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Rothenbächer 2013
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Mann,
Frau, Ladyboy
Mit schnellen Schritten steuert die asiatische Schönheit auf
das Café in Bangkoks Touristenviertel zu. Sie trägt einen dunkelblauen
Hosenanzug, der ihre Wespentaille betont und die Blicke der Männer auf sich
zieht. „Tut mir leid, ich stand im Stau“, entschuldigt sie sich mit einem
Lächeln für die Verspätung. Ihr Gesicht hat etwas Puppenhaftes. Sie ist dezent
geschminkt, das Haar schimmert seidig, die Hände sind manikürt. Nur die tiefe
Stimme verrät: Crystal ist eigentlich ein Mann.
Crystal, „klar wie Glas, das ist die Übersetzung für meinen
thailändischen Namen“, erklärt Suttirat Simsiriwong. Crystal, glasklar. Der
Name gefällt der 39-jährigen Produktmanagerin einer französischen Kosmetikkette
in Thailands Hauptstadt. „Vielleicht, weil er so im Gegensatz zu meinem Leben
als Transsexuelle steht.“ Denn im angeblichen Transsexuellen-Paradies Thailand
ist kaum etwas so klar, wie es auf den ersten Blick scheint. „In keinem Land
der Welt leben offensichtlich so viele transsexuelle Frauen wie hier. Da
glauben viele automatisch, Thailand müsste der Himmel für uns sein“, sagt
Crystal und lächelt bitter. Die Realität sei anders: „Gesellschaftlich werden
wir zwar geduldet, aber nicht akzeptiert. Es gibt keine Gesetze, die unsere
Rechte schützen oder uns überhaupt wahrnehmen.“
Getratsche und Ablehnung
Crystal ist eine von Hunderttausenden transsexuellen Frauen
in Thailand, Kathoeys genannt oder auch Ladyboys. Sie wurden als Männer
geboren, definieren sich aber als Frauen. „Kathoeys zu zählen, ist fast
unmöglich. Wegen der geringen Akzeptanz leben vor allem viele Ältere ihre
Transsexualität nicht offen aus“, sagt Timo Ojanen, Forscher an der
Mahidol-Universität Bangkok. Der schwule Aktivist hat sich mit Problemen
sexueller Minderheiten in Thailand befasst und weiß: „Sichtbares Anderssein
wird mit Getratsche, Ablehnung und Diskriminierung bestraft.“
Trotzdem gibt es in Thailand nach Ojanens Schätzung bis zu
650 000 Kathoeys. Bei knapp 65 Millionen Thailändern wäre das etwa jeder
hundertste. Zum Vergleich: In Deutschland leben nach Schätzung der Deutschen
Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität etwa 80 000 Transsexuelle,
die Hälfte davon sind Frauen. Damit wäre unter 2 000 Einwohnern eine
transsexuelle Frau – sehr viel weniger als in Thailand.
