Dienstag, 11. Dezember 2012

Iran: Wo die Geschlechtsumwandlung boomt


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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012

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Gestern war der Tag der Menschen-Rechte, hier ein Beitrag welche für sich selbst über Menschen-Rechte spricht!

Iran: Wo die Geschlechtsumwandlung boomt

Homosexuellen droht in Iran der Tod. In der islamischen Republik wechseln deshalb so viele Menschen ihr Geschlecht wie sonst nur noch in Thailand. Privatkliniken verdienen gut daran. Die heikle Doppelmoral aber können die Chirurgen nicht aus der Welt schaffen.

TEHERAN. Er rechnet nicht mehr ständig damit, doch vor einigen Tagen ist es wieder passiert, in der Bankfiliale in seinem Viertel. Eine klimatisierte Halle, die Frau am Schalter ist jung und dunkel verschleiert. Sie fragt nach seinem Pass, ihr Blick ruht einige Sekunden lang auf dem Papier, dann hebt sie den Kopf, ein Ausdruck voller Verachtung und Abscheu ist in ihrem Gesicht, er trifft Mehrdad (Anm. d. Red.: Name geändert) jäh und hart wie ein Schlag. Schweiß rinnt aus seinen Poren, er spürt, wie der Stoff seines Polohemds an ihm zu kleben beginnt. Gedankenfetzen schießen ihm durchs Gehirn, sein Mund öffnet und schließt sich. Wortlos stürzt er davon.

„Ich bin nach Hause gegangen“, sagt er, „und habe den ganzen Nachmittag geweint.“ Mehrdad sitzt in seinem engen Wohnzimmer in Enqelab, einem bürgerlichen Mittelklasseviertel im Zentrum Teherans. Er raucht dünne, perlweiße Zigaretten. Es herrscht tadellose Ordnung, Kekse und Zuckerdosen haben ihren Platz auf beigefarbenen Häkeldeckchen. Vor ihm liegt sein Pass, das Foto zeigt eine stämmige Frau, Fereshteh, geboren am 16. März 1968. Mehrdad betrachtet sie wie eine Fremde, nicht wie seine Vergangenheit. Sein wahres Ich, das war immer schon ein anderer, ein Mann: Mehrdad, geboren vor einem Monat in einem Teheraner Krankenhaus.

Er öffnete die Augen, spürte nach der Operation stechende Schmerzen im Unterleib, eine Krankenschwester beugte sich über ihn und fragte, wie er sich fühle. Er fühlte, dass zum ersten Mal sein Körper und seine Seele im Einklang miteinander standen. Für Mehrdad bedeutete die Geschlechtsumwandlung den Beginn seines richtigen Lebens.
Für Schirin das Ende aller Hoffnungen.

Viele Menschen führen zwei Leben

Sie läuft durch das Zentrum dieser brüchigen, grauen Stadt, sie geht nicht schnell und nicht langsam, weil es wichtig ist, nicht aufzufallen. Am Vanak-Platz flackern bunte Werbebilder über einen kinoleinwandgroßen Bildschirm, am Straßenrand steht ein halbes Dutzend Sittenpolizisten. Ab und an winken sie einer der Frauen aus der Menge, die sich ihre Hermès-Kopftücher so weit nach hinten geschoben haben, dass aufwendig frisierte Haarsträhnen zu sehen sind. Schirin beachtet sie nicht. An ihrer Kleidung ist nichts Provokantes, sie trägt einen schlichten schwarzen Mantel, Jeans, ein schwarzes Kopftuch. Doch sie weiß, dass sie heraussticht, schon wegen ihrer Größe. „Wir Transsexuellen werden ständig belästigt“, sagt Schirin, „auch von Polizisten. Manchmal fragen sie mich sofort nach Sex, manchmal schreiben sie sich meine Telefonnummer auf und rufen später an.“

Mehrdad. Schirin. Zwei Leben in Iran, einem Land, dessen gesellschaftliche Ordnung von einem Widerspruch bestimmt ist: zwischen Moralvorstellung und Wirklichkeit, zwischen frommer Tradition und globalisierter Moderne. Es gibt Verbote, es gibt strenge Sittenvorschriften, die von Polizisten und regimetreuen Milizen überwacht werden, trotzdem gibt es für jedes Gesetz auch einen Weg, es zu umgehen: mit Alkohol vom Schwarzmarkt, Popmusik aus dem Internet, Drogen an jeder Straßenecke, Undergroundpartys und Onlineflirtbörsen. Viele Menschen führen deshalb zwei Leben: ein öffentliches, regelkonformes und ein zweites, privates.

