Dienstag, 19. Juni 2012

Zusammenfassung einer Studie Transidentität

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Studie oder Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit wird über eine empirische Untersuchung berichtet, in der die Strukturen der Herkunftsfamilien von transsexuellen Frauen mit denen einer weiblichen Vergleichsgruppe anhand von zwei in der systemischen Familiendiagnostik entwickelten Methoden, dem Familienskulptur-Test (FST) und dem Fragebogen zur Herkunftsfamilie (HER-FAM), verglichen werden. Mit einer deutschen Fassung des Bem Sex-Role-Inventory wird außerdem versucht, Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen bei der Selbstzuschreibung von männlichen und weiblichen sozial erwünschten Eigenschaften aufzuzeigen und aus diesen Skalen Aussagen zum Konzept der Androgynie zu generieren. Zusätzlich wird versucht, mit einem eigenen Fragebogen (Düsseldorfer Fragebogen zur Transidentität - DFTI) ein Instrument zu erproben, welches Erstinterview und diagnostische Anamnese strukturieren soll und auch im Bereich empirischer Forschung standardisiert einsetzbar ist. Eine Stichprobe aus zwanzig weiblichen Transsexuellen, die im Untersuchungszeitraum im Düsseldorfer Gesundheitsamt zwecks Beratung, psychosozialer Betreuung oder Begutachtung vorsprachen, wurden auf freiwilliger Basis in die Untersuchung einbezogen. Eine gleich große weibliche Vergleichsgruppe wurde aus dem Bekanntenkreis des Untersuchers rekrutiert.
Transsexelle Frauen verfügen über ein geschlechtsstereotypes Selbstkonzept, das sich von dem nicht-transsexueller Frauen dadurch unterscheidet, daß sie sich in einem größeren Umfang stereotype männliche Eigenschaften und in einem geringeren Umfang stereotype weibliche Eigenschaften zuschreiben. Es entspricht damit eher dem für das männliche Geschlecht typischem Selbstkonzept. Trotzdem sind transsexuelle Frauen genau so in der Lage, auch stereotype weibliche Eigenschaften in ihr Selbstkonzept zu integrieren, so wie nicht-transsexuelle Frauen auch Stereotype Eigenschaften beider Geschlechter nebeneinander vereinbaren können. Transsexuelle Frauen sind somit ähnlich androgyn im Sinne Bems (1974) wie nicht transsexuelle Frauen.
Bezüglich der Familienstrukturen weiblicher Transsexueller zeigten sich die folgenden signifikanten Unterschiede: Die elterliche Paarbeziehung in den Herkunftsfamilien wurde im Mittel von den transsexuellen Frauen gespaltener erlebt als von der weiblichen Vergleichsgruppe. Ein häufig in den Herkunftsfamilien Transsexueller zu findendes Merkmal ist die Ablehnung von Verantwortung. Die Familienangehörigen sind weniger in der Lage, gegenseitige Rücksicht zu nehmen als es in nicht-transsexuellen Familien üblich ist.
Andere Konflikte und Beziehungen zwischen Familienmitgliedern, vor allem die zwischen Tochter und Mutter, die in der Fachliteratur oft mit der Entstehung von Transsexualität in Verbindung gebracht werden, konnten in dieser Studie nicht zwischen Untersuchungs- und Vergleichsgruppe nicht trennen. Es zeigte sich aber, daß die Vater-Tochter-Beziehung in den Herkunftsfamilien weiblicher Transsexueller sich deutlich von der Beziehung zwischen Vätern und nicht-transsexuellen Töchtern abhebt.
Es wurden außerdem einige Besonderheiten bei der Geschwisterreihenfolge gefunden, die sich weitgehend mit den Befunden anderer Autoren decken. Die Wahrscheinlichkeit einer transsexuellen Entwicklung ist bei älteren weiblichen Geschwistern deutlich höher als bei den später geborenen Schwestern.
Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der in der Einleitung beschriebenen ätiologischen Modellen diskutiert.
