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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
Vom Transvestitismus
zum Transsexualismus, Geschichte
welche jeder kennen sollte!
Hirschfelds wissenschaftliches Interesse erweiterte sich
nach 1910 wesentlich. Seine wichtigen Arbeiten gehen inhaltlich über
Homosexualität hinaus. Zweifellos wurde Hirschfeld zu einem der intimsten
Kenner der sexuellen Abweichler. Während des ersten Weltkrieges stellte er
Militärtauglichkeitszeugnisse aus. Unter den Begutachteten fand er 60
Transvestiten, die in Frauenkleidern zur Musterung erschienen oder bereits
eingezogen waren. Von den 60 wurden aufgrund von Hirschfelds Gutachten 25 als
dauernd untauglich ausgemustert, ein Teil als »Arbeitsverwendungsfähig« oder
»Berufsverwendungsfähig« in Küche oder Schreibstube versetzt, und schließlich
ein Teil als felddiensttauglich gemustert.
Besonders in Berlin hatte sich in den 10er und 20er Jahren
neben der Homosexuellen- eine Transvestitenszene herausgebildet. Es gab
Treffpunkte, Transvestitenlokale und Transvestitenbälle, über
Transvestitenprostitution wurde geklagt. »Damenimitatoren«, die allerorts
auftraten, waren für Hirschfeld die Transvestiten schlechthin. Aber es gab auch
Ansätze zur Selbstorganisation der Transvestiten. Mitte der 20er Jahre wurden
thematische Vortragsabende für Transvestiten in der alten Jakobstraße
veranstaltet und Ende der 20er Jahre der Transvestitenverein Club Deon
gegründet, über den bislang kaum Informationen vorliegen. 1924 wird von
Friedrich Radszuweit, dem Verleger und Vorsitzenden des Bundes für
Menschenrecht, einer mitgliedsstarken homosexuellen Organisation, die mit
Hirschfelds WHK sympatisierte, neben der Zeitschrift »Die Freundschaft« auch
»Die Freundin« herausgegeben. »Die Freundin« erhielt einen Sonderteil »Der
Transvestit«. Es ist nicht bekannt, wie lange dieser Sonderteil erschien, er
enthielt neben Aufsätzen von Wissenschaftlern wie Hirschfeld und Karsch-Hack
auch wichtige Selbstzeugnisse. Unter dem Titel »Aus dem Empfindungsleben eines
Transvestiten!« schreibt Toni Fricke über sich:
»Ich beneide die Frauen nicht nur um ihre Kleidung, sondern
auch um ihren Körper und ihre Gefühle. Diese ständige Eifersucht, ja Neid auf
das Weib (in dem quälenden Bewusstsein meiner eigenen körperlichen
Männlichkeit) wird mich wohl nie ganz zur Ruhe kommen lassen, und findet selbst
keine restlose Befriedigung dadurch, dass ich nun seit einigen Jahren ganz als
Frau lebe. Dieses Gefühl ist unersättlich, und erklärt sich nur aus dem dauernd
lebendigen Protest gegen sein ›tatsächliches Geschlecht‹ … Mit dem Idealbegriff
des ›Weibes‹ verbindet mich ein inniges (leider meist einseitiges bleibendes) Zusammengehörigkeitsgefühl,
ein Gefühl der Gleichartigkeit und Wesensverwandtschaft. Was ich liebe, das
schöne ästhetische und kluge Weib, begehre ich nicht zu besitzen, sondern ihm
gleich zu sein! … alles Männliche, vor allem im äusseren und so weit es mich anbetrifft
ist mir verhasst …«
Deutlich wird, dass es Personen wie Toni Fricke gab, die den
Wunsch hatten, ihr körperliches Geschlecht zu ändern. Deutlich wird aber auch,
dass sich diese Personen selbst als Transvestiten beschrieben, Toni Fricke
würde man heute wahrscheinlich als Transsexuellen klassifizieren und er sich
möglicherweise auch. Aus den umfangreichen Fällen, die Hirschfeld im zweiten
Band seiner Sexualpathologie beschreibt, geht hervor, dass sich bei
Transvestiten der »Feminismus nicht in der andersgeschlechtlichen Umkleidung
erschöpft«. Die männlichen Transvestiten wollten als Bürgersfrauen oder
Dienstmädchen leben, die weiblichen als Soldaten oder Briefträger. Mit diesem
Wechsel der sozialen Geschlechterrolle war oft der Wunsch nach körperlicher
Geschlechtsumwandlung verbunden. Offenbar durch seine umfangreichen Erfahrungen
als Sexualarzt und als Kenner der Homosexuellen und Transvestitenszene
veranlasst, änderte Hirschfeld seine Auffassungen über das Phänomen der
Geschlechtsumwandlung. Die streng pathologisierende Definition lockerte sich.
