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Rothenbächer 2013
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Ein Geschlecht, das
weder Frau noch Mann ist
In Deutschland kommen pro Jahr bis zu 120 Menschen
zwischengeschlechtlich zur Welt. Nun berät der Deutsche Ethikrat, wie diese
Menschen ein Leben in Würde führen können.
Auf die Frage "Mädchen oder Junge?" wissen die Ärzte keine
Antwort, als Diana Hartmann im Jahr 1965 in einer Klinik im Spessart zur Welt
kommt. Sie ist gesund. Aber ihre Genitalien sind, wie es die Mediziner nennen,
"uneindeutig". Diana ist irgendwo auf der Skala zwischen den Polen
"Mann" und "Frau" geboren.
Die Ärzte beschließen, dass Diana ein Junge sein soll. Die
Mutter erkennt in dem Säugling ein Mädchen – eben "Diana". Die Ärzte
wollten das Kind operieren, "zum Mann machen". Die Mutter weigert
sich – mit drastischen Folgen.
Hartmann ist kein Einzelfall:
In Deutschland kommen nach Angaben einer Studie der
Universitätsklinik zu Lübeck im Jahr 80 bis 120 Kinder zwischengeschlechtlich
zur Welt.
Wie viele es genau sind, weiß jedoch
niemand.
Diese Babys passen von Anfang an nicht ins Geschlechterschema.
Das kann viele Gründe haben.
Sie tragen nicht den geschlechtsspezifischen
Chromosomensatz, ihre Hormone funktionieren anders als bei den meisten
Menschen, sie besitzen männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane – oder eine
Mischung aus diesen Faktoren.
Sie sind intersexuell.
Das
bedeutet in einer Gesellschaft, in der noch in vielen Situationen zwischen den
Geschlechtern unterschieden wird, eine große Unsicherheit für ein so kleines
Leben, für Eltern, Ärzte und Behörden.
Soll ein drittes
Geschlecht eingeführt werden?
Seit Dezember 2010 berät der Deutsche Ethikrat im Auftrag
der Bundesregierung, wie alle Beteiligten diesen Kindern ein Leben in Würde
ermöglichen können. Dazu führten Experten aus Medizin, Rechts- und
Sozialwissenschaften und intersexuelle Menschen einen Diskurs in schriftlichen
Stellungnahmen, in einer Onlinediskussion und in einer öffentlichen Anhörung.
Viele Hundert Seiten Material seien zusammengekommen, so der
Leiter der Geschäftsstelle des Deutschen Ethikrats, Joachim Vetter.
In der kommenden Woche will der Rat nun seine Stellungnahme
veröffentlichen. Im Kern geht es um zwei Fragen:
Soll ein drittes Geschlecht eingeführt
werden, damit intersexuelle Menschen sich nicht in das Raster von Mann und Frau
einsortieren müssen, sondern selbst bestimmen dürfen, was sie sind?
Und:
Dürfen "angleichende"
Operationen durchgeführt werden und wenn ja, in welchem Alter und unter welchen
Umständen?
In der Vergangenheit wurden viele Intersexuelle im frühen
Kindesalter operiert.
Typisch war etwa die Entnahme von Gonaden oder die Reduktion der
Klitoris – also Eingriffe, die nicht umkehrbar sind.
Garantieren, dass sich die Kinder in ihrem
späteren Leben auch diesem anoperierten Geschlecht zugehörig fühlen würden,
konnten Mediziner nicht.
Bei jeder Operation bestand zudem das Risiko von
schmerzhaften Verwachsungen und Narbenbildung. Oft operierten die Ärzte im
ersten Jahr nach der Geburt, da sie davon ausgingen, dass so schwerwiegende
Traumata verhindert werden könnten.
In einigen Fällen
erfuhren diese Kinder gar nicht, dass sie nicht als "typisches"
Mädchen oder als "gewöhnlicher" Junge auf die Welt gekommen sind.
