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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
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"Als ich
noch eine Frau war…"
Haben es Männer tatsächlich leichter im Berufsleben? Niemand kann die Frage
wohl besser beantworten als Leon Strauß. Er kann vergleichen – weil er seinen
Job auch schon als Frau machte.
Einparken ist Leons Stärke nicht. Hinter dem Lenkrad seines
dunkelblauen Fords dreht er sich nach hinten, dann wieder nach vorn, schaut in
den Rückspiegel, gibt Gas und fährt rückwärts in die Parklücke hinein. Doch,
ups, wieder den Bürgersteig erwischt.
"Ich kann das Klischee widerlegen, dass Frauen
schlechter einparken", sagt er. "Als ich noch eine Frau war, hat's
besser funktioniert. Vielleicht lag es daran, dass ich damals ein kleineres
Auto hatte, aber trotzdem." Leon lacht, seine hellen Augen strahlen grün
und grau, ein attraktiver Mann Mitte 40.
Er steigt aus dem Auto und geht zum vierstöckigen Gebäude
der Assa Abloy Sicherheitstechnik GmbH. Hier hat der Berliner Industriekaufmann
Leon Strauß bereits 17 Jahre beruflichen Alltag hinter sich gebracht. Die
ersten zehn Jahre als Frau, die letzten sieben als Mann.
"Guten Morgen, Herr Strauß", begrüßt die
Personalleiterin Frau Niggeling Leon im Flur. Nur 300 Meter von seinem Büro
entfernt ist Leon groß geworden. Hier, im tiefsten Zehlendorf, in einem rosafarbenen
Einfamilienhaus, wusste er schon vor mehr als dreißig Jahren, dass er gern ein
Junge gewesen wäre. Doch in der Geburtsurkunde stand: weiblich. Die Eltern
haben ihre Tochter Evelyn genannt. Diesen Namen spricht Leon in Bezug auf sich
nicht gern aus.
Frau Niggeling, eine freundliche Kollegin im Alter Leons,
kann sich sehr gut an die Zeit vor sieben Jahren erinnern. Damals kam Frau
Strauß zu ihr und sagte, man müsste ihr Geschlecht in den Personalakten ändern.
Der Chef hätte bereits zugestimmt.
Zuerst war Frau Niggeling überrascht, verschiedene Emotionen
– von Mitleid bis Respekt – überströmten sie. Heute, wenn die Personalleiterin
Leon in seinem Büro besucht, ist sie sicher: "Es war mehr eine
Herausforderung für uns als ein Problem."
"Aus Evelyn wird Herr Leon Strauß"
Noch vor der offiziellen Zustimmung über die Namensänderung
wurde ein Schreiben an die Kunden und Kollegen vorbereitet. Es hieß dort:
"… aus Frau Evelyn Strauß wird Herr Leon Strauß, bitte in den Stammdaten
ändern …" Und fertig. Die Visitenkarten wurden neu bestellt, die Daten im
Computer geändert.
Nicht jede Transition verläuft so reibungslos. Vor allem
Transfrauen sind häufig von Diskriminierung betroffen – ohnehin schon als Frau
und noch einmal mehr als Transperson.
Arn Sauer vom Verein TransInterQueer erläutert: "Es
gibt viele Beispiele, wie sehr gut ausgebildete Transfrauen, die in ihrem
früheren männlichen Status noch gut bezahlte Positionen hatten, nach der
Geschlechtsangleichung als Frauen plötzlich auf der Straße standen. Viele von
ihnen sind geschockt, welche Benachteiligungen es mit sich bringt, eine Frau zu
sein."
Einige Transmenschen kündigen freiwillig, um einen neuen
Lebensabschnitt anzufangen, anderen wird gekündigt, oder sie müssen in eine
andere Abteilung wechseln. Nach Angaben der Organisation Transgender Europe
können in der EU circa 50 Prozent der Transmenschen keinen Vollzeitjob finden.
Und selbst diejenigen, die wie Leon weiterarbeiten können, müssen vor allem in
der Übergangsphase mit vielen Herausforderungen und Vorurteilen kämpfen.
Lebt die Person ihre Geschlechtsidentität?
