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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
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«Nicht jeder will eine Operation, im Gegenteil»
Transmenschen haben es heute
leichter als früher, dennoch kämpfen viele mit Depressionen, sagt Niklaus
Flütsch, Arzt und Leiter einer Sprechstunde für transidente Menschen in Zürich.
Niklaus Flütsch (48) leitet eine Sprechstunde für
transidente Menschen im Zürcher Triemlispital. Er ist Gynäkologe, war einige
Jahre Oberarzt an der Frauenklinik im Triemlispital und wird am 1. Oktober 2012
seine eigene Praxis in Zug eröffnen. 2010 hat er selbst eine Frau zu Mann
Geschlechtsanpassung gemacht.
Niklaus Flütsch, warum wird man «trans»?
Das ist noch immer nicht völlig geklärt. Die Wissenschaft
geht davon aus, dass es angeboren ist. Viele haben schon in ganz jungen Jahren
das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Möglicherweise spielen mehrere Faktoren
rein, Gene und Umwelteinflüsse.
Gibt es Zahlen, wie viele Menschen das Phänomen betrifft?
Es werden ja nur die registriert, die eine
Geschlechtsanpassung machen oder in einer Psychotherapie sind, auf der Basis
muss man hochrechnen. Bei Mann zu Frau Transmenschen ist es etwa eine Person
auf 30'000 bei Frau zu Mann eine von 200'000. Aber die Zahlen sind in letzter
Zeit gestiegen, weil mehr es wagen, sich zu outen. Die Dunkelziffer ist
vermutlich hoch.
Warum der starke Unterschied?
Wir vermuten, dass Frau zu Mann Transmenschen sich besser in
die Gesellschaft integrieren können – auch ohne Operation oder Hormontherapie.
Es ist konformer, als Frau Hosen zu tragen oder kurze Haare zu haben. Das fällt
viel weniger auf als wenn ein Mann anfängt, Frauenkleider zu tragen.
Wie verläuft das Coming-out?
Das ist ganz unterschiedlich. Sicherlich ist es heute
einfacher, sich zu outen, deshalb tun das auch viele Ältere erst jetzt, obwohl
es bei Ihnen schon länger ein Thema ist. In den 80er-Jahren galt Trans noch als
psychische Krankheit, als Persönlichkeitsstörung.
Die Älteren sind ja dann oft in Beziehungen – und die
dürften eine Geschlechtsanpassung des einen Partners vermutlich nur selten
überstehen, oder?
Rund 50 Prozent überstehen sie. Aber es ist verständlich,
dass viele Partner das nicht mitmachen, weil sie sich plötzlich zur Homo- oder
Heterosexualität gezwungen sehen. Schwierig ist es allerdings in jedem Alter.
Wie merkt man, dass man «trans» ist?
Da ist eine innere Gewissheit, dass man etwas ist, als das
man äusserlich nicht wahrgenommen wird. Und das fängt meist als Kind an, wenn
einem noch die Worte dafür fehlen. In der Zeit hat man ja noch Narrenfreiheit,
die physischen Unterschiede sind auf den ersten Blick nicht offensichtlich, man
kann spielen, mit wem man will. Aber eines Tages schaut man genauer hin und
realisiert: Man ist anders gebaut als die anderen Jungs. Man wird dann den
Mädchen zugteilt, findet aber selbst: Das stimmt doch überhaupt nicht! Stellen
Sie sich vor, Sie als Mann wachen eines Morgens auf, sehen in den Spiegel und
realisieren, dass Sie einen Frauenkörper haben. So ein Gefühl ist das. Und wenn
man dann merkt, dass man daran nicht einfach so was ändern kann, ist das ein
ziemlich harter Schlag.
Wie geht man damit um?
Viele kämpfen mit Depressionen, Selbstverletzungen;
Drogenmissbrauch oder Selbstmord sind nicht selten. Eine Geschlechtsanpassung
ist dann meist sehr heilsam.
Was kann man als Freund oder Familienmitglied tun?
Den Transmensch ernst nehmen und professionelle Hilfe
suchen. Die braucht es meistens. Nicht im Sinne einer Therapie sondern als
Begleitung, um zu klären, wie es nun weiter gehen soll. Nicht jeder braucht
oder will eine Hormontherapie und Operationen, im Gegenteil.
Was gibt es denn für Optionen?
