Donnerstag, 20. September 2012

"Als ich noch eine Frau war…"



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012

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"Als ich noch eine Frau war…"

Haben es Männer tatsächlich leichter im Berufsleben? Niemand kann die Frage wohl besser beantworten als Leon Strauß. Er kann vergleichen – weil er seinen Job auch schon als Frau machte.

Einparken ist Leons Stärke nicht. Hinter dem Lenkrad seines dunkelblauen Fords dreht er sich nach hinten, dann wieder nach vorn, schaut in den Rückspiegel, gibt Gas und fährt rückwärts in die Parklücke hinein. Doch, ups, wieder den Bürgersteig erwischt.

"Ich kann das Klischee widerlegen, dass Frauen schlechter einparken", sagt er. "Als ich noch eine Frau war, hat's besser funktioniert. Vielleicht lag es daran, dass ich damals ein kleineres Auto hatte, aber trotzdem." Leon lacht, seine hellen Augen strahlen grün und grau, ein attraktiver Mann Mitte 40.

Er steigt aus dem Auto und geht zum vierstöckigen Gebäude der Assa Abloy Sicherheitstechnik GmbH. Hier hat der Berliner Industriekaufmann Leon Strauß bereits 17 Jahre beruflichen Alltag hinter sich gebracht. Die ersten zehn Jahre als Frau, die letzten sieben als Mann.

"Guten Morgen, Herr Strauß", begrüßt die Personalleiterin Frau Niggeling Leon im Flur. Nur 300 Meter von seinem Büro entfernt ist Leon groß geworden. Hier, im tiefsten Zehlendorf, in einem rosafarbenen Einfamilienhaus, wusste er schon vor mehr als dreißig Jahren, dass er gern ein Junge gewesen wäre. Doch in der Geburtsurkunde stand: weiblich. Die Eltern haben ihre Tochter Evelyn genannt. Diesen Namen spricht Leon in Bezug auf sich nicht gern aus.
Frau Niggeling, eine freundliche Kollegin im Alter Leons, kann sich sehr gut an die Zeit vor sieben Jahren erinnern. Damals kam Frau Strauß zu ihr und sagte, man müsste ihr Geschlecht in den Personalakten ändern. Der Chef hätte bereits zugestimmt.

Zuerst war Frau Niggeling überrascht, verschiedene Emotionen – von Mitleid bis Respekt – überströmten sie. Heute, wenn die Personalleiterin Leon in seinem Büro besucht, ist sie sicher: "Es war mehr eine Herausforderung für uns als ein Problem."

"Aus Evelyn wird Herr Leon Strauß"

Noch vor der offiziellen Zustimmung über die Namensänderung wurde ein Schreiben an die Kunden und Kollegen vorbereitet. Es hieß dort: "… aus Frau Evelyn Strauß wird Herr Leon Strauß, bitte in den Stammdaten ändern …" Und fertig. Die Visitenkarten wurden neu bestellt, die Daten im Computer geändert.

Nicht jede Transition verläuft so reibungslos. Vor allem Transfrauen sind häufig von Diskriminierung betroffen – ohnehin schon als Frau und noch einmal mehr als Transperson.

Arn Sauer vom Verein TransInterQueer erläutert: "Es gibt viele Beispiele, wie sehr gut ausgebildete Transfrauen, die in ihrem früheren männlichen Status noch gut bezahlte Positionen hatten, nach der Geschlechtsangleichung als Frauen plötzlich auf der Straße standen. Viele von ihnen sind geschockt, welche Benachteiligungen es mit sich bringt, eine Frau zu sein."

Einige Transmenschen kündigen freiwillig, um einen neuen Lebensabschnitt anzufangen, anderen wird gekündigt, oder sie müssen in eine andere Abteilung wechseln. Nach Angaben der Organisation Transgender Europe können in der EU circa 50 Prozent der Transmenschen keinen Vollzeitjob finden. Und selbst diejenigen, die wie Leon weiterarbeiten können, müssen vor allem in der Übergangsphase mit vielen Herausforderungen und Vorurteilen kämpfen.

 Lebt die Person ihre Geschlechtsidentität?


