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Nikita Noemi Rothenbächer 2014
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vor, einer Minderheit anzugehören!
Guten Tag meine Damen und
Herren, bin Nikita Noemi , betreibe den Blog http://trans-weib.blogspot.de/
Denke vielen ist dieser Bekannt, das ist sehr gut so, hoffe Sie Erfahren
vieles Neues oder dieses von „Hören und Sagen“ nichts Genaues aber für Sie wo
möglich genug?
Aber bedenken Sie, das wenn Sie auch jetzt nicht Betroffen sind, kann es
eines Ihrer Kinder werden, „Gott Schütze Sie“, aber wenn doch, nun hier finden Sie
einiges an Wissenswertem!
Verbleibe Nikita Noemi
Leben zwischen den Geschlechtern
„ Intersexualität “
Bei meiner ersten bewussten Begegnung mit einem
intersexuellen Menschen war ich etwas befangen und auch neugierig. Mein
Gegenüber machte es mir aber leicht und so gelang es mir schnell, meine
Befangenheit zu überwinden, verstand aber, dass Begegnungen dieser Art oft
davon gekennzeichnet sind. Es geht - das ist meine persönliche Erfahrung und
auch der Leitgedanke, den ich bei der Befassung des Themas durch den Deutschen
Ethikrat hatte, - um Begegnung und um Dialog auf gleicher Augenhöhe. Es geht
darum, das Thema aus der Tabuzone heraus zu holen, es dann aber nicht gleich in
die Ecke der Sensation, sondern in den Bereich der Normalität zu bringen.
Einige Intersexuelle haben sich frühzeitig und schon vor der
offiziellen Beauftragung durch die Bundesregierung an den Deutschen Ethikrat
gewandt. Sie forderten, dass sich der Ethikrat mit dem gesellschaftlichen
Umgang mit Intersexuellen, insbesondere mit dem Umgang der Medizin mit den
Betroffenen, beschäftigen solle. Erschreckende Schicksale wurden uns
geschildert, die sich, als der Ethikrat sich dann nach der Beauftragung durch
die Bundesregierung intensiv mit der Thematik befasst hat, immer wieder
bestätigten. Viele der Betroffenen wurden frühzeitig, schon als Kind,
geschlechtszuordnenden medizinischen Eingriffen unterzogen, deren Tragweite sie
erst sehr viel später begreifen konnten. Des Weiteren schilderten sie immer
wieder mangelnde Aufklärung, Fehldiagnosen, Missverständnisse, belastende
Nachoperationen, Behandlungen mit vielen unerwünschten Nebenwirkungen und das
Gefühl, allein damit fertig werden zu müssen. Diese Erfahrungen wurden und
werden von vielen Betroffenen als eine Botschaft im Sinne von "Du bist
verkehrt, du musst korrigiert werden" verstanden. Die Auseinandersetzung
damit steht oft so stark im Vordergrund, dass für das Erkennen des eigenen
Andersseins und die Annahme dieses Andersseins wenig Raum bleibt. Kurz:
Intersexuelle leben bisher überwiegend in einem invalidierenden Umfeld aus
einer zu schnell handelnden und bedrohlich erlebten Medizin, aus
gesellschaftlicher Ignoranz und fehlender Unterstützung.
mpuls der Betroffenen und Auftrag der Bundesregierung
Auf internationaler Ebene haben sich Betroffene erstmals
1990 in der Intersex Society of North America zusammengeschlossen und das Thema
Intersexualität in einer zweigeschlechtlich geprägten Gesellschaft zu einem
öffentlichen Thema gemacht. Im deutschsprachigen Raum erfolgte die Gründung von
Selbsthilfeorganisationen erst später: 2004 der Verein Intersexuelle Menschen
und 2010 der Verein Zwischengeschlecht. Heute gibt es eine Vielfalt von
Organisationen und Selbsthilfegruppen, die für die Anerkennung Intersexueller
eintreten und trotz ihrer Unterschiedlichkeit in ihrer Kritik am medizinischen
und rechtlichen Umgang mit Intersexuellen und an der Einordnung der
Intersexualität als Krankheit übereinstimmen.