Transsexualität und Transsexualismus
Nach der Definition der von der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung einberufenen Expertenkommission ist Transsexualität "durch die dauerhafte innere Gewißheit, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen, gekennzeichnet. Dazu gehören die Ablehnung der körperlichen Merkmale des angeborenen Geschlechts und der mit dem biologischen Geschlecht verbundenen Rollenerwartungen, sowie der Wunsch, durch hormonelle und chirurgische Maßnahmen soweit als möglich die körperliche Erscheinungsform des Identitätsgeschlechts anzunehmen und sozial und juristisch anerkannt im gewünschten Geschlecht zu leben." (Becker, Bosinski, Clement, Eicher, Görlich, Hartmann, Kockott, Langer, Preuss, Schmidt, Springer und Wille, 1997, S. 256).
Im folgenden werden der im deutschen Sprachraum verbreitete Begriff Transsexualität und der angloamerikanische Begriff Transsexualismus synonym verwendet. Der für einen der benutzten Fragebögen (Düsseldorfer Fragebogen zur Transidentität - DFTI) verwendete Begriff der Transidentität wurde angeregt durch die Selbsthilfeorganisation Transidentitas, die unter diesen Terminus aber auch Transvestiten, fetischistische Transvestiten und effeminierte Homosexuelle faßt. Schließlich soll er DFTI den Prozess der Diagnosefindung erst unterstützen und findet damit auf alle oben genannten Gruppen mit geschlechtsuntypischen Verhaltensweisen Anwendung.
Um Mißverständnissen vorzubeugen werden die Begriffe Homosexualität und Heterosexualität durchgehend in Bezug auf das angeborene genitale Geschlecht gebraucht. Durch die Vermeidung des psychischen Geschlechts als Referenzswert wird die Diskussion erheblich erleichtert, da dadurch die Schwierigkeit umgangen wird, Transsexuellen jeweils vor und nach dem Geschlechtswechsel unterschiedliche Begriffe für dieselbe Partnerpräferenz zuzuschreiben. Auf die gleiche Weise wird hier auch mit dem Begriff des weiblichen Transsexualismus verfahren - er bezieht sich aus rein pragmatischen Erwägungen prä- wie postoperativ auf das angeborene genitale Geschlecht.
Mit Transsexualität verwandte Begriffe
Transsexualität: primär - sekundär, genuin
Es gibt verschiedene Entwicklungswege zur Transsexualität: in der Vorgeschichte kann sich sowohl eine von Kindheit an bestehende Unsicherheit bezüglich des eigenen Geschlechts zeigen, nach Pearson & Oveseas (1993) primärer Transsexualismus benannt, es kommen aber auch postpubertäre heterosexuelle transvestitisch-fetischistische Entwicklungen vor - sekundärerTranssexualismus nach den eben genannten Autoren. Genuiner Transsexualismus ist ein Synonym für den primären oder echten Transsexualismus
Genderdysphorie
Gender dysphoria bedeutet das Unbehagen mit der eigenen Geschlechtsrolle oder den eigenen geschlechtsspezifischen Merkmalen und kann sich bis zur Transsexualität entwickeln. Das Konzept wird vor allem dazu genutzt, Geschlechtsidentitätsstörungen zu bezeichnen, die noch nicht die Kriterien einer Transsexualität erfüllen. Passagere Formen der Genderdysphorie können auch im Rahmen von Adoleszenzkonflikten vorkommen, bei Borderline Persönlichkeitsstörungen, in Krisensituationen, sowie im Rahmen von schizophrener oder hirnorganischer Psychosen
Autogynäphilie
Blanchard (1993) bezeichnet mit diesem Konzept die Bereitschaft von Transsexuellen (besonders von männlichen Transsexuellen und Transvestiten) sich während autoerotischer Handlungen als Frau zu phantasieren. Dabei postuliert er ein dimensionales Konzept von partieller vs. kompletter Autogynäphilie. Partiell bedeutet, daß ein Mann sich nur einige Attribute einer Frau wünscht und davon erregt wird, z. B. die Kleidung. Er kann sich aber auch trotz männlichem Genital mit den Brüsten einer Frau vorstellen. Blanchard stellte fest, daß Autogynäphilie hoch positiv mit Transsexualität korrelliert, d. h. daß ein Mann, der sich in seinen sexuellen Phantasien als nackte und intakte Frau vorstellt mit größerer Wahrscheinlichkeit auch transsexuell ist.
