Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle
Rechte vorbehalten!
Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
Bitte kopiert den Link und gebt
diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
Eigentlich wie bei jedem guten
Paar
Jasper und Lukas haben sich als Mann und Frau ineinander
verliebt. Heute leben sie als Männer zusammen. Über eine ganz normale Beziehung
zwischen den Geschlechtern.
Es hatte ganz am Anfang einmal diese Frage gegeben. „Würdest du mich
auch lieben, wenn ich ein Mann wäre?“, hatte sie gefragt.
Er hatte eine Weile überlegt, wie es seine Art ist, und
gesagt: „Vielleicht, ja, das kann ich mir schon vorstellen.“ Als Lukas davon
erzählt, kündigt er an, dass Jasper sich wahrscheinlich nicht daran erinnern
wird. Und wenn man Jasper darauf anspricht, weiß er es tatsächlich nicht mehr
so genau und muss lachen, weil das immer so ist, dass Lukas sich viel besser
erinnert: an den Tag, an dem sie sich das erste Mal küssten. Was sie im
Kühlschrank haben. An welchem Datum ihre Hochzeit war.
Wer zu Jasper und Lukas will, muss in ein Berliner
Hinterhaus, in dem man die Stadt leicht vergessen kann. In der Wohnung ist kein
Straßenlärm zu hören, aus den Fenstern sieht man in einen kleinen Garten, in
dem Lukas Zitronenthymian gepflanzt hat, wilde Margeriten und Tomaten, die
Black Prince und Green Zebra heißen. Auf dem Fensterbrett wachsen Setzlinge, im
Regal stapeln sich DVDs mit amerikanischen Serien, an der Tür zum Wohnzimmer
hängt ein Poster der Initiative „mehr-geschlechter.de“. Vor dem Sofa liegt
Lukas' Hündin Laika, sie ist genauso alt wie ihre Beziehung.
Manche hatten Mitleid, andere waren sprachlos
Sie waren nicht sicher gewesen, ob sie noch einmal von den
letzten Jahren erzählen wollten. Das Transthema nimmt seit etwa einem Jahr
nicht mehr so viel Raum ein, Normalität sei ja auch nicht zu unterschätzen. Auf
keinen Fall wollten sie wie Helden erscheinen, als ob Transsexualität ein
anderes Wort für Katastrophe wäre, die sie zusammen überleben mussten. Aber
dann entschieden sie, doch über ihre Liebe zu sprechen, die jetzt schon elf
Jahre geblieben ist, obwohl sie zwischen einem Mann und einer Frau begann und
inzwischen eine zwischen zwei Männern ist.
Es hatte viele Meinungen gegeben damals vor etwa sechs
Jahren, als die Freunde und dann auch die Familien davon erfuhren. Manche
hatten Mitleid, andere waren sprachlos. Jaspers Mutter versicherte sofort, dass
alles gar kein Problem sei, mit Lukas' Eltern brach der Kontakt lange ab. Die
wenigsten glaubten daran, dass sie ein Paar bleiben würden. Aber sie trennten
sich nicht. Weil sie einfach immer weiter zusammen blieben.
Wenn aus der Frau ein Mann wird, ist dann
der Freund schwul?
Es war im Juni letzten Jahres, als sie heirateten oder, wie
es bei gleichgeschlechtlichen Paaren heißt, sich verpartnerten. Sie haben Fotos
auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet: Väter mit feierlichen Gesichtern, Mütter,
die Taschentücher verteilen, Freunde, die Reis werfen. Das Hochzeitspaar trägt
die gleichen Anzüge in Zartbittergrau mit rosafarbenen Hemden. Als sie nach dem
Ja auf den Treppen zum Standesamt standen, Lukas zwei Stufen weiter oben, kam
eine Gruppe japanischer Touristen vorbei und fotografierte: eine
Schwulenhochzeit! In Lukas' Haaren leuchtete eine rosa Strähne. Er hatte
„irgendetwas Queeres“ tragen wollen an diesem Tag.Eigentlich hatte er von einer
weißen Hochzeit geträumt, schon als kleines Mädchen, von einem Schleier und
einem Kleid, in dem man sich in den Tag fallen lassen kann wie ein Wattebausch.