Der Deutsche Ethikrat hatte schon im Juni 2010 eines seiner
in Berlin regelmäßig stattfindenden Bioethik-Foren dem Thema
"Intersexualität - Leben zwischen den Geschlechtern" gewidmet, in dem
die Betroffenen und ihre Selbsthilfeorganisationen sowie im Feld tätige
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kamen. Im Dezember 2010
erfolgte der Auftrag der Bundesministerien für Bildung und Forschung und für
Gesundheit, den Dialog mit den Betroffenen fortzuführen und, wie es wörtlich im
Schreiben der Minister hieß, "ihre Situation und die damit verbundenen
Herausforderungen umfassend und unter der Einbeziehung der ärztlichen,
therapeutischen, sozialwissenschaftlichen und juristischen Sichtweisen
aufzuarbeiten und dabei klar von Fragen der Transsexualität abzugrenzen".
Hintergrund war die Aufforderung des Ausschusses der
Vereinten Nationen zur Überwachung des internationalen Abkommens zur
Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau an die deutsche
Bundesregierung, in einen Dialog mit intersexuellen Menschen zu treten und
wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen. Motor war auch
hier wieder die Selbsthilfebewegung der Betroffenen. Der Verein Intersexuelle
Menschen hatte 2008 an den UN-Ausschuss einen Bericht geschickt, in dem
insbesondere von intersexuellen Frauen Verstöße gegen grundlegende
Verpflichtungen der Konvention und Empfehlungen zur Vermeidung und Behebung von
Konventionsverstößen dargelegt worden waren.
Der Doppelauftrag der Regierung, einen Dialog zu führen und
eine Stellungnahme zu erarbeiten, hat sich als überaus produktiv und angemessen
erwiesen. Der Dialog wurde mit einer umfangreichen Befragung der Betroffenen,
an der sich rund 200 Personen beteiligt haben, eingeleitet und mit einer großen
öffentlichen Anhörung im Juni 2011 sowie einem moderierten Online-Diskurs
weitergeführt.[1] Hieraus haben sich unzählige Anregungen und Informationen,
aber auch Kontroversen ergeben, die ebenso wie die Ergebnisse einer
systematisierten Befragung von über 40 Wissenschaftlern und
Wissenschaftlerinnen aus den Bereichen der Medizin, des Rechts, der
Psychologie, der Ethik und der Philosophie in die öffentliche Stellungnahme
eingingen.
Zum Begriff Intersexualität
Eine Schwierigkeit, der wir und wahrscheinlich jeder auf der
politischen Ebene, der sich mit diesem Thema beschäftigt, begegneten, ist
alleine schon in dem Begriff der Intersexualität angelegt. Intersexualität, zu
Deutsch am besten mit "Zwischengeschlechtlichkeit" übersetzt,
bezeichnet Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Merkmale weder dem
männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Der Begriff
lässt dabei offen, ob es sich um ein "sowohl als auch" oder ein
"weder noch" handelt. Intersexualität soll ältere Begriffe wie
"Zwitter" oder "Hermaphroditismus", die diskriminierenden
Charakter haben können, ersetzen. Der Begriff "Intersexualität" ist
aber weder eindeutig noch unstrittig.
So wird er zum Teil auch für Personen mit Adrenogenitalem
Syndrom (AGS) verwendet, die genetisch eindeutig dem weiblichen Geschlecht
zugeordnet werden können, denen aber aufgrund hormoneller Störungen eine
Vermännlichung der äußeren Geschlechtsorgane droht. Diese Gruppe lehnt den
Begriff Intersexualität für sich überwiegend ab. Vor allem Eltern Betroffener
haben uns berichtet, dass sie den Begriff für ihre Kinder als diskriminierend
empfinden. Um dies zu würdigen, greift der Bericht des Deutschen Ethikrates auf
den medizinischen Begriff DSD zurück, der ursprünglich zwar für disorders of
sexual development stand, aber nach dem Vorschlag auch deutscher Ethiker und
Mediziner als differences of sexual development übersetzt und verstanden werden
sollte. Mit dieser rein phänomenologischen, die Unterschiedlichkeit
beschreibenden Verwendung verliert der Begriff seine negative Zuschreibung im
Sinne von Krankheit und Störung. Unter ihn können Menschen mit uneindeutigem
Geschlecht, also intersexuelle Menschen im engeren Sinne,[3] ebenso gefasst
werden wie die erwähnte Gruppe der AGS-Betroffenen, ohne diese zu
diskriminieren.
