Mittwoch, 23. Januar 2013

Mann, Frau, Ladyboy



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013

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Mann, Frau, Ladyboy

Mit schnellen Schritten steuert die asiatische Schönheit auf das Café in Bangkoks Touristenviertel zu. Sie trägt einen dunkelblauen Hosenanzug, der ihre Wespentaille betont und die Blicke der Männer auf sich zieht. „Tut mir leid, ich stand im Stau“, entschuldigt sie sich mit einem Lächeln für die Verspätung. Ihr Gesicht hat etwas Puppenhaftes. Sie ist dezent geschminkt, das Haar schimmert seidig, die Hände sind manikürt. Nur die tiefe Stimme verrät: Crystal ist eigentlich ein Mann.

Crystal, „klar wie Glas, das ist die Übersetzung für meinen thailändischen Namen“, erklärt Suttirat Simsiriwong. Crystal, glasklar. Der Name gefällt der 39-jährigen Produktmanagerin einer französischen Kosmetikkette in Thailands Hauptstadt. „Vielleicht, weil er so im Gegensatz zu meinem Leben als Transsexuelle steht.“ Denn im angeblichen Transsexuellen-Paradies Thailand ist kaum etwas so klar, wie es auf den ersten Blick scheint. „In keinem Land der Welt leben offensichtlich so viele transsexuelle Frauen wie hier. Da glauben viele automatisch, Thailand müsste der Himmel für uns sein“, sagt Crystal und lächelt bitter. Die Realität sei anders: „Gesellschaftlich werden wir zwar geduldet, aber nicht akzeptiert. Es gibt keine Gesetze, die unsere Rechte schützen oder uns überhaupt wahrnehmen.“

 Getratsche und Ablehnung


Crystal ist eine von Hunderttausenden transsexuellen Frauen in Thailand, Kathoeys genannt oder auch Ladyboys. Sie wurden als Männer geboren, definieren sich aber als Frauen. „Kathoeys zu zählen, ist fast unmöglich. Wegen der geringen Akzeptanz leben vor allem viele Ältere ihre Transsexualität nicht offen aus“, sagt Timo Ojanen, Forscher an der Mahidol-Universität Bangkok. Der schwule Aktivist hat sich mit Problemen sexueller Minderheiten in Thailand befasst und weiß: „Sichtbares Anderssein wird mit Getratsche, Ablehnung und Diskriminierung bestraft.“

Trotzdem gibt es in Thailand nach Ojanens Schätzung bis zu 650 000 Kathoeys. Bei knapp 65 Millionen Thailändern wäre das etwa jeder hundertste. Zum Vergleich: In Deutschland leben nach Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität etwa 80 000 Transsexuelle, die Hälfte davon sind Frauen. Damit wäre unter 2 000 Einwohnern eine transsexuelle Frau – sehr viel weniger als in Thailand.

Forschungsergebnisse, die erklären warum das so ist, gibt es bislang nicht. „In Thailand leben so viele Kathoeys, weil ihre Rolle fest in der Kultur verankert ist“, vermutet Ojanen. „Wahrscheinlich wären viele von ihnen schwul, wären sie im Westen aufgewachsen. Homosexualität ist in der westlichen Welt präsenter als Transsexualität.“

In Thailand hat sich eine feste Kathoey-Szene etabliert, allein in Bangkok leben Tausende. Die oft schillernden Gestalten in engen Kleidern und hochhackigen Schuhen sind aus den Straßen nicht wegzudenken. Auch an Hotelrezeptionen, in Boutiquen und Restaurants arbeiten Kathoeys. Doch Diskriminierung und Stigmatisierung gehören auch für beruflich erfolgreiche Frauen wie Crystal zum Alltag. Den 22. Juni 2007 wird sie nie vergessen, sagt sie. Es war der Tag, an dem ihr wegen ihrer Transsexualität der Zugang zu einer Party verwehrt wurde. „Der Türsteher kontrollierte meinen Ausweis. Weil da als Anrede nicht ,Frau’, sondern ,Herr’ stand, musste ich gehen“. Schmerzhaft sei ihr klar geworden, dass sie als Frau nicht akzeptiert ist. Für sie ist Thailand vor allem eines: „Das Land der Kompromisse.“ Ein Land, in dem Kathoeys als das „dritte Geschlecht“ gelten. „Solange uns die Regierung nach der angleichenden Operation nicht erlaubt, unser Geschlecht auch im Pass zu ändern, sind wir identitätslos“, sagt Crystal und beugt sich über den Tisch. Sie spricht eindringlich: „Thailand wird von Männern dominiert. Sie fürchten sich, auf unsere Schönheit hereinzufallen, das ist ihre große Angst.“

Seit 20 Jahren lebt Crystal als Frau. „Dass ich kein Mann bin, weiß ich seit ich denken kann.“ Mit 19 gestand sie ihrer Familie, was sie selbst schon lange wusste: „Ich wollte eine Frau sein. Und jeder sollte mich so wahrnehmen.“ Doch den letzten Schritt, die Geschlechtsumwandlung, hat Crystal nicht gewagt. „Warum soll ich mich operieren lassen, wenn ich keinen Nutzen darin sehe?“, fragt sie. Auch wenn ihr Körper keine Zweifel mehr an ihrer Identität ließe – auf dem Papier wäre sie noch immer ein Mann.

„Viele Kathoeys sind unglücklich ohne Operation“, sagt der Forscher Timo Ojanen. „Aber die meisten haben unrealistische Träume von einem besseren Leben nach der Umwandlung.“ Das Leben danach – für viele ist es vor allem ernüchternd. In einem Buch hat Ojanen Geschichten gesammelt: Da ist die Frau, die nicht nur ihre Kreditkarte, sondern auch viel Geld verlor, weil die Bank sich weigerte das Konto zu sperren. Schließlich war sie laut Ausweis ein Mann und damit nicht Kontoinhaberin. „Dauerhaft geisteskrank“ lautete die Diagnose für eine transsexuelle Frau auf dem Ausmusterungsbescheid. Das Gutachten, so befahl das Militär, müsse sie bei Vorstellungsgesprächen vorlegen. Eine kranke Frau konnte wegen ihres „legalen Geschlechts“ nur auf der Männerstation der Klinik behandelt werden. Eine andere verlor den Job, als der Chef von ihrer Transsexualität erfuhr.

Hormone sind teuer


Weil sie weniger Berufs- und Ausbildungschancen haben, verkaufen viele Katoeys ihre Körper an Sextouristen, die das Besondere suchen. „Gerade für transsexuelle Frauen ohne Ausbildung ist Prostitution eine der begrenzten Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren“, sagt Ojanen. Daneben müssen sie sich auch ihr weibliches Aussehen verdienen. Die Hormone, die sie dafür brauchen, sind teuer. Ein schlecht bezahlter Job bringt höchstens 8 000 Baht im Monat, etwa 180 Euro. Allein die Medikamente kosten aber mehrere Tausend Baht monatlich. „Oft macht es Prostitution leichter, das Geld dafür aufzubringen“, erklärt Ojanen.

Doch Pillen sind nur der erste Schritt, glaubt Crystal. „Der einzige Weg, mit sich selbst im Reinen zu leben, ist die Operation“, sagt sie und rückt ihren dunkelblauen Hosenanzug im Aufstehen zurecht. Sie fügt hinzu, dass sie sich sofort operieren lassen würde, wenn sie dann auch offiziell als Frau akzeptiert wäre. Aber dazu muss Thailands Regierung das Gesetz ändern. Das wird so schnell nicht passieren.

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