1923 benutzte er erstmals das Wort »Transsexualismus«, in Verbindung mit
Transvestismus, ohne es näher zu definieren. In seinen ca. 2000 Seiten
umfassenden sexualwissenschaftlichen Resümee der »Geschlechtskunde«, sieht er
im Wunsch nach Geschlechtsumwandlung eine Form des extremen Transvestismus.
Hirschfeld schreibt:
»Die stärksten Formen des totalen Transvestismus finden wir
bei denen, die nicht nur ihr künstliches, sondern auch ihr natürliches Kleid,
ihre Körperoberfläche andersgeschlechtlich umgestalten möchte. Den höchsten
Grad dieser körpertransvestitischen Zwangszustände beobachten wir bei denen,
die eine mehr oder weniger vollständige Umwandlung ihrer Genitalien anstreben,
vor allem also ihre Geschlechtsteile nach ihrer Seele formen wollen. Voran
steht bei transvestitischen Frauen die Beseitigung der Menstruation durch
Entfernung der Eierstöcke, bei transvestitischen Männern die Kastration. Diese
Fälle sind viel häufiger als man früher auch nur im entferntesten ahnte.«
Mit seinem Verständnis für die Probleme der Menschen mit dem
Wunsch nach Geschlechtsumwandlung steht Hirschfeld einzigartig da. Kein anderer
Zeitgenosse hat sich wie Hirschfeld in den letzten Jahren dafür eingesetzt, bei
der Lösung ihrer Probleme zu helfen, der sozialen wie der medizinischen.
Hirschfeld versuchte in den folgenden Jahren, Erleichterungen für den Alltag
der Transvestiten zu erreichen, damit auch sie gemäß ihrer Natur leben konnten.
Eine Erleichterung war die behördliche Ausstellung des
Transvestitenscheins. Aufgrund ärztlicher Gutachten wurden Transvestiten
behördlich – mit Bescheinigung – das Tragen der Kleidung des anderen
Geschlechts genehmigt. Mit diese Schein waren die Transvestiten vor der
Festnahme bzw. Anklage wegen Erregung öffentlichen Ärgernissen bzw. groben
Unfugs geschützt.
1920 berichtete der mit Hirschfelds Instituts
zusammenarbeitende Rechtsanwalt Niemann von der Möglichkeit der Namensänderung.
Transvestiten, die oft den Wunsch nach Änderung ihres Vornamens vorbrachten,
war es nun mehr möglich, wiederum auf Antrag, ihren Namen in einen
geschlechtsneutralen zu ändern, Alexander oder Alexandra wurde zu Alex, Anton
oder Antonia wurde zu Toni.