Aber es war auch so schon für viele verwirrend. Eine Beziehung, in der einer
sein biologisches Geschlecht wechselt, bricht mit Kategorien, die für die
meisten fundamental sind. Wird aus einer heterosexuellen Liebe dann eine
homosexuelle? War die Beziehung überhaupt jemals heterosexuell? Und wenn aus
der Frau ein Mann wird, ist dann der Freund automatisch schwul?
„Du bist ja doppelt falsch“, sagte die Mutter
In der Diagnose des Gutachters stand: „Transsexualität.
Verlust der weiblichen Geschlechtsidentität, keine latente Heterosexualität.“
Jasper sagt: „Ich war mit einer Frau zusammen, es gab keinen Anlass, etwas
anderes anzunehmen.“ Lukas sagt: „Ich bin schon immer ein schwuler Mann
gewesen, ich habe es aber lange nicht gewusst.“ Jasper sagt: „In gewisser Weise
bin ich schwul. In anderer Hinsicht aber auch wieder nicht.“ Als Lukas' Mutter
erfuhr, dass ihre Tochter ein Sohn ist, der Männer liebt, sagte sie: „Du bist
ja doppelt falsch.“
Wenn es nach Lukas ginge, würde man ohne das Wort
„Geschlechtsumwandlung“ auskommen, ohne die Formulierung, er sei „mal eine Frau
gewesen“, und überhaupt auch ohne das Zwei-Geschlechter-System. Er sitzt in
einem Café in Kreuzberg und nimmt es einem nicht übel, wenn man sich nicht
immer politisch korrekt ausdrückt. Schon der Satz, er habe im falschen Körper
gesteckt, sei nicht ganz richtig. Er hat nur den einen Körper, daran sei nichts
falsch gewesen. Er weiß aber, dass einfache Sätze helfen, damit andere seine
Geschichte nachvollziehen können, und es ist ihm klar, dass die Welt für die
meisten eine binäre ist, in der die Genitalien automatisch mit der Identität
gleichgesetzt werden.
Den Frauenkörper fand er nicht hässlich, aber unpassend
Deshalb band er sich die Brüste ab, klebte sich einen Bart
an und fing an, einen Stuffer in der Hose zu tragen. Damit von außen erkannt
wurde, wie er sich innen fühlte.
Lukas hat gerade seine Diplomarbeit in Agrarwissenschaften
abgegeben, er ist jetzt dreißig, und wenn er davon spricht, dass er fertig sei,
meint er seinen Körper, der inzwischen so ist, wie er ihm gefällt, dank der
Testosteron-Therapie und den Operationen. Den Frauenkörper fand er nicht
hässlich, aber unpassend, es blieb immer eine Distanz. Jetzt füllt er sich aus.
„Ich passe“, sagt er.
Wenn man ihm gegenübersitzt, während er spricht und
gestikuliert, kann es passieren, dass man in seinen Zügen nach etwas sucht, was
von der Frau geblieben ist. Er ist klein für einen Mann, etwa einen Meter sechzig,
die Hände schmal, die Finger schlank. Aber das bringt man nur mit etwas
Femininem zusammen, wenn man seine Geschichte kennt. Lukas hat eine angenehme,
tiefe Stimme, ein Piercing an der Lippe, dunkel gefärbte, kurze Haare, am
Hemdkragen sieht man Brusthaare. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt er
nie, allerdings auch nicht betont lässig, wie am Anfang. „Da konnte er gar
nicht breitbeinig genug dasitzen“, sagt Jasper.