Ich kenne einige, die das körperlich nicht leben können oder
wollen – etwa aus beruflichen Gründen oder wegen der Partnerschaft. Dann gibts
jene, die sich mittels Hormonen anpassen, aber Operationen ablehnen, aus
ethischen oder gesundheitlichen Gründen. Und dann gibts die, welche alle
chirurgischen Möglichkeiten ausschöpfen.
Und wie nahe kommt man damit dem gewünschten Geschlecht?
Sehr nahe, äusserlich. Aber natürlich kann ein Mann zu Frau
Transmensch nie Kinder gebären. Und umgekehrt können keine Kinder gezeugt
werden.
Wie riskant sind diese Eingriffe?
Es sind plastisch-chirurgische Operationen, und sie werden
nur von spezialisierten Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Die Eingriffe im
Genitalbereich sind schwierig, die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen hoch.
Das ist mit ein Grund, dass viele darauf lieber verzichten.
Wo findet man diese Spezialärzte?
Die, die es sich leisten können, gehen ins Ausland. Frau zu
Mann Transmenschen zum Beispiel nach Deutschland, die anderen nach Thailand, wo
es ausgezeichnete Kliniken gibt.
Wieso gerade Thailand?
Dort ist die Zahl der Mann zu Frau Transmenschen sehr hoch,
einer auf 10'000, entsprechend viele Kliniken sind auf diese Eingriffe
spezialisiert. Die so genannten Ladyboys sind in Thailand sehr akzeptiert, es
gibt sogar Miss-Wahlen.
Viele leben damit, dass ihr Körper letztlich doch nicht ganz
dem gefühlten Geschlecht entspricht. Ist das befriedigend genug?
Es ist sicher immer wieder eine Herausforderung. Und es ist
psychisch nicht notwendigerweise schwieriger, als sämtliche Operationen zu
machen. Danach steigt der Druck vom Umfeld, dass es einem jetzt aber endlich
gut gehen muss, schliesslich hat man doch nun alles, was man wollte. Aber
natürlich hat man auch dann seine Hochs und Tiefs.
Gibt es auch Transmenschen, die ihre Geschlechtsanpassung
nachträglich bereuen? Die plötzlich realisieren: Vielleicht waren meine Gefühle
falsch und nicht mein Körper?
Das kommt tatsächlich vor, nicht oft, aber es passiert. Und
davor haben gerade die Therapeuten Angst, die Transmenschen begleiten. Ein
Grund kann tatsächlich sein, dass man realisiert, dass das innere Empfinden
falsch war. Oder die Operation ist nicht so rausgekommen, wie man sich das
gewünscht hat: die Narben, der Haarwuchs geht vielleicht nicht so zurück wie
erhofft, die Hände sind immer noch zu gross. Der wichtigste Punkt ist aber die
mangelnde soziale Akzeptanz. Man hat zwar nun das Wunschgeschlecht, aber viele
Freunde verloren, den Partner und möglicherweise gleich auch noch den Job.
Den Job? Das passiert?
Natürlich ist das nie der offizielle Grund, man findet immer
etwas, das man vorschieben kann. Und man kann auch nicht davon ausgehen, dass
sozial höher gestellte Transmenschen weniger davon betroffen sind. Ich kenne
zum Beispiel ein Lastwagenunternehmen, das zwei Transfrauen als Chauffeure
weiter beschäftigt, umgekehrt gibt es Transfrauen, die ihren Job als
Psychologin verloren haben.
Trans ist heute noch immer so exotisch und vage verrucht wie
Homosexualität vor 30 Jahren. Kann man diese Einstellungen verändern so wie das
bei Schwulen und Lesben gelungen ist?
Das Bild von Mann und Frau ist tief eingebrannt in der
Gesellschaft. Wer sich da nicht eindeutig zuordnen lässt, löst Ängste aus oder
zumindest Irritation. Aber es tut sich schon einiges. Die wissenschaftliche
Beschäftigung mit Geschlechterfragen hat dazu geführt, dass man mehr und mehr
einsieht, dass die pauschale Einteilung in Frau und Mann nicht immer
funktioniert. Und irgendwann kommt das hoffentlich auch in der Gesellschaft an.
Ideologische bzw. moralische Gegner der Homosexualität
finden sich heute fast nur noch bei den Religiösen. Haben die auch Probleme mit
Transmenschen? Oder ist das okay, solange sie in einer Hetero-Beziehung leben?