4. Erste therapeutische Versuche
Um 1900 entdeckte man die Wirkung der Geschlechtshormone
(chemisch isoliert und beschrieben wurden sie erst 1930 durch Gutenant), damit
begann ein neues Kapitel in der Sexualmedizin. Das, was vorher vergeblich
psychotherapiert worden war, sollte nun mit Hormonkuren oder
Keimdrüsentransplantationen ins Lot gebracht werden: sei es die Fruchtbarkeit,
die Potenz oder die sexuelle Triebrichtung. Zur Zeit der Gründung des Instituts
für Sexualwissenschaft 1919 machte der Wiener Hormonspezialist auf sich
aufmerksam: Er experimentierte an Meerschweinchen und Ratten, das Überpflanzen
von Hoden in weibliche und von Ovarien in männliche Tiere brachte allerlei
»sexuelle Zwischenstufen« hervor. Hirschfeld und sein Freund Karl Giese
besuchten Steinach in Wien. Steinachs Hormontherapie der Geschlechtlichkeit wurde
in den frühen 20er Jahren zum zentralen Bezugspunkt und alleinigem kausalen
Erklärungszusammenhang der »Hirschfeldschen Zwischenstufentheorie«. Steinachs
Versuche waren derart populär, dass ein Arzt über einen seiner Patienten mit
dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung berichtete:
»Er wollte durch Entfernung der Hoden und Einpflanzung von
Eierstöcken Vollweib werden. Er würde sicherlich einen ›Glanzfall‹ für Steinach
abgeben und alle Zeitungen würden von ihm schreiben!«
Frauen und Männer formulierten den Wunsch nach körperlicher
Geschlechtsumwandlung in Verbindung mit dem Versuchen der Genitalchirurgie und
Keimdrüsentransplantation. Die von Hirschfeld in seiner »Sexualpathologie« 1918
beschriebenen Versuche mittels Einspritzung von Hoden, bzw. Eierstockextrakten
stellen den ersten therapeutischen Versuch dar, Transvestiten dem gewünschten
Geschlecht anzunähern. Sie sind gleichzeitig eine frühe Form der hormonellen
Behandlung. Bereits zu dieser Zeit meint Hirschfeld:
»Auch an operative Transplantationen von männlichen
Keimdrüsengewebe bei transvestitischen Männern und Ovarialgewebe bei
transvestitischen Frauen könnte man denken. Jedoch zeigt die praktische
Erfahrung, dass das Verlangen der Transvestiten gerade nach der
entgegengesetzten Seite geht. Die Männer wollen Eierstockgewebe, die Frauen
Hodengewebe injiziert oder implantiert haben. Sie empfinden eben ihren Körper,
nicht ihren Geist als ihnen nicht adäquat.«
In den 20er Jahren wurden erste operative
Geschlechtsumwandlungen durchgeführt. Geübt in derartigen Eingriffen waren die
Chirurgen bereits durch Genitaloperationen an Verletzten des Ersten
Weltkrieges. Auch die gescheiterten Umpolungsversuche von Homosexuellen in
Heterosexuelle durch Einpflanzung »heterosexueller Hoden« waren bereits zum
Experimentierfeld geworden. Offenbar spielt das Institut für Sexualwissenschaft
bei den ersten Geschlechtsumwandlungen eine maßgebliche Rolle und zwar sowohl
bei der Begutachtung als auch der Ausführung der Operation. Bei den meisten
Patienten wurden mehrere Operationen nacheinander durchgeführt . Von
verschiedenen transvestitischen Patienten, Frauen und Männern, wurde an die
Mitarbeiter des Instituts für Sexualwissenschaft zunächst der Wunsch nach
Beseitigung der sie störenden Hoden bzw. Eierstöcke herangetragen. Anfangs der
20er Jahre wurden die in Hirschfelds Terminologie als extreme Transvestiten
bezeichneten Personen daher zunächst auf eigenen Wunsch und unter Belehrung
über die Folgen einseitig oder zweiseitig kastriert.
1926 berichtet Mühsam, die Kapazität auf dem Gebiet der
Genitalchirurgie über einen von Hirschfeld an ihn überwiesenen Patienten an den
ein erster Versuch einer plastischen Operation durchgeführt wurde. Und zwar
wurde der Transvestit 1920 von Mühsam auf eigenen Drängen hin kastriert. »Im März
1921 wurde ihm von anderer Stelle eine Ovarium eingepflanzt.« Leider gibt es
keinerlei Angaben zu der Eierstocktransplantation, weder über die Ziele noch
über die Technik der Operation. (So ist der Wunsch eines Patienten überliefert,
der nach der Geschlechtsumwandlung Kinder bekommen zu wollen. Auch die