Schon als Mädchen lieber ein Junge - „Ist das schlimm?“
Als das Mädchen, das Lukas einmal war und das in einer
norddeutschen Kleinstadt aufwuchs, in die sechste Klasse kam, hatte es
Sexualkundeunterricht. Die Lehrerin wollte alles richtig machen und bat ihre
Schüler, Fragen aufzuschreiben und in einen Schuhkarton zu werfen. Dem Mädchen
fiel nur eine einzige Frage ein: „Ich wäre viel lieber ein Junge. Ist das
schlimm?“ Die Lehrerin muss die Handschrift ihrer Schülerin erkannt haben und
bat sie einige Tage später, ihr bei der Auswertung der Fragen zu helfen. Das
Mädchen wurde rot, es wollte nicht über seine Frage reden. Drei Tage lang
schwänzte es die Schule. Ihm war klargeworden, dass der Wunsch für andere nicht
normal war
.
Danach fuhr das Mädchen mit seinen Eltern in den Urlaub.
Irgendwann saß es auf einem einsamen Spielplatz in der Feriensiedlung und
dachte: „Okay, dann lasse ich mich eben umoperieren.“ Es glaubte, dass es dafür
von zu Hause weggehen müsse, und das jagte ihm solche Angst ein, dass es den
Gedanken die nächsten zehn Jahre weit von sich schob.
Von den ersten Jahren als Junge und Mädchen gibt es kaum Fotos
Dann kam die Pubertät, kamen Plateauschuhe, die ersten
Freunde. Vielleicht, sagt Lukas heute, wäre er eher dahintergekommen, wenn er
auf Frauen stehen würde. Aber so war alles nicht greifbar: die Faszination für
schwule Filme und Literatur, die verkorksten Beziehungen mit Jungs und dann
diese Beziehung zu einem anderen Mädchen, die vor allem so gut war, weil es
keine klaren Rollen zwischen ihnen gab. Danach kam Jasper.
Von den ersten Jahren, als sie als Junge und Mädchen
zusammen waren, gibt es kaum Fotos, ein paar hat Lukas auch weggeworfen. „Guck
doch noch mal in deiner Kramkiste“, sagt er, „da müssten noch welche von vor
zehn Jahren sein.“ „Davon hab ich Bilder?“, fragt Jasper und steht auf, um im
Schlafzimmer in seiner Kiste zu wühlen. Ein paar Minuten später kommt er zurück
mit einem selbstgebastelten Heft, ein Geschenk von Lukas, als Jasper für zwei
Semester zum Studieren in die Vereinigten Staaten ging. Das war 2003. Ein paar
Seiten, lose aneinandergeheftet, mit Fotos, Kommentaren und kleinen
Schmetterlingsaufklebern.
Für die Eltern war der Abschied vom
Namen ihrer Tochter nicht einfach
Auf einem Bild knutschen sie, auf einem sitzen sie auf einem
Steg im Garten von Jaspers Eltern. Die junge Frau hat kurze Haare, trägt ein
ärmelloses T-Shirt und lehnt sich an ihren Freund, der die Arme um sie legt.
Ihre Gesichtszüge, der Mund, die Arme, alles ist ein wenig zarter als bei dem
Mann, der jetzt auf dem Sofa sitzt. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man
denken, das auf dem Bild sei Lukas' Schwester.
Man kann Lukas alle möglichen intimen Fragen stellen, er
beantwortet sie auch, aber seinen Mädchennamen möchte er nicht verraten. Wenn
Jasper an früher denkt, hat er zwar das Bild der Frau im Kopf, aber nicht ihren
Namen. Er denkt und sagt „Lukas“ oder „Lukas als Frau“. Lukas ist Lukas und war
schon immer Lukas, da sind sie sich einig. Die Eltern konnten sich vom Namen
ihrer Tochter nicht so einfach verabschieden, auch Personalpronomina haben sie
lange vermieden. Das geht, wenn man sehr schwierige Sätze baut. Die Freunde lud
Lukas auf eine Namensänderungsparty ein. Er sah noch aus wie eine Frau, und
etwas Symbolisches, dachte er, würde es ihnen erleichtern.
