Donnerstag, 16. März 2023

EIN SCHEIN ZUM (ANDERS)-SEINÜber „Freunde und Helfer“ von Transsexuellen in der Weimarer Republik


 

EIN SCHEIN ZUM (ANDERS)-SEIN

Über „Freunde und Helfer“ von Transsexuellen in der Weimarer Republik

Magnus Hirschfeld war der bekannteste Wissenschaftler und Aktivist der Sexualreformbewegung der Weimarer Republik. Schwerpunkt seiner Arbeit waren die Erforschung und Entkriminalisierung der Homosexualität sowie der geschlechtlichen Variationen, den sogenannten Sexuellen Zwischenstufen. Thomas Jander, Sammlungsleiter Dokumente stellt im DHM-Blog die Arbeit Hirschfelds genauer vor und erklärt, was es mit den sogenannten „Transvestitenscheinen“ auf sich hat.

1919 – Die Gründung des Instituts für Sexualwissenschaft

Der Sommer 1919 war für die Zukunft Deutschlands und Europas von tiefgreifender Bedeutung: Am 28. Juni unterschrieben die Vertreter der bis dahin formal noch immer kriegführenden Nationen den Friedensvertrag von Versailles. Gut einen Monat später beschloss die in Weimar tagende Nationalversammlung eine Verfassung, die das Land zur ersten deutschen Republik machte.

Weltpolitisch weit weniger wichtig aber gleichwohl keine bloße historische Randnotiz war eine andere Gründung dieses Sommers: Am 6. Juli 1919 eröffnete der Arzt und Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld (1868 – 1935) in Berlin-Tiergarten das Institut für Sexualwissenschaft (IfS). Es war die weltweit erste und für viele Jahre einzige Stätte der Erforschung, Beratung und Behandlung für Menschen jeder sexueller Orientierung. Vor allem aber suchten und fanden Homo- und Transsexuelle bei Hirschfeld und seinen Mitarbeiter*innen Rat und Hilfe.

dieser Zeit war Hirschfeld bereits seit langem im Kampf um die Entkriminalisierung der Homosexualität aktiv. Homosexuelle (beischlafähnliche) Handlungen waren nach § 175 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) verboten und strafbar: Es drohten Gefängnis und Verlust der bürgerlichen Rechte. Durch diese Kriminalisierung wurde Homosexualität mit Prostitution und Verbrechertum gleichgesetzt und entsprechend überwacht und bekämpft.

Hirschfelds Beziehungen zur Berliner Kriminalpolizei

Berlin war bereits um die Jahrhundertwende ein Anziehungspunkt für Homosexuelle und daher existierte hier bereits seit 1885 bei der Kriminalpolizei ein eigenes „Homosexuellendezernat“. Magnus Hirschfeld, der seit Anfang der 1890er Jahre in der Reichshauptstadt lebte, gelang es durch gute persönliche Beziehungen zu Kripo-Beamten teils bemerkenswert liberale Einstellungen zu erwirken. Er traf hier auf Kommissare, die durch Sachverstand und Überzeugung die Verfolgung von „Männerfreunden und Päderasten“ entweder mit nur wenig Nachdruck betrieben oder sogar offen für die Abschaffung des § 175 eintraten: Leopold von Meerscheidt-Hüllessem (1849 – 1900), Hans von Tresckow (1863 – 1934) und Heinrich Kopp (1871 – 1941). Besonders gut war das Verhältnis zu Tresckow und Kopp, Leiter des Dezernats  von 1900 bis 1911 bzw. von 1911 bis 1923. Für Kopp setzte sich Hirschfeld als langjähriges SPD-Mitglied sogar persönlich ein:

„Sehr geehrter Herr Minister und Genosse!“ schrieb er im Frühjahr 1919  an den damaligen preußischen Innenminister Paul Hirsch (1868-1940) „Hinsichtlich der so notwendigen Reform des Polizeiwesens im sozialistischen Sinne rate ich dringend, den jetzigen Kriminalkommissar Dr. Heinrich Kopp ins Ministerium zu berufen.“

Grundsätzlich blieb es für Schwule – lesbischer Sex war nicht strafwürdig – bei der Praxis der Überwachung, gleichwohl stellte sich besonders in den ersten Jahren der Weimarer Zeit im Alltag ein nicht zu übersehendes Maß an Duldung ein.

Ähnlich erging es Transsexuellen, die im damaligen Sprachgebrauch „Transvestit“ genannt wurden und im Gegensatz zu Homosexuellen (oft) auch als solche erkennbar waren: Männer, die in der Öffentlichkeit als Frauen und Frauen, die in der Öffentlichkeit als Männer auftraten. Zwar fiel das Tragen von Kleidern des jeweils anderes Geschlechts nicht unter den „Homosexuellenparagraphen“, blieb aber dennoch ein strafrechtlich geahndeter Akt und konnte nach § 183 RStGB als sexuelle Handlung bewertet mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Da auch in diesen Fällen das Homosexuellendezernat zuständig war, erwies sich eine Zusammenarbeit mit Vertreter*innen der Sexualwissenschaft wiederum als vorteilhaft.

„Transvestitismus“ und „Transvestitenscheine“

Magnus Hirschfeld hatte in seinen Forschungen zur sexuellen Varianz – den „Zwischenstufen“ – den Begriff des „Transvestiten“ geprägt und 1910 mit „Die Transvestiten. Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb“ die weltweit erste Studie dazu veröffentlicht. Dabei stellte er fest, dass keine zwangsläufige Verbindung zwischen Homosexualität und Transvestitismus besteht, sondern vielmehr eine Diskrepanz zwischen physischer und psychischer Verfassung. Weil so die jeweilige Kleidung für das körperliche und seelische Wohlbefinden von lebenswichtiger Bedeutung ist, war er der Ansicht, als Arzt nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet zu sein, die „Umkleidung“ als notwendig zu attestieren. Auf dieser Grundlage konnten Kopp und Hirschfeld eine Regelung erwirken, die erlaubte, den entsprechenden Männern und Frauen nach Vorlage einer ärztliche Bestätigung ihres „Transvestitismus“ polizeiliche Ausweise auszustellen – sogenannte Transvestitenscheine.

Bereits 1912 erhielt die Berlinerin Bertha Buttgereit (1891 – 1981) nach einem Gutachten Hirschfelds einen solchen Ausweis (und 1918 sogar einen Reisepass) und konnte fortan unbehelligt mit dem Vornamen Berthold als Mann leben. Ein anderer früher Transvestitenschein wurde ebenfalls 1912 Georg bzw. später Gerda von Zobeltitz (1891 – 1963), die immer wieder mit der Polizei in Konflikt geriet und in Frauenkleidern sogar vor der Musterungskommission in Potsdam auftrat, nach Begutachtung Hirschfelds ausgestellt.  Auch wenn in der Berliner Presse von ähnlichen Fällen berichtet wurde, waren sie im Kaiserreich Ausnahmen. Die einsetzende Liberalisierung und die allmähliche Öffnung von Teilen der Gesellschaft für Fragen der Sexualreform in der Weimarer Republik verbesserten – zumindest vorübergehend und vor allem in Berlin – auch die Lebensqualität der Transsexuellen.

Die Scheine selbst wiesen die Inhaber*innen als offiziell bekannt „Männerkleidung tragend“ bzw. „Frauenkleidung tragend“ aus, wodurch sich diese bei Kontrollen durch Straßenpolizisten, bei Razzien oder vor Gericht vor Verhaftung bzw. Bestrafung schützen konnten. 1922 veröffentlichte die Berliner Kripo ein Schreiben, das die Inhaftnahme nur wegen des Tragens geschlechtsuntypischer Kleidung verbot und ausführte:

„Die im Publikum noch verbreitete Meinung, dass es sich bei den verkleideten Personen um verkappte Verbrecher […] handele, ist hinfällig.“

Dass es solche polizeilichen Publikationen geben konnte und Akzeptanz im alltäglichen Dienst erfuhr, lag wesentlich auch daran, dass die Beamten entsprechend geschult wurden – und zwar im IfS. Hierzu wurden den Polizisten, wie es in der damaligen wissenschaftlichen Praxis durchaus üblich war, „lebendige“ Vertreter*innen zur Anschauung gebracht. Es sind unter anderem zwei Seminare bekannt in denen Eva Katter (1910 – 1995), deren Transvestitenschein in der aktuellen Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ des Deutschen Historischen Museums gezeigt wird, „den Herren der höheren Polizeischule Eiche“ vorgestellt wurde, um diese über dieses Phänomen aufzuklären, da sie sich im IfS geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen hatte.

Katter kam im Alter von 16 Jahren zu Dr. Ludwig Levy-Lenz (1862-1966) in das IfS und bat um eine Amputation ihrer Brüste. Diese wurde ihr aufgrund des geringen Alters nicht gewährt. Wenige Tage später kam sie wieder, diesmal als Einlieferung, da sie versucht hatte, sich selbst die Brüste mit einem Rasiermesser zu entfernen. In einer Notoperation müssten beide Brüste entfernt werden und sie erhielt die Atteste für Schein und Namensänderung. Als Gerd Katter absolvierte er eine Tischlerlehre in Berlin und lebte später in der DDR.

Das IfS übernahm die Rolle als Gutachtensstelle für jene Transvestitenscheine  und andere „Trans-Atteste“: Durch einen Beschluss des preußischen Innenministeriums von 1921 war es möglich, dass nach medizinischer Feststellung, Männer und Frauen ihren Vornamen geschlechtstypisch angleichen bzw. geschlechtsneutrale Namen wie Alex, Toni oder eben Gert tragen durften. Die Kehrseite dessen war, dass diese Änderungen in den Verwaltungszeitungen öffentlich gemacht und die Betroffenen damit geoutet wurden. Für das durch die Inflation in schwere finanzielle Bedrängnis geratene IfS stellten Gutachten eine gewisse Einkommensquelle dar: 1924 berechnete es für ein Gerichtsgutachten 150 Reichsmark (RM) und für einen Transvestitenschein zahlte man 1929 eine Gebühr von 50 RM.

Wie viele dieser Scheine ausgestellt wurden, ist nicht erfasst oder zumindest nicht überliefert worden. Gleichwohl wird in der entsprechenden Forschungsliteratur dazu diese Praxis als verbreitet beschrieben und darauf verwiesen, dass es zwar keine reichsweite Regelung gab, bis 1933 diese Ausweise aber auch für andere Städte wie Hamburg, München, Köln oder Essen belegt sind.

Schnelles Ende der liberalen Reformbewegungen

Die Kriminalpolizei in der Weimarer Republik war sicher weder „Freund“ noch „Helfer“ für Transsexuelle. Doch durch persönliches Wirken externer Berater, interne Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse und allgemeinen Liberalisierungsschüben entstanden auch durch die Arbeit der Kriminalpolizei in Berlin und anderen größeren Städten offene Räume für das (Anders-)Sein. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre schlossen sich diese bereits wieder und spätestens mit der Zerstörung des IfS durch die Nazis im Mai 1933 endete die Zeit der ersten zaghaften Toleranz gegenüber Homo- und Transsexuellen in Deutschland.

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