Vorstellung, zu einem richtigen Weib gehören Eierstöcke, könnte Anlass für die
Eierstocktransplantation gewesen sein, ebenso wie der Versuch, durch die
ovarielle Hormonproduktion die körperliche Angleichung zu unterstützen.) Im
gleichen Jahr bat der Patient um Amputation des Penis. Mühsam konnte sich dazu
nicht entschließen und vernähte den Penis unter die Haut des Dammes. Außerdem
beschreibt Mühsam die Fälle zweier weiblicher Transvestiten, wobei zu vermerken
ist, dass der ersten bereits 1912 Brüste und Gebärmutter auf eigenen Wunsch
entfernt wurde:
»… da sie diese Organe als nicht zu ihr gehörig empfand. Sie
hielt sich für einen verkappten Mann und wollte auch äußerlich wie ein Mann
aussehen. Als sie mich aufsuchte, war sie eine nicht unbegabte Malerin, trug
Männerkleider und klagte über Kreuzschmerzen und das Gefühl, Fremdkörper im
Leib zu haben. All diese Fremdkörper sah sie die Eierstöcke an, um deren
Entfernung sie dringend bat … Im Jahre 1921 entfernte ich ihr die Ovarien,
deren mikroskopische Untersuchung keine Veränderungen zeigte. Nach der
Operation fühlte sie sich, wie sie sich ausdrückte, freier und betrieb die
Umschreibung ihres Personalstandes … bis zu ihrem Tode aber hat sie versichert,
dass die Entfernung der Eierstöcke wohltuend auf ihren seelischen Zustand
gewirkt habe … Nicht alle derartigen Kranken fühlen so. Ein zweiter 26-jähriger
weiblicher Transvestit (Zahnarzt), welcher ebenfalls mit Erlaubnis der Behörde
in Männerkleidern einherging, eine ungewöhnlich große Klitoris besaß und ein
Liebesverhältnis mit einem jungen Mädchen unterhielt, ließ sich, um die sie
störenden Kennzeichen der Weiblichkeit zu verlieren, Brüste und Eierstöcke
entfernen. Anfangs fühlte sie sich in ihrer neuen Erscheinung, der man in
bekleideten Zustand die Frau nicht mehr äußerlich anmerken konnte ganz wohl ein
halbes Jahr später, aber endete sie aus Verzweiflung über ihr verfehltes und
unbefriedigtes Leben durch Selbstmord.«
5. Erste komplette Geschlechtsumwandlung
Über die erste komplette Genitalumwandlung berichtete Felix
Abraham, seit 1928 Abteilungsleiter am Institut für Sexualwissenschaft, 1931 in
dem Beitrag »Geschlechtsumwandlung an zwei männlichen Transvestiten«. Abraham
war für die Transvestitenberatung zuständig. Ganz im hirschfeldlichen
Verständnis sah er diese Fälle als Sonderform des Transvestismus an. Eine
Indikation gab es nicht. Die Geschlechtsumwandlung wurde von Abraham ganz
pragmatisch als Notlage begründet:
»Auch wir haben uns nicht leicht zu den geschilderten
Eingriffen entschlossen, aber die Patienten waren nicht nur unabweisbar,
sondern sie befanden sich auch in einer Gemütsverfassung, die eine
Selbstverstümmelung und damit lebensgefährliche Komplikationen wahrscheinlich
erscheinen ließen. Aus anderen Fällen haben wir gelernt, dass sich
Transvestiten tatsächlich die schwersten Verletzungen beibringen, falls der
Arzt ihrem Wunsch nicht willfährt. Die Vornahme der Operation war daher in
diesen Fällen eine Art Notoperation, notwendig um die Patienten vor schlimmeren
eigenmächtigen Eingriffen zu bewahren.«
Beschrieben wurden von Felix Abraham Operationen, die
wiederum schrittweise in den 20er Jahren und frühen 30er Jahren ausgeführt
wurden. »Kastration und Penisamputation wurden in dem Institut für Sexualwissenschaft
durch Dr. Levi Lenz zu Berlin ausgeführt«. Die plastische Operation, die
Ausformung der Scheide nahm Felix Abraham vor. Weitere operative Eingriffe
(welche sind unbekannt, R. H.) wurden von Professor Kohrband, dem Direktor der
chirurgischen Klinik des Urban-Krankenhauses in Berlin durchgeführt. Einer der
Patienten, über die Felix Abraham berichtete, ist Rudolf, der später Dorsche
hieß und am Institut als Hausangestellte arbeitete.
Die Auswirkungen einer Operation werden etwas pathetisch in
einem weiteren Fall beschrieben. Die wohl spektakulärste operative
Geschlechtsumwandlung von Mann-zu-Frau in dieser Zeit ist der Dänin Lili Elbe.