Am leichtesten hat er es selbst. Wenn er von früher spricht, sagt er
einfach „ich“.
Warum hatte ihm noch niemand von der Liebe unter Männern erzählt?
Jasper sieht heute weniger jungenhaft aus als auf den Fotos,
geblieben sind die eckige Brille und der schlaksige Körper. Er ist dreißig,
arbeitet an der Uni und sitzt an seiner Doktorarbeit in
Erziehungswissenschaften, er liebt Science- Fiction und schreibt an einem
Roman. Bevor er eine Frage beantwortet, denkt er eine Weile nach, es passiert
auch, dass er etwas korrigiert, was er beim Treffen davor gesagt hat. Jasper
ist jemand, der die Welt gerne logisch durchdringt.
Als Schüler las er über Liebe unter Männern und wunderte
sich, dass ihm noch niemand davon erzählt hatte. „Schwulsein“, sagt er, „war
für mich immer eine theoretische Möglichkeit.“ Doch zusammen war er immer nur
mit Mädchen. An der Universität belegte er Seminare über Gender Studies, es interessierte
ihn, wie man etwas in Frage stellt, was die Realität so grundsätzlich
strukturiert. Auf einmal war es seine eigene.
„Wie schwierig das war“, erzählt Lukas, „weiß Jasper sicher besser“
Jasper sitzt in einem Café und versucht, sich an die Zeit zu
erinnern, als Lukas sich zu verändern begann. Er schaut auf einen Punkt über
dem Tisch, als könne er dort ein klares Bild der Vergangenheit in die Luft
projizieren. Er erinnert sich an das erste psychologische Gutachten, die erste
Testosteronspritze, die erste Operation. Aber nicht mehr daran, wie Lukas ihm
davon erzählte. Es stürzte damals so viel auf ihn ein, dass er, der Kopfmensch,
seinen Kopf zeitweise einfach ausschaltete. Er weiß aber noch, dass er oft
dachte: „Das ist doch meine Partnerin, die muss ich ja erst mal unterstützen.“
Es hat keinen Hollywood-Moment gegeben. Die Freundin kam
nicht eines Tages nach Hause und sagte, dass sie ein Mann sei. Es gab keinen
Wendepunkt, kein Drehbuch und keine Vorbilder, ihre Beziehung war keine, die
sie schon einmal im Fernsehen gesehen hatten. „Damit steht man ziemlich allein
da“, sagt Jasper. „Wie schwierig das war“, erzählt Lukas, „weiß Jasper sicher
besser, weil ich ganz schön bei mir selbst war in der Zeit.“
Es dauerte etwa ein Jahr, bis die Welt einen Mann sah. Jasper sah
ihn früher
Vielleicht war der Anfang ein Bericht über Drag Kings
gewesen, und die junge Frau, die Lukas damals war, wollte das auf einer Party
ausprobieren. Und weil sie einander immer Freiheiten gelassen hatten, sagte
Jasper: „Dann mach doch mal.“ Der Anfang hatte etwas Spielerisches.
Als dann die Hormontherapie begann, sah Jasper zu, wie die
Frau, die er kennengelernt hatte, sich auflöste und Platz machte für den Mann,
der in ihren Körper hineinwuchs. Mit dem Testosteron kamen die Haare im Gesicht
und unter dem Bauchnabel, die Stimme rutschte nach unten, die Klitoris wuchs,
das Gesicht verbreiterte sich. Es dauerte etwa ein Jahr, bis die Welt einen
Mann sah. Jasper sah ihn früher.
Er ist ein Mensch, dem das Leben leichter fällt, wenn der
Kopf die Emotionen steuern kann. Er beschloss, sich von der Frau zu
verabschieden und den Mann kennenzulernen, sonst hätte er der Frau
nachgetrauert. Dieser Entschluss veränderte seine Wahrnehmung. Als Lukas schon
ein Bart wuchs, aber noch Brüste hatte, dachte Jasper: „Das ist keine
weibliche, das ist eine große Männerbrust.“ Und er sah keine Klitoris mehr,
sondern einen „eigenwillig geformten Penis“.
