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Rothenbächer 2012
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Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung
Rahmenbedingungen transsexueller Lebensweisen selbst
gestalten
Identität ist etwas Persönliches, etwas Subjektives - die
Geschlechtsidentität bildet da keine Ausnahme.
Wird sie als soziale Rolle
entwickelt und gestaltet, ermöglicht sie den Dialog und den Kontakt mit
anderen, eben Kommunikation. Weil Identität unbeweisbar ist, gerät die soziale
Rolle ins Blickfeld und wird zum (objektiven?) Prüfstein. Hier liegt die
Gefahr, die sowohl die betroffenen Transsexuellen als auch Helfer und Begleiter
wie Ärzte, Juristen und Selbsthilfeorganisationen (SHOs) entdecken und
(an)erkennen müssen.
Gestalten statt Verwalten
Deshalb kann es eben nicht um Vorgaben gehen, die sich an
Klischees und konventionellen Rollen orientieren, sondern um einen Raum von
Möglichkeiten, der so gestaltet werden muß, daß Individualität möglich wird.
Denn letztlich gehen jede und jeder Transsexuelle ihren Weg allein. Dabei muß
(von Medizin und Justiz) auch berücksichtigt werden, daß es Menschen gibt, die
sich einer Einordnung in „hier Mann - da Frau“ bewußt verweigern (Transgender)
- im Transsexuellengesetz (TSG) kommen solche Fälle aber nicht vor: Sie werden
als undenkbar diskriminiert.
In eine vergleichbare Zwickmühle geraten Menschen, die
zeitweise einen gegengeschlechtlichen Namen tragen wollen. Denn laut TSG gilt
die Namensänderung als (einmalige) Ausnahme im Namensrecht und nicht als
persönliches Recht eines einzelnen. Daß zudem die Gutachten für die
Namensänderung verständlicherweise als medizinische Diagnose für die
Krankenkassen recycelt werden, ist verständlich, läßt sich dadurch doch der
(immense) Aufwand an Zeit und Kosten für den eigenen Geldbeutel mindern.
So wird deutlich, daß die Freiheit, seinen Namen zu ändern,
nicht im Zusammenhang mit einem aufgeblähten medizischen Verfahren stehen muß;
ein formloses Verfahren auf kommunaler Ebene wäre für die beteiligten Seiten
vorteilhafter und billiger.
Das derzeit gültige Verfahren mit dem TSG wird den
Anforderungen keinesfalls gerecht; es verwaltet nur den Sachverhalt in
mangelhafter Form. Eine Reform des TSG ist überfällig und gehört in die
öffentliche Debatte. Hierbei geht es darum, die Entmündigung der Transsexuellen
aufzuheben und ihr Handeln als selbstverantwortet zu ermöglichen; das läßt sich
nur auf dem Weg der Selbstbeschränkung sämtlicher Gruppen erreichen.
SHOs, Mediziner und Psychologen müssen die Entscheidungen
des einzelnen Menschen anerkennen und respektieren. In den Medien werden die
medizinischen Komplikationen unterschlagen, so daß der Eindruck entsteht, eine
„Umwandlung“ im wahrsten Sinne des Wortes wäre möglich. Das ist ein Trugschluß,
der über die Verzweiflung, nicht das bekommen zu haben, was erwartet wurde, zum
tragischen Scheitern werden kann. Gefährdet sind hier diejenigen, die durch
eine „Umwandlung“ leichter die sog. Normalität erreichen wollen und vielleicht
nur Menschen des gleichen Geschlechts lieben (also homosexuell sind), die
Kleider des anderen Geschlechts tragen (Transvestiten) und dabei möglicherweise
erregt sind (fetischistische Transvestiten).
Entscheidungen für diese Wege als Fehlschlag höhnisch
bloßzustellen und den Betroffenen den Rückhalt zu entziehen, beweisen die
Unfähigkeit einer SHO, die eigentlich die Aufgabe hat, Selbstvertrauen und
Selbstbewußtsein aufzubauen. Dabei sind eigene Meinungen positiv zu bewerten,
selbst wenn sie nicht dem Konsens entsprechen; denn offene Diskussionen bieten
Ansatzpunkte, Erfahrungen auszutauschen.
