Freitag, 19. Mai 2023

Könnte es besser sein, oder braucht man immer nur ein Sündenbock?

Wir in Deutschland sind da relativ sicher, mag man meinen. Wir sind ja tolerant, bei uns kommt sowas nicht vor. Viele Unternehmen haben längst den demografischen Wandel erkannt, dass Arbeitskräfte mehr Wert darauf legen, sich am Arbeitsplatz wohl zu fühlen und dafür auf ein höheres Gehalt verzichten. Wer am Arbeitsplatz geoutet ist und wenn die Inklusionsabteilung des Unternehmens gute Arbeit geleistet hat, der überlegt es sich zweimal, ob er für ein paar hundert Euro mehr woanders anheuert, dort aber den harten Weg des Coming-outs ein weiteres Mal überwinden muss. Studien belegen, dass zehn Prozent der Jugend sich in der queeren Community verortet. Die Zukunft ist divers, und große Konzerne werben regelrecht mit ihrer LGBTI-Freundlichkeit, weil geoutete akzeptierte Arbeitskräfte produktiver sind als solche, die ihr Geheimnis noch mit sich rumtragen müssen und darunter leiden. Doch ist Deutschland wirklich so tolerant wie es sich darstellt? In Leipzig wurde letztes Jahr eine trans Frau aufgefordert zu beweisen, dass sie eine Frau ist. Nachdem sie sich weigerte sich zu entblößen, hat der Angreifer ihr kurzerhand die Nase gebrochen (queer.de berichtete). Vor wenigen Tagen findet eine trans Frau in Oppenheim ein Plakat an ihrer Haustür mit der Aufforderung "Schlagt ES, bespuckt ES" mit dem Hinweis auf die Nazizeit "früher hätte man dich vergast"! Bei meinen trans Kids höre ich regelmäßig Beschwerden über Lehrkräfte, die "nicht an so einen Quatsch glauben" oder einen 13-jährigen trans Jungen vor der gesamten Klasse dazu auffordern "Erklär mal allen wer du bist: er, sie oder es?" Die wenigsten wissen, dass ein fehlendes unterstützendes Umfeld für trans Kinder und Jugendliche zu 54 Prozent in einem Suizidversuch endet. Die wenigsten wissen, dass die psychische Gewalt wesentlich fatalere Folgen haben kann als ein körperlicher Angriff. Konflikte werden heute längst nicht mehr auf der körperlichen Ebene ausgetragen. Psychische Gewalt ist da viel moderner und effektiver. Einer trans Person muss man nur lange genug einreden, dass sie abartig, pervers und dringend therapiebedürftig sei. In der Kirche erzählt man ihr, dass nur Gott sie heilen könne, und man versucht, mit Handauflegen Selbstdefinitionen wegzubeten, greift damit in Gottes Natur ein und wirft ihr vor Gottes Schöpfung in Frage zu stellen. Wie paradox. Transfeindlichkeit auf der Behörde Auch wenn Gesellschaft und Kirche nicht ihren diskriminierenden Beitrag leisten würden, so kann man sich spätestens dann darauf verlassen, Transfeindlichkeit zu erleben, wenn man auf behördliche Strukturen trifft. Seien es Arbeitsagenturen, die einen bei 21 Prozent Arbeitslosigkeit unter trans Personen nicht vermitteln können und zur Frührente zwingen, oder das Gesundheitssystem, das einem hohe Anforderungen auferlegt und zu permanenten Zwangsoutings nötigt. Denn die Namensänderung wird erst zugelassen, wenn diese auch juristisch durchgeführt wurde. So sitzt letztendlich die hübsche elegante Blondine im Wartezimmer beim Hausarzt und wird mit dem Namen "Walter" aufgerufen. Bravo Krankenkasse. Gut mitgedacht im Sinne der Gesunderhaltung eurer Versicherten. Und last but least, sollte das alles halbwegs stimmig sein, kann man sich mindestens auf den Staat verlassen, der für einen simplen Verwaltungsakt zu einer psychologischen Begutachtung zwingt, weil man ja nicht in der Lage ist, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Ironischerweise gaukelt man ihnen dann auch noch vor, man wolle sie ja nur schützen. Schützen vor nachweislich über 99 Prozent richtig getroffener Entscheidungen? Eine Scheidung und häusliche Gewalt sind statistisch wahrscheinlicher, als dass bei einer Transition eine Fehlentscheidung getroffen wird. Aber wenn jemand seinen Personenstand ändert, indem er eine Ehe eingeht, da sind Schutzmaßnahmen oder Begutachtungen nicht erforderlich. Diesen schweren Eingriff ins Persönlichkeitsrecht wagt der Staat sich ja dann doch nicht. Aber bei den sowieso schon marginalisierten Randgruppen, die sind es ja gewöhnt, weil es historisch so gewachsen ist. Freie Entscheidungen lässt man da lieber nicht zu. Irgendwo muss der Staat ja ein klein wenig Kontrolle beibehalten… Transfeindlichkeit mit System Und bei all diesen Repressalien wundert man sich, dass trans Personen sich reihenweise das Leben nehmen? Der Leidensdruck, den die Krankenkassen fordern, der wird durch sie selbst erst erzeugt. Die Unterdrückung durch den Staat, Angriffe aus der Gesellschaft und die Nichtakzeptanz in der Kirche runden das Bild ab. Wenn diese vier existentiellen Säulen des Lebens bröckeln, welchen Ausweg sieht man dann noch? Transfeindlichkeit findet nicht nur auf der Straße statt, wenn mir jemand "Du blöde Transe" hinterherruft. Das ganze System ist von einem psychopathologisierenden Virus infiziert, der besagt, dass Trans* "falsch" ist. Wider die Natur. Man ist so nicht ok wie man ist. Auch wenn vereinzelt die Unterstützung durch gesellschaftliche Strukturen gewährleistet ist, spätestens bei Behörden hat man enorme Hürden zu meistern in einem über die Maßen geregelten Bürokratie-Deutschland. Menschenwürde und Nächstenliebe ist da Fehlanzeige. Regeln und Normen haben Vorrang Es wird Zeit, dass die Bundes­regierung den Handlungsbedarf nicht nur erkennt, sondern auch ernst nimmt. Die Kriminalstatistik in Deutschland sieht zwar besser aus als in Brasilien, doch die Erfassung ist kaum sichergestellt. Es gibt zu wenig geschultes Personal bei Polizei. Nicht alles Gold was glänzt, man schaue auf Florida und die Rechtsextreme-Neigung bzw. Haltung von CSU und AfD.

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