Der Sterilisationszwang besteht fort
Auf einmal guckten die Leute, wenn sie sich auf der Straße
küssten, manche machten blöde Bemerkungen. Als Lukas ihre Beziehung längst als
schwul bezeichnete, hatte Jasper das Wort noch nicht mit sich in Einklang
gebracht. Eindeutig beantworten möchte er die Frage auch heute nicht. „Ich bin
mit einem Mann verheiratet“, sagt er einmal, „schwuler geht's ja kaum“, und das
nächste Mal erzählt er, dass er auf keinen Fall „Ich bin schwul“ in sein
Tagebuch schreiben würde. Es ist ja beides wahr.
Wer in Deutschland sein biologisches Geschlecht ändern will,
muss einiges an Bürokratie auf sich nehmen. Lukas hatte sich für die „große
Lösung“ entschieden. So nennt man es, wenn man nicht nur den Vornamen ändert,
sondern den gesamten Personenstand, inklusive Sozialversicherungsnummer und
Geburtsurkunde. Nach dem Transsexuellengesetz muss man dafür unverheiratet und
dauerhaft fortpflanzungsunfähig sein. Transfrauen müssen sich die Hoden
entfernen lassen, Transmänner die Gebärmutter. Kritiker sagen, dies breche das
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die letzte Novellierung des Transsexuellengesetzes
ist jedoch gerade wieder gescheitert. Der Sterilisationszwang besteht fort.
Einmal fing Lukas abends plötzlich an zu bluten
Sie hatten noch überlegt, ob sie ein Kind bekommen sollten.
Es war der letzte Zeitpunkt, aber das machte ihn nicht zum richtigen. Sie waren
so sehr mit sich selbst beschäftigt. Jetzt ist die Operation anderthalb Jahre
her, und sie denken häufiger über eine Adoption nach oder ein gemeinsames Kind
mit einem lesbischen Paar.
Es gibt Momente, in denen Lukas die Operation bereut, zu der
ihn das Gesetz zwang. Die Hormone und die Brustoperation hätten ihm
ausgereicht, er lehnt auch einen Penisaufbau ab, wie einige andere Transmänner,
die für ihre Geschlechtsidentität kein neues Genital benötigen. Nach dem
Eingriff gab es immer wieder Komplikationen, so wie neulich, als Lukas abends
auf einmal zu bluten anfing, weil die Narben in seinem Körper wuchern und
manchmal wieder aufgehen. Sie mussten mit dem Taxi ins Krankenhaus fahren, mitten
in der Nacht, schon zum dritten Mal. Beim ersten Mal hatte Lukas so große
Angst, dass er im Krankenhaus auf Jasper einschlug.
Sie mussten reden, probieren, herausfinden, was ihnen gefällt
Jasper glaubt nicht, dass sie zusammengeblieben sind, weil
es einen Kern in einem Menschen oder einer Beziehung gibt, der immer gleich
bleibt. Es ging nicht darum, etwas zu bewahren, sondern, etwas neu zu
gestalten. Die Liebe ist geblieben, weil sie es geschafft haben, sich zusammen
zu verändern. „Ich glaube, dass das eigentlich bei jedem guten Paar so ist“,
sagt Jasper.
Eigentlich interessieren sich alle auch dafür, wie sie jetzt
im Bett miteinander umgehen, aber die meisten wagen erst zu fragen, wenn sie
etwas getrunken haben. Jasper und Lukas hätten sich getrennt, wenn es sexuell
nicht geklappt hätte, das sagen beide. „Am Anfang wussten wir nicht, was wir
miteinander machen sollen“, sagt Lukas. Sie waren gezwungen, die klaren Rollen
zu verlassen, sie mussten reden, probieren, herausfinden, was ihnen gefällt.
