Dienstag, 20. August 2013

Mangelnde Aufklärung von Kindern, Eltern und der Öffentlichkeit über Intersexualität

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013


Bitte kopiert den Link und gebt diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt vor, einer Minderheit anzugehören!

Vor einigen Tagen habe ich euch einen Bericht mitgeteilt mit Folgendem Text:
Pressemitteilung der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM) / Organisation Intersex International – Deutschland (OII Germany)
07.02.2013
Mogelpackung für Inter*: Offener Geschlechtseintrag keine Option
Auf der Website des Deutschen Bundestags wird verkündet: “Bei Kindern, die ohne eindeutige Geschlechtszugehörigkeit zur Welt kommen, ist es künftig möglich, im Register auf eine Geschlechtsangabe zu verzichten.”
Diese Aussage legt nahe, dass der Bundestag die Wahlmöglichkeit für Eltern intergeschlechtlicher Kinder geschaffen habe, die Geschlechtsregistrierung offen zu lassen. Tatsächlich lautet jedoch der Beschluss:
„(3) Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“
• Das bedeutet im Klartext, dass es sich nicht um eine Wahlmöglichkeit, sondern um eine Vorschrift handelt.

Heute möchte ich euch diesen Vorstellen:

 Mangelnde Aufklärung von Kindern, Eltern und der Öffentlichkeit über Intersexualität

Es ist dem Engagement der Betroffenen zu verdanken, dass das Thema Intersexualität auch in Deutschland zunehmend Gehör findet. Noch 2001 findet sich in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der PDS die Feststellung: „Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert.“

Seit 2003 aber wird beispielsweise mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein nationales Forschungsnetzwerk „Netzwerk für seltene Erkrankungen“ gefördert, das sich auch mit „Störungen der somatosexuellen Differenzierung und Intersexualität“ befasst.

Der sogenannte Schattenbericht von Betroffenenorganisationen im Rahmen des UN Dialoges Deutschlands mit dem UN-Ausschuss zur Überwachung des Abkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (kurz: Frauenrechtskonvention) gegründet. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Organisationen und Selbsthilfegruppen, die sich für die Interessen von intersexuellen Menschen stark machen,  führte dazu, dass die Bundesregierung in den damit verbundenen Abschließenden Bemerkungen (concluding observations) von 2009 unter Ziffer 62. dazu aufgefordert wurde, „[...] in einen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen und transsexuellen Menschen einzutreten, um ein besseres Verständnis für deren Anliegen zu erlangen und wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen.“

Bundestagsdrucksache 14/5627 (2001): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christina Schenk und der Fraktion der PDS – Drucksache 14/5425-, S.5, Ziffer 4.
Die Folgen sind erfreulicher Weise spürbar. So führte beispielsweise der Deutsche Ethikrat (DER) im Juni 2010 das Bioethik-Forum „Intersexualität – Leben zwischen den Geschlechtern“ durch. Es folgte der Auftrag an den Deutschen Ethikrat durch das Bundesministerium für Bildung, Forschung und das Bundesministerium für Gesundheit, den Dialog mit den Betroffenen fortzuführen.
Anhörungen und Befragungen von Betroffenen sowie ein moderierter Online-Diskurs durch den DER wurden daraufhin durchgeführt und dokumentiert.

Dennoch: Ein direkter Dialog der Bundesregierung mit den Interessenvertretungen intersexueller Menschen in Deutschland hat immer noch nicht stattgefunden!

Von den Betroffenenorganisationen wurde darüber hinaus die Verletzung der Menschenrechte von intersexuellen Menschen in Deutschland erneut vor die Vereinten Nationen gebracht und im Rahmen der Berichterstattung zum jeweils 5. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zum Sozialpakt (2010) und zur Anti-Folter-Konvention (2011) beim jeweils zuständigen UN-Ausschuss ein gemeinsamer Schattenbericht von Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen eingereicht.
Zuletzt fand in Zusammenhang mit dem Statement des Deutschen Ethikrates zur Intersexualität von 201223 und einem Bundestagsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Juni 2012 eine öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren“ statt.
Die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, unter Rechtsträgerschaft der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, hat im Rahmen ihrer Koordinierungsgruppensitzung im November 2011 den Beschluss gefasst, sich mit der Situation von intersexuellen Kindern mit Blick auf den 2013 anstehenden Dialog Deutschlands mit dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zu befassen.

Die weitere inhaltliche Befassung mit der Situation von intersexuellen Kindern in Deutschland führte zu dem Entschluss und schließlich weiteren Beschluss der KoG, deren Situation auch im Rahmen der anstehenden Überprüfung Deutschlands durch den UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des Universal Periodic Review (im Folgenden UPR-Verfahren) vorzubringen.

Die National Coalition nahm dies zum Anlass, im August 2012 zu einem Expertenhearing zum Thema „Intersexualität“ einzuladen, in dessen Rahmen sie folgende Problemfelder von
intersexuellen Kindern in Deutschland mit den geladenen Expertinnen und Experten27
diskutiert hat, die sie im Oktober 2012 an den UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des UPR Verfahrens übermitteln wird.

Diskriminierung von intersexuellen Kindern aufgrund des Geschlechtseintrages in Geburtsurkunden und Geburtenregister

Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention legt fest, dass jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, als Kind anzusehen ist.

Artikel 2 der UN-Kinderrechtskonvention enthält das für alle Menschenrechtskonventionen übliche Diskriminierungsverbot, wonach kein Kind u. A. aufgrund seines Geschlechts diskriminiert werden darf.

Artikel 7 der UN-Kinderrechtskonvention sichert jedem Kind unverzüglich nach seiner Geburt den Eintrag in ein Register mit dem Recht auf einen Namen sowie eine Staatsangehörigkeit zu.

Artikel 8 der UN-Kinderrechtskonvention sichert dem Kind darüber hinaus den Schutz seiner Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen zu.

Es ist das Verdienst nationaler und internationaler Diskriminierungsverbote, dass das „Geschlecht“ in Deutschland als Rechtsbegriff zunehmend an Bedeutung verliert, es sei denn, es geht um das Verbot von Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Dennoch wird im deutschen Recht daran festgehalten, das Geschlecht eines Menschen auf seiner Geburtsurkunde (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Personenstandsgesetz) und seinem Reisepass (§ 4 Abs. 1 Nr. 6 Passgesetz) zu vermerken sowie im Geburtsregister (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 Personenstandsgesetz) zu erfassen.
Diese Regelungen führen dazu, dass intersexuelle Kinder hier der Kategorie „weiblich“ oder „männlich“ zugeordnet werden müssen und an das hier eingetragene Geschlecht (das rechtliche Geschlecht) im Folgenden gebunden sind.

Auch dann, wenn die Geschlechtsidentität (also das tatsächliche, individuelle Geschlechtszugehörigkeitsempfinden), die sich erst im Laufe eines Lebens entwickelt.

Im Rahmen der Entwicklungen rund um das Transsexuellengesetz (TSG) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sich klar zur Geschlechtsidentität positioniert und mit der achten Entscheidung zum TSG die Änderung des rechtlichen Geschlechts ohne körperliche Angleichung zugelassen.

Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Zuordnung des Geschlechts eines Menschen nicht von dessen physischen Geschlechtsmerkmalen abhänge, sondern auch von der „psychischen Konstitution“ sowie der „nachhaltig selbstempfundenen Geschlechtlichkeit“, eine andere ist.

Es lässt sich daher feststellen, dass in Deutschland geborene intersexuelle Kinder, durch die Pflicht der Zuschreibung zu den vorgegebenen zwei „Geschlechtern“ als normabweichend eingestuft werden und damit entgegen den Vorgaben aus Art. 2 der UN Kinderrechtskonvention sowie aus Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetz (GG) diskriminiert werden.

Das geltende Recht sieht vor, dass das Geschlecht eines Menschen bei seiner Geburt entsprechend der Kategorien „weiblich“ oder „männlich“ registriert werden muss. Bei intersexuellen Kindern führt dies dazu, dass bei der Geburt Hebammen bzw. Ärztinnen und Ärzte zu kontrafaktischen Eintragungen gezwungen werden.

Eine juristische Dissertation von 2010, die den Deutschen Studienpreis verliehen bekommen hat, hat die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung nachgewiesen.

Der Deutsche Ethikrat schlägt vor, neben den Alternativen „weiblich“ und „männlich“ nach australischem Vorbild auch die Kategorie „anderes“ einzuführen.
Die Folge wäre eine Überprüfung der Öffnung von Eheschließung und Lebenspartnerschaft durch den Gesetzgeber hinsichtlich einer solchen Kategorie.

Die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention fordert eine diskriminierungsfreie Anerkennung intersexuell geborener Kinder.
Seit einer Änderung des Personenstandsgesetzes von 2009!

Die Möglichkeit einer Offenlassung des Geschlechtseintrages auf der Geburtsurkunde ist aus Sicht der National Coalition eine wegweisende Entwicklung, die für alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr kann auf Antrag auch eine vorläufige Geburtseintragung ohne Eintrag des Geschlechts erfolgen.
Dann wird jedoch lediglich eine Geburtsbescheinigung ausgestellt, die die betroffenen Familien von Leistungen wie Kindergeld, Elterngeld u. A. ausschließt, für die die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig ist.

Eine Geburtsurkunde erhält der intersexuelle Mensch erst, wenn das Geschlecht eingetragen wird,  bzw. bei vorheriger Eheschließung bis zum 16. Lebensjahr zu fordern ist.

Ein möglicher Zwischenschritt wäre es aus Sicht der National Coalition, zumindest bei intersexuellen Kindern zunächst auf die rechtliche Geschlechtszuweisung und -erfassung zu verzichten und diesen eine Geburtsurkunde ohne Eintrag des Geschlechtes, aber mit abgesichertem Status.
Es bliebe Eltern so unbenommen, das soziale Geschlecht ihres Kindes zu benennen und ihr Kind entsprechend dieser sozialen Geschlechtszuweisung auch zu erziehen.

Mangelnde Aufklärung von Kindern, Eltern und der Öffentlichkeit über Intersexualität

Artikel 13 der UN-Kinderrechtskonvention sichert dem Kind das Recht auf freie Meinungsäußerung zu und das Recht, sich ungeachtet der Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.

Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention sichert dem Kind das Recht auf Zugang zu Informationen und Material aus einer Vielfalt nationaler und internationaler Quellen, welche sein soziales, seelisches und sittliches Wohlergehen sowie seine körperliche und geistige Gesundheit zum Ziel haben.

Artikel 29 der UN-Kinderrechtskonvention führt darüber in den Bildungszielen auf, dass diese darauf gerichtet sein müssen, die Persönlichkeit des Kindes, seine Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung zu bringen.

Folgt man den Bemühungen um die Anerkennung von intersexuellen Kindern ohne deren Zuweisung in unser binäres Geschlechtssystem von „weiblich“ und „männlich“ sowie der Forderung nach einem (zumindest) Aufschub geschlechtszuweisender medizinischer Eingriffe bis zur Einwilligungsfähigkeit der Betroffenen, braucht es einen begleitenden gesellschaftlichen Diskurs über das Thema Intersexualität bzw. eine frühe Aufklärung von Kindern über Geschlecht und Geschlechtsidentität.

Dies beinhaltet nach Auffassung der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderechtskonvention in Deutschland die Aufklärung der betroffenen Kinder und deren Eltern genauso wie auch die Aufklärung von Kindern und Erwachsenen in Deutschland beispielsweise durch die Bereitstellung von Aufklärungsmaterialien und Informationen.

 Dabei geht die Bandbreite von Materialien für Kinder im Kindergartenalter bis hin zu Materialien für bestimmte Berufsgruppen (Medizin, Rechtssprechung, u. A.) die direkt mit intersexuellen Kindern befasst sind.

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Altenpflege, die beispielsweise mit den Besonderheiten der Pflege eines Menschen mit Neo-Vagina vertraut gemacht werden müssen.

Als Beispiel für solche Materialien ist hier die „Kindergartenbox“!

Ein Blick auf Lehrmaterialien für „ältere“ Kinder, wie ihn eine Studienarbeit an der HU-Berlin im Sommersemester 2004 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu nennen, die Informationen zur psychosexuellen Entwicklung von Kindern anhand von Themen wie „den Körper entdecken“, [...] Geschlechtsidentität, Gefühle [...]“ u. v. m. für Erzieherinnen und Erzieher bereitstellt.
Ein Blick auf Lehrmaterialien für „ältere“ Kinder, wie ihn eine Studienarbeit an der HU-Berlin im Sommersemester vorgenommen hat, zeigt jedoch, dass hinsichtlich der Frage von Geschlecht und Geschlechtsidentität erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht.

Unterrichtsmaterialien wie beispielsweise „Natur – Biologie für Gymnasien, 7. – 10. Schuljahr“, in denen ein „Mann-Schema“ und ein „Weib-Schema“ dargestellt und die Homosexualität mit „angeborenen Veranlagungen und frühkindlichen Erlebnissen“ begründet wird, scheinen einer Aufklärung im Sinne moderner Erkenntnisse über Geschlecht und Geschlechtsidentität

51 Vgl. Häßler, Frank / Häßler, Heike / Reis, Olaf / Wunsch, Katharina (2010): „Sexualaufklärung bei Vorschul- und Grundschulkindern“, in: frühe Kindheit. Die ersten Jahre, 03/10, herausgegeben von der Deutschen Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft, Berlin, nicht gerecht zu werden. Gerade die Bildungseinrichtungen sollten Lebensräume sein, in denen Kinder die Möglichkeit bekommen in ihrem eigenen Geschlecht diskriminierungsfrei aufwachsen können.

Die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention fordert eine sachgerechte Aufklärung und Information von Kindern über Geschlecht und Geschlechtsidentität in den Bildungseinrichtungen.

Hilfreich wäre eine Befassung der Konferenz der Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder mit der Thematik, verbunden mit einer Aufforderung an die Länder, in ihrer Verantwortung für die Bildung aktuelle Schulmaterialien regelmäßig zu überprüfen.

Quelltext: http://www.national-coalition.de/pdf/28_10_2012/Kinderrechte_und_Intersexualitaet_NC.pdf

Verbleibe mit freundlichen Grüßen 
Nikita Noemi

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