Transhomosexualität
Mit Transhomosexualität haben Clare & Tully (1989) einen Begriff eingeführt, der der Tatsache Rechnung zu tragen versucht, daß ein erheblicher Teil männlicher Transsexueller auch postoperativ mit einer Frau zusammenleben möchte. Diese sexuelle Orientierung betrifft vor allem die sekundär Transsexuellen, die vor dem Begehren einer geschlechtsangleichenden Operation bereits in der Rolle als Mann sexuelle Erfahrungen mit Frauen machen konnten, manchmal sogar bereits eine Familie gegründet hatten. Nachdem weibliche Transsexuelle lange Zeit als homosexuell galten und nur einige wenige Fälle heterosexueller Orientierung bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen bekannt waren, so erfährt man in den letzten Jahren doch häufiger von diesem Phänomen. Coleman, Bockting und Gooren (1993) konnten allein neun transsexuelle Frauen vorweisen, die auch postoperativ als Mann in einer quasi-schwulen Beziehung mit einem Mann leben wollten. Wenn der Anteil transhomosexueller Frauen auch erheblich geringer ist, als der transhomosexueller Männer, so zeigt es doch, daß die relative Unabhängigkeit von Geschlechtsidentitätsstörungen und Homosexualität erklärungsbedürftig ist.
Effeminierte Homosexualität
In der Literatur findet man häufig auch noch den Begriff der effeminierten Form der Homosexualität, die eine Differenzierung des männlichen cross-dressers nach seiner sexuellen Orientierung erlaubt. Nach diesem Konzept hat das Tragen weiblicher Kleidung für den effeminierten Homosexuellen die Funktion, sexuellen Kontakt zu einem heterosexuellen Mann zu ermöglichen. In einem solchen Zusammenhang wird mit Transvestitismus die männlich heterosexuelle Variante des cross-dressing bezeichnet.
Prävalenz und Geschlechterverhältnis
Nach zehnjährigem Bestehen des Transsexuellen-Gesetzes (TSG) wurde von Osburg & Weitze (1993) eine Analyse zur bundesweiten Anwendung dieser Vorschrift vorgelegt, aus der sich Prävalenzen für die BRD schätzen lassen. Von 1981 bis 1990 wurden in der alten Bundesrepublik Deutschland (BRD) 1422 Entscheidungen getroffen, davon 683 zur Namensänderung nach § 1 TSG (s. Abschnitt 1.3.6), 733 zur Personenstandsänderung nach
§ 8 TSG. Aus der Zahl der den Entscheidungen zugrunde liegenden Antragsteller bzw. rechtlich anerkannten Transsexuellen ergibt sich für die BRD eine Zehnjahresprävalenz von 2,4 bis 2,1 pro 100.000 volljährige Einwohner. Das Durchschnittsalter liegt bei 33 Jahren. Die Geschlechterverteilung beträgt 2,3 zu 1 zugunsten der männlichen Transsexuellen.
Van Kesteren, Gooren und Megens (1996) schätzten die Behandlungsprävalenz für die Niederlanden aufgrund von Daten, die zwischen 1975 und 1992 erhoben wurden und über 95% der niederländischen Transsexuellen umfassen. Sie berechneten eine Prävalenz von 1:11.900 für die Mann-zu-Frau-Transsexuellen und 1:30.400 für die Frau-zu-Mann-Transsexuellen. Das Geschlechterverhältnis liegt damit bei 2,5 Männern auf eine Frau. Städtische Bezirke sind gegenüber ländlichen Gebieten anteilmäßig überrepräsentiert. Die Autoren glauben, daß der wichtigste Grund für dieses relativ hohe Ergebnis in der wohlwollenden Einstellung der niederländischen Professionellen gegenüber der Behandlung des Transsexualismus liegt.