Die gegenwärtige Prozedur entwertet aber von vornherein jede
Äußerung der Transsexuellen; sie gelten zunächst kategorisch als unglaubwürdig,
so daß ihnen zunächst jegliche Hilfe verwehrt wird. Die Ärzte untergraben das
notwendige Vertrauen, indem sie auf Zeit spielen. Daß die Selbstdiagnose einen
hohen Stellenwert besitzt, weil sie den Menschen aus sich selbst motiviert,
auch wenn sie sich später als Trugschluß erweist, wird verkannt. Damit wird die
wichtigste Ressource vernichtet - häufig haben Menschen in dieser Situation nur
ein geringes Selbstvertrauen - und die Würde der Transsexuellen mißachtet, denn
hier ist der einzige Ansatzpunkt zur Auseinandersetzung mit sich selbst.
SHOs, Mediziner und Psychologen können Anreize liefern und
so diesen Prozeß unterstützen; ihn lenken können sie nicht, da er sich
individuell entwickeln muß. Checklisten, die sich abhaken lassen, und starre
Zeitpläne, die ein verbindliches Schema vorgeben, sind deshalb als Kunstfehler
zu werten.
Eine Schweigepflicht, wie sie im Arzt-Patienten-Verhältnis
gesetzlich vorgeschrieben ist, sollte im ehrenamtlichen Bereich der SHOs
ebenfalls selbstverständlich sein. Daß das Offenbarungsverbot (§5 TSG) auch für
AktivistInnen in den SHOs gilt, wird manchmal nicht beachtet, so daß durch
diese Art der Nötigung Verstörungen regelrecht provoziert werden.
Missionarischer Eifer ist fehl am Platze; geht es hierbei doch i.d.R. um die
Profilierung der AktivistInnen (Promi- & Berufs-Transsexuelle) und nicht um
Aufklärung und Hilfe. Deshalb legen sich vorbildliche SHOs selbständig eine
Schweigepflicht auf.
Coming-out und Acting-out: Der transidentische Prozeß
Um die Aktivität zu betonen, ist ein bewußter Umgang mit
Sprache notwendig. Das Vokabular aus dem medizinisch-juristischen Bereich
verursacht häufig einen Tunnelblick, so daß die Betroffenen außerhalb dieser
Thematik kaum mehr etwas wahrnehmen. Diese Scheuklappen müssen beseitigt
werden, damit Raum für die Zeit danach geschaffen wird; denn eine soziale
Integration läßt sich so nicht erreichen. Dieser Gegenentwurf orientiert sich
an einer sachlichen Einschätzung des Machbaren, so daß Illusionen rechtzeitig zerstört
werden.
Die Veränderungen im Leben der Betroffenen geschehen nicht
über Nacht, sondern vollziehen sich in kleinen Schritten. Der Begriff
„Umwandlung“ verspricht mehr, als er halten kann; zudem geht er vom
biologischen Geschlecht aus, weshalb ihn Betroffene als diskriminierend
empfinden. Der transidentische Prozeß ist jedoch eine Annäherung an das
empfundene Geschlecht: eine „ANGLEICHUNG“. Durch diesen Begriff wird erkennbar,
daß Perfektion unerreichbar bleibt; denn es gibt Lücken - seien es die fehlende
Kindheit oder körperliche Einschränkungen (z.B. Fortpflanzung), die bewältigt
und geklärt werden müssen, bevor medizinische Eingriffe beginnen. Der Umgang in
den Medien, bei dem die Betroffenen erst nach den Operationen als diejenigen
anerkannt werden, als die sie sich empfinden (z.B. Arabella Kiesbauer, für die
ein Mann nur durch einen Penis zum Mann wird), nährt hier unerfüllbare Träume.
Die soziale Rolle muß erfahren und erlebt werden. In der
medizinischen Fachliteratur geistert der Begriff „Alltagstest“ herum, bei dem
die Betroffenen - unter Aufsicht! - den „Alltag“ testen sollen. Das derzeitige
Verfahren versetzt die Betroffenen aber in einen (unbefristeten)
Ausnahmezustand, weil der Zwang, hinderliche Körpermerkmale zu verbergen,
bestehen bleibt und es nicht sichergestellt ist, daß eigenständige Erfahrungen
in der empfundenen Rolle voll anerkannt werden. Zudem ist der „Test-Charakter“
der Situation zweideutig: das eigene Leben wird zu etwas, bei dem jemand
„bestehen“ oder „durchfallen“ kann. Das Konzept riskiert, daß sich die
Betroffenen verkrampfen und „schuldig“ fühlen.
Auf der anderen Seite darf der Hinweis auf den Begriff
„transsexuell“ nicht als Freifahrtschein mißverstanden werden. Deshalb muß
berücksichtigt werden, ob ein bewußter Findungsprozeß stattgefunden hat, der
mit einer Selbstdiagnose im Sinne eines „COMING-OUT“ abgeschlossen wurde; oder
ob sich im transidentischen Prozeß die Gestaltung des eigenen Lebens geändert
hat, d.h. ob diese Empfindungen ausgelebt und ausagiert werden (das ließe sich
unter dem Kunstwort „ACTING-OUT“ zusammenfassen). Damit wird auch die
Sexualisierung des Körpers vermieden, die von medizinischer Seite auf den
Begriff „Geschlechtsidentitätsstörung“ verengt wird. Dann läßt es sich endlich
aus dem reduzierenden Bereich „sexueller Funktionsstörungen“ lösen.
Unheilige Allianzen? - Traumata und Therapie
Außerdem muß berücksichtigt werden, daß in den Biographien
der Betroffenen traumatisierende Situationen (Kindesmißbrauch, Vergewaltigung,
zerbrochenes Elternhaus u.ä.) auftauchen können, die keineswegs unterschätzt
werden dürfen. Abhängigkeiten, Süchte und Selbstmordversuche können das Leben
beeinflußt haben. Der Umgang müßte deshalb traumatisierende Situationen
vermeiden; das Verfahren, und hier v.a. die Begutachtung, beruht jedoch auf
Situationen, die von den Betroffenen mit Gefühlen der Ohnmacht und der
Bedrohung verknüpft sind: Die Entscheidungen der Gutachter sind nur selten
nachvollziehbar und werden als Willkür erlebt, der die Betroffenen rechtlos
ausgeliefert sind.
Besonders die körperliche Untersuchung wird als zumindest
beschämend, wenn nicht als sexuelle Gewalt erlebt; die Untersuchung ist in der
juristischen Praxis obligatorisch, obwohl laut U. Clement/W. Senf (in:
Transsexualität. Behandlung und Begutachtung, Schattauer Vlg. 1996, S. 6) diese
eben nicht der Diagnose dient. Hier wird nur der körperliche Allgemeinzustand
betrachtet - sprich: die Operationstauglichkeit! Danach stellt die körperliche
Untersuchung eine Indikation zur Operation dar, was von Medizinern aber
vehement abgestritten wird.
Vor diesem Hintergrund kann das ergänzende Angebot einer
Psychotherapie sinnvoll sein. Die Anzahl der Therapeuten, die sich auf Aspekte
dieser Thematik einlassen, ist jedoch begrenzt, so daß schon jetzt Wartezeiten
von 6 bis 12 Monaten üblich sind. Um ihren Sinn zu erfüllen, setzen Therapien
eine Motivation des Klienten voraus. Für die Thematik der Transsexualität
bedeutet das: Eine obligatorische Therapie verbietet sich von selbst. Erstens
gibt es Menschen, die unabhängig von ihrer Transsexualität Therapie ablehnen;
diesen dürfen deswegen keinesfalls Hormontherapie und Operationen verweigert
werden. Zweitens ist zu wenig Personal vorhanden. Drittens ist der einzige
Zweck, der eine Psychotherapie rechtfertigt, das Wohl des Klienten; jeder
andere Zweck wie die Erstellung einer Diagnose muß als Mißbrauch gewertet
werden.
Das Ziel des transidentischen Prozesses kann nur im
subjektiven Wohlbefinden liegen; also in einer Lage, die von der Person selbst
als „normal“ empfunden wird. Das schließt auch Lebensstile ein, die nicht der
DIN-Norm entsprechen, wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften u.ä.
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