Spektakulär auch deshalb, weil 1930/1931 ihre Biographie unter dem Titel »Ein
Mensch wechselt sein Geschlecht – eine Lebensbeichte« in Dänemark und
Deutschland erschien. Begutachtet wurde er vor der Operation vermutlich von
Hirschfeld, nach der Operation wird ihre Biographie beschrieben. Darin taucht
Hirschfeld als »Dr. Hadenfeld« und sein Institut als »Institut für Seelenkunde«
auf. Abgeschlossen wurde ihre Operation in der Frauenklinik Dresden, weshalb
sie sich auch Lili Elbe nannte. Die juristische Regelung für diese Operationen
beschrieb Einar Wegener, so hiess Lili Elbe vor der Namensänderung, darin, dass
er lediglich eine Erklärung unterschreiben musste. Darin war festgehalten, dass
die Operation auf eigenen Wunsch und auf eigene Gefahr durchgeführt wurde und
er die Operateure bei einem eventuellen ungünstigen Ausfall von jeglicher
Verantwortung entbinde. Erst nach der Operation wurde der Name geändert. Wie
bei den Namenstransvestiten waren dazu ärztliche Gutachten und behördliche
Genehmigungen erforderlich. Bei Lili Elbe musste der behandelnde Arzt mit einem
Gutachten die dänische Gesandtschaft in Berlin bitten, die Namensänderung zu
genehmigen.
Ein weiterer Fall einer angestrebten Genitalumwandlung ist
überliefert. Aus verschiedenen Schreiben des Instituts für Sexualwissenschaft,
an das sich die Patientin 1928 wandte, geht hervor, dass die Mitarbeiter des
Instituts von der technischen Ausführbarkeit der Operation ausgingen.
Wahrscheinlich meinten die Mitarbeiter mit Frau-zu-Mann-Genitalumwandlung die
Entfernung der Eierstöcke, der Gebärmutter und der Brüste bei weiblichen
Transvestiten. Bei dem Fall handelt es sich um eine Arbeiterin aus Berlin, da
sie nicht über das nötige Geld für die Operation verfügte, ersuchte sie
zunächst Magnus Hirschfeld um ein Gutachten, der dafür 50 Reichsmark verlangte.
Das war für eine einfache Arbeiterin eine erhebliche Summe. Mit diesem
Gutachten beantragte sie beim Polizeipräsidenten die amtliche Erlaubnis zum
Tragen von Männerkleidern, den sogenannten Transvestitenschein. Als zweiten
Schritt wollte sie ihren Namen ändern lassen. Da sie minderwertig war, waren
die dazu erforderlichen Unterlagen und Behördengänge sehr umfangreich. Ihr Name
wurde geändert in Gerd. Ob und wann die operative Geschlechtsumwandlung
durchgeführt wurde, ist nicht bekannt.
»Geschlechtsumwandlung« gibt es nicht!
Bei aller Akzeptanz können Wünsche offen bleiben. Der
Fernsehabend im seidigen Negligé, oder der Karneval einmal im Jahr reicht
vielleicht irgendwann nicht mehr aus, und der Wunsch regt sich, im vollen
weiblichen Erscheinungsbild an die Öffentlichkeit zu gehen oder vielleicht mal
einen ganzen Urlaub in Frauenkleidung zu verbringen. Schnell kommt da bei der
Partnerin die Sorge auf: »Er will immer mehr, wo soll das noch enden?« und
»Wird er am Ende noch eine Geschlechtsumwandlung wollen?«
Die Sorge ist verständlich und noch nicht einmal ganz
unberechtigt, denn einige Transvestiten halten den Druck, der in Berufs- und
Privatleben auf sie ausgeübt wird, nicht mehr aus und wählen die einzige
Fluchtmöglichkeit, die ihnen scheinbar noch bleibt: die
»Geschlechtsumwandlung«. Schon manche Familie ist so sinnlos zerstört worden
und der angebliche Transsexuelle musste sich allein durchschlagen, ohne
Stellung, ohne Familie, ohne wirkliche Kenntnis der nun einmal gewählten
Geschlechtsrolle. Dafür, dass seine Geschlechtsorgane nach einer Operation
äußerlich weiblich sind und seine Papiere auf einen weiblichen Namen lauten,
wird er noch keine gesellschaftliche Anerkennung und noch lang keinen neuen Job
bekommen. Und eine Frau ist er auch noch lange nicht.