(lacht) Unser Glück ist, dass das in der Bibel nicht
wirklich thematisiert wird. In muslimischen Ländern steht man dem Thema
überraschend entspannt gegenüber. Gerade der Iran ist bekannt für seine vielen
Geschlechtsanpassungen...
Wie bitte?
Ja, Ayatollah Khomeini hat Geschlechtsanpassungen damals
offiziell bewilligt, was wohl daran lag, dass er eine enge Beziehung zu einer
Transfrau hatte, die im Klerus verkehrte. Homosexualität hingegen wird mit dem
Tod bestraft, deshalb lassen viele Homosexuelle eine Geschlechtsanpassung
machen, um mit ihrem Partner trotzdem zusammen leben zu können. Das relativiert
den Eindruck von Liberalität natürlich sofort wieder.
Und die Lage in der Schweiz?
In freikirchlichen Kreisen gibt es schon Opposition gegen
Transmenschen – davon fühlen wir uns aber nicht so stark bedroht. Heikler sind
die Therapeuten, die finden, man könne Transmenschen umpolen, so wie es das
früher ja auch bei Schwulen hiess. Und es gibt Chirurgen, die Probleme damit
haben, wenn nur ein Teil der Operationen durchgeführt wird und dadurch quasi
ein Mischwesen steht. Ein Mann in einem Frauenkörper, der nur halb angepasst
wird, könnte am Ende gar noch schwanger werden. Was dann?
Wie schwierig ist der Umgang mit den Behörden bei Namens-
und Geschlechtswechseln?
Es ist je nach Kanton unterschiedlich. Hier in Zug ist ein
Namenswechsel relativ unkompliziert und dauert etwa drei Monate. Im Kanton
Zürich muss man den Behörden aber erst mal zwei Jahre lange «beweisen», dass
man den neuen Namen auch nützt, bevor er offiziell gewechselt wird. Nur: Wie
kann man ihn führen, wenn man ihn nicht im Ausweis hat? So kann man nicht mal
einen eingeschriebenen Brief bei der Post abholen. Änderungen des
Geschlechtseintrags wiederum laufen über einen Gerichtsentscheid.
Man kann also einen männlichen Vornamen haben, aber im Pass
weiblich sein?
Ja, das geht, bei mir ist das zum Beispiel der Fall. Ich bin
mir zwar bewusst, dass ich damit potenziell immer mit einem Zwangsouting
rechnen muss; nur bis jetzt hat das noch kein Zöllner in meinem Pass
registriert, scheinbar ist der Geschlechtseintrag völlig überflüssig. Und noch
immer muss man für einen Personenstandswechsel in den meisten Schweizer
Kantonen nachweisen, dass man sterilisiert ist. Weil sonst könnte man als Mann
Mutter werden oder als Frau Vater. Solche Konfusionen wirken auf viele Bürger
hierzulande immer noch sehr bedrohlich. In Deutschland oder Argentinien geht es
auch ohne diesen Nachweis, die Schweiz hinkt hinterher. Es scheint immer noch
eine dramatische Sache zu sein, sein Geschlecht ändern zu wollen.
Wenn man seinen Körper angepasst hat, kann man dann einfach
Mann oder Frau sein? Oder bleibt das Trans-Element immer irgendwie erhalten?
Ganz ablegen kann man es wohl nie. Vielleicht wenn man die
Anpassung injungen Jahren macht und dann einige Zeit vergeht. Aber je länger
die Vorgeschichte im anderen Geschlecht gedauert hat, desto häufiger wird man
mit dieser Vergangenheit auch immer mal wieder konfrontiert. Aber irgendwann
hat man dann genug und will sich nicht mehr erklären müssen. Wenn der Alltag
rund läuft, denkt man nicht mehr so oft daran.
Gibt es eine Szene für Trans-Menschen so wie es Bars und
Clubs für Schwule und Lesben gibt?
Der Austausch passiert häufig online, aber auch an
Stammtischen, die regelmässig stattfinden. Aber das sind eher
Selbsthilfegruppen als Kontaktforen.
Eine Partnersuche findet dort nicht statt?
Die meisten suchen nicht explizit nach anderen
Transmenschen, obwohl es das natürlich auch gibt. Erstaunlicherweise ist es gar
nicht so schwierig, ausserhalb der Trans-Welt einen Partner zu finden. Das
Körperliche ist am Ende eben doch sekundär wenn der Rest stimmt.
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