Die landesweiten Massenaufstände nach den Präsidentschaftswahlen im Juni haben bloßgelegt, wie tief dieser Widerspruch die Gesellschaft spaltet: Der reformorientierte Präsidentschaftskandidat Mir-Hossein Moussavi stand für die Hoffnungen vieler auf ein wenig gesellschaftliche Liberalisierung. Seit der islamischen Revolution vor 30 Jahren hatte es so große Demonstrationen nicht mehr gegeben. Die Machthaber ließen sie mit brutaler Gewalt niederschlagen; sie vollständig zu ersticken ist ihnen bis heute nicht gelungen.
Der Umgang mit Sexualität zeigt diese Widersprüche vergrößert wie unter einem Brennglas.
Händchenhalten in der Öffentlichkeit ist tabu; unverheiratete Männer und Frauen können verhaftet werden, nur weil sie zusammen auf der Straße unterwegs sind; Schwulen und Lesben droht die Todesstrafe. Doch ausgerechnet in der islamischen Republik Iran ist die Zahl der Geschlechtsumwandlungen so hoch wie sonst nur noch in Thailand.

Der Staat befördert beides. Die staatliche Wohlfahrtsorganisation zahlt bei Geschlechtsumwandlung rund 5 000 US-Dollar der Operations- und Behandlungskosten: etwa die Hälfte dessen, was in einem staatlichen Krankenhaus anfällt. Privatkrankenhäuser, deren spezialisierte Chirurgen deutlich mehr Erfahrung haben, nehmen bis zu 25 000 Dollar.

Während in Deutschland ein Transsexueller belegen muss, dass das Leiden an seinem als falsch empfundenen Geschlecht ihn krank macht, damit die Krankenkasse zahlt, gilt in Iran Transsexualität grundsätzlich als Krankheit. Aber eben nicht als Verbrechen. Mitte der 80er-Jahre erklärte der Revolutionsführer Ajatollah Chomeini Geschlechtsumwandlungen in einer Fatwa, einer Art islamischem Rechtsgutachten, für zulässig, denn der Koran erwähnt diese Operationen nirgends – also auch nicht als Sünde.

Shahryar Cohanzad schwärmt von der Unterstützung, die Transsexuelle vom iranischen Staat erhalten. Selbst in den USA, sagt er, herrsche nicht mehr Toleranz. Er hat in San Francisco studiert. Er ist einer von etwa zehn Chirurgen für Geschlechtsumwandlungen in Iran und arbeitet am renommierten Pars Hospital in Teheran, wo er in neun Jahren mehr als 300 Umwandlungen vorgenommen hat. Shahryar Cohanzad lehnt sich in seinem schweren Lederstuhl zurück. „Imam Chomeini hat gesagt: Die sexuelle Identität jeder Person beruht auf ihrer Wahrnehmung von sich selbst. Eine klügere Antwort habe ich bislang noch nicht gehört.“

Die Fatwa des Ajatollah ist eine Sache, die Wirklichkeit im Land eine andere.

Schirin wäre gern ein normaler Junge gewesen

Shahryar Cohanzad hat selbst gesehen, zu welcher Eskalation Unwissenheit, Verachtung und Scham führen können: Einer seiner Patienten wurde von seinem Vater erstochen, während er auf eine Untersuchung wartete; der junge Mann verblutete auf dem Marmorboden seines Sprechzimmers. Der Chirurg sagt: „Ich sehe es als Teil meiner Verantwortung, die Gesellschaft aufzuklären.“

Schirins Weg führt über die Straße der Islamischen Revolution, vorbei an der Teheraner Universität, an schmalen Bücherläden und neonbeleuchteten Fastfood-Imbissen. Auf die Betonfassaden rechts und links sind überlebensgroße Porträts von Chomeini gemalt. Sie betritt ein kleines Café, drinnen plaudern Studenten und Künstler. Sie setzt sich an einen Tisch in der Ecke, schiebt ihren Schleier ein Stück zurück. Schulterlange Haare, durchsetzt mit signalroten Strähnen, fallen ihr in die Stirn. Hellrosa glänzen ihre geschminkten Lippen. Sie lächelt linkisch, sie wird nicht aufhören, sich ständig umzusehen wie jemand, der bespitzelt wird. Niemand an diesem Ort achtet auf sie. Doch die Erwartung, Anstoß zu erregen, ist ihr vor langer Zeit ins Wesen übergegangen.

Schirin stammt aus dem Herzen der iranischen Provinz, einem entlegenen Ort mit 4 000 Einwohnern im Norden des Landes. Ihre Eltern streng religiös, der Vater Stammesführer, die Familie eine der angesehensten im Dorf, und dann das: ein Sohn, schmal, zart, mit zu langen Haaren und zu engen Jeans. Die Nachbarn beginnen zu reden. „Das müssen schlechte Menschen sein, wenn Gott sie mit so einem Jungen straft.“
Die Mutter fleht: „Warum kannst du nicht stark und männlich auftreten wie alle anderen?“ Schirin wäre gern ein normaler Junge gewesen. In der Schule wurde sie sexuell bedrängt und verspottet, von Mitschülern, von Lehrern. Als sie 16 Jahre alt war, verwies sie der Rektor trotz guter Noten von der Schule. Einen Abschluss hat sie deshalb nicht. Zwei Selbstmordversuche. Tabletten beim letzten Mal, drei Tage Koma. Ihre Eltern saßen am Krankenbett, als sie zu sich kam. Sie sagten: „In Ordnung, zieh dich an, wie du willst, aber bleib im Haus! Wir werden lernen, es zu akzeptieren, nur zeig dich so nicht vor anderen.“
„Transsexualität wird in Iran als medizinisches Problem gesehen:

Der Patient hat ein Leiden, das durch einen Eingriff geheilt werden kann“, sagt ein Teheraner Psychiater. Dass sein Name veröffentlicht wird, will er nicht. Das Thema ist dann doch zu heikel. Der 53-Jährige, Spezialist für psychosexuelle Störungen, ist einer jener Experten, die im Auftrag des Staates Transsexuelle begutachten. Die müssen sich vor ihrer Geschlechtsumwandlung von Ärzten und Psychologen untersuchen lassen. Danach erhalten sie einen Ausweis, der Männern erlaubt, schon vor der Operation Frauenkleider zu tragen, und Frauen, sich ohne Kopftuch und in Hosen zu zeigen.

Etwa 450-mal im Jahr werden in Iran Männer- zu Frauenkörpern oder Frauen- zu Männerkörpern umoperiert. 
In Deutschland etwa, wo zehn Millionen Menschen mehr leben als in Iran, sind es jedes Jahr etwa 300. Das sind Schätzungen. Auch in westlichen Ländern gibt es kaum exakte Zahlen, weil viele Transsexuelle sich in Privatkrankenhäusern operieren lassen.

Dass es ausgerechnet in Iran so viele sind, sei erklärbar, sagt der Teheraner Psychiater. Der Zwang zur Konformität in der traditionell geprägten iranischen Gesellschaft sei enorm. Deswegen kommen auch viele Homosexuelle zu ihm. „Sie glauben, nach einer Operation können sie so leben, wie sie es immer wollten, weil sie dann einen Mann heiraten können.“
Schirin hat einige Schwule gekannt, die so dachten. „Die meisten von ihnen haben Selbstmord begangen“, sagt sie.

Als sie selbst noch ein Mann war, hat sie alles versucht endlich dazuzugehören. Ließ sich die Haare sehr kurz schneiden, um männlich zu erscheinen und eine Arbeit zu finden. Sie hätte gerne studiert. Aber ohne Abschluss? Sie hat ja nicht einmal einen Ausbildungsplatz bekommen. Also wollte sie mit Aushilfsjobs ein bisschen Geld verdienen, als Fabrik- oder Lagerarbeiterin. Doch wo sie vorsprach, hörte sie: „Der ist ja ein Mädchen!“

In der iranischen Gesellschaft gilt ein Mann mehr als eine Frau
Keine Arbeit, keine Anerkennung, kein Leben. Sie machte einen Termin in einer Klinik, die Eltern hatten ihr Geld für die Mietkaution und die Einrichtung gegeben.
„Ich musste es tun, um eine Identität zu finden“, sagt sie. Neun Stunden Operation. Sie wartete auf die Narkose, weinte, sie versuchte nicht an ihre Eltern zu denken und tat es doch. Sie betete, irgendeine Form von Erlösung zu finden. Ein Leben, in dem man sie respektiert. Heute sagt sie: „Für Frau-zu-Mann-Transsexuelle ist es leichter, sich zurechtzufinden.“

Der Chirurg Shahryar Cohanzad sieht es ähnlich. Bei neun von zehn Geschlechtsumwandlungen in Iran lasse sich ein Mann zur Frau machen, weil Männer, die sich als Frau im falschen Körper fühlen, es in der Gesellschaft deutlich schwerer haben.