Die Träume vom schönen Leben als Frau, vom verwöhnten
Luxusweibchen, gehören in die »2. Pubertät« des Transvestiten und sollten mit
zunehmender Reife von einer realistischeren Sicht von Frau-Sein ersetzt werden.
Auch Frauen müssen arbeiten, meist sehr viel härter als Männer, und sie ernten
dafür weit weniger Geld und Anerkennung. Die Partnerin sollte sich diese Träume
auf keinen Fall bieten lassen, sondern ihren Partner immer wieder auf die
Realität hinweisen, um Schlimmeres zu verhüten.
Hier möchte ich einen kleinen Exkurs über den Begriff
»Geschlechtsumwandlung« einflechten. So etwas wie »Geschlechtsumwandlung« gibt
es nämlich eigentlich gar nicht. Das komplizierte System der weiblichen
Geschlechtsorgane hat kein noch so geschickter Chirurg je überzeugend
nachbilden können. (Dasselbe gilt übrigens auch für die männlichen
Geschlechtsorgane bei Frau-zu-Mann-Transsexualität. Auch männliche
Geschlechtsorgane sind zu kompliziert, um sie einfach so nachzuahmen.
Menschliche Organe sind nun einmal keine beliebig austauschbaren Ersatzteile,
auch wenn das viele gern so sehen würden!) Bei der berühmten »Operation« wird
eine künstliche Vulva und eine künstliche Vagina aus den äußeren männlichen
Geschlechtsorganen geformt, sie ist also nur eine kosmetisch-chirurgische
Maßnahme.
Eine solche »künstliche Frau« hat weder Gebärmutter noch
Eierstöcke, keinen weiblichen Zyklus, keine weibliche Gehirnstruktur, und der
weibliche Hormonspiegel kann nur mittels Pillen oder Spritzen von außen
aufgebaut werden. Und mit diesen Maßnahmen ist die transsexuelle Frau noch
lange nicht fertig. Mit einer elektrischen Nadel muss Härchen für Härchen der
Bart aus dem Gesicht entfernt werden, eine äußerst schmerzhafte, langwierige
und teure Behandlung. Und die Stimme muss in anstrengenden Übungsstunden auf
eine weibliche Stimmlage umtrainiert werden. Dann muss meistens noch eine
Umschulung drangehängt werden, weil die »neue« Frau in ihrem bisherigen
(männlichen) Beruf nicht mehr anerkannt wird, und ob sie dann mit ihrer
»transsexuellen Vergangenheit« noch eine Anstellung findet, ist nicht sicher.
Wer eine solche Prozedur auf sich nimmt, sollte sehr genau
wissen, was er tut. Auch die Folgen für die Partnerschaft und Familie müssen
erwogen werden. Das deutsche Transsexuellengesetz fordert z.B. von
Transsexuellen die Ehescheidung, wenn sie im Ursprungsgeschlecht geheiratet
haben, eine äußerst familienfeindliche Entscheidung, die sehr viel Leid über
alle Betroffenen bringen kann.
Auf eine wichtige Übergangsform zwischen Transvestismus und
Transsexualität möchte ich noch eingehen: Manche Transvestiten verweiblichen
zusehends in ihrem Erscheinungsbild und ihrem Verhalten mit dem Ziel, einmal
ganz als Frau zu leben, ohne sich allerdings unbedingt operieren lassen zu
wollen. Diese Entwicklung wird in Deutschland mit Einschränkungen als
transsexuell angesehen, in manchen anderen Ländern nicht.
Paare, die diese Entwicklung gemeinsam machten, berichten
über die Vertiefung ihrer Beziehung und ein viel harmonischeres Zusammenleben.
Nur die Angst, nun als »Lesbe« zu gelten, hält viele Frauen davon ab, sich auf
dieses Abenteuer einzulassen.
Daraus folgt für die Partnerschaft: Niemand kann wissen, ob
ein Transvestit später einmal transsexuell wird. Davor Angst zu haben, hilft
niemandem. Doch eine gute, vertrauensvolle Partnerschaft kann falsche
Entscheidungen verhindern helfen.
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