Auch heute, sagt die Vorsitzende der
Interessengruppe "Intersexuelle Menschen e.V.", Lucie Veith, werden
solche Operationen, bei denen die Kinder nicht über ihren Körper mitbestimmen
dürfen, noch durchgeführt.
"Ich erhoffe mir, dass keinem Menschen
in Deutschland ein Genital zerschnitten wird – egal wie es aussieht –, wenn
dieser Mensch es nicht selbst möchte", sagt Veith über ihre Erwartungen an
die Stellungnahme des Ethikrats. Spürte, dass eine Operation unrecht ist
Schon vor 46 Jahren
spürte Hartmanns Mutter, dass eine solche Operation unrecht ist.
Das Kind ist gesund, warum sollte es operiert werden?
Nur weil es anders aussieht?
Die Mutter ist selbst intersexuell, kennt
die Praktiken, die an Menschen wie ihr während der Zeit des Nationalsozialismus
durchgeführt wurden.
Sie ist
jüdisch und hat den Holocaust überlebt. Hartmanns Vater ist Afroamerikaner. Er
hat sich von der jungen Familie getrennt.
Hartmanns Mutter ist nun alleinerziehend. Sie trägt die
Verantwortung für ein Kind, das Mitte der 1960er-Jahre in Deutschland aus jeder
Schublade herausfällt: Schwarz, jüdisch, intersexuell und unehelich. Und sie
sagt Nein zum Konformismus. "Womit aufhören, womit anfangen, mit dem
Anpassen?", fragt Hartmann. Es gibt Sorgerechtsstreitigkeiten. Diana
"kommt weg", wie die Mutter es nennt, ins Heim.
Olaf Hiort kennt die Situation, mit der Eltern bei der
Geburt eines intersexuellen Kindes konfrontiert werden. Er ist Professor für
Kinder und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und hat
sich auf die Geschlechtsentwicklung spezialisiert. Für Eltern und seine
Kollegen wünscht sich Hiort einen Wegweiser, an dem sich Mediziner orientieren
können. Er stellt sich Kompetenzzentren vor, in denen Kinder und Eltern
umfassende Beratung erhalten können, etwa so, wie sie in Spezialkliniken für
Kinder mit seltenen Herzfehlern stattfindet.
"Ein Kind muss in seinem familiären Kontext
unbeeinträchtigt aufwachsen", sagt Hiort. Das sorge für Sicherheit und
Lebensqualität der Kinder. Die Eltern, so Hiort, sollten deswegen auch über
eine Operation mitentscheiden dürfen: "Das gehört zu den Aufgaben von
Eltern." Von einem Verbot der Operationen vor dem 18. Lebensjahr hält er
nichts: "Kann das Verhindern von Entscheidungen nicht genauso Leid
auslösen? Das ist die Frage, die nicht untersucht ist."
Nach einem halben Jahr darf Hartmann zurück zu ihrer Mutter.
Sie wandern umgehend nach Amerika aus, an die Ostküste, nach Providence, Rhode
Island. "Meine Mutter dachte, in Amerika sei alles viel besser. In Amerika
ging es dann erst richtig los", sagt Hartmann. Weil sie nicht operiert
war, wird sie von Medizinern als Kuriosum betrachtet. "Die kommen mit
einer Spritze und sagen, wir wollen dir eine Impfung geben. Du hast Angst vor
Spritzen, du schreist, du wirst weggeholt. Zack – pressen sie dir die Beine
auseinander und zehn Studenten gucken dir dann dahin und fotografieren dich.
Mutter und Tochter
vermeiden Arztbesuche
Ein Arzt bescheinigt ihr ohne eingehende Untersuchung das
"Adrenogenitale Syndrom" (AGS). Mutter und Tochter vermeiden nach
diesen Erlebnissen Arztbesuche. Und so kommt es, dass Hartmann bis vor wenigen
Monaten nicht weiß, was eigentlich genau mit ihr los ist. Ihre Sexualität ist
Privatsache. Diana spricht nicht über ihre Intersexualität. Anderen sagt sie,
sie sei ein "Transmann", eine Frau, die zum Mann wurde. "Das hat
keiner infrage gestellt", sagt Hartmann.
Es gibt eine Vielzahl von Ausprägungen, die zur
Intersexualität führen können. Intersexuelle Menschen sprechen ungern von
"Erkrankungen", weil viele Menschen beschwerdefrei mit ihren
Besonderheiten leben. Dennoch werden Ursachen der Intersexualität in der Liste
der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation, der "International
Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" (ICD),
aufgeführt. Denn bei einigen der Ausprägungen können durchaus gesundheitliche
Probleme auftreten, die eine medizinische Behandlung nötig machen.
Einige Ausprägungen führen zu Unfruchtbarkeit, während
andere intersexuelle Menschen zeugungsfähig sind. Die verschiedenen
Ausprägungen der Intersexualität können in den Geschlechtschromosomen, den
sogenannten Gonosomen, liegen. Etwa beim Klinefelter-Syndrom, bei dem Kinder
mit den Geschlechtschromosomen XXY zur Welt kommen. Beim Turner-Syndrom liegt
dagegen nur ein Geschlechtschromosom, das X, vor. Andere Kinder tragen ein
"Mosaik" von Geschlechtschromosomen in sich: Zellpopulationen in
ihrem Körper sind mit unterschiedlichen Gonosomen ausgestattet.
Hartmann lebt jahrelang mit der Diagnose AGS. Eines von
12.000 Kindern wird in Deutschland mit dieser genetisch übertragenen
Stoffwechselerkrankung geboren. Bei ihnen ist die Umwandlung von Cholesterin in
die in der Nebenniere gebildeten Hormone Kortisol und Aldosteron durch einen
Enzymdefekt blockiert. Es kommt zu einem Mangel. Den versucht die Nebenniere
auszugleichen, indem sie immer mehr Vorstufen dieser beiden Hormone produziert.
Diese werden dann vom Körper in männliche Hormone, Androgene, umgewandelt. Bei
Menschen mit XX-Chromosomen tritt entweder schon im Kindesalter oder erst zur
Pubertät eine "Vermännlichung" ein. Menschen mit AGS, die
XY-Gonosomen tragen, erleben eine vorzeitige Geschlechtsentwicklung.
Auch als Hartmann vor einigen Jahren mit einem gutartigen
Eierstocktumor in die Klinik eingeliefert wird, gehen die Mediziner noch von
AGS aus. Ihre Eierstöcke werden entfernt. Diese Operation ist für ihr Leben ein
bedeutender Einschnitt: "Ich bin mit der biologischen Konsequenz
aufgewacht." Sie sucht über das Internet nach Informationen und stößt auf
www.intersexuelle-menschen.net , die Website von Lucie Veiths
Selbsthilfegruppe. Sie lernt andere intersexuelle Menschen kennen und beginnt
offen über sich zu sprechen. Hartmann nimmt an der öffentlichen Sitzung im
Ethikrat teil – und spricht dort im Namen der Menschen mit AGS.
"Diskriminierung
ist mir nicht erspart geblieben"
Bei der Sitzung im Juni 2011 wird sie auch auf neue
Untersuchungsmethoden aufmerksam. Hartmann geht in die Klinik. Die Ärzte
stellen fest: Sie hat kein Adrenogenitales Syndrom. Sie hat
"Ovotestis", also männliche und weibliche Keimdrüsen. Bis zu der
Operation des Eierstocktumors hatte Hartmann keine gesundheitlichen Probleme.
Die Probleme, die sie hatte, kamen von außen "Es ist gut, nicht operiert
zu werden. Natürlich. Aber der ganze Wust an Auseinandersetzungen und
Diskriminierung ist mir nicht erspart geblieben. Weil man ja nicht verstecken
kann, wie man aussieht. Wir sind so, wie wir sind."
Die Medizinhistorikerin Ulrike Klöppel von der
Humboldt-Universität in Berlin wünscht sich eine umgedrehte Herangehensweise zu
der Frage operieren oder nicht operieren. Bislang ginge die Forschung immer von
den intersexuellen Menschen aus, die bereits operiert sind. "Eigentlich
hätte man andersherum anfangen müssen: Leben Menschen schlecht, wenn sie nicht
operiert sind? Wenn nicht, was braucht man für Hilfestellungen? Das wäre
Wissenschaft. So ist es ein groß angelegtes Experiment, das nur in eine
Richtung geht und keinen Gegenbeweis erlaubt", sagt Klöppel.
Auch Hartmann wünscht sich eine Hilfestellung. Die hat aber
nichts mit einer medizinischen Behandlung zu tun, sondern mit Aufklärung – mit
einer Offenheit der Gesellschaft gegenüber dem Thema Geschlecht, Sexualität und
Intersexualität. "Es geht um den Umgang miteinander", sagt Hartmann.
Als sie sich als intersexuell "outet", reagieren die meisten Menschen
in ihrem Umfeld positiv.
Fast jeder, denkt Hartmann, hat irgendein Problem mit seinem
Aussehen, seiner Sexualität: "Niemand kann nackig über den Strand laufen
und sagen, ich bin absolut normal." Deswegen sieht sie auch die Einführung
eines dritten Geschlechts "mit großen Vorbehalten". Sie ist besorgt,
dass es dadurch zu einer weiteren Abgrenzung intersexueller Menschen kommen
könnte: "Wer ist das dritte Geschlecht? Wer ist das erste, das
zweite?".
Noch muss innerhalb einer Woche nach der Geburt eines Kindes
ein Haken gesetzt werden: Mädchen oder Junge, männlich oder weiblich. So will
es das deutsche Personenstandsgesetz. Eine Aufschiebung in Ausnahmesituationen
ist möglich, aber nicht bis zur Pubertät des Kindes. Der Gedanke, einfach ein
weiteres Kästchen hinzuzufügen, liegt nah. Aber was soll daneben stehen?
Wann ist eine
geschlechtliche Einteilung sinnvoll?
Wer für eine Reise nach Indien ein Visum beantragt, darf
neben männlich und weiblich auch "transsexuell" ankreuzen. Doch diese
Kategorie kommt für die meisten intersexuellen Menschen nicht infrage.
"Wenn man mich fragen würde, welches Geschlecht ich habe, männlich,
weiblich? Dann würde ich sagen: anders. Die Gedanken sind frei, nicht?",
sagt Lucie Veith.
Medizinhistorikerin Klöppel wünscht sich, dass die
Eintragung wegfällt oder zumindest so lange aufgeschoben wird, bis der Mensch
selbst über sein Geschlecht entscheiden kann. Auch Olaf Hiort möchte, dass die
Gesellschaft darüber nachdenkt, wann eine zweigeschlechtliche Einteilung
sinnvoll ist und wann nicht.
"Ist es gesund?", ist die erste Frage nach der
Geburt. Ob in Zukunft die zweite Frage "Mädchen oder Junge?" anders
lautet oder wegfällt: Das könnten die Mitglieder des Ethikrats mit ihrer
Stellungnahme beeinflussen. Wie man hört, sind sich die Mitglieder einig. Es
gibt eine Meinung, keinen Unterschied.
Ein interessanter Artikel, der mich sehr nachdenklich macht. Da mir noch viele Hintergrund
AntwortenLöschenInformationen (meine Person betreffend), kann ich hier leider nicht mitschreiben aber trotzdem vielen Dank für alle eure Artikel und Beiträge, die für mich sehr hilfreich (da ich erst am Anfang meines Weges bin), sind. M.f.G Petra Marie ' Zurek