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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
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Konstruktion von
Wirklichkeit
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Na, das weiß doch jedes
Kind! Alles, was wir anfassen, riechen, schmecken können, das ist wirklich.
Oder?
Unsere Wahrnehmung kann sich täuschen. Wer sich mit den Gesetzen der Wahrnehmung und mit Fehlern derselben beschäftigt, der ahnt, dass es so einfach mit der Wirklichkeit nicht ist. „Die Wahrnehmung vermittelt keine objektive Wirklichkeit, sondern eine subjektive Welt; wir nehmen das wahr, was unseren Bedürfnissen, Erfahrungen, Erwartungen entspricht und nicht die objektiv gegebenen Reize.“
Soziale und individuelle
Faktoren bestimmen und verändern unsere Wahrnehmung und damit unsere
„Wirklichkeit“.
Um das Problem
mit der Wirklichkeit
unserer Wirklichkeit anschaulich
zu machen, möchte ich die
Aufmerksamkeit auf einen alltäglichen Gegenstand lenken: den Tisch.
„Dem Auge erscheint er viereckig, braun und glänzend, dem
Tastsinn glatt und kühl und hart; wenn ich auf ihn klopfe, klingt es nach Holz.
Jedermann, der den Tisch sieht, befühlt und beklopft, wird einer Beschreibung
zustimmen, so dass es auf den ersten Blick aussieht, als ob es gar keine
Schwierigkeiten gäbe. Sie fangen erst an, wenn wir genauer zu sein versuchen:
Obwohl ich glaube, dass der Tisch 'in Wirklichkeit' überall die gleiche Farbe
hat, sehen die Stellen, die das Licht reflektieren, viel heller aus als die
übrigen, einige Stellen erscheinen infolge des reflektierten Lichts sogar weiß.
Ich weiß, dass andere Stellen das Licht reflektieren werden, wenn ich mich
bewege; die scheinbare Verteilung der Farben auf dem Tisch wird sich bei jeder Bewegung,
die ich mache, verändern.
Es folgt, dass, wenn mehrere Leute den Tisch gleichzeitig betrachten,
keine zwei genau dieselbe Farbverteilung sehen werden, weil ihn keine zwei von genau
demselben Punkt aus betrachten können, und weil jede Veränderung des
Blickpunkts auch eine Verschiebung der reflektierenden Stellen mit sich bringt.
(…)
Wir haben festgestellt, dass es keine Farbe gibt, die vor
allen anderen als die Farbe des Tisches oder auch nur eines bestimmten Teils
des Tisches gelten kann - er erscheint von verschiedenen Blickpunkten aus in verschiedenen
Farben, und es gibt keinen Grund, eine dieser Farben mehr für 'seine' Farbe zu halten
als die übrigen.
Wir wissen außerdem,
dass selbst von einem vorgegebenen Blickpunkt aus die Farbe bei künstlichem
Licht anders erscheinen wird als bei natürlichem; einem Farbenblinden oder
jemandem, der eine blaue Brille trägt, wird sie anders erscheinen als uns, und
im Dunkeln wird überhaupt keine Farbe erscheinen, obwohl der Tisch für Gehör
und Tastsinn unverändert bleibt. Diese Farbe ist also nicht etwas dem Tisch
Innewohnendes, sondern etwas, das vom Tisch und dem Betrachter und der
Beleuchtung abhängig ist.
Wenn wir unreflektiert von der Farbe des Tisches sprechen,
meinen wir nur die Farbe, die einem normalen Beobachter von einem normalen
Blickpunkt aus bei normaler Beleuchtung erscheinen wird.
Aber die anderen Farben, die unter anderen Verhältnissen
erscheinen, haben ein ebenso gutes Recht, für 'wirklich' genommen zu werden,
und deshalb müssen wir - um den Verdacht der Begünstigung zu vermeiden -
leugnen, dass der Tisch, für sich genommen, irgendeine bestimmte Farbe habe.
Dasselbe gilt für die Struktur der Oberfläche. Mit dem
bloßen Auge kann man sehen, wie die Fasern des Holzes verlaufen, aber im
Übrigen sieht der Tisch glatt und eben aus. Wenn wir ihn durch ein Mikroskop
betrachteten, dann würden wir Unebenheiten bemerken, Erhöhungen und Vertiefungen
und allerlei Unterschiede, die für das bloße Auge unsichtbar sind.
Wann sehen wir den 'wirklichen' Tisch? Wir sind geneigt zu sagen,
dass das, was wir durchs Mikroskop sehen, 'wirklicher' ist, aber auch das würde
sich wieder ändern, sobald wir ein stärkeres Mikroskop benutzen. Wenn wir dem,
was wir mit bloßem Auge sehen, nicht trauen dürfen, warum sollten wir dem
trauen, was wir durchs Mikroskop sehen? So verlieren wir wiederum das Vertrauen
in unsere Sinne, von dem wir ausgegangen sind.
