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Nikita Noemi Rothenbächer 2013
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vor, einer Minderheit anzugehören!
Diskriminierung von
trans- und intersexuellen Menschen aufgrund des Geschlechts, der
Geschlechtsidentität und des Geschlechtsausdrucks!
Die
europäischen Gesellschaften basieren auf Normen, die von der grob
vereinfachenden Idee der Dichotomie zweier sich gegenseitig ausschließender und
biologisch definierter Geschlechter ausgehen, denen traditionell verschiedene
Rollen und Verhaltensweisen zugeschrieben werden (das binäre
Geschlechtsmodell).
Menschen wie
transsexuelle und intersexuelle Personen, die nicht genau in diese Normen
passen, sind sowohl auf der praktischen Ebene des Alltagslebens als auch auf
rechtlicher Ebene mit Schwierigkeiten konfrontiert. Das kann in einer Rechtsunion
wie der Europäischen Union selbstverständlich nicht akzeptiert werden, deren
Gründungsvertrag sich gemäß Artikel 2 EUV auf die Achtung der Menschenwürde und
die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die
Minderheiten angehören, gründet.
Am 1.
September 2010 fand auf Ebene der EU-Institutionen die erste Konferenz zur
Situation von Transgender-Personen in der Europäischen Union im Gebäude des
Europäischen Parlaments in Brüssel statt. Der Konferenz „(Trans)Gender
Equality?“ ging ein interner Bericht der Dienststellen des Europäischen
Parlaments zu den Rechten von Transgender-Personen in der EU voraus sowie ein Bericht des Parlaments, in dem konkretere Maßnahmen zur Bekämpfung der
Diskriminierung aus Gründen der Geschlechtsidentität gefordert wurden.
Das
Europäische Parlament hat tatsächlich bereits im Jahr 1989 eine Entschließung
zur Diskriminierung von Transsexuellen angenommen.
Das zeigt, dass das Europäische Parlament in
der Europäischen Union schon lange seine Stimme für die Belange Transsexueller
erhoben hat, insbesondere durch die Interfraktionelle Arbeitsgruppe zu den
Rechten von Lesben, Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender-Personen (LGBT).
Im Bereich
Homophobie und Transphobie hat die Agentur der Europäischen Union für
Grundrechte (FRA) wertvolle Arbeit geleistet.
Mit dem
vorliegenden Bericht möchte das Europäische Netzwerk von Rechtsexperten im
Bereich der Nichtdiskriminierung einen Beitrag zu den Anstrengungen der
Europäischen Kommission im Kampf gegen die Nachteile leisten, die trans- und
intersexuelle Personen haben.
Der Bericht
untersucht die rechtliche Behandlung der Diskriminierung von trans- und
intersexuellen Menschen aus Gründen des Geschlechts, der Geschlechtsidentität und
des Geschlechtsausdrucks, insbesondere im EU-Recht, vor dem Hintergrund der
schwierigen Lage, in der sich diese Menschen in unseren Gesellschaften
befinden.
Der
Ausgangspunkt für diesbezügliche Überlegungen ist - um einen Punkt des
Generalanwalts Elmer aufzugreifen - die Notwendigkeit der Anpassung des EU-Antidiskriminierungsrechts
an die Gesellschaft , und zwar dergestalt, dass der
Antidiskriminierungsgrundsatz für die Rechtssachen herangezogen wird, die in
der heutigen Gesellschaft vor den Gerichten anhängig gemacht werden.
Sofern es sich anbietet, baut der Bericht auf
den bisherigen Arbeiten auf, insbesondere auf Arbeiten des europäischen
Regionalverbands des Internationalen Verbands der Lesben-, Schwulen-,
Bisexuellen, Trans- und Intersexorganisationen (ILGA-Europe), von Transgender
Europe (TGEU) und der bereits genannten Agentur der Europäischen Union für
Grundrechte (FRA).
I. Trans- und
intersexuelle Menschen und Diskriminierung: Definitionen und sachliche
Perspektive
1.
Definitionen
Der Begriff
trans schließt alle Personen ein, deren Geschlechtsidentität und/oder
Geschlechtsausdruck sich von dem Geschlecht unterscheiden, das ihnen bei der
Geburt zugewiesen wurde.
Der Begriff
trans ist ein Sammelbegriff, der unter anderem Männer und Frauen mit einer
transsexuellen Vergangenheit einschließt, sowie Menschen, die sich als
Transsexuelle, Transgender, Transvestiten/Cross-Dresser, androgyn, polygender,
genderqueer, agender oder geschlechtsvariant bezeichnen und Menschen, die eine
andere Geschlechtsidentität oder einen anderen Geschlechtsausdruck haben, die
nicht dem Standard „männlich“ oder „weiblich“ entsprechen und die ihr
Geschlecht durch ihre Kleiderwahl, die Präsentation ihres Körpers oder durch
Körpermodifikationen darstellen.
Dazu gehört auch,
dass sie sich zahlreichen Operationen unterziehen.
Transsexuelle
Menschen identifizieren sich mit der Geschlechterrolle des Geschlechts, das dem
entgegengesetzt ist, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, und versuchen,
dauerhaft in der bevorzugten Geschlechtsrolle zu leben.
Das geht
häufig mit einer heftigen Ablehnung ihrer primären und sekundären
Geschlechtsmerkmale einher und dem Wunsch, den Körper dem bevorzugten
Geschlecht anzupassen. Transsexuelle Menschen beabsichtigen möglicherweise,
sich einer Geschlechtsangleichung zu unterziehen, unterziehen sich gerade einer
solchen oder haben sich ihr bereits unterzogen (das kann, muss aber nicht eine
Hormontherapie oder operative Verfahren beinhalten).
Männer und
Frauen mit einer transsexuellen Vergangenheit identifizieren sich vollständig
mit dem erworbenen Geschlecht und versuchen, in diesem Geschlecht anerkannt zu
werden, ohne dass auf ihr früheres Geschlecht und/oder den Umwandlungsprozess
Bezug genommen wird, den sie unternommen haben, um ihr biologisches Geschlecht
ihrem sozialen Geschlecht anzupassen.
Transgender leben dauerhaft in ihrem bevorzugten
Geschlecht. Im Gegensatz zu transsexuellen Menschen haben sie aber nicht unbedingt
den Wunsch oder das Bedürfnis, sich medizinischen Eingriffen zu unterziehen.
Transvestiten/Cross‑Dresser genießen es, für eine bestimmte Zeit die Kleider des
anderen Geschlechts zu tragen.
Ihr Gefühl
der Identifizierung mit dem anderen Geschlecht kann unterschiedlich stark
ausgeprägt sein. Die Ausprägung kann zwischen sehr stark (eigentliches
Geschlecht) und so schwach variieren, dass die Identität nur geringfügig
beeinflusst wird. Einige Transvestiten oder Cross-Dresser suchen möglicherweise
medizinische Hilfe für die Angleichung und leben irgendwann in ihrem Leben
dauerhaft in ihrem bevorzugten Geschlecht.
Andere tragen
weiterhin für den Rest ihres Lebens manchmal die Kleider des anderen
Geschlechts.
Die Begriffe
androgyn, polygender und genderqueer sind in ihrer Definition sehr ähnlich und
beziehen sich auf Menschen, die eine Kombination maskuliner und femininer
Merkmale aufweisen und die nicht auf ein Geschlecht festgelegt sind, sondern
sich zwischen den Geschlechtern bewegen und bei denen die Grenzen der Geschlechtsidentität,
des Geschlechtsausdrucks und der sexuellen Ausrichtung verwischt sind.
Agender
haben keine Geschlechtsidentität und wollen weder als männlich, weiblich noch
auf eine andere Weise klassifiziert werden.
Geschlechtsvariant
bezieht sich auf jeden Menschen, dessen normative Geschlechtsidentität und
Geschlechtsrolle von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abweichen.
Intersexuelle
Menschen unterscheiden sich von transsexuellen Menschen, da sich ihr Status
nicht auf das soziale Geschlecht bezieht, sondern auf ihr biologisches
Geschlecht (genetische, hormonelle und physische Merkmale), das weder
ausschließlich männlich noch ausschließlich weiblich ist, sondern gleichzeitig
typisch für beide Geschlechter oder nicht klar als eines von beiden definiert
ist.
Diese
Merkmale können sich in den sekundären Geschlechtsmerkmalen zeigen wie
Muskelmasse, Haarverteilung, Brüste und Statur, in den primären Geschlechtsorganen
wie den Fortpflanzungsorganen und Genitalien und/oder in den chromosomalen
Strukturen und den Hormonen.
Der Begriff intersexuell hat den
Begriff „Hermaphrodit“ ersetzt, der im 18. und 19. Jahrhundert unter Ärzten
sehr verbreitet war.
In diesem
Bericht wird ein deutlicher Unterschied zwischen biologischem und sozialem
Geschlecht gemacht.
Das biologische
Geschlecht bezieht sich auf die biologischen Parameter wie primäre und
sekundäre Geschlechtsorgane, Gene und Hormone, während sich das soziale
Geschlecht auf die innere Wahrnehmung des Menschen und auf seine Erfahrungen
von Männlichkeit und Weiblichkeit bezieht und auf das soziale Konstrukt, das
bestimmte Verhaltensweisen männlichen und weiblichen Rollen zuweist.
Diese
Zuweisungen ändern sich im Laufe der Geschichte und variieren zwischen den
einzelnen Gesellschaften, Kulturen und Klassen.
Das soziale Geschlecht
ist folglich eng verbunden mit den Erwartungen der Gesellschaft und ist keine
rein biologische Angelegenheit. Dieser Unterschied verschwimmt, wenn die
rechtliche Bedeutung von „aufgrund des Geschlechts“ diskutiert wird, in erster Linie
deshalb, weil der Begriff „Geschlecht“ so weit ausgelegt wurde, dass es auch
Aspekte des sozialen Geschlechts betrifft. So hat „[der Gerichtshof […]
festgestellt, dass die Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern
und Frauen nicht auf das Verbot der Diskriminierung aufgrund des natürlichen
Geschlechts einer Person beschränkt werden kann“ (Richtlinie 2006/54/EG,
Erwägungsgrund 3).
Geschlechtsidentität
bezieht sich auf die tief empfundene innere und individuelle Erfahrung von
Geschlecht. Diese kann, muss aber nicht übereinstimmen mit dem bei der Geburt
zugewiesenen Geschlecht, dem persönlichen Körpergefühl (was, wenn es frei
gewählt wird, Änderungen der körperlichen Erscheinung oder Funktion durch medizinische,
chirurgische oder sonstige Mittel umfassen kann) und anderen Formen, das
Geschlecht auszudrücken, wie Kleidung, Sprache und Manierismen.
Geschlechtsausdruck
bezieht sich auf die Darstellung der Geschlechtsidentität einer Person und auf
deren Wahrnehmung durch andere. Typischerweise versuchen Menschen, ihren
Geschlechtsausdruck oder ihre Geschlechtsdarstellung ihrer/ihren Geschlechtsidentität/en
anzupassen, unabhängig von dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen
wurde.
2. Durch das binäre Geschlechtsmodell
und durch Geschlechtsstereotypen verursachte Schwierigkeiten.
Negative
Einstellungen gegenüber trans- und intersexuellen Menschen korrelieren häufig
direkt mit der Bedeutung, die die Gesellschaft dem binären Geschlechtsmodell
beimisst, sowie mit dem Maß an in dieser Gesellschaft bestehenden
Geschlechtsstereotypen, an Sexismus und Ungleichbehandlung der Geschlechter.
Das binäre Geschlechtsmodell klassifiziert sowohl das biologische als auch das
soziale Geschlecht in zwei eindeutige und ausschließliche Formen männlicher und
weiblicher Identitäten. Dieses System wird durch ein cisnormatives System
aufrechterhalten, das mit Hilfe verschiedener Praktiken und Institutionen
diejenigen legitimiert und privilegiert, die sich in dem ihnen bei der Geburt
zugewiesenen Geschlecht wohlfühlen. Darüber hinaus benachteiligt diese Norm
systematisch alle Menschen und grenzt sie aus, deren Geschlecht, Geschlechtsidentität
und Geschlechtsausdruck nicht den sozialen Erwartungen entsprechen.
Das
geschieht durch die ausgedehnte Abgrenzung zwischen den beiden Geschlechtern
(und den ihnen entsprechenden sozialen Geschlechtern), um die Menschen davon
abzuhalten, diese Grenzen zu überschreiten oder alternative dritte biologische
oder soziale Geschlechter zu etablieren.
Geschlechtsstereotypen
spielen ebenfalls eine signifikante Rolle bei der Ab- und Ausgrenzung trans-
und intersexueller Menschen. Tatsächlich setzen eschlechtsstereotypen, die eine
bestimmte Form von „Männlichkeit“ in Bezug auf Männer und eine bestimmte Form
der „Weiblichkeit“ in Bezug auf Frauen bevorzugen, viele trans- und
intersexuelle Personen einer institutionalisierten Diskriminierung aus.
Zusätzlich
zu den Nachteilen, die mit dem binären System verbunden sind, sind trans- und
intersexuelle Menschen der Trans- und der Interphobie ausgesetzt, die auf
kulturellen und persönlichen Überzeugungen, Meinungen, Haltungen und
Verhaltensweisen basieren, die sich aus Vorurteilen, Abneigung, Angst und/oder
Hass vor/gegenüber trans- und intersexuellen Menschen oder Variationen des
Geschlechts, der Geschlechtsidentität und des Geschlechtsausdrucks speisen.
Institutionelle
Transphobie und Interphobie manifestieren sich in legalen Sanktionen und einer
Verwurzelung des binären Geschlechtssystems im Recht, einer Pathologisierung der
Transidentitäten und intersexuellen Körper und in fehlenden oder unangemessenen
Mechanismen zur Bekämpfung von Gewalt und Diskriminierung.
Soziale
Trans- und Interphobie äußern sich in Form physischer oder sonstiger Gewalt, in
Hassreden, Diskriminierung, Drohungen, Ausgrenzungen, sozialem Ausschluss,
Exotisierung, Spott und Beschimpfungen.
Wie definiert in Die
Yogyakarta Prinzipien: Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf
die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität (2006), (kurz:
Yogyakarta-Prinzipien).
Die
Geschlechtsidentität und der Geschlechtsausdruck von Cisgender-Personen
entsprechen dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, sowie
den sozialen Erwartungen, die mit ihrem sozialen Geschlecht verbunden sind.
Cisgender-Personen
gelten als die gesellschaftliche Norm
3.
Medikalisierung von Transidentitäten und intersexuellen Körpern
Geschlechtsangleichung
Eine Hauptsorge vieler transsexueller Menschen dreht sich
um ihren Zugang zu angemessenen Leistungen für die Geschlechtsangleichung,
einschließlich psychologischer, endokrinologischer und chirurgischer
Fachkompetenz.
Nicht alle transsexuellen Menschen benötigen alle Aspekte
dieser Leistungen und manche benötigen möglicherweise überhaupt keine.
Als Ergebnis des oben dargelegten binären
Geschlechtsmodells werden jedoch sowohl Transidentitäten als auch intersexuelle
Körper medikalisiert und pathologisiert, da sie nicht genau der Norm entsprechen,
die von dem binären Modell festgelegt wurde.
Trans- und intersexuelle Menschen werden zu Patienten mit
wenig Mitspracherecht an ihrer eigenen Identität und ihrem eigenen Körper
gemacht und die Behandlungen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, basieren
häufig nicht auf ihren persönlichen Bedürfnissen oder Wünschen, sondern auf
sozialen und institutionellen Erwartungen.
Die
angebotenen Behandlungen sind häufig an gesetzliche Bestimmungen geknüpft,
wobei bestimmte soziale Rechte nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn
eine Reihe von gesetzlich festgelegten Verfahren durchlaufen wurde.
Das zeigt sich am deutlichsten in der Durchsetzung von
bestimmten unnötigen und dennoch zwingend vorgeschriebenen medizinischen
Behandlungen und Verfahren ( z. B. Sterilisation und die Bedingung einer
„vollständigen“ Geschlechtsangleichungsowie im Fall von intersexuellen Menschen
das Entfernen bestimmter körperlicher und sexueller Merkmale, die als dem
anderen Geschlecht zugehörig wahrgenommen werden), um Zugang zu bestimmten
Vorteilen zu erlangen, die fast allen Menschen in der Gesellschaft frei
zugänglich sind (z. B. Namensänderung, Ausstellung von Ausweispapieren unter Angabe
des richtigen Geschlechts im Fall von transsexuellen Menschen und im Fall von
intersexuellen Menschen, Teilnahme an der Gesellschaft als eine Person, die
einem der beiden sozial anerkannten Geschlechter angehört).
Viele transsexuelle Menschen durchlaufen einen
Geschlechtsangleichung genannten Prozess, in dem sie das Geschlecht, in dem sie
leben, neu definieren, um so ihre Geschlechtsidentität besser zum Ausdruck zu
bringen.
Das ist ein
Prozess, der möglicherweise medizinische Unterstützung erforderlich macht. Dazu
können Hormontherapien und operative Verfahren gehören, denen sich
transsexuelle Menschen unterziehen, um ihren Körper ihrem sozialen Geschlecht
anzupassen. Zusammen mit diesem medizinischen Prozess müssen transsexuelle
Menschen jedoch auch soziale und rechtliche Anpassungen über sich ergehen
lassen, die in einer Gesellschaft, die nicht auf dem binären Geschlechtsmodell
basiert, nicht erforderlich wären.
Zu diesen
Anpassungen gehört das Coming-out in der Familie, bei Freunden und Kollegen;
der sogenannte „Alltagstest“, eine Phase, in der sich transsexuelle Menschen
entsprechend dem angestrebten Geschlecht kleiden und verhalten, bevor sie
offiziell als diesem Geschlecht angehörig anerkannt werden sowie je nach den
nationalen Vorschriften die Durchführung sonstiger rechtlicher oder
juristischer Verfahren.
Die Änderung des Namens und/oder der Geschlechtsangabe
auf offiziellen Dokumenten ist häufig erst möglich, wenn die Angleichung
irreversibel und „vollständig“ ist. Darüber hinaus variiert die Dauer des
Angleichungsprozesses je nach den verfügbaren Behandlungen zur
Geschlechtsangleichung und den rechtlichen/administrativen Verfahren und
Bedingungen, die diesen Prozess regeln, beträchtlich zwischen den einzelnen
Ländern.
Die Transgender Euro-Study hat gezeigt, dass selbst die
Länder, die eine Geschlechtsangleichung vorsehen, die Behandlung nicht allen
transsexuellen Menschen auf eine zugängliche Weise zur Verfügung stellen. 79%
aller Befragten gaben an, dass ihnen für die Hormontherapie eine staatliche
Unterstützung versagt wurde. 82% sagten, dass ihnen eine Unterstützung für
minimale Operationen versagt wurde, die sie benötigten, um in dem bevorzugten Geschlecht
leben zu können. 51% von ihnen haben sich entschieden, die Operationen selbst
zu bezahlen, obwohl einige von ihnen nur Löhne unter dem jeweiligen nationalen
Durchschnitt erhielten.
Die Kostendeckung ist jedoch nicht das einzige Problem.
Jeder vierte der transsexuellen Menschen gab an, dass ihm
die Behandlung verwehrt wurde, da sein Arzt die Geschlechtsangleichung nicht
befürwortete. Für viele transsexuelle Menschen hat das schwere Folgen, da der
fehlende Zugang zu einer Geschlechtsangleichung zu sozialer Stigmatisierung,
einem geringen Selbstwertgefühl und einem höheren Selbstmordrisiko führt.
Viele intersexuelle Menschen brauchen oder möchten sich keiner
medizinischen Behandlung unterziehen.
Intersexuelle Säuglinge und Kleinkinder werden jedoch
herkömmlicherweise kosmetischen Operationen unterzogen, mit denen sichergestellt
werden soll, dass das Aussehen ihrer Genitalien und die Keimdrüsen den üblichen
Erwartungen für das zugewiesene Geschlecht entsprechen.
Dazu gehören tendenziell auch Hormonbehandlungen, die zu
einer Anpassung an einen „männlichen“ oder „weiblichen“ Zustand führen sollen.
Pathologisierung von Transidentitäten als psychische und
als
Verhaltensstörungen
Die
Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) heißt Internationale Statistische
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Revision Version 2007 – (ICD-10).12 Im Jahr
1977 hat die WHO Homosexualität in ICD-9 das erste Mal aufgeführt. 1990 wurde
Homosexualität mit der Annahme der ICD-10 jedoch wieder gestrichen, da
umfangreiche Forschungsarbeiten zeigten, dass die sexuelle Ausrichtung keine
Krankheit ist. Der Schwerpunkt scheint sich jedoch auf Transidentitäten als
psychische und Verhaltensstörung verschoben zu haben und es wurden neue
Klassifikationen in der ICD eingeführt.
Die entsprechenden Verweise auf Transidentitäten in
ICD-10 können unter Persönlichkeits und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen in Kapitel V:
Psychische und Verhaltensstörungen gefunden werden. Die einschlägigen Diagnosen
fallen in zwei Unterabschnitte:
F64 Störungen der Geschlechtsidentität
(F64.0 Transsexualismus; F64.1 Transvestitismus unter
Beibehaltung beider Geschlechtsrollen; F64.2 Störung der Geschlechtsidentität
im Kindesalter; F64.8 Sonstige Störungen der Geschlechtsidentität und F64.9
Störungen der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnet)
F65 Störungen der Sexualpräferenz
(F65.0
Fetischismus; F65.1 Fetischistischer Transvestitismus; F65.6 Multiple Störungen
der Sexualpräferenz)
Ähnlich dem Aufruf im Jahr 1990, Homosexualität aus der
Klassifikation zu entfernen, wird der weltweite Ruf nach einer
Entpathologisierung der Transidentitäten lauter, während über eine neue Version
der ICD (ICD-11) debattiert wird.
Im Jahr 2010 hat der Vorstand der World Professional
Association for Transgender Health, Inc. (WPATH) „nachdrücklich zur weltweiten
Entpsychopathologisierung der Geschlechtsvarianten aufgerufen“, da „eine Psychopathologisierung
der Geschlechtscharakteristika und -identitäten Stigmatisierung fördert bzw.
verursachen kann und damit Vorurteile und Diskriminierung wahrscheinlicher
macht. Das wiederum macht Transgender und Transsexuelle anfälliger, sozial und
rechtlich ausgegrenzt und ausgeschlossen zu werden und setzt sie wachsenden Risiken
für ihr psychisches und physisches Wohlergehen aus.
“ ILGA-Europe und Transgender Europe (TGEU) haben in
ihrer gemeinsamen Erklärung Declaration of the Trans Rights Conference (2009)
die WHO dazu aufgerufen „die Menschenrechte transsexueller Menschen zu
schützen“, indem Störungen der Geschlechtsidentität (und ähnliche Pathologien)
gestrichen werden und eine „alternative, nicht pathologisierende Kategorie in
ICD-11“ aufgenommen wird, die Qualitätsstandards für medizinische Behandlungen
festlegt. Diese Behandlungen sollten umfassend genug sein, dass transsexuelle
Menschen ihr Geschlecht zum Ausdruck bringen können.
Die American Psychological Association (APA) überarbeitet
derzeit ihr Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM)
und zieht für das bevorstehende DSM-V eine Neueinteilung der Pathologien in
Betracht, die sich auf Transidentitäten beziehen. Bislang schaut es nicht so
aus, als ob die APA Transidentitäten von der Liste der Krankheiten streichen
wollte, auch wenn der APA die Diskriminierung von transsexuellen Menschen
bekannt ist und sie Leitlinien für die Behandlung von transsexuellen Menschen
in der Gesellschaft herausgegeben hat.
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