Es liegen außerdem neuere Zahlen für Schweden vor, die alle vom schwedischen Wohlfahrtsamt registrierten Fälle von 1972 bis 1992 beinhalten (Landen, Walinder und Lundstrom, 1996). Dabei wurden im Gegensatz zu den oben genannten Studien primäre und sekundäre Transsexuelle (s. Abschnitt 1.1.2) getrennt berücksichtigt. Die Autoren errechneten eine gleichbleibende Inzidenz mit gleichen Anteilen von Frauen und Männern für den primären Transsexualismus. Bezieht man alle Transsexuellen mit ein, so kommt man auf ein Geschlechterverhältnis von 3:1 zugunsten der Männer.
Diagnostik und Begutachtung
Im folgenden wird ein Überblick über die derzeit angewandten Diagnosekriterien gegeben, nach denen Transsexuelle von nicht-transsexuellen Personen abgegrenzt werden. Für diese Untersuchung wichtig ist auch die Betrachtung der Prozesse, mit denen sich die Untersuchungsgruppe auseinanderzusetzen hat, wenn sie ihre rechtliche Anerkennung im anderen Geschlecht durchsetzen möchte. Dazu zählen insbesondere die juristischen und medizinischen Rahmenbedingungen, die auf die Erscheinungsweise der Transsexualität, also auch auf das Verhalten von Transsexuellen in Untersuchungssituationen, zurückwirken könnten
ICD-10
Im Teil F des International Classification System of Desease der Weltgesundheitsorganisation in seiner 10. Revision (Dilling, Mombour und Schmidt, 1991), welcher sich den psychiatrischen Störungen widmet, ist der Transsexualismus unter dem Kapitel 6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgeführt. Unterkapitel F64 beschäftigt sich mit den Störungen der Geschlechtsidentität, welche neben dem Transsexualismus (F64.0) den Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen, der Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters, sonstige und nicht näher bezeichnete Störungen der Geschlechtsidentität verzeichnet. Zur Diagnosenstellung des Transsexualismus werden die folgenden Kriterien aufgeführt:
der Wunsch, als Angehöriger des anderen anatomischen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden,
der Wunsch nach hormoneller und chirurgischer Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen, das Bestehen der transsexuellen Identität seit mindestens zwei Jahren, der Ausschluß des Transsexualismus als Symptom einer anderen psychischen Störung, wie z. B. einer Schizophrenie,
der Ausschluß des Zusammenhanges des Transsexualismus mit intersexuellen, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien.
Unter F64.1 bezeichnet das ICD-10 den Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen. Dieser Typus, bei dem es sich im Gegensatz zum Transsexuellen ausschließlich um Männer handelt, unterscheidet sich von jenen dadurch, daß sein Wunsch nach Angleichung seiner äußeren Geschlechtsmerkmale an das Geschlecht, das er imitiert, nicht durchgängig und irreversibel besteht. Das gelegentliche Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung im Freizeitbereich läßt sich mit seiner sonst gelebten, z. B. beruflichen Geschlechtsidentität, noch vereinbaren und hat oft eine beruhigende Funktion, da es dem Abbau von Spannungen dient. Differentialdiagnostisch ist diese Art des Transvestitismus von dem fetischistischen Transvestitismus zu unterscheiden, der unter dem Kapitel F65.1 beschrieben wird (F65: Störungen der Sexualpräferenz). Hier ist das cross-dressing von sexueller Erregung begleitet.
Transsexualität kann sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Die sexuelle Orientierung kann eindeutig homosexuell oder heterosexuell sein, oder sie ist bisexuell oder noch nicht eindeutig differenzierbar, da oft eine normale Entwicklung des sexuellen Verhaltens durch die Problematik erschwert oder behindert wird.
