Freitag, 29. Juni 2012

Die hormonelle Behandlung transsexueller Personen

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Überarbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012
Die hormonelle Behandlung transsexueller Personen
Die psychiatrische Diagnose Transsexualität wird bei kontrasexuell identifizierten Personen gestellt und stellt die wohl extremste Form einer Geschlechtsidentitätsstörung dar. Neben psychiatrischen und psychotherapeutischen Interventionen sowie der operativen Angleichung an das gewünschte Geschlecht ist die gegengeschlechtliche Hormontherapie ein bedeutender Pfeiler des Behandlungsprozesses. Sie hat weitreichende teils irreversible Konsequenzen. Dieser Beitrag beschreibt die Hormontherapie in der besonderen Indikation "Transsexualität" unter Berücksichtigung des Kontextes. Die Hormontherapie supprimiert die genuinen, aber unerwünschten sekundären Geschlechtscharakteristika und induziert, mehr oder weniger ausgeprägt, die Ausbildung der Geschlechtscharakteristika des gewünschten anderen Geschlechts. Die Therapie hat ein erhebliches Risikopotential. Nach der hormonell induzierten äußerlichen Angleichung an das gewünschte Geschlecht und der operativen Geschlechtskonversion muß eine Hormontherapie jahre-, manchmal jahrzehntelang fortgesetzt werden. Nicht wenige transsexuelle Personen verzichten nach der operativen Geschlechtsanpassung auf weitere professionelle Betreuung, einerseits aus Sorge vor "Pathologisierung" ihres Zustandes, andererseits aus Unkenntnis über mögliche (Langzeit-) Folgen der hochdosierten gegengeschlechtlichen Hormontherapie. Risikoscreening und Adaption der notwendigen Therapie an das individuelle Risikoprofil, Optimierung von Lifestyle-Faktoren sowie regelmäßige Checkups können dazu beitragen, das immanente Risiko der gegengeschlechtlichen Hormontherapie auf ein vertretbares Maß zu senken. Kontrollen erfassen unterschiedliche Bereiche, wie kardiovaskuläre Parameter, Lipidprofil, Osteodensitometrie, die Brustdrüse, die Genitalorgane u.v.m., und lassen sich nicht auf einen basalen Hormonstatus von 17β-Estradiol und Testosteron reduzieren. Vorliegende Daten zeigen, daß Transsexuelle unter der Voraussetzung einer optimalen Betreuung ein mit der allgemeinen Bevölkerung vergleichbares Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko aufweisen. Die Notwendigkeit einer professionellen somatischen Betreuung dieser Personengruppe wird zunehmend erkannt. Die lebenslang notwendige komplexe Behandlung wird am effektivsten durch spezialisierte, interdisziplinär arbeitende Transgender-Teams gewährleistet.
Die virilisierende Wirkung von Androgenen und die feminisierende Wirkung von Estrogenen hat umgangssprachlich zu der irreführende Bezeichnung sogenannter männlicher und weiblicher Hormone geführt.
Estrogene und Androgene üben allerdings sowohl im weiblichen wie auch im männlichen Organismus entscheidende Funktionen aus.
Der hormonelle Unterschied zwischen Mann und Frau zeigt sich quantitativ und nicht so sehr qualitativ  und ist besonders von der geschlechtsspezifischen Induktion und lokalen Konzentration der Aromatase (CYP 19) abhängig!
 Vor mittlerweile 30 Jahren wurde eine ambitionierte Studie an Männern nach Herzinfarkt wegen einer unzulässigen Zunahme der Inzidenz von Re-Infarkten und Todesfällen abgebrochen:
 „The Coronary Drug Project“! Die Studie wollte den hypothetisierten Stellenwert equiner Estrogene in der Sekundärprävention nachweisen.Seit damals wird der sogenannten gegengeschlechtlichen Hormontherapie mit großem Vorbehalt begegnet.

Das Interesse an der Funktion von Androgenen bei der Frau und vice versa von Estrogenen beim Mann
wurde in den letzten Jahren neu entfacht durch die Anti-Aging-, besser: „Better-Aging“-Diskussion und auch durch die zunehmend respektierte Bedeutung von Estrogenen für die männliche Reproduktion .