Um den Namen zu ändern, hat Leon – wie es gesetzlich vorgeschrieben ist – zwei ärztliche Gutachten eingereicht. "Die wesentliche Fragestellung ist dabei", erklärt der Psychotherapeut Wolfgang Weig, "ob die betreffende Person tatsächlich in einer abweichenden Geschlechtsidentität lebt, also innerlich davon überzeugt ist, dem anderen als dem biologischen Geschlecht anzugehören."

Außerdem müssten die Transsexuellen einen "Alltagstest" machen. "Das heißt, die Person soll mindestens ein Jahr lang die ,gewünschte' Geschlechtsrolle ausprobieren, indem sie sich entsprechend kleidet, ein für das jeweilige Geschlecht typisches Rollenverhalten übernimmt und sich in ihrer sozialen Umgebung entsprechend outet", so Weig.

Dies führt allerdings oft zu Missverständnissen – so auch bei Leon. "In der ersten Zeit hatte ich immer noch meine weibliche Stimme, aber ans Telefon gegangen ist Herr Strauß. Ich musste immer wieder die Situation erklären", erinnert er sich. Am Anfang ist es für viele Betroffene äußerst kompliziert, ohne eine entsprechende Hormontherapie und andere geschlechtsangleichende Maßnahmen überzeugend männlich oder weiblich aufzutreten.

Früher erschienen ihm die Kunden dominanter

Heute ist Leons Stimme sicher, heiser, tief. Hat dies Auswirkungen auf die Arbeit? "Ja", sagt Leon ohne Zweifel. Früher schienen ihm die Kunden dominanter zu sein, weil er sich unsicher fühlte. "Als Frau habe ich meine Ziele dann trotzdem erreicht, aber auf Umwegen." Es gibt auch weibliche Kolleginnen, die es anders können, meint Leon. Aber generell hat er bemerkt, dass eine männliche Stimme einen kompetenteren Eindruck verleiht.

Auch im Privaten ist Leon härter geworden: "Heute kann ich mit Worten argumentieren. Als Mann kann ich einfach sagen: Das ist so!" Und die Leute akzeptieren es. Oft ist Leon dabei selbst etwas irritiert: "Ich habe es doch Jahrzehnte anders erlebt."

Als Mann muss sich Leon anders durchsetzen. "Männer müssen klar und deutlich sein. Sie müssen mehr Präsenz und Stärke zeigen. Aber da weigere ich mich oft, es gibt ja auch weiche Männer."

Wer Leon länger beobachtet, stellt fest: Stimmt, es gibt auch weiche Männer. Und noch viel mehr. Es gibt harte Frauen, und es gibt auch zarte. Es gibt muskulöse Machos mit einer feinen weiblichen Seele, und es gibt Casanovas von kleiner Statur und unschuldigem Blick.

Und dennoch: Es gibt immer nur Männer und Frauen, und von ihnen wird Unterschiedliches erwartet. Die transsexuelle Erfahrung ist wohl der beste Beweis dafür. "Denn die Transleute werden danach bewertet, wie gut sie männliche und weibliche Ideale verkörpern", sagt Arn Sauer von TransInterQueer.

"Sie? Sie haben die gebacken?"

Zu einer Weihnachtsfeier vor fünf Jahren hatte Leon Kekse mitgebracht, zwölf Sorten, selbst gebacken. Eine Kollegin war erstaunt: "Sie? Sie haben die gebacken?” Leon musste lachen: "Wer denn sonst?" – "Ich dachte, Ihre Frau vielleicht!", war die Antwort. Die drei klassischen K – Kinder, Küche, Kirche – sind längst überholt. Wenn es aber um zwölf Sorten Gebäck geht, dann muss wohl doch eine Frau im Spiel gewesen sein.

Mittlerweile hört Leon immer öfter Witze von anderen Männern, "schlüpfrige, manchmal sogar sexistische Witze". Leon sieht das einerseits als gutes Zeichen für seine Integration: Er ist offenbar im männlichen Geschlecht angekommen. Andererseits findet er diesen Humor ziemlich blöd. "So männlich bin ich nun auch nicht geworden, dass ich dazu sagen würde: cooler Witz."

