt es so:

"Ich bin eine weiße Krähe. Ich habe keine Freunde. Ich habe keine Beziehung und niemand wird mir das Leben leichter machen."

Pest oder Schönheit

In Russland gilt die Krankheiten-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bis Juni 2018 betrachtete diese Transgender (offiziell "Transsexualität") noch ganz offiziell als psychische Störung- nur durch Kommata von der Schizophrenie getrennt. In der neuen Ausgabe erkennt die WHO Transsexualität als Norm an. Dies hebt jedoch den geschlossenen Kreislauf nicht auf.

Das Geschlecht kann nur mit Erlaubnis einer medizinischen Kommission geändert werden. Diese umfasst einen Psychiater, einen Sexologen und einen Psychologen. Um in die Kommission zu kommen, müssen Sie eine Weile beobachtet werden. Der Prozess dauert acht Monate bis zwei Jahre. Wenn eine Person ihre Transgenderität nicht überzeugend ausdrückt, verweigert die Kommission ihm die Operation. Aber ohne Operation ist es unmöglich, Pass, Geschlecht und Namen zu ändern. Nur wenige Transgender brauchen keinen chirurgische Eingriff, um sich wohl zu fühlen.

"Ich habe versucht, eine Stelle als Kellnerin, Verkäuferin, Bedienung in der Clubsphäre zu bekommen. Alles lief reibungslos, bis ich die notwendigen Unterlagen mitbrachte. Danach hat sich alles geändert. Das Beste, was Ihnen gesagt wird, ist 'Wir haben bereits eine andere Person gefunden' oder 'Wir rufen Sie zurück'. Aber sie sagten mir auch: 'Du bist ein Mann, warum quälst du dich selbst? Warum bist du so verwöhnt von der Gesellschaft? Warum willst du so aussehen?' Ich war selbstständiger Maskenbildner und arbeitete zu Hause. Jetzt bin ich arbeitslos."

Viktoria glaubt, dass sie wegen ihrer Transsexualität keinen Job bekommt, weil die Chefs den schlechten Ruf fürchteten.

"Menschen sind intolerant. Sie sind unbequem, wenn sie neben uns sind. Jeder macht sich Sorgen um den Ruf."

Iwan arbeitet als Stylist in einem lokalen Salon. Er sagt, dass die Schönheitssphäre fast der einzige Ort ist, wo Transgender nicht völlig ausgeschlossen sind. Aber das bringt Einkommen reiche nicht für chirurgische Geschlechtsumwandlung.

"Allein eine Vaginalplastik kostet ab eine halbe Million Rubel [8.000 $]. Darum gehen viele zur Prostitution, es ist wie eine 'Plage'. Sie haben nichts: keine Arbeit, kein Geld, keine Familie, nichts zu verlieren. Sie leben den Traum von einer Operation und sparen darauf. Nur aus irgendeinem Grund können sie nicht verstehen, dass sie danach von niemandem gebraucht werden, aber wenn sie es tun, dann als eine Sache."
Nicht dein Körper
Als Viktoria einen Freund hatte, schwieg sie einen Monat lang darüber, wer sie wirklich ist. Er hat es nicht vermutet.

"Ich musste es sagen. Es gab noch keine Kontakte, ich werde nicht einmal operiert."

Sie hat es ihm gestanden. Der junge Mann erlitt einen Zusammenbruch: Er hat lange geschrien.

"Er hatte Schmerzen. Sein emotionaler Zustand war so, dass ich Angst hatte, er würde sich vielleicht etwas antun."

Er verließ sie kurz im Schock. Dann aber waren die beidennoch anderthalb Jahre zusammen.

Im Mai dieses Jahres beschäftigten folgende Geschichten die russischen Medien: Die Russin Julia Sawinowoskich wurden mach einer Mastektomie (Entfernung der Brust) ihre zwei adoptierten Kinder weggenommen. Sie bloggte darüber, wie man sich auf eine chirurgische Korrektur von Sex vorbereite.

Im Juli wurde auf Facebook die Firma #transphobia gegründet, nachdem ein Transgender-Mädchen nicht in einen Sankt Petersburger Nachtclub gelassen, stattdessen aber als "Monster" bezeichnet wurde. Iwan versteht die Gesellschaft um ihn herum nicht. 

"Am schwierigsten ist die Gesellschaft, in der selbst ein kleines Kind angerannt kommen und einen eine Schwuchtel nennen kann. Niemand wird ihm etwas sagen,"

Viktoria stimmt ihm zu. Sie nennt es eine Gesellschaft, "in der jeder in deine Seele, unter deinen Rock, in deinen Kopf guckt, um dir die Leviten zu lesen. 'Frag mich doch mal, was ich dabei fühle!'" 


"Ich verstehe diese  Logik nicht. Es gibt Vergewaltiger, Schläger, Mörder. Behandle sie so. Wir sind etwas Schlimmeres? Haben wir dir etwas getan? Die Leute denken, das ist Torheit. Es ist, als hätten wir das selbst gewählt und litten jetzt. Aber wie erklärt man einem Menschen, dass man nicht anders leben kann. Du kannst nicht in dem Körper leben, in dem du geboren wurdest, weil es nicht dein Körper ist. Du hast keine Wahl."



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