Eine Personengruppe, für die die gegengeschlechtliche Hormontherapie geradezu existentielle Bedeutung
hat, sind transsexuelle Personen.
Es sind Personen, die sich ihrem somatischen Geschlecht entfremdet haben und sich sowohl seelisch wie auch sozial dem konträren Geschlecht zugehörig fühlen.

Der Begriff „Transsexualität“ wurde bereits 1910 von Hirschfeld eingeführt, wenngleich noch in anderer Konnotation als heute. „Transsexualismus“ als Synonym für eine tiefe und persistierende Geschlechtsidentitätsstörung oder Geschlechtsdysphorie setzte sich erst nach der Veröffentlichung der Monographie von Harry Benjamin 1966 durch
Als eigenständige Diagnose wurde Transsexualität überhaupt erst 1979 in der ICD-9 (International Classification of Diseases – ICD) der WHO sowie in den Diagnoseschlüssel der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – DSM) aufgenommen.
Die aktuelle Version, ICD-10, ordnet „Störungen der Geschlechtsidentität“ (F64) unter Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F6) ein.Die Kategorien unterscheiden ausdrücklich sexuelle Deviationen, Transvestitismus oder Adoleszenzkonflikte mit transsexueller Symptomatik!
Ob es sich bei der getroffenen ategorisierung tatsächlich um „klinisch distinkte Einheiten oder um Prägnanztypen auf einem Kontinuum handelt“, bleibt umstritten.
Das Faktum, daß in der Vergangenheit die verschiedenen Versionen von DSM und ICD Transsexualität unterschiedlich zugeordnet haben,zeigt auf, wie wenig Konsens über die Phänomenologie der Geschlechtsidentitätsstörungen herrscht.

Auch wenn die endokrinologische Befassung mit der Problematik von Transsexualität in erster Linie der suffizienten medizinischen Versorgung einer unterversorgten und marginalisierten Personengruppe dient, so kann das Monitoring der Therapie doch wesentlich zum allgemeinen Verständnis von Estrogenen im männlichen und von indrogenen im weiblichen Organismus beitragen.
Die irreversiblen Nebenwirkungen lassen ja zu Recht eine hoch dosierte Estrogentherapie an einem genetischen Mann bzw. eine hoch dosierte Androgentherapie an einer genetischen Frau aus Studienzwecken nicht zu.

Das wissenschaftliche Interesse an Fragestellungen in Zusammenhang mit Transsexualität ist relativ gering.

Auch das gegenseitige Mißtrauen zwischen Schulmedizin und Betroffenen erschwert sinnvolle Therapieansätze.

Doch manchmal sind sich auch Betroffene der besonderen Situation bewußt und formulieren Interesse am
medizinischen Fortschritt. Beispielsweise leitet eine transsexuelle Ärztin in den USA eine gemeinsame Studie von Kardiologen und einem Transgender-Center zur Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren . Auch seitens der Grundlagenforschung wird eine verstärkte Beachtung der transsexuellen Personengruppe gefordert..

So bedeutend und notwendig wissenschaftliche Begleitstudien in diesem Kontext sind, so klar muß aber das primäre Ziel der ordentlichen Betreuung dieser Risikogruppe bleiben.


Diagnostik
Temporäre Geschlechtsidentitätsstörungen in der Adoleszenz sind bekannte entwicklungspsychologische Konstante.
Transsexualität als die extremste Ausprägung von Geschlechtsdysphorie steht am anderen Ende des Spektrums.

Sie ist durch die Konstanz des Wunsches, dem anderen Geschlecht anzugehören, charakterisiert und
manifestiert sich unabhängig von spezifischen Lebensabschnitten.
Dieser Wunsch läßt sich häufig bis in die frühe Kindheit zurückverfolgen.

Die gynäkologische oder urologische Sprechstunde ist nicht selten der Ort, wo erstmals ein Unbehagen mit
dem eigenen Geschlecht formuliert wird oder über geschlechtsdysphorisches Verhalten des Partners berichtet wird.