„Dafür muss man nicht trans sein“, sagt Jasper, „aber das tut einer Beziehung
ganz schön gut.“
Manchmal lackiert er sich jetzt die Fußnägel, einfach so
Wenn man wissen will, was sich sonst verändert hat, bekommt
man nur wenige Antworten. Die Frauen im Computerkurs, erzählt Lukas, hätten ihn
als Mann plötzlich mehr um Rat gefragt. Jasper ist hellhöriger geworden, wenn
er Schwulenwitze hört. Sie denken darüber nach, ob sie Hand in Hand laufen,
weil sie keine Sprüche hören wollen. Sie teilen jetzt den Rasierschaum. Aber
sonst ist vieles so geblieben, wie es war. Lukas kann sich immer noch
vorstellen, aufs Land zu ziehen. Jasper weiß in der Natur nicht so recht, was
er mit sich anfangen soll. Lukas hört die Toten Hosen, was Jasper fürchterlich
findet. Dafür fängt Lukas an mitzukrächzen, wenn Jasper Bob Dylan auflegt.
Lukas kocht gerne, neulich hat er ohne Nudelmaschine gefüllte Tortellini
gemacht. Jasper kann nur eine Tomatensauce, „die aber exzellent“, sagt Lukas.
Seitdem Lukas jetzt überall als Mann erkannt wird, will er
nicht mehr ständig darüber nachdenken, was männlich und was weiblich ist. Es
hatte letztes Jahr eine Männerkollektion bei H&M gegeben, die ihm gut
gefiel, mit viel Glitzer und Stickereien und Strickjacken mit Wickel an der
Seite, und in einem Comicladen entdeckte er ein Bambi-T-Shirt, das er sich von
Jasper zu Weihnachten wünschte. Manchmal lackiert sich Lukas jetzt auch die
Fußnägel, rot oder rosa, einfach weil es ihm gefällt. Er ist jetzt so sehr
Mann, dass er sogar Wimperntusche tragen kann.
Zwei Menschen, die Helden sind, nur für
einen Tag
Auf ihre Hochzeitseinladung druckten sie einen Comic von
Ralf König, zwei Männer, einer groß, einer klein, der Große beugt sich
hinunter. „Sie dürfen sich jetzt küssen“, steht daneben. Zur Party kamen
siebzig Gäste: die Eltern, die Freunde, alle, die in den letzten Jahren wichtig
für sie waren. Es war wie am Ende einer Oper, wenn sich das ganze Personal noch
einmal auf der Bühne versammelt und sich alle gemeinsam verbeugen.
Moritz G. trat auf, den man „Moritz G-Punkt“ ausspricht, die
Travestie-Band Strawberry Kaeyk und eine Braut in weißem Kleid, die sich auszog
und sich in einen Bräutigam verwandelte. Das war Océan, ein Gender Performer,
der für schnelle Wechsel zwischen den Geschlechtern bekannt ist. Normalerweise
klebt er sich bei den Shows die Brüste mit Klebeband ab, auf dieser Party
nicht. Es gibt ein Foto, auf dem sieht man ihn mit nacktem Oberkörper, und am
anderen Rand des Bildes steht einer der Verwandten mit irritiertem Gesicht.
Später am Abend haben die Väter von Lukas und Jasper sogar getanzt.
Für das Standesamt hatten sie ein Stück von Element of Crime
ausgesucht, „Das alles muss mit“, das von dem Körper handelt, den man am
anderen liebt, aber auch von den unperfekten Seiten: „Ich will dein Haar, ich
will deine Haut, und den ganzen Unsinn, den will ich auch.“ Und zum
Hineinlaufen in den Saal hatten sie sich für „Heroes“ von David Bowie
entschieden: „I, I will be king. And you, you will be queen.“ Ein Lied über
zwei Menschen, die Helden sind, nur für einen Tag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen