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Rothenbächer 2012
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Transsexuell:
Zwischen den Geschlechtern
Transsexuelle wollen
mehr als die Rolle des anderen Geschlechts spielen - wie etwa Transvestiten,
die sich wie das andere Geschlecht kleiden.
Transsexuelle lehnen das in ihrem Pass angegebene Geschlecht
ab. Männer fühlen sich als Frau, Frauen als Mann. Rund 90.000 wollen das
Dilemma mit einer geschlechtsangleichenden Operationen lösen.
Früher hieß Martina Martin. Warum sie ihren Namen geändert
hat, ist eine lange Geschichte - wie wohl bei allen Transsexuellen. "Ich
habe schon im Kindergarten gemerkt, das ich anders bin", sagt Martina
Janssen und zupft sich dabei mit riesigen Händen eine Strähne aus dem Gesicht.
"Bei den Mädchen habe ich mich wohler gefühlt. Da habe ich gedacht: Das
bin ich!" Worte hatte der kleine Martin natürlich noch nicht für das, was
in ihm vorging. Die fand er erst kurz vor seinem 14. Geburtstag dank einer
Talkshow im Fernsehen. "Da waren alle Formen und Phasen von
Transsexualität vertreten", erinnert sich Martina Janssen. "Mann zu
Frau, Frau zu Mann und welche, die schon die hinter sich hatten. Dort habe ich
das erste Mal den Begriff Transsexualität gehört. "Den Begriff
"Transsexualität" findet sie "abscheulich". Der betone
Sexualität, sage aber nichts über die Orientierung aus - ob der Mensch nun
schwul, lesbisch , hetero oder bisexuell sei. Für Martina Janssen ist wichtig:
"Ich bin nicht nur Frau, sondern ich bin auch Lesbe und Feministin."
Ein Standpunkt, dem angesichts der Gender-Debatte und -Forschung sich immer
mehr anschließen - auch die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und
Intersexualität, kurz dgti.
Das duale
Geschlechterkonzept greift zu kurz
"Der Begriff Transsexualität ist irreführend",
sagt Helma Katrin Alter von dgti. "Da wird unterstellt, dass
Transsexualität ein sexuelles Problem ist, dabei handelt es sich um ein
kulturelles und soziales." Die zwei gesellschaftlich anerkannten
Geschlechter sagten bestenfalls aus, ob jemand zeugen oder gebären könne.
"Die Zwischentöne mit unendlich vielen Schattierungen" blieben bei
diesem dualen Konzept auf der Strecke. Jenseits vom klassischen
Geschlechterkonzept lebten in der Bundesrepublik Deutschland rund eine Million
Menschen, schätzt Helma Katrin Alter. Auf Deutschland übertragbare Erhebungen
in Holland hätten ergeben, dass bis zu 0,5 Prozent der Bevölkerung transsexuell
seien. Hinzu kämen die intersexuellen Menschen. Zum Beispiel Frauen, die Hoden
haben oder Männer mit Eierstöcken und Brüsten. "Ob jemand Mann oder Frau
ist, hängt nicht davon ab, was er zwischen den Beinen, sondern was er zwischen
den Ohren hat", fasst Helma Katrin Alter zusammen. Martina Janssen sieht
das ähnlich: "Ich bin eine Frau", sagt sie, strafft dabei ihre
breiten Schultern und baut sich zur vollen Größe von gut 1,90 Metern auf.
"Dass da noch was zwischen meinen Beinen baumelt, ändert daran nichts.
Trotzdem stört es mich."
Transsexuelle sind Menschen, deren Seele ein anderes
Geschlecht hat als ihr Körper. Männer, die sich wie Frauen fühlen. Oder Frauen,
die sich wie Männer fühlen. Ihr Konflikt zwischen Seele und Körper ist so groß,
dass auch der Gesetzgeber seit 1980 die Anpassung des Körpers an die Seele
erlaubt. Denn umgekehrt geht es nicht: die Seele ist stärker als der Körper was
nicht ohne Komik ist in einer Kultur, in der steif und fest das Gegenteil
behauptet wird.
100 bis 150 Transsexuelle lassen sich allein in Deutschland
jährlich operieren. Ebenso viele aber behalten ihren Körper und wechseln nur
die soziale Identität. Die Fälle von Frauen, die Männer werden, steigen. Vor 20
Jahren lautete die Schätzung noch: eine Frau-zu-Mann auf vier, fünf
Männer-zu-Frauen. Heute lautet die Schätzung: eine auf ein bis zwei. In
Deutschland leben zur Zeit etwa drei- bis sechstausend Transsexuelle, vermutet
Prof. Pfäfflin, der in den letzten 14 Jahren selbst über 600 therapiert hat.
Aber was wird da eigentlich therapiert und operiert? Was ist
ein Mann? Und was eine Frau? Den meisten Menschen ist eine, zumindest
phasenweise, Geschlechtsirritation nicht fremd kein Wunder in einer
Gesellschaft, in der Menschen nicht einfach Menschen sein dürfen, sondern Frau
oder Mann sein müssen. Und aufschlussreich, dass die Sehnsucht von Frauen, ein
Mann zu sein, auch von Experten keineswegs zwangsläufig als krankhaft angesehen
wird.
Es gilt im Patriarchat als
"normal", aus der weiblichen Enge zu den männlichen Freiheiten zu
streben. Was einer der Gründe dafür sein wird, warum die (aufsteigenden)
Frau-zu-Mann-Transsexuellen den Schritt im Schnitt etliche Jahre früher tun als
die (absteigenden) Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Dennoch waren bis vor kurzem
vor allem Männer, die Frauen werden, im öffentlichen Bewusstsein.
Es ist neu, dass auch
von Mann gewordenen Frauen die Rede ist. Und ganz neu ist, dass Feministinnen,
die Männer wurden, sich zu Wort melden.
Denn bisher hatten die
Frau-zu-Mann-Transsexuellen es schwerer, auch bei den Experten: "Die
wollen den Frauen einfach keinen Penis geben", konstatiert Marjorie Garber
in ihrem Buch über den Cross dressing, den Rollentausch, trocken.
Doch warum genügt nicht
der Cross dressing, warum muss ein Body cross sein? Und gäbe es überhaupt
Transsexuelle, wenn die Geschlechterrollen nicht so enge Käfige wären und die
moderne Medizin den Körperwechsel überhaupt erst denkbar und möglich machen
würde?
Aus vergangenen Jahrhunderten sind uns viele Fälle
überliefert von Männern, die als Frauen gelebt haben; ebenso von Frauen, die
als Männer gelebt haben.
Die Gründe sind vielfältig. Frauen sind in Männerkleider
geschlüpft, um den Gefahren des Frauseins zu entgehen; um Männerberufe
auszuüben oder auf Abenteuerreisen zu gehen; oder einfach, um Frauen lieben
oder sogar heiraten zu können wie Bill Tipton vom Tipton-Trio, dessen wahres
Geschlecht zur Fassungslosigkeit von Ehefrau und seinen drei (Adoptiv)Söhnen
erst bei seinem Tod 1988 entdeckt wurde. Und der, wie viele andere, den
genitalen Kontakt mit seiner Frau unter dem Vorwand einer Krankheit mied.
Frauen schlüpfen aber auch in Männerkleider, weil sie sich einfach als Mann
fühlen. Ist das der Beginn der Transsexualität?
Prof. Goren, der in Holland einen Lehrstuhl für
Transsexualität hat, ortet die ersten Anzeichen schon viel früher. Er sagt zum
"Spiegel": "Wenn ein Mädchen seine Puppen verschenkt, mit Autos
und technischen Baukästen spielt und Jungenbücher liest, sollten die Eltern
beim Psychologen vorsprechen." Ein solches Zitat macht schlagartig die Gefahren
der Rehabilitierung des Transsexualismus klar. Die richtige Seele im richtigen
Körper. Und wenn was nicht passt, dann wird nicht der Seele Raum gegeben,
sondern der Körper wird zurechtgestutzt. Ruckediguh, ruckediguh, Blut ist im
Schuh ...
Das "transsexuelle Imperium" nennt Janice Raymond
die Psychologen und Ärzte, die den Schritt von einem Geschlecht ins andere
begleiten und möglich machen. Ein Imperium, das auch dafür sorgt, dass Frauen
Frauen bleiben und Männer Männer, notfalls mit dem Messer. "Wenn ein Mädchen
seine Puppe verschenkt ..." Da müssten aber viele Mädchen unters Messer!
Den meisten würde der Griff zum Jungenspielzeug vermutlich schon vorher
austherapiert. Und den puppenspielenden Jungen nicht minder...
Vor einigen Jahrzehnten stand die Geschlechtsidentitätsforschung
noch an der Spitze des Fortschritts, denn sie war bereit, die Abweichung der
seelischen Geschlechtsidentität (gender) von der biologischen Identität (sex)
zu erkennen. Heute läuft dieselbe Wissenschaft Gefahr, sich vor den Karren des
Rückschritts spannen zu lassen: nämlich ihre Kenntnisse zur Geschlechterdressur
statt zur Geschlechterbefreiung einzusetzen. Kritik tut not. In der Praxis aber
muss es erlaubt bleiben, zu leben, wie's gefällt.
Dabei ist die Palette der Abweichungen breit. Manchen genügt
die Freiheit zur "Unweiblichkeit" oder "Unmännlichkeit".
Andere genießen die Ausflüge ins andere Geschlecht, den dress cross statt body
cross. Wobei die männlichen Transvestiten von denen die meisten heterosexuell
sind! ihren Schlupf in die Frauenkleider meist erotisch zu besetzen scheinen,
die weiblichen Transvestiten ihren Ausflug in den Männerhabit eher sozial
genießen. Wen wundert's.
Transsexuelle aber gehen weiter. Sie wollen im anderen
Geschlecht nicht zu Gast sein, sie wollen das Andere sein. Das ist eine
Tatsache auch wenn es wünschenswert bleibt, dass ein Mensch seinen Körper nicht
verändern muss, damit er zur Seele passt. Das Emma-Dossier über
Transsexualismus beginnt mit einem Gespräch mit einer Frau (die Mann war) und
einem Mann (der Frau war). Und es endet mit einem Porträt von einem Menschen,
der nicht wissen will, was er ist.
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