DSM-IV
Etwas abweichend beschreibt die vierte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual der American Psychiatric Association (APA, 1994) den Transsexualismus. Hier wird Wert auf eine ausführliche und differenziertere Darstellung gegeben, die neben der Symptomatik auch Hinweise auf die Epidemiologie enthält.
Es werden unterschieden:
Sexuelle Identitätsstörung bei Kindern, sexuelle Identitätsstörung bei Jugendlichen und Erwachsenen und sexuelle Identitätsstörung nicht andernorts klassifiziert.
Für die Diagnose einer Störung der Geschlechtsidentität werden vier Hauptmerkmale postuliert:
A) Identifikation mit dem Gegengeschlecht (nicht nur der Wunsch der Transformation), B) Unbehagen mit der zugewiesenen Geschlechtsrolle, C) Ausschluß von Intersexualität und
D) klinisch bedeutsame Belastung oder Nachteile in der sozialen oder beruflichen Funktionsfähigkeit.
Für jeden dieser Hauptmerkmalsbereiche liegen Operationalisierungen vor, die eine Art Skala bilden. Eine bestimmte Anzahl von Untermerkmalen müssen vorliegen, damit die Diagnose gestellt werden kann.
Die nicht andernorts klassifizierte sexuelle Identitätsstörung umfaßt vorübergehende gender-dysphorische Symptome als Ausdruck einer Stressreaktion, sowie bei Intersexualität.
Für die Differentialdiagnose wird verwiesen auf den im Abschnitt Paraphilien aufgeführten Transvestitismus. Im Falle, daß beide Symptomatiken voll ausgeprägt sind, können beide Diagnosen vergeben werden.
Standards der Behandlung und Begutachtung
Becker et al. (1997) haben in Anlehnung an die Standards of Care der Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association die Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen erarbeitet.
Diese Standards der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Akademie der Sexualmedizin und der Gesellschaft für Sexualwissenschaft fordern für die Diagnose der Transsexualität die Erfüllung der folgenden Kriterien:
eine tiefgreifende und dauerhafte gegengeschlechtliche Identifikation, ein anhaltendes Unbehagen bzgl. der biologischen Geschlechtszugehörigkeit bzw. ein Gefühl der Inadäquatheit in der entsprechenden Geschlechtsrolle und ein klinisch relevanter Leidensdruck und/oder Beeinträchtigung in sozialen beruflichen oder anderen wichtigen Funktionen.
Diese Kriterien entsprechend weitgehend den vorgenannten Kriterien des ICD-10 und DSM-IV. Der wichtigste Unterschied ist allerdings, daß ein intersexuelles Syndrom (s. Abschnitt 1.4.1.3) nicht zwingend ein Ausschlußkriterium darstellt.
Status- und Verlaufsdiagnostik
Diagnostik bei sexuellen Identitätsstörungen hat weitreichende Konsequenzen. Während beim Transvestitismus außer in Ausnahmefällen keine Therapie indiziert ist, führt die Diagnose Transsexualität in der Regel dazu, daß die somatische Therapie auf Wunsch des Klienten eingeleitet wird. Diese Therapie ist irreversibel. Eine psychologische Therapie der Störung in Richtung auf das morphologische Geschlecht wird heute kaum noch versucht, da
die Diagnose Transsexualität die dauerhafte und unveränderbare Transposition der Geschlechtsidentität voraussetzt,
Transsexuelle in der Regel diese Therapie nachdrücklich ablehnen und die psychologische Therapie im Sinne einer Änderung der Identität von den Betroffenen als repressiv verstanden wird.
Für die Diagnostik stellt sich daher die Frage, wie die dauerhafte Transposition der Geschlechtsidentität prognostisch abgesichert werden kann, so daß aus der Irreversibilität der somatischen Therapie dem Klienten später keine schwerwiegenden Nachteile entstehen können.
Diagnostische Maßnahmen zielen im wesentlichen auf
Differentialdiagnostik, Verlaufskontrolle,
Indikationsstellung für die somatische Behandlung (für die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung) sowie auf
Begutachtungen nach §1 bzw. §8 Transsexuellen-Gesetz (für Vornamens- und Personenstandsänderungen).
Statusdiagnostik
Die Statusdiagnostik sollte umfassen:
Biographische Anamnese,
allgemeine psychiatrisch-psychologische Diagnostik, körperliche Untersuchung und Differentialdiagnostik.
Die klinisch-psychiatrische bzw. psychologische Diagnostik hat die Aufgabe, die oben genannten Kriterien für die Diagnose einer Transsexualität zu sichern bzw. auszuschließen. Dieses beinhaltet eine ausführliche biographische Anamnese, bei der besonders auf die Geschlechtsidentitätsentwicklung, die psychosexuelle Entwicklung (einschließlich der sexuellen Orientierung und die gegenwärtige Lebenssituation eingegangen wird. Desweiteren soll auf das Strukturniveau der Persönlichkeit und deren Defizite, das psychosoziale Funktionsniveau, neurotische Dispositionen bzw. Konflikte, Abhängigkeiten und Süchte, suizidale Tendenzen und selbstschädigendes Verhalten, Paraphilien, psychotische und hirnorganische Störungen sowie Minderbegabungen eingegangen werden (Becker et al., 1997).
Besondere Aufmerksamkeit kommt bei der Differentialdiagnose psychopathologischen Auffälligkeiten zu, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem Transsexualismus stehen können. In diesem Zusammenhang wird immer wieder beobachtet, daß es im Rahmen von Adoleszenzkonflikten zu Geschlechtsidentitätsstörungen kommen kann (Eicher, 1992). Auch sind in der Literatur Fälle von Pseudotranssexualismus bei schizophrenen Psychosen recht häufig. Fälle wurden z. B. von Bruene (1996), Caldwell & Keshavan (1991) oder von Commander & Dean (1990) beschrieben.
Die deutschen Standards of Care schließen als Differentialdiagnosen neben Transvestitismus, Adoleszenzkrisen und psychotischer Verkennung der Geschlechtsidentität außerdem noch schwere Persönlichkeitsstörungen sowie die Ablehnung der eigenen homosexuellen Orientierung mit ein (Becker et al., 1997).
Die körperliche Untersuchung verfolgt im wesentlichen drei Ziele:
Erhebung des gynäkologischen bzw. urologischen Befundes sowie Erhebung des endokrinologischen Befundes.
Sie kann Hinweise ergeben auf
hormonelle Anbehandlungen, chromosomale Unregelmäßigkeiten und auf die
prognostische Abschätzung der körperlichen Anpassungsmöglichkeiten an die gegengeschlechtliche Rolle.
In der Regel wird zunächst nur eine nicht-invasive körperliche Untersuchung durchgeführt. Erst wenn sich Hinweise auf Ulrich-Turner- oder Klinefelter-Syndrom, auf Polysomie oder Intersexualität ergeben (s. Abschnitt 1.4.1), kann eine genetische Abklärung wichtig sein. Die Annahme eines krankhaften organischen Prozesses im Gehirn kann in der Regel ausgeschlossen werden. Findet man bei älteren Menschen allerdings einen untypisch plötzlichen Beginn, kann ein tomographisches Verfahren Aufschluß bringen.
Verlaufsdiagnostik
Die Verlaufskontrolle besteht aus:
Alltagstest und Psychotherapeutische Begleitung.
Alltagstest
Der Alltagstest ist Teil jeder diagnostischen Abklärung und bringt wertvolle Informationen über Status und zeitlichen Verlauf der Veränderung der Geschlechtsrolle. Der Klient wird aufgefordert, sich bereits vor Beginn der Operationen in Aussehen und Verhalten so weit wie möglich an die neue Rolle anzugleichen und sich zu offenbaren. Außerdem dient der Alltagstest der prognostischen Abschätzung darüber, ob der Klient den Konsequenzen des vollständigen sozialen Rollenwechsels gewachsen ist. Er hat eine absichernde Funktion für den Diagnostiker bzw. Operateur, weil ersichtlich ist, ob der Klient
die Folgen des Rollenwechsels richtig eingeschätzt hat, die Anforderungen der Umstellung erfolgreich bewältigt und ob die Transposition trotz harter Bedingungen dauerhaft ist.
Der Klient hat die Möglichkeit
zu hohe Erwartungen an die neue Situation zu modifizieren, seine Entscheidung zu überdenken, aufzuschieben oder rückgängig zu machen, sich in die neue Identität schrittweise hineinzufinden und die Reaktionen seiner Umwelt zu überprüfen.
In Deutschland, wo sich die meisten Gutachter wohl an den Standards der Behandlung und Begutachtung (Becker et al., 1997) orientieren, gilt als Regel für die Indikation zur operativen Behandlung, daß der Gutachter den Klienten seit mindestens eineinhalb Jahren kennt, dieser die gewünschte Geschlechtsrolle mindestens für eineinhalb Jahre kontinuierlich ausprobiert hat und seit mindestens einem halben Jahr hormonell behandelt wird.
Für die Indikation der Hormonbehandlung wird ähnliches mit einer Jahresfrist vorgeschlagen, jedoch sind in der Praxis viele Ärzte bereit, Hormonpräparate auch ohne diese strengen Kriterien zu verschreiben.
Psychotherapeutische Begleitung
Während des Alltagstests wird dem Klienten nahegelegt, sich psychotherapeutisch begleiten zu lassen. Dieses wird in der Regel durch einen Psychotherapeuten gewährleistet, der nicht mit der Gutachtenerstellung betraut ist. Die deutschen Standards der Behandlung und Begutachtung (Becker et al., 1997) legen fest, daß die Psychotherapie dem transsexuellen Wunsch gegenüber neutral sein soll, d.h. daß dieser weder unterstützt, noch aufgelöst werden sollte. Die therapeutische Begleitung sollte möglichst auch über die operative Behandlung hinaus im Rahmen einer Nachsorge in Anspruch genommen werden. Trotz der wünschenswerten Trennung von Gutachter und Psychotherapeut sollte es einen Informationsfluß zwischen diesen über den Klienten geben, so daß der Gutachter über die Fortschritte des Klienten in regelmäßigen Abständen durch den Klienten oder mit dessen Einverständnis Aufschluß erhält.
Becker et al. (1997) halten die folgenden Minimalkriterien für angemessen, bevor ein körperliches Behandlungsverfahren (auch die Hormontherapie) eingeleitet werden kann:
innere Stimmigkeit und Konstanz der Geschlechtsidentität, Lebbarkeit der gewünschten Geschlechtsrolle und die
realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen somatischer Behandlung.
Behandlung der Transsexualität
Hormonelle Behandlung
Früher standen homologe Hormontherapien im Mittelpunkt der Behandlung, da man annahm, daß die Gabe eines geschlechtstypischen Hormons das Verhalten und Erleben nachdrücklich beeinflussen kann. Seit aber viele Befunde dafür sprechen, daß die männliche oder weibliche Prägung des Gehirns auch das Ansprechen auf Geschlechtshormone geschlechtstypisch modifiziert, steht heute im Mittelpunkt der Behandlung die Veränderung der sekundären Geschlechtsmerkmale in Richtung auf das Gegengeschlecht, um den Betroffenen den Rollenwechsel zu erleichtern.
Die Behandlung mit heterologen Hormonpräparaten dient im wesentlichen zwei Zielen. Erstens dient sie natürlich der Maskulinisierung des Körpers, d.h. sie wirkt auf Stimmlage, Fettverteilung, Brust, Behaarungstyp und Bartwuchs, Muskelwachstum etc. Oft wird die hormonelle Behandlung bereits während des Alltagstests begonnen, um geschlechtstypische Auffälligkeiten möglichst schnell der erprobten Geschlechtsrolle anzupassen. Zweitens verspricht man sich aber auch eine psychotonische Beruhigung des Klienten, der vehement auf eine schnellstmögliche somatische Behandlung dringt, ohne daß er bereits die Kriterien für eine operative Behandlung erfüllt. Oft findet man in der Literatur auch den Hinweis auf eine erwünschte Beeinflussung geschechtstypischen Verhaltens und Erlebens, eine Wirkung, für die es aber bisher kaum gesicherte Befunde gibt.