Mit der Gestalt des Tisches steht es nicht besser. Wir haben
alle die Gewohnheit, Urteile über die 'wirkliche' Gestalt von Dingen abzugeben,
und wir tun das so gedankenlos, dass wir uns einbilden, wir sähen tatsächlich
die wirklichen Gestalten. Aber wenn wir versuchen, etwas zu zeichnen, müssen
wir alle lernen, dass ein bestimmter Gegenstand von jedem Blickpunkt aus eine andere
Gestalt hat.
Wenn unser Tisch 'in Wirklichkeit' rechtwinklig ist, wird es
von fast allen Blickpunkten aus so erscheinen, als ob seine Platte zwei spitze
und zwei stumpfe Winkel hätte.
Wenn gegenüberliegende Seiten parallel sind, werden sie
anscheinend in einem Punkt in der dem Betrachter entgegengesetzten Richtung
zusammenlaufen; wenn sie gleich lang sind, wird es so aussehen, als ob die
nähere Seite länger wäre. (...) Diese 'wirkliche' Gestalt ist jedoch nicht das,
was wir sehen; sie ist etwas, das von uns aus dem Gesehenen erschlossen worden ist.
Und was wir sehen, verändert dauernd seine Gestalt, während wir uns durch den
Raum bewegen, so dass uns unsere Sinne auch in diesem Falle offenbar nicht die
Wahrheit über den Tisch selbst, sondern nur über seine Erscheinung sagen.
Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich für den Tastsinn. Zwar
haben wir immer eine Empfindung von der Härte des Tisches, und wir fühlen, wie
er unserem Druck widersteht. Aber was wir im Einzelnen für eine Empfindung
haben, hängt davon ab, wie stark wir auf den Tisch drücken, und mit welchem
Teil unseres Körpers wir das tun; daher können w wir nicht annehmen, dass die
verschiedenen Empfindungen, die
durch verschieden starken
Druck in verschiedenen
Teilen unseres Körpers hervor
gerufen werden, uns
unmittelbar eine bestimmte
Eigenschaft des Tisches
enthüllen; sie sind höchstens Zeichen einer Eigenschaft, die vielleicht all
diese Empfindungen verursacht, aber nicht selbst in einer von ihnen erscheint.
Und dasselbe gilt ohne Zweifel auch für die Geräusche, die wir hervorrufen
können, wenn wir auf den Tisch klopfen.
Es ist daher einleuchtend, dass der 'wirkliche' Tisch - wenn
es ihn gibt - nicht der ist, den wir durch unseren Gesichts- oder Tastsinn oder
durch das Gehör unmittelbar wahrnehmen. Der wirkliche Tisch - wenn es einen
gibt - ist uns überhaupt nicht unmittelbar bekannt, sondern muss etwas sein,
das aus unmittelbar Bekanntem erschlossen worden ist. Wir müssen uns infolgedessen
hier gleich zwei schwierige Fragen stellen:
1.
Gibt es überhaupt einen wirklichen Tisch?
2.
Wenn ja, was für eine Art Gegenstand kann das
sein?“
Wenn die Erschließung der Wirklichkeit über einen einfachen
Tisch schon so kompliziert erscheint, um wie viel tausendmal schwieriger ist es
dann, eine Wirklichkeit über Menschen, menschliches Denken und menschliche
Interaktionen abzubilden? Wirklichkeit entsteht im Diskurs – durch Sprechen.
Was ist mit dem Unausgesprochenen, mit dem, worüber man
nicht spricht, ist das nicht wirklich?
Hier greifen die Axiome von Watzlawick. Man
kann nicht, nicht
kommunizieren. Auch wenn
man nicht spricht, „spricht“ man.
Gibt es womöglich mehrere Wirklichkeiten? Oder gibt es
Abstufungen von „nur ein bisschen wirklich“ bis „absolut wirklich, wirklich“? Personen als auch Dinge
konstituieren sich in einem sprachlichen Bereich.
Wenn er erst einmal besteht, strukturiert er sinnhaft die für
das Beobachten-Können
erforderlichen
Unterscheidungen und
bestimmt die Wahrnehmungs- und
Unterscheidungsprozesse.
Wer vielfältigere sprachliche Möglichkeiten der
Unterscheidung hat, kann differenzierter beobachten und wahrnehmen.
„Die Grenzen meiner Sprache sind die
Grenzen meiner Welt.“
In diesem Zusammenhang ist auch die Einteilung in
Wirklichkeit erster und zweiter Ordnung von Watzlawick zu erwähnen. Die
Wirklichkeit erster Ordnung ist für ihn das „Universum aller Tatsachen’“. Ein
Kleinkind kann durchaus ein rotes Licht wahrnehmen, aber es weiß deshalb noch
nicht, dass es das Überqueren der Straße verbietet oder ein Bordell bezeichnet.
Die Bedeutung des roten Lichtes hat absolut nichts mit der Wellenlänge des
Rotlichts zu tun, sie ist vielmehr eine menschliche Konvention, eine Zuschreibung
von Bedeutung. Dies nennt er Wirklichkeit 2. Ordnung.