Leon hat keine Angst vor seiner Vergangenheit. Wenn die Eltern über seine Kindheit sprechen, sagen sie "sie", und das sei auch gut so. "Ich will ihnen die Erinnerungen an ihre Tochter nicht nehmen".

Herr Strauß erzählt seiner Kollegin Frau Niggeling, dass viele Transsexuelle ihre Kindheit, Pubertät und die ersten Jahre des Erwachsenseins einfach streichen. Das Leben beginnt für sie erst im neuen Geschlecht. Das findet Leon schade. Seine Vergangenheit und Erfahrungen als Frau sind ihm viel wert.

Früher wurde er als lesbisch gesehen

In seiner männlichen Rolle musste sich Leon auch daran gewöhnen, dass es völlig in Ordnung ist, "meine Freundin" in der Öffentlichkeit zu sagen. Früher wurde er als lesbisch gesehen, heute ist er ein heterosexueller Mann. Aber nur auf den ersten Blick. Nach wie vor geht Leon mit seiner Freundin zu einer Tanzgruppe für gleichgeschlechtliche Paare. "Das ist dort kein Problem, wir sind eine große Regenbogenfamilie", sagt er.

Die Regenbogenfahne – ein Symbol der Lesben, Schwulen- und auch der Transgender-Community – hat sich Leon auf die linke Schulter tätowieren lassen. Auch auch dem Heck seines Autos befindet sich ein entsprechder Aufkleber.

Da ist es auch kein Wunder, dass Leon sich eine Wohngemeinschaft in Schöneberg ausgesucht hat, einem Berliner Bezirk, wo nahezu an jedem Café eine Fahne mit sieben Farben zu sehen ist. Zwei Mitbewohnerinnen und zwei blauäugige Thaikatzen – das ist Leons Gesellschaft zu Hause.

Es gibt aber noch eine andere Katzenart, die für Leon eine besondere Bedeutung hat: der Löwe. Eine Löwenskulptur auf dem Balkon, ein Plüschtier auf dem Sofa und Dutzende Löwenstatuetten im Schrank. Löwe ist Leons Sternzeichen, sein Glücksbringer und sein größter erfüllter Wunsch – der männlicher Vorname im Personalausweis.

Auch im Büro von Leon Strauß hängt, neben einer großen Weltkarte, das Foto eines Löwen. Das, könnte man sagen, ist der einzige Hinweis auf seine Privatsphäre. Doch ein Mensch, der eine Transition am Arbeitsplatz durchgemacht hat, hat schon viel mehr von seinem Privatleben preisgegeben als alle anderen.

Kräftig, stark, mutig. Männlich. "Ich bin jetzt entspannter und ruhiger geworden. Ich habe meinen Körper so angepasst, wie ich ihn brauche." Sehr männlich und doch ganz anders.

"Jetzt bin ich manchmal wie ein Trampeltier"

Manchmal fragen seine Freunde, ob er etwas im Laufe der Verwandlung verloren habe? "Meine Sensibilität", sagt Leon mit einer etwas traurigen Stimme. Früher konnte er schneller verstehen, was seine Freundin wollte, oder warum es ihr schlecht ging. "Jetzt bin ich manchmal wie ein Trampeltier und lauf drüber. Das war früher einfach schöner."

Auch der Sex ist anders geworden. "Als ich noch eine Frau war, musste immer das Gefühl stimmen, und heute kann ich sagen: "Sex, und dann ist gut."

Wenn Frau Niggeling das gehört hätte, würde sie bestimmt mehr dazu fragen. Leon erzählt ihr aber gerade, dass er morgen in den Urlaub nach Österreich fährt. "Ich lasse meine Freunde Auto fahren und werde mich erholen", sagt er. "Aha, jetzt wieder auf Mädchen machen?" Beide lachen.

"Ja, was Autofahren betrifft, bin ich ziemlich mädchenhaft. Aber warum nicht, ich habe doch beides in mir." Und man glaubt Leon gern, dass das möglich ist. Denn es gibt auf dieser Welt Männer, Frauen – und solche, die etwas mehr darüber wissen.

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