Im Gegensatz zu DSD-Betroffenen sind Transsexuelle Menschen
mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht, die aber feststellen, dass sie
psychologisch dem anderen Geschlecht zugehören oder sich zuordnen und die
deshalb teilweise geschlechtsändernde medizinische Eingriffe wählen.
Jüngere Geschichte
Wie schwer es ist, die pathologische Sichtweise auf
Intersexualität zu überwinden, zeigt ein Blick auf die jüngere Geschichte des
Umgangs mit Intersexuellen, mit deren Folgen die meisten heute erwachsenen
Betroffenen zu tun haben. Ab den 1950er Jahren hatte sich eine Vorgehensweise
eingebürgert, die sich auf die Forschungen des amerikanischen Psychologen John
Money berief. Money ging davon aus, dass die Geschlechtsidentität eines
Menschen hauptsächlich sozial geprägt wird und man daher die Geschlechtlichkeit
eines Kindes zumindest bis zum dritten Lebensjahr formen kann, ohne ihm Schaden
zuzufügen. Die Geschlechtsidentität würde sich erst danach entwickeln. Diese
Position verstand sich durchaus medizin- und biologiekritisch in dem Sinne,
dass den Sozialisationseinflüssen ein höheres Gewicht als den biologischen
Gegebenheiten zugemessen wurde. Moneys Theorie beeinflusste den Umgang mit
intersexuell geborenen Kindern über mehrere Jahrzehnte. Er empfahl, ein
intersexuell geborenes Kind durch Operation einem eindeutigen Geschlecht
zuzuordnen und begründete damit die Praxis der "optimalen
Geschlechtszuschreibung". Dabei wurden eher feminisierende Operationen
vorgenommen, da diese chirurgisch einfacher sind als maskulinisierende. Über
den Eingriff sollte das Kind auch später nicht aufgeklärt werden, um die sich
dann festigende Identitätsbildung nicht zu stören. Konsequenterweise sollte
dies auch noch im Erwachsenenalter beibehalten werden, was dann zu Praktiken
wie die Verweigerung der Akteneinsicht oder Behauptungen, es gebe keine Akten,
wovon Betroffene uns immer wieder berichtet haben, führte. In vielen Fällen
kann auch die ausreichende Aufklärung der Eltern, die ihre Zustimmung zu
solchen Eingriffen gaben, angezweifelt werden.
Erst 2005 wurde dieser Standpunkt innerhalb der Medizin
revidiert. Auf der Chicago Consensus Conference von 2005 wurden chirurgische
und hormonelle Eingriffe an Kindern mit uneindeutigem Geschlecht zwar nur noch
unter bestimmten Bedingungen, wie vollständiger Aufklärung und bei bestimmten Diagnosen
empfohlen, aber durchaus auch im Kindesalter, wie beispielsweise
Klitoris-Resektionen ab einer bestimmten Größenabweichung und
Keimdrüsenentfernungen vor der Pubertät bei atypischer Ausprägung.[4] Es gibt
nicht nur von Betroffenengruppen, sondern auch innerhalb der Medizin zunehmend
kritische Stimmen zu diesen Empfehlungen und einen beginnenden Wandel im
Verständnis von Intersexualität. So fordern die "Ethischen Grundsätze und
Empfehlungen bei DSD" der Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität
eine "therapeutische Haltung der Offenheit und Akzeptanz" und
betonen, dass "Maßnahmen, für die keine zufrieden stellende
wissenschaftliche Evidenz vorliegt, sowie Maßnahmen, die irreversible Folgen
für die Geschlechtsidentität oder negativen Auswirkungen auf Sexualität und
Fortpflanzungsfähigkeit haben können (...) einer zwingenden medizinischen
Indikation" bedürfen.[5] Kritisch werden dabei insbesondere die
Entfernungen der Keimdrüsen im frühen Alter gesehen.
Die Frage, was in diesem Zusammenhang aber eine
"zwingende medizinische Indikation" genau ist, wird unterschiedlich
beantwortet. Strittig ist, ob sich eine solche nur auf Eingriffe beziehen kann,
die zur Abwendung einer schwerwiegenden Gefahr für die physische Gesundheit
oder das Leben des Kindes erforderlich sind, wie dies bei einem eindeutigen
Tumorrisiko der Keimdrüsen gegeben wäre, oder ob eine medizinische Indikation
auch auf psychischen Belastungen wie der prognostizierten sozialen
Schwierigkeiten des Kindes und der Eltern gegründet werden kann. Damit ist
sicherlich die früher vorherrschende allgemeine Pathologisierung der
Intersexualität überwunden, zumal das Tumorrisiko der Keimdrüsen mittlerweile
weniger groß und sehr viel differenzierter als früher eingeschätzt wird. Ob
damit aber ein wirkliches Umdenken erreicht ist und operative Eingriffe nur
noch in Notfällen stattfinden, ist zu bezweifeln.
Wissenschaftliche Langzeitstudien zu den Folgen
medizinischer Eingriffe bei Intersexualität fehlen weitgehend. Insofern kommt
der Erhebung der Lebensqualität, insbesondere der psychischen Gesundheit, der
Behandlungszufriedenheit und der Zufriedenheit mit der Sexualität besonderes
Gewicht zu, um den Erfolg der Eingriffe abzuschätzen.
Medizinische Behandlung und Lebensqualität
Dem Deutschen Ethikrat lagen zunächst nur zwei empirische
Studien zur Lebensqualität vor: die Netzwerkstudie,[6] an der in den Jahren
2005 bis 2007 439 betroffene Personen teilnahmen, darunter 329 Kinder und
Jugendliche und 110 Erwachsene, und die Hamburger Intersex-Studie,[7] an der in
den Jahren 2007 und 2008 69 erwachsene Betroffene im Alter von 16 bis 60 Jahren
teilnahmen. Hinzu kam die bereits erwähnte eigene Erhebung des Deutschen
Ethikrates,[8] in der neben den Erfahrungen mit der medizinischen Behandlung
und der Lebensqualität auch Daten zur gesellschaftlichen Situation der
Betroffenen und ihren Einstellungen und Wünschen erhoben wurden. An der
Befragung von Mai bis Juni 2011 nahmen 199 Personen im Alter von neun bis 67
Jahren teil.
Keine der drei Studien kann für sich den Anspruch der
Repräsentativität erheben. Die Befunde sind zudem unter dem Vorbehalt zu sehen,
dass für Kinder unter vier Jahren die Eltern stellvertretend geantwortet haben
und in der Altersgruppe vier bis 16 Jahren die Antworten von den Betroffenen
und den Eltern gemeinsam gegeben wurden. Dennoch können, auch mangels anderer
Quellen, die Angaben dieser drei Studien wichtige Anhaltspunkte geben.
Die überwiegende Mehrheit der in diesen drei Studien
erfassten DSD-Betroffenen wurde unabhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit zu
einer DSD-Untergruppe chirurgischen Eingriffen unterzogen (68 bis 81 Prozent),
davon der größte Teil bereits im Alter bis zur Schulreife, also in einem nicht
zustimmungsfähigen Alter (70 bis 86 Prozent). Wie die Ergebnisse der
Netzwerk-Studie zeigen, in die auch die Daten von Kindern ab der Geburt
aufgenommen wurden, sind diese Zahlen offensichtlich auch für die jüngste Zeit
von Bedeutung, wenngleich die meisten vom Ethikrat befragten Mediziner und
Medizinerinnen einen Wandel in der Grundeinstellung und eine größere
Zurückhaltung bei frühen Eingriffen berichtet haben. Lediglich bei Betroffenen