Dies sollte Anlaß geben, an einen einschlägig mit der Problematik vertrauten Psychiater zu verweisen. Tatsächlich wird die Geschlechtsdysphorie auch heute noch häufig verkannt, mit vielen Jahren erzögerung diagnostiziert und damit unnötiges Leid perpetuiert.

Wenngleich Betroffene sich mitunter heftig dagegen verwahren, daß Transsexualität als Krankheit definiert ist und im Diskurs über Sex und Gender das Phänomen manchmal im Sinne einer bloßen sexuellen (Dys-) Orientierung bagatellisiert, und manchmal selbst als Befreiung aus der starren dichotomen Mann-Frau-Ordnung gefeiert wird, so findet diese extremste Ausformung einer Geschlechtsidentitätsstörung
dennoch als Krankheit zunehmende Beachtung.

Nach der heute in Kraft befindlichen Version, ICD 10,der WHO-Klassifikation ist die Erfüllung folgender diagnostischer Kriterien für Transsexualität (F64.0) obligat:
Starke und anhaltende gegengeschlechtliche Identifikation durch mindestens 2 Jahre.Wunsch, im anderen Geschlecht zu leben und als Person des bevorzugten Geschlechts akzeptiert zu werden sowie die Bereitschaft nach hormoneller und chirurgischer Behandlung, um den eigenenKörper dem bevorzugten Geschlecht möglichst anzugleichen.

Die gegengeschlechtliche Identität ist kein Symptom einer anderen psychischen Erkrankung oder
einer chromosomalen Anomalie.

Realiter begegnet uns Transsexualität zunächst als Behauptung einer Person. Es existieren keine (Surrogat-) Marker für die Diagnose!

Erschwerend für die Diagnosestellung ist, daß 60 % der Mann-zu-Frau-Transsexuellen (MzF) vor der psychiatrischen Indikationsstellung für den Beginn einer somatischen Behandlung eine hormonelle Selbstmedikation betreiben

Bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen (FzM) hat eine vorzeitige Hormoneinnahme Seltenheitswert. Die
psychotrope Wirkung von Sexualsteroiden [12] verfestigt den transsexuellen Wunsch und konterkariert die Bemühungen von Psychotherapie und Psychiatrie, Art und Ausmaß der Störung der geschlechtlichen Identität lege artis abzuklären und eventuelle psychiatrische Komorbiditäten auszuschließen.

Zwei Gründe mögen diese Beobachtung erklären:
Mann-zu-Frau-Transsexuelle sind bei der Erstvorstellung deutlich älter als Frau-zu-Mann-Transsexuelle (durchschnittlich 12 Jahre älter in Österreich (11), durchschnittlich 6 Jahre älter in Schweden [13]) und verzeichnen häufiger biographische Bruchlinien. Betroffene geben an, daß sie nach einer „Zeit der Suche“, „Jahren des Zweifels“ und „verlorenen Jahren“ „keine Zeit mehr verlieren wollen“ und ihr Coming-out forcieren, ohne Rücksicht auf den vorgegebenen diagnostischen Prozeß.

Dazu trägt auch die Meinung mancher Betroffener bei, ihre transsexuelle Identität als Normvariante geschlechtlicher Identität zu begreifen. Die angebotene medizinische Betreuung wird von dieser Gruppe als
Pathologisierung diskreditiert und abgelehnt.

Umso wichtiger ist die Kennzeichnung von Transsexualität als psychische Erkrankung. Die Diagnose „ist
kein Freibrief für Stigmatisierung oder Entzug selbstverständlicher Menschenrechte. Das Stellen der formalen Diagnose ist die Voraussetzung für professionelle Hilfe und für die Kostenübernahme der Therapie durch die Krankenversicherungen“

Aufgrund der besonders diffizilen (Differential-) Diagnostik und der schwerwiegenden sozialen, psychischen
und somatischen Konsequenzen hat die internationale Fachgesellschaft für Geschlechtsidentitätsstörungen, die Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association
(HBIGDA), sogenannte Standards of Care herausgegeben.

Diese Standards definieren Qualitätskriterien des diagnostischen und therapeutischen Prozesses, an
denen sich mittlerweile die meisten nationalen Gesellschaften und Gender-Kliniken weltweit orientieren
(www.hbigda.org ).

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