Forschungsergebnisse, die erklären warum das so ist, gibt es
bislang nicht. „In Thailand leben so viele Kathoeys, weil ihre Rolle fest in
der Kultur verankert ist“, vermutet Ojanen. „Wahrscheinlich wären viele von
ihnen schwul, wären sie im Westen aufgewachsen. Homosexualität ist in der
westlichen Welt präsenter als Transsexualität.“
In Thailand hat sich eine feste Kathoey-Szene etabliert,
allein in Bangkok leben Tausende. Die oft schillernden Gestalten in engen
Kleidern und hochhackigen Schuhen sind aus den Straßen nicht wegzudenken. Auch
an Hotelrezeptionen, in Boutiquen und Restaurants arbeiten Kathoeys. Doch
Diskriminierung und Stigmatisierung gehören auch für beruflich erfolgreiche
Frauen wie Crystal zum Alltag. Den 22. Juni 2007 wird sie nie vergessen, sagt
sie. Es war der Tag, an dem ihr wegen ihrer Transsexualität der Zugang zu einer
Party verwehrt wurde. „Der Türsteher kontrollierte meinen Ausweis. Weil da als
Anrede nicht ,Frau’, sondern ,Herr’ stand, musste ich gehen“. Schmerzhaft sei
ihr klar geworden, dass sie als Frau nicht akzeptiert ist. Für sie ist Thailand
vor allem eines: „Das Land der Kompromisse.“ Ein Land, in dem Kathoeys als das
„dritte Geschlecht“ gelten. „Solange uns die Regierung nach der angleichenden
Operation nicht erlaubt, unser Geschlecht auch im Pass zu ändern, sind wir
identitätslos“, sagt Crystal und beugt sich über den Tisch. Sie spricht
eindringlich: „Thailand wird von Männern dominiert. Sie fürchten sich, auf
unsere Schönheit hereinzufallen, das ist ihre große Angst.“
Seit 20 Jahren lebt Crystal als Frau. „Dass ich kein Mann
bin, weiß ich seit ich denken kann.“ Mit 19 gestand sie ihrer Familie, was sie
selbst schon lange wusste: „Ich wollte eine Frau sein. Und jeder sollte mich so
wahrnehmen.“ Doch den letzten Schritt, die Geschlechtsumwandlung, hat Crystal
nicht gewagt. „Warum soll ich mich operieren lassen, wenn ich keinen Nutzen
darin sehe?“, fragt sie. Auch wenn ihr Körper keine Zweifel mehr an ihrer
Identität ließe – auf dem Papier wäre sie noch immer ein Mann.
„Viele Kathoeys sind unglücklich ohne Operation“, sagt der
Forscher Timo Ojanen. „Aber die meisten haben unrealistische Träume von einem
besseren Leben nach der Umwandlung.“ Das Leben danach – für viele ist es vor
allem ernüchternd. In einem Buch hat Ojanen Geschichten gesammelt: Da ist die
Frau, die nicht nur ihre Kreditkarte, sondern auch viel Geld verlor, weil die
Bank sich weigerte das Konto zu sperren. Schließlich war sie laut Ausweis ein
Mann und damit nicht Kontoinhaberin. „Dauerhaft geisteskrank“ lautete die
Diagnose für eine transsexuelle Frau auf dem Ausmusterungsbescheid. Das
Gutachten, so befahl das Militär, müsse sie bei Vorstellungsgesprächen
vorlegen. Eine kranke Frau konnte wegen ihres „legalen Geschlechts“ nur auf der
Männerstation der Klinik behandelt werden. Eine andere verlor den Job, als der
Chef von ihrer Transsexualität erfuhr.
Hormone sind teuer
Weil sie weniger Berufs- und Ausbildungschancen haben,
verkaufen viele Katoeys ihre Körper an Sextouristen, die das Besondere suchen.
„Gerade für transsexuelle Frauen ohne Ausbildung ist Prostitution eine der
begrenzten Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren“, sagt Ojanen.
Daneben müssen sie sich auch ihr weibliches Aussehen verdienen. Die Hormone,
die sie dafür brauchen, sind teuer. Ein schlecht bezahlter Job bringt höchstens
8 000 Baht im Monat, etwa 180 Euro. Allein die Medikamente kosten aber mehrere
Tausend Baht monatlich. „Oft macht es Prostitution leichter, das Geld dafür
aufzubringen“, erklärt Ojanen.
Doch Pillen sind nur der erste Schritt, glaubt Crystal. „Der
einzige Weg, mit sich selbst im Reinen zu leben, ist die Operation“, sagt sie
und rückt ihren dunkelblauen Hosenanzug im Aufstehen zurecht. Sie fügt hinzu,
dass sie sich sofort operieren lassen würde, wenn sie dann auch offiziell als
Frau akzeptiert wäre. Aber dazu muss Thailands Regierung das Gesetz ändern. Das
wird so schnell nicht passieren.
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