Freitag, 19. Januar 2024

IntersexualitätDNA-Analysen offenbaren bis zu 2.500 Jahre alte Tote mit Turner- und Klinefelter-Syndrom

Intersexualität DNA-Analysen offenbaren bis zu 2.500 Jahre alte Tote mit Turner- und Klinefelter-Syndrom , XXY und XYY: Archäologen haben bei Ausgrabungen bis zu 2.500 Jahre alte Gebeine von Menschen mit ungewöhnlichem Chromosomensatz gefunden. Diese trugen entweder ein Geschlechtschromosom zu viel oder zu wenig. Unter den Toten waren die jeweils ältesten bekannten Überreste einer intersexuellen Person mit Turner-Syndrom und Jacobs-Syndrom sowie drei Personen mit dem Klinefelter-Syndrom. Möglich machte dies eine neue Methode, mit der sich die Chromosomenzahl in alter DNA genauer bestimmen lässt. Unser biologisches Geschlecht entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel aus Genen, Hormonen und vorgeburtlichen Einflüssen. Die Basis bilden jedoch die beiden Geschlechtschromosomen X und Y. Menschen mit zwei X-Chromosomen wachsen sehr wahrscheinlich als Frau auf, Personen mit der Kombination XY hingegen als Mann. In seltenen Fällen passieren bei der embryonalen Chromosomenaufteilung aber auch Fehler. In der Folge kann ein Mensch ein Geschlechtschromosom zu wenig oder zu viel besitzen – er ist genetisch intergeschlechtlich. Das kann die Entwicklung verzögern, äußerliche Merkmale mehr oder weniger stark verändern oder auch verschiedene körperliche Beeinträchtigungen hervorrufen. Manche Betroffene leiden gar nicht darunter, andere hingegen sehr stark. Wenn Menschen mehr oder weniger als zwei Geschlechtschromosomen haben Eine der häufigsten Formen solcher Chromosomen-Anomalien ist das Klinefelter-Syndrom, das bei etwa einem von 500 neugeborenen Jungen auftritt. Die Betroffenen besitzen ein XY-Paar mit einem zusätzlichen X-Chromosom (XXY). Äußerlich erscheinen sie meist als männlich, sind aber auffallend groß und haben breitere Hüften, eine schwächere Behaarung und kleinere Hoden als der Durchschnittsmann. Im umgekehrten Fall, beim etwas selteneren Jacobs-Syndrom, besitzen Männer ein extra Y-Chromosom (XYY). Auch sie sind oft überdurchschnittlich groß. Ein weiteres Beispiel für eine solche Aneuploidie beim Menschen ist das Turner-Syndrom, das bei etwa einem von 2.500 neugeborenen Mädchen auftritt. Die Betroffene besitzen nur ein statt zwei X-Chromosomen. Sie erscheinen äußerlich in der Regel als weiblich und sind oft kleiner als der Durchschnitt. Wie häufig schon früher Menschen mit diesen Aneuploidien vorkamen und welche gesundheitlichen und sozialen Folgen dies für sie hatte, ist jedoch unklar. Denn das Vorkommen abweichender Chromosomenzahlen in alter, oft stark fragmentierter und kontaminierter DNA war bisher nur schwer eindeutig festzustellen. Neue Methode entwickelt Ein Forschungsteam um Kyriaki Anastasiadou vom Francis Crick Institute in London hat daher nun eine neue Methode entwickelt, um Kontaminationen zuverlässiger zu erkennen und die Zahl der Chromosomen in alter DNA genauer bestimmen zu können. Dabei wird die Zahl der vorhandenen Kopien aller Chromosomen in einer DNA-Probe gezählt und die Zahl der Geschlechtschromosomen mit der Zahl der 23 nicht-geschlechtlichen Chromosomen verglichen. Mit der Technik analysierten die Forschenden anschließend 570 historische DNA-Proben. Diese stammten aus Gräbern mit Überresten von Menschen, die vor 2.500 bis 250 Jahren während der Eisenzeit, des Mittelalters oder des Nachmittelalters in Europa lebten. Die