Operative Behandlung
Die operative Behandlung von Frau-zu-Mann-Transsexuellen besteht aus Mastektomie (subkutan oder komplett mit Retransplantation der Mamillen) und Hysterektomie, oft wird auch eine Penoidplastik vorgenommen, die eine weitreichende Angleichung an das männliche Geschlecht erreichen soll. Der Gesetzgeber in Deuschland fordert laut § 8 des Transsexuellengesetzes die Fortpflanzungsunfähigkeit sowie die äußerliche somatische Angleichung an das gewünschte Geschlecht, bevor eine Personenstandsänderung durchgeführt werden kann. Kosmetische Operationen des Gesichts sind bei weiblichen Transsexuellen in der Regel nicht nötig.
Die Penoidplastik führt häufig zu Komplikationen. Es kann entgegen den Erwartungen transsexueller Frauen in der Regel kein ästhetisch befriedigendes Operationsergebnis erzielt werden. Eine suggerierte Funktionsfähigkeit wird durch Hilfsmittel erzielt, die in die Penoidplastik implantiert werden, beispielsweise Pumpen oder biegsame Einlagen. Auf diese Weise kann der Koitus ausgeführt werden, ohne daß aber in der Regel dadurch ein Orgasmus möglich würde. Folgeoperationen aufgrund von Nekrosen oder ähnlichen Komplikationen sind häufig (Eicher, 1992).
Operierten Transsexuellen gelingt in der Regel eine gute psychosoziale Anpassung an die neue Geschlechtsrolle. Sie können insgesamt nach den meisten veröffentlichten katamnestischen Untersuchungen damit rechnen, sich postoperativ sozial zu reintegrieren, psychisch ausgeglichener zu werden und eine höhere Lebensqualität in bezug auf Partnerschaft und sexueller Aktivität zu erreichen, als kurz vor der Operation (Pfäfflin & Junge, 1992). Rückumwandlungsbegehren sind trotz unbefriedigender Operationsergebnisse, insbesondere bei Penoidplastik, äußerst selten. Während des zehnjährigen Bestehens des Transsexuellen-Gesetzes (TSG) 1981 - 1990 stellten lediglich sechs Personen einen Rückumwandlungsantrag, davon nur eine nach Personenstandsänderung (Osburg & Weitze, 1993). Erfreulich ist vor allem die psychische Stabilität der Betroffenen nach der Operation, die die Selbstmordrate erheblich reduziert (Pfäfflin, 1993).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der BRD den Schritt zur Operation verstärken. Für die sogenannte „große Lösung“ ist laut Transsexuellen-Gesetz, daß seit 1981 Gültigkeit hat, die Voraussetzung für eine Personenstandsänderung die Zeugungsunfähigkeit sowie eine weitgehende Angleichung der äußerlichen Gestalt an das Gegengeschlecht. Für die „kleine Lösung“, die Erlaubnis einen geschlechtsneutralen Namen zu führen, ist die Operation nicht notwendig.
Psychotherapie
Die Psychotherapie hat bei der erwachsenen Transsexualität so gut wie keine Bedeutung mehr, wird aber bei Kindern noch häufig angewendet. Für den Verzicht auf die Psychotherapie spricht neben dem Paradigma der Unheilbarkeit vor allem die Tatsache, daß Transsexuelle in der Regel nicht zu einer Psychotherapie zu motivieren sind und diese als ein gesellschaftliches Repressionsinstrument ansehen. Ein vertrauensvolles Verhältnis, wie es für eine verändernde Psychotherapie Voraussetzung ist, kann unter diesen Umständen nicht verwirklicht werden.

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