In der iranischen Gesellschaft gilt ein Mann mehr als eine Frau. So ist es im Gesetz festgehalten, das auf der islamischen Scharia beruht: 
Zum Beispiel zählt vor Gericht die Aussage einer Zeugin nur die Hälfte. Oft haben sich Frauen um Haus und Familie zu kümmern, oft treffen männliche Angehörige die wichtigen Entscheidungen über ihr Leben. Ein Mann hat ein richtiger Mann zu sein, wenn er anerkannt werden will. Schon einer, der eher weiblich auftritt, gilt als Schande für die Familie, während maskuline Frauen oft respektiert werden. Doch einen Mann, der sich zur Frau hat operieren lassen, trifft besondere Verachtung. Denn er hat den sozialen Abstieg freiwillig hingenommen – eine Steigerung derart unmännlichen Verhaltens ist kaum möglich.

Mehrdad arbeitet als Regisseur an einem Teheraner Theater. Seine Kollegen, sagt er, haben sich schnell an sein neues Ich gewöhnt: „Früher sagten sie immer: Wie frech diese Frau ist! Heute heißt es: Was für ein höflicher Mann!“

Mehrdad sitzt auf einem weiß lackierten Stuhl, breitbeinig, ein Mann mit weichen Körperkonturen, eckigem Unterkiefer und hellbraunen Haaren. Er gehört dazu, auch wenn ein paar Bekannte den Kontakt abgebrochen haben. Der 41-Jährige klingt heiter, wenn er seine Geschichte erzählt.
Er wuchs in Teheran auf, der Vater Arzt, die Mutter Hausfrau. Die Eltern beobachteten verwirrt, dass ihre Tochter ihre Kleider, ihre Puppen zerriss und sich mit den Nachbarjungs raufte.
„Meine Familie“, sagt er, „hat sich vor langer Zeit mit meiner Art abgefunden.“ James Dean und Rock Hudson wurden die Vorbilder seiner Jugend, er trug lässige Trenchcoats, band sich den Busen mit einer Bandage zurück. Lange verstand er nicht, was in ihm vorging, er wurde depressiv, war zornig und ängstlich: „Ich habe monatelang meine Wohnung kaum verlassen. So konnte ich vergessen, dass ich in Iran lebe.“ Es war eine Phase, sagt er.

Träume hat Schirin nicht mehr

Seine Verlobte steht hinter der Küchenanrichte und bereitet Tee zu. Als sie hinzukommt, springt er auf und rückt ihr den Stuhl zurecht. Negar ist 19 Jahre alt, sie studiert Wirtschaftswissenschaften, hat ein hübsches glattes Mädchengesicht und schwarze Locken.
Mehrdad und Negar verabredeten sich beim ersten Treffen an einem Freitagmittag, nahe der Universität Teheran, wo sich jede Woche Tausende zum Gebet versammeln. Negar war früh dran, sie sah, wie Busse voll mit Menschen aus den ärmlichen Vororten vor dem Campus auffuhren. Immer neue Schübe von bärtigen Männern in Plastiksandalen und tief verschleierten Frauen breiteten sich auf der Straße aus, der Strom teilte sich: Die Männer zogen durch das Haupttor, die Frauen durch einen Seiteneingang. Mehrdad trug Kopftuch und Mantel, Negar sagte: „Guten Tag, mein Herr.“ Sie spazierten über Stunden durch die feiertagsstille Stadt, danach wussten sie, dass sie zusammengehören. Sie sagt: „Er ist viel männlicher als die meisten Männer, die ich kenne. Ein perfekter Gentleman.“ Sie wollen heiraten, sobald Mehrdad seinen neuen Pass hat.
Schirin verlässt das Café, zieht hinaus in den Abend. In den Gräben entlang der Straße verbrennt Müll und verbreitet einen öligen Rauch. Schirin hat kaum noch Kontakt zu ihrer Familie. Anfangs waren Besuche wenigstens in der Nacht erlaubt. „Inzwischen sagen sie: ,Bleib in Teheran, komm nicht mehr heim.'“
Sie lebt in einer Wohnung am Rande der Stadt, zusammen mit „anderen wie mir“. Wovon lebt sie? „Ich mache Geschäfte.“ Nachts läuft sie los, im Tschador, das Gesicht voll greller Farben, sucht sich einen Platz an der zentralen Valiasr Straße. Prostitution ist illegal, doch es gibt einen Weg, der den islamischen Vorschriften entspricht: Wenn sich jemand für Schirin interessiert, schließen sie eine Zeitehe. Die Heirat ist für einige Minuten, Tage oder Jahre gültig – je nach Vertrag. Geschlechtsverkehr ist in dieser Zeit erlaubt.
Träume, sagt Schirin, habe sie nicht mehr, denn die führen zu nichts, nur wieder zurück in die Wirklichkeit. Bis auf einen. Sie will früh sterben. Schnell zu Gott. Denn Gott allein versteht sie.

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