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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
Zäher Kampf gegen die
Straflosigkeit
Homo- und
Trans*-Organisationen fordern restlose Aufklärung!
Fast drei
Jahre nach dem Putsch in Honduras sind die zahlreichen homo- und transphoben
Morde noch immer nicht aufgeklärt. Viele Mitglieder der Lesben-, Schwulen-,
Bisexuellen- und Trans* (LGBT)-Community setzen sich weiter für ein Ende der
Straflosigkeit ein. Verstärkt gehen sie in die Öffentlichkeit und kämpfen für
das Recht auf freie Entfaltung für alle.
Monat für
Monat, an jedem 13., ziehen sie vor das Gebäude der honduranischen
Staatsanwaltschaft und fordern die Aufklärung der Morde, denen seit dem Putsch
am 28. Juni 2009 Trans*, Schwule und Lesben zum Opfer fielen. Mit den
Kundgebungen erinnern die beteiligten LGBT-Organisationen an jenen 13. Dezember
2009, an dem Walter Tróchez ermordet wurde. Der 27-jährige schwule
AIDS-Aktivist und Menschenrechtsverteidiger war zugleich Mitglied der breiten
Bewegung gewesen, die sich gegen den Putsch engagierte. Er hatte sich an der
Karawane des roten Kreuzes an die nicaraguanische Grenze beteiligt, als wegen
des Ausnahmezustands keine Medikamente mehr ins Land kamen. Er hatte zu
Demonstrationen mobilisiert, Polizeigewalt dokumentiert und auf die
Komplizenschaft der honduranischen Bischofskonferenz mit der Putsch-Regierung
hingewiesen. Außerdem hatte er internationale Menschenrechtsorganisationen
alarmiert, als klar geworden war, dass nicht nur Aktivist_innen des
Widerstands, kritische Journalist_innen und Protestierende gezielt ermordet
wurden, sondern auch Mitglieder der LGBT-Community.
Laut einer
Untersuchung des honduranischen Lesbennetzwerks Cattrachas wurden allein in den
ersten sechs Monaten nach dem Putsch 19 homo- und transphobe Morde begangen –
mehr als in den fünf Jahren zuvor. Tróchez hatte sich in seinem Engagement
nicht beirren lassen: weder durch seine erste Verhaftung noch durch die
Entführung durch Maskierte in einem Wagen ohne Nummernschild, bei der er mit
Schlägen traktiert und über seine Kontakte im Widerstand befragt worden war.
Nach seinem Entkommen erstattete er hartnäckig Anzeige bei der Polizei. Zwei
Wochen später wurde er auf offener Straße erschossen. Bis heute hat keine
Aufklärung des Falls stattgefunden. Auch der Mord an den Vorsitzenden der Trans*-Organisation
Colectivo Unidad Color Rosa, Imperia Gamaniel Parson und Neraldys, vom 31.
August 2010 bleibt im Dunkeln. Ebenso wie Dutzende andere Morde.
Nur aufgrund
des internationalen Drucks, unter anderem aus der EU, den USA und von
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sah sich
De-Facto-Präsident Porfirio Lobo dazu genötigt, die Vulnerabilität von LGBT
einzugestehen. Trotzdem fand allein der Fall Tróchez Eingang in den Mitte
letzten Jahres vorgelegten Bericht der offiziellen Wahrheitskommission CVR.
Immerhin kamen FBI-Beamt_innen aus den USA, um die Aufklärung der Morde zu
unterstützen. Im November 2011 wurde außerdem eine Sondereinheit für sexuelle
Vielfalt bei der Kriminalpolizei (DNIC) geschaffen. Die mit einem eigenen
Staatsanwalt ausgestattete Einrichtung hat ihren Sitz in San Pedro Sula im
Norden, wo die meisten Taten verübt werden, und in Tegucigalpa. Dass die
Gründung der Institution tatsächlich zu nachhaltigen Aufklärungsbemühungen –
und Ergebnissen – führt, stößt bei den „Betroffenen“ auf Skepsis.
Die
Angehörigen der ermordeten Journalist_innen und Bauernaktivist_innen im Bajo
Aguán warten bislang ebenfalls vergeblich auf eine Verfolgung und Bestrafung
der Täter. LGBT-Aktivist_innen, wie José Zambrano oder Alexander David Sánchez
Álvarez, sind nach wie vor von Drohungen betroffen. Auch die Morde gehen
weiter. Den letzten fielen im Februar die Travestis „Montserrat“ (offizieller
Vorname: Jonathan José) Pineda und Ivis Rolando „Dulce“ Mejía García, im März
dann José Enrique „Shakira“ Castro und eine Unbekannte in San Pedro Sula zum
Opfer.
Neben der
Strafverfolgung muss jedoch auch die Gewaltprävention stärker in den Blick
genommen werden. So plant die Organisation ARCOIRIS Sensibilisierungstrainings
für die Polizei. Dem Respekt vor der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und
sexueller Orientierungen stellen sich allerdings konservative Kräfte entgegen.
Gestärkt durch den Rechtsruck des Putschs wird auf fundamentalistische
Positionen gesetzt – koste es, was es wolle.
Zwei Beispiele
aus dem vergangenen Jahr zeigen, welch seltsame Blüten ein solcher Dogmatismus
treiben kann. Im August brachte die honduranische Organisation Libre Expresión
(Freie Äußerung) zwei Großbanner an Gebäuden der Nationalen Autonomen
Universität von Honduras (UNAH) an. Das eine der beiden Banner warb im Rahmen
der Toleranzkampagne „Vos decidís“ („Du entscheidest“) für die Achtung vor den
verschiedenen Ethnien und Religionen, das andere für Respekt vor Lesben,
Schwulen und Trans*. Letzteres stieß bei Konservativen auf Kritik. Einen Tag
vor Beginn des neuen Semesters drangen Unbekannte in die Universität ein und
entwendeten das Transparent, sein Verbleib ist bis heute unbekannt. Obwohl die
Universitätsleitung die Kampagne unterstützte, wurde kein neues Banner
aufgehängt.
Ein zweiter
Vorfall ereignete sich im Oktober, als der in Lateinamerika überaus populäre
Musiker Ricky Martin im Rahmen einer Tournee ein Konzert in Tegucigalpa geben
wollte. Der Puertoricaner hatte sich ein Jahr zuvor als schwul geoutet. Mit seinem
Partner hat er zwei Kinder, die von einer Leihmutter stammen. Seit seinem
Outing wird er von christlichen Fundamentalist_innen angegriffen. So
bezeichnete ihn eine evangelikale Predigerin als „Gesandten des Teufels“ und
der puertoricanische Kardinal Luis Aponte verurteilte das „unmoralische
Verhalten der Homosexuellen“ und warf Martin vor, „die Jugend zu verderben“.
Ähnliches ließ sich vor dem geplanten Termin dann von Innenminister Áfrico
Madrid vernehmen. Die Erlaubnis für das Konzert müsse „auf Grundlage der
moralischen und ethischen Prinzipien unserer Gesellschaft überprüft werden“.
Gefordert hatten dies Vertreter_innen der christlichen Kirchen, die ins Feld
führten, die Familienkonstellation des Künstlers sei kein gutes Vorbild. Es sei
nicht „diese Art von Familie, die von den honduranischen Gesetzen und der
honduranischen Gesellschaft angestrebt werde“; man wolle „dieses Modell nicht
unter den Jugendlichen und der übrigen Gesellschaft verbreiten oder
unterstützen“. Schließlich durfte das Konzert dann doch stattfinden, nur
Kindern unter 15 Jahren wurde der Zutritt untersagt.
Die
Community lässt sich von derlei Gebaren jedoch nicht einschüchtern. Neben den
monatlichen Kundgebungen vor der Staatsanwaltschaft demonstriert sie im Mai zum
Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie und geht auch zum Christopher
Street Day (CSD) auf die Straßen. Dieser wurde in Honduras erstmals 2001
durchgeführt, von der Comunidad Gay Sampedrana in San Pedro Sula. Bei einer
anderen Aktion hielt die Organisation ARCOIRIS im August letzten Jahres vor dem
Kongress symbolisch die Eheschließung einer Homo-Ehe ab, um für ein Referendum
über das Thema einzutreten. Im Jahr 2005 hatte der Kongress einmütig
beschlossen, das Verbot der Ehe und der Adoption für gleichgeschlechtliche
Paare in der Verfassung zu verankern. Dies geschah auf Druck evangelikaler
Gruppen als die Regierung nach jahrelangem Ringen drei Homo-Organisationen
offiziell zugelassen hatte.
Kurz zuvor
war in San Pedro Sula die einzige Schwulenbar geschlossen worden. Dabei konnte
sich die Stadt auf das „Gesetz über Polizei und gesellschaftliches
Zusammenleben“ von 2002 berufen. Dessen Artikel 142 bietet die Möglichkeit,
Verstöße „gegen das Schamgefühl, gegen die guten Sitten oder die öffentliche
Moral“ zu sanktionieren. Bis heute kann dies von der Polizei dahingehend
interpretiert werden, dass Lesben, Schwule oder Trans* kein Recht auf die
Präsenz im öffentlichen Raum haben. Einschränkungen der Freiheit, Erpressung,
Erniedrigung sowie weiteren Repressalien sind damit Tür und Tor geöffnet.
Insbesondere Trans*-Frauen, die nachts als Sex-Arbeiterinnen tätig sind,
bekommen dies zu spüren. Diese, vor allem, wenn sie aus ärmeren
Bevölkerungsschichten stammen, sehen aufgrund der Diskriminierungen im
Bildungssystem und der Arbeitswelt oft keine andere Möglichkeit, sich ihren
Lebensunterhalt zu verdienen. Durch die gesellschaftliche Stigmatisierung ihrer
Opfer haben gewalttätige Freier, Polizist_innen und Bewaffnete leichtes Spiel.
Doch trotz
der anhaltend gefährlichen Lage und des Unwillens der Behörden, ernsthaft für
den Schutz der Bürger_innen einzutreten, gibt es auch Positives zu berichten.
Durch die Zuspitzung der Situation und bestärkt durch die nationale und
internationale Solidarität begreifen sich immer mehr „Betroffene“ als Subjekte,
und nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand. Die beharrlichen Kundgebungen vor
der Staatsanwaltschaft und die sichtbare Beteiligung an den anderen Protesten
der Widerstandsbewegung zeigen, dass die LGBT-Community sich keinesfalls einschüchtern
lässt.
Auch
innerhalb der Linken haben Vorkämpfer_innen wie Walter Tróchez den Weg für eine
größere Offenheit und den Respekt vor sexueller Vielfalt geebnet. Seit Oktober
2010 gibt es mit der Bewegung der Vielfalt im Widerstand (MDR) überdies eine eigenständige
Plattform, ein Bindeglied zwischen Community und Widerstandsfront.
Honduranische Medien nehmen die verstärkte Präsenz wahr und rücken allmählich
von stereotypisierenden Beschreibungen ab. Die gesellschaftliche Wahrnehmung
von Diskriminierung und Gewalt wird etwas größer. Zwei neue Clubs für Lesben,
Schwule, Bisexuelle und Trans* haben in Tegucigalpa geöffnet, die Sichtbarkeit
im öffentlichen Leben nimmt zu. Ein weiterer Ausdruck des neuen
Selbstbewusstseins war ein im Dezember erstmals abgehaltenes landesweites Forum
zu sexueller Vielfalt und Menschenrechten, an dem über 200 Menschen aus ganz
Honduras teilnahmen. Es bleibt die Hoffnung, doch noch einen grundlegenden
Wandel zu erreichen, auch wenn dies Jahre in Anspruch nehmen wird.
Glossar
LGBT //
(engl.) Abkürzung für Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender =
Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transgender.
Trans* //
Der Terminus umfasst als Oberbegriff sowohl Transgender, die das Überwinden von
Geschlechterkategorien anstreben, als auch Transsexuelle, die eine
Geschlechtsangleichung innerhalb der gegebenen Kategorien wünschen.
Travesti //
(span.) Subkulturelle Selbstbezeichnung für Transgender mit ursprünglich
männlicher Zuordnung, die selbstbestimmt ihre geschlechtliche Identität leben
und definieren sowie teilweise ihre Körper modifizieren, etwa mittels der
Einnahme weiblicher Hormone und der Injektion von Silikon
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