„Im sozialen Leben ist Wirklichkeit das, was Menschen dazu
erklären, woran sie gemeinsam glauben und worin sie sich gegenseitig
bestärken.“
Aber auch die
Wirklichkeit der Bewusstseinsinhalte kann Täuschung sein. Woher wissen wir, was
„real“ und was Traum ist? Im Traum „erleben“ wir auch Dinge, kommunizieren mit
Personen, weinen und lachen.
Wer oder was gibt uns Gewissheit, dass wir
unser „reales“ Leben nicht nur träumen? Wirklichkeiten und Wahrheiten sind an
die Existenz der sie erkennenden Menschen gebunden.
Mit dieser Aussage beschäftigten sich Philosophen seit
Menschengedenken.
Jede Phantasie arbeitet mit
Erinnerungen, aber nicht
immer steht an
ihrem Ursprung individuelles Erleben. Kuntz-Brunner ist der
Meinung, kollektive Menschheitserinnerungen können als Allegorien und
Methaphern in ein seelisches Fundament graviert sein, aus dem die Phantasien
schöpfen. Er nennt dies „kollektive Urphantasien“. Freud nennt sie „Schema“ und
meint damit ein tatsächliches
Erlebnis, das auf den Ursprung der Menschheit zurück geht und nur noch als
psychische Realität auftaucht.
Die dauernde Aufgabe der
menschlichen Gattung scheint darin zu bestehen, immer neu festzulegen, wo die Wirklichkeit
von den Fakten „äußerer Realität“ bestimmt wird und wo der Bereich der Phantasie,
der Träume, des Spiels und der Kunst zu seinem Recht kommen soll.
In Bezug auf das Thema Geschlechtsidentität spielt sicher
auch die Frage hinein, ob wir Männer und Frauen sind, oder ob wir uns im Alltag
zu Frauen und Männern machen (lassen).
Das, was wir wahrnehmen, sind oft nur die Auswirkungen von etwas.
So nehmen wir z. B. wahr, dass jemand Fieber hat, Fieber als
Zustand, der vom Gesunden abweicht. Die Ursachen von Fieber jedoch können ganz
verschieden sein. Oft ist es also ein Abweichen vom Normalen, das uns
ermöglicht z. B. (Rollen)Klischees und (Rollen)Zwänge wahrzunehmen, ähnlich der
Wahrnehmung von Gerüchen, die immer da sind, doch erst, wenn etwas besonders
gut oder schlecht, anders als sonst riecht, dann bemerken wir es.
Provokativ könnte man jetzt fragen, bemerkte „Mensch“ erst,dass es
Mann und Frau gibt, als er mit Anders-Seiendem konfrontiert wurde? Wie wurde
dieses „Andere“ definiert, woran wurde fest gemacht, dass es nicht „gleich“
ist?
Wann wurden Mann und Frau
festgeschrieben als „normal“. Wozu dienen den Individuen und der Gesellschaft
als Ganzes diese Festschreibungen von Norm?
Was ich nicht kenne, ist für mich nicht existent, kann ich
(noch) nicht denken, ist nicht wirklich.
So ging es mir mit dem Thema einer Transidentität, über die
klassische Einordnung von Mann und Frau hinaus.
Außerhalb eines Entweder-Oder
verfügte ich nicht über sprachliche Begrifflichkeiten.
Ich konnte ein Weder-Noch einfach nicht denken, es gab auch
keine Veranlassung dazu, es gehörte bis vor einem Jahr nicht zum Bereich meiner
Wirklichkeit. Watzlawick ist der Ansicht, dass wissenschaftliche,
gesellschaftliche und individuelle Wirklichkeiten konstruiert werden, indem wir
an die vermeintlich „objektiv“ bestehende Wirklichkeit immer mit gewissen
Grundannahmen herangehen, die wir für bereits feststehende „objektive“ Aspekte
der Wirklichkeit halten, obwohl sie nur Folgen der Art und Weise sind, in der
wir nach der Wirklichkeit suchen.
Nun haben sich die
„äußeren Gegebenheiten“ scheinbar nicht verändert – seit einem Jahr. Alle von
mir befragten leben schon viel länger in
dieser Wirklichkeit – nur ich habe sie mir erst jetzt konstruiert, als ich mir
Wissen darüber angeeignet hatte und etwas erlebte, was meine Wirklichkeit
veränderte. Diese „Denk-Anstoß-Splitter“ möchte ich meiner wissenschaftlichen
Arbeit voran stellen. Sie bilden den Background, in dem ich meine nun folgenden
Darlegungen verstanden wissen möchte.
„Weder die Wissenschaft noch
die naiv-sinnliche Wahrnehmung stellen die Wirklichkeit so dar, wie sie ‚an
sich’ ist,sondern ‚erschaffen’ sie jeweils neu (…).“
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