Um den Namen zu ändern, hat Leon – wie es gesetzlich
vorgeschrieben ist – zwei ärztliche Gutachten eingereicht. "Die
wesentliche Fragestellung ist dabei", erklärt der Psychotherapeut Wolfgang
Weig, "ob die betreffende Person tatsächlich in einer abweichenden
Geschlechtsidentität lebt, also innerlich davon überzeugt ist, dem anderen als
dem biologischen Geschlecht anzugehören."
Außerdem müssten die Transsexuellen einen
"Alltagstest" machen. "Das heißt, die Person soll mindestens ein
Jahr lang die ,gewünschte' Geschlechtsrolle ausprobieren, indem sie sich
entsprechend kleidet, ein für das jeweilige Geschlecht typisches
Rollenverhalten übernimmt und sich in ihrer sozialen Umgebung entsprechend
outet", so Weig.
Dies führt allerdings oft zu Missverständnissen – so auch
bei Leon. "In der ersten Zeit hatte ich immer noch meine weibliche Stimme,
aber ans Telefon gegangen ist Herr Strauß. Ich musste immer wieder die Situation
erklären", erinnert er sich. Am Anfang ist es für viele Betroffene äußerst
kompliziert, ohne eine entsprechende Hormontherapie und andere
geschlechtsangleichende Maßnahmen überzeugend männlich oder weiblich
aufzutreten.
Früher erschienen ihm die Kunden dominanter
Heute ist Leons Stimme sicher, heiser, tief. Hat dies
Auswirkungen auf die Arbeit? "Ja", sagt Leon ohne Zweifel. Früher
schienen ihm die Kunden dominanter zu sein, weil er sich unsicher fühlte.
"Als Frau habe ich meine Ziele dann trotzdem erreicht, aber auf
Umwegen." Es gibt auch weibliche Kolleginnen, die es anders können, meint
Leon. Aber generell hat er bemerkt, dass eine männliche Stimme einen
kompetenteren Eindruck verleiht.
Auch im Privaten ist Leon härter geworden: "Heute kann
ich mit Worten argumentieren. Als Mann kann ich einfach sagen: Das ist
so!" Und die Leute akzeptieren es. Oft ist Leon dabei selbst etwas
irritiert: "Ich habe es doch Jahrzehnte anders erlebt."
Als Mann muss sich Leon anders durchsetzen. "Männer
müssen klar und deutlich sein. Sie müssen mehr Präsenz und Stärke zeigen. Aber
da weigere ich mich oft, es gibt ja auch weiche Männer."
Wer Leon länger beobachtet, stellt fest: Stimmt, es gibt
auch weiche Männer. Und noch viel mehr. Es gibt harte Frauen, und es gibt auch
zarte. Es gibt muskulöse Machos mit einer feinen weiblichen Seele, und es gibt
Casanovas von kleiner Statur und unschuldigem Blick.
Und dennoch: Es gibt immer nur Männer und Frauen, und von
ihnen wird Unterschiedliches erwartet. Die transsexuelle Erfahrung ist wohl der
beste Beweis dafür. "Denn die Transleute werden danach bewertet, wie gut
sie männliche und weibliche Ideale verkörpern", sagt Arn Sauer von
TransInterQueer.
"Sie? Sie haben die gebacken?"
Zu einer Weihnachtsfeier vor fünf Jahren hatte Leon Kekse
mitgebracht, zwölf Sorten, selbst gebacken. Eine Kollegin war erstaunt:
"Sie? Sie haben die gebacken?” Leon musste lachen: "Wer denn
sonst?" – "Ich dachte, Ihre Frau vielleicht!", war die Antwort.
Die drei klassischen K – Kinder, Küche, Kirche – sind längst überholt. Wenn es
aber um zwölf Sorten Gebäck geht, dann muss wohl doch eine Frau im Spiel
gewesen sein.
Mittlerweile hört Leon immer öfter Witze von anderen
Männern, "schlüpfrige, manchmal sogar sexistische Witze". Leon sieht
das einerseits als gutes Zeichen für seine Integration: Er ist offenbar im
männlichen Geschlecht angekommen. Andererseits findet er diesen Humor ziemlich
blöd. "So männlich bin ich nun auch nicht geworden, dass ich dazu sagen
würde: cooler Witz."
Leon hat keine Angst vor seiner Vergangenheit. Wenn die
Eltern über seine Kindheit sprechen, sagen sie "sie", und das sei
auch gut so. "Ich will ihnen die Erinnerungen an ihre Tochter nicht
nehmen".
Herr Strauß erzählt seiner Kollegin Frau Niggeling, dass
viele Transsexuelle ihre Kindheit, Pubertät und die ersten Jahre des
Erwachsenseins einfach streichen. Das Leben beginnt für sie erst im neuen
Geschlecht. Das findet Leon schade. Seine Vergangenheit und Erfahrungen als
Frau sind ihm viel wert.
Früher wurde er als lesbisch gesehen
In seiner männlichen Rolle musste sich Leon auch daran
gewöhnen, dass es völlig in Ordnung ist, "meine Freundin" in der
Öffentlichkeit zu sagen. Früher wurde er als lesbisch gesehen, heute ist er ein
heterosexueller Mann. Aber nur auf den ersten Blick. Nach wie vor geht Leon mit
seiner Freundin zu einer Tanzgruppe für gleichgeschlechtliche Paare. "Das
ist dort kein Problem, wir sind eine große Regenbogenfamilie", sagt er.
Die Regenbogenfahne – ein Symbol der Lesben, Schwulen- und
auch der Transgender-Community – hat sich Leon auf die linke Schulter
tätowieren lassen. Auch auch dem Heck seines Autos befindet sich ein
entsprechder Aufkleber.
Da ist es auch kein Wunder, dass Leon sich eine
Wohngemeinschaft in Schöneberg ausgesucht hat, einem Berliner Bezirk, wo nahezu
an jedem Café eine Fahne mit sieben Farben zu sehen ist. Zwei Mitbewohnerinnen
und zwei blauäugige Thaikatzen – das ist Leons Gesellschaft zu Hause.
Es gibt aber noch eine andere Katzenart, die für Leon eine
besondere Bedeutung hat: der Löwe. Eine Löwenskulptur auf dem Balkon, ein
Plüschtier auf dem Sofa und Dutzende Löwenstatuetten im Schrank. Löwe ist Leons
Sternzeichen, sein Glücksbringer und sein größter erfüllter Wunsch – der
männlicher Vorname im Personalausweis.
Auch im Büro von Leon Strauß hängt, neben einer großen
Weltkarte, das Foto eines Löwen. Das, könnte man sagen, ist der einzige Hinweis
auf seine Privatsphäre. Doch ein Mensch, der eine Transition am Arbeitsplatz
durchgemacht hat, hat schon viel mehr von seinem Privatleben preisgegeben als
alle anderen.
Kräftig, stark, mutig. Männlich. "Ich bin jetzt
entspannter und ruhiger geworden. Ich habe meinen Körper so angepasst, wie ich
ihn brauche." Sehr männlich und doch ganz anders.
"Jetzt bin ich manchmal wie ein Trampeltier"
Manchmal fragen seine Freunde, ob er etwas im Laufe der
Verwandlung verloren habe? "Meine Sensibilität", sagt Leon mit einer
etwas traurigen Stimme. Früher konnte er schneller verstehen, was seine
Freundin wollte, oder warum es ihr schlecht ging. "Jetzt bin ich manchmal
wie ein Trampeltier und lauf drüber. Das war früher einfach schöner."
Auch der Sex ist anders geworden. "Als ich noch eine
Frau war, musste immer das Gefühl stimmen, und heute kann ich sagen: "Sex,
und dann ist gut."
Wenn Frau Niggeling das gehört hätte, würde sie bestimmt
mehr dazu fragen. Leon erzählt ihr aber gerade, dass er morgen in den Urlaub
nach Österreich fährt. "Ich lasse meine Freunde Auto fahren und werde mich
erholen", sagt er. "Aha, jetzt wieder auf Mädchen machen?" Beide
lachen.
"Ja, was Autofahren betrifft, bin ich ziemlich
mädchenhaft. Aber warum nicht, ich habe doch beides in mir." Und man
glaubt Leon gern, dass das möglich ist. Denn es gibt auf dieser Welt Männer,
Frauen – und solche, die etwas mehr darüber wissen.
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