Marginal und mächtig?
Statt darüber zu sprechen, wie trans Menschen den Diskurs prägen, sollten wir uns lieber mit den Demütigungen auseinandersetzen, die sie erfahren.
Es gibt ein eigenartiges Phänomen: Menschen, die trans sind, werden gleichzeitig als vernachlässigbare Minderheit beschrieben, um die man nicht so ein Brimborium veranstalten sollte – und als bedrohlicher Trend, der mächtig um sich greift. Wie geht beides gleichzeitig? Wie der Ausländer, der faul ist und gleichzeitig Deutschen ihre Jobs wegnimmt. Konservative sind sich nicht ganz sicher: Gibt es jetzt so wenige trans Personen, dass man sie eigentlich auch ignorieren könnte, oder so viele, dass es einen richtigen Boom gibt? Beides, offenbar.
So machte sich zum Beispiel vor ein paar Tagen Jan Fleischhauer – gemeinsam mit vielen anderen Menschen – auf Twitter über eine Forderung der sächsischen SPD lustig, die will, dass auf öffentlichen Toiletten Mülleimer stehen, auch bei den Männern. »Niemand hat etwas gegen zusätzliche Mülleimer für Hygieneprodukte. Aber eine Partei, die auf einem Parteitag die Probleme ›menstruierender Männer‹ zu lösen versucht, hat irgendwo in ihrer langen Geschichte den Kompass verloren.« So, so.
Kompass verloren heißt ja: Prioritäten verrutscht, gibt Wichtigeres. Stimmt ja auch. Gibt Wichtigeres als Mülleimer. Aber jede menstruierende Person, die schon mal mit einem vollgebluteten Produkt in der Hand nicht wusste, wohin damit, weiß: Das nervt. Das Ganze betrifft nicht nur Leute mit Uterus, sondern zum Beispiel auch ältere Männermit Inkontinenz, die regelmäßig Binden entsorgen müssen.
Manche trans Männer menstruieren, manche nicht. Man könnte ihnen Mülleimer gönnen. Selbst wenn man keinen einzigen kennt. Nicht so schwer, eigentlich, klappt in anderen Fällen ja auch. Ich zum Beispiel kenne keine blinde Person persönlich, und ich weiß nicht, wie viele blinde Menschen es überhaupt gibt. Aber ich glaube trotzdem, dass öffentliche Orte so gebaut sein sollten, dass blinde Menschen zurechtkommen und sich wohlfühlen.
In der »NZZ« war vor ein paar Monaten zu lesen: »Die Zahl angeblicher Transkinder explodiert weltweit.« Der Text war von der rechtspopulistischen Autorin Birgit Kelle. Sie zitierte unter anderem den Psychiater Alexander Korte, der in solchen Texten oft zitiert wird, weil er gern von einem »Hype« spricht, wenn es um Transgeschlechtlichkeit geht, und wir alle wissen ja: Wo ein Hype ist, sollte man skeptisch sein. Bei den trans Personen, die ich kenne, gilt er als transfeindlich.
»Transfeindlich« ist ein großes Wort, ist ja klar. Oft wird das, was trans Menschen (und solche, die mit ihnen solidarisch sind), als »feindlich« bezeichnen, als Sorge formuliert: Sorge um Kinder oder Jugendliche, die durch den »Hype« falsche Entscheidungen treffen könnten – oder Sorge um Frauen, die nicht trans sind.
Man kennt diese als Fürsorge getarnte Ablehnung auch aus anderen Diskussionen: Als etwa die »Pille danach« in Deutschland rezeptfrei wurde, wurde gewarnt, Frauen würden sich dann ständig diese Tabletten einwerfen, die doch Nebenwirkungen haben könnten, Stichwort Jens Spahn, Stichwort »keine Smarties«. Aber weiter im Text.
»Vom Verschwinden der Frauen« hieß ein Text in der »Süddeutschen Zeitung«. Es ging um einen Satz aus dem Grundsatzprogramm der Grünen: »Alle Menschen haben ausschließlich selbst das Recht, ihr Geschlecht zu definieren.« Der Kommentar wandte sich gegen diese Idee, obwohl die Autorin Susan Vahabzadeh feststellte, dass das Thema im Wahlprogramm der Grünen nicht drinsteht, folglich vermutlich kein so dringender Plan der Partei ist. Aber gut, warum nicht trotzdem drüber schreiben.
(Fun Fact: Im Wahlprogramm der Linken steht genau dieser Plan, aber über Die Linke redet man gerade nicht so viel. Die Linke fordert einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag, die »Vornamens- und Personenstandsänderung muss mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt möglich werden – ohne die bisherigen Zwangsberatungen, Gutachten, ärztlichen Atteste und Gerichtsverfahren«.)
Wozu entwirft man solche Szenarien?
Der Satz der Grünen bereitete der Autorin Sorgen, denn: »Es ist falsch, Geschlechtswechsel unnötig zu erschweren, aber die einzige Alternative kann nicht darin bestehen, die Zuordnung zu einem Geschlecht wie das Ankreuzen eines Menü-Wunschs zu gestalten, jährlich veränderbar.« Es wäre dann möglich, dass ein Mann sich als Frau eintragen lässt, um einen Job über die Frauenquote zu kriegen, schreibt sie.
Außerdem sei dann »keine Statistik mehr aussagekräftig«, die Kategorie »Frau« würde verschwinden, und man könnte folglich etwa auch nicht mehr erheben, ob Frauen schlechter bezahlt werden. Wie realistisch ist das? Dass Männer sich plötzlich als Frau definieren, um einen Job zu kriegen? Dass Menschen jährlich (!) ihren Geschlechtseintrag und Namen wechseln – wozu entwirft man solche Szenarien?
Das Ding ist: So funktioniert es nicht. Man kann nicht für Frauenrechte kämpfen, indem man gleichzeitig die Rechte von trans Personen mit Füßen tritt. Das ist so, als wenn man für Tierrechte kämpfen will, aber für Tiger nicht, weil man die bedrohlich findet. Es gibt eh schon Länder, in denen man seinen Geschlechtseintrag und Namen einfacher ändern kann, und dort ist »die Kategorie Frau« bislang auch nicht »verschwunden«. Verschwunden ist aber ein ganzer Batzen entwürdigender Diskriminierung durch den Staat.
Spanner spannen, wenn sie wollen, egal, was auf der Klotür steht.
Als in den vergangenen Jahren über Unisex-Toiletten diskutiert wurde, gab es oft den Einwand, dass dann übergriffige Männer als Spanner die Chance nutzen würden, um Frauen auf dem Klo zu beobachten. Allein: Wir würden mitbekommen, wenn es so wäre, denn es wäre ein Skandal. Sind solche Fälle bekannt? Nichts gehört bisher. Spanner spannen, wenn sie wollen, egal, was auf der Klotür steht.
Aktuell ist es so, dass trans Personen nach dem »Transsexuellengesetz« eine lange Tortur mit Gutachten, Kosten und übergriffigen Fragen (»Wie masturbieren Sie?«) durchlaufen müssen, um ihr Geschlecht anerkennen zu lassen. Wer darüber ein leicht zugängliches Buch lesen möchte: »Ich bin Linus«. Linus Giese schreibt darin über sein Leben als trans Mann und zeigt darin auch Verständnis, dass nicht immer alle schon alles über das Thema wissen – er selbst wusste früher auch wenig darüber und brauchte deswegen lange, um seinen Weg zu finden.
Weil solches Wissen inzwischen so leicht zugänglich ist, ist es unklar, warum nicht mehr Menschen sich tatsächlich mal mit den Erzählungen von trans Personen auseinandersetzen, um zu sehen, wie krass viele von ihnen immer noch gedemütigt werden. Gieses Buch ist voll von Wörtern wie »Scham«, »unsicher«, »lähmende Angst«. Er schreibt, wie er nach seinem Coming-out Angst hatte, dass irgendwann die Polizei vor seiner Tür stehen würde: »Frau Giese, Sie sind eine Betrügerin – bitte geben Sie Ihr Leben zurück.«
Im SPIEGEL schrieb vor wenigen Tagen mein Kollege und Ressortleiter Sebastian Hammelehle über den Schauspieler Elliot Page, der ein Foto auf Instagram gepostet hatte. Er bemerkte, dass in der SPIEGEL-Meldung dazu nicht der frühere, weibliche Name von Page stand, sondern nur, dass er trans ist. Denn es gebe ein Tabu aus der Trans-Community, dem sich nun auch die Medien gebeugt hätten: solche Namen nicht zu nennen oder jedenfalls möglichst selten. »Die Zahl der Transmenschen ist klein. Der kulturelle Umbruch jedoch, der von ihnen und anderen Minderheiten ausgeht, gewaltig. Dafür ist das Verschwinden von Elliot Pages Totnamen nur ein weiteres Indiz.« Der Begriff »Deadname« klinge »ein wenig nach Neusprech, der Kunstsprache aus George Orwells Roman ›1984‹«.
Wir lernen alle dazu
Im dazugehörigen Essay ging es dann natürlich um Demokratie, Sprache und Freiheit – und um neue Tabus: »Wie gedeihlich kann es in einem Gemeinwesen auf Dauer zugehen, wenn ein Gutteil seiner Bürgerinnen und Bürger fürchtet, von Tabusetzerinnen und -setzern zumindest gegängelt zu werden, wenn nicht gar geknebelt?« Hammelehle kommt zu dem Schluss: »Ein wirklicher Bewusstseinswandel aber hätte sich erst dann vollzogen, wenn Elliot Page in aller Selbstverständlichkeit seinen alten Vornamen posten würde.« Für mich ergibt das keinen Sinn. Ein wirklicher Bewusstseinswandel hätte sich meiner Meinung nach dann vollzogen, wenn ein Instagram-Foto eines Schauspielers, der trans ist, nicht einen Artikel hervorbringen würde, in dem es darum geht, welche neuen Tabus durch die trans Community entstehen, denn wir erinnern uns: »1984« ist eine Dystopie.
Aber: So schlimm ist es gar nicht. Im bereits erwähnten Buch »Ich bin Linus« nennt der Autor mehrfach seinen alten Namen – halt mit der Ergänzung, dass er froh ist, ihn abgelegt zu haben. Wenn Leute seinen alten Namen verwenden würden, damit andere verstehen, um wen es geht, dann verstehe er zwar nicht ganz, wozu, aber: »Solange ich nicht danebensitzen muss, ist mir das völlig egal.«
Ich mache auch nicht alles richtig bezüglich trans Personen, ich lerne auch dazu. Neulich habe ich zum Beispiel geschrieben, dass viele Frauen an Endometriose leiden, und es stimmt, aber halt manche Männer (trans Männer nämlich) auch. Oder nonbinäre Leute. Es kann sogar sein, dass ich in diesem Text etwas falsch gemacht habe, obwohl ich mich bemüht habe. Vielleicht wird oben jemand den Vergleich »trans / blind« kritisieren, denn trans zu sein ist ja keine Behinderung. Ich würde dann sagen, dass das stimmt. Wir lernen alle dazu.
Aber: Es ist mir unverständlich, warum Leute manche Entwicklungen oder Forderungen so sehr als bedrohliche Einschränkung ihrer Freiheiten oder demokratischer Grundwerte sehen, obwohl man ihnen eigentlich nichts wegnehmen will. Die Energie, die Menschen aufbringen, um sich dystopisch auszumalen, was alles Schlimmes passieren könnte, wenn trans Personen ein etwas leichteres Leben hätten, könnten sie ja auch nutzen, um sich zu informieren, was eigentlich deren Probleme und Bedürfnisse sind. Nur mal so als Idee.
Quelltext: https://www.spiegel.de/kultur/berichterstattung-ueber-trans-personen-marginal-und-maechtig-a-0addc270-6ada-4314-80e6-4055a9d9b3a5
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