archäologischen Stätten befinden sich in Somerset, Yorkshire, Oxford und Lincoln in Großbritannien. Frau mit Mosaik-Turner-Syndrom identifiziert Insgesamt fanden die Forschenden so sechs Individuen mit ungewöhnlichem Chromosomensatz, wie die Analysen ergaben. Eine der untersuchten Personen hatte das sogenannte Mosaik-Turner-Syndrom. Sie besaß in einigen Zellen ihres Körpers zwei X-Chromosomen, in anderen jedoch nur ein X-Chromosom. Dem Alter der Überreste zufolge lebte diese Frau vor rund 2.500 Jahren. Es ist damit der älteste bekannte Fund von Überresten einer Person mit Turner-Syndrom, wie Anastasiadou und ihre Kollegen berichten. Die Betroffene war wahrscheinlich zwischen 18 und 22 Jahren alt, als sie starb, wie die Forschenden anhand der Knochen schlussfolgern. Dennoch war sie bis dahin wahrscheinlich noch nicht in der Pubertät und die Menstruation hatte noch nicht eingesetzt. Zudem war sie kleiner als gewöhnlich. Menschen mit Jacobs- und Klinefelter-Syndrom entdeckt Darüber hinaus fand das Team auch die bislang ältesten bekannten Überreste einer Person mit dem Jacobs-Syndrom (XYY). Sie lebte im frühen Mittelalter und starb mit etwa 46 Jahren. „Durch die genaue Messung der Geschlechtschromosomen konnten wir den ersten prähistorischen Nachweis des Turner-Syndroms vor 2.500 Jahren und die früheste bekannte Inzidenz des Jacobs-Syndroms vor etwa 1.200 Jahren nachweisen“, sagt Anastasiadou. In den Gräbern fanden sich zudem die Skelette dreier Menschen mit dem Klinefelter-Syndrom (XXY) aus verschiedenen Zeitaltern, wie die Archäologen berichten. Alle drei Personen waren überdurchschnittlich groß und ihre Skelette zeigten Anzeichen einer verzögerten Entwicklung während der Pubertät, wie für Klinefelter typisch. Zwei von ihnen starben mit etwa 18 Jahren, der Dritte mit etwa 45 Jahren. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler die Überreste eines neugeborenen Jungen mit dem Down-Syndrom, das wahrscheinlich zur Eisenzeit gelebt hat. Menschen mit dem Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt, besitzen zwei normale Geschlechtschromosomen, aber drei Kopien des 21. Chromosoms. Dadurch sind sie oft in ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung beeinträchtigt, jedoch weniger anfällig für sonstige genetische Mutationen. Keine Rückschlüsse auf Lebensweise Die Betroffenen wurden trotz ihrer Intersexualität und leicht abweichenden Anatomie alle nach den für die jeweiligen Zeiten und Gegenden typischen Ritualen bestattet. Auch ungewöhnliche Grabbeigaben fanden sich bei ihnen nicht, wie Anastasiadou und ihre Kollegen feststellten. Anders als bei der finnischen „Kriegerin mit zwei Schwertern“, die Forschende 2021 identifiziert hatten, sind bei den britischen Funden daher keine Rückschlüsse darüber möglich, wie die Personen lebten und wie sie von ihren Mitmenschen wahrgenommen wurden. Die Abwesenheit von besonderen Gräbern deutet jedoch darauf hin, dass die Personen als gewöhnliche Mitmenschen erachtet wurden. Dennoch erhoffen sich Anastasiadou und ihre Kollegen von ihren Funden einen Perspektivenwechsel in der Archäologie. „Die Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten für die Erforschung des Geschlechts in der Vergangenheit über binäre Kategorien hinaus“, sagt Seniorautor Rick Schulting von der University of Oxford. „Ohne die Fortschritte in der Analyse antiker DNA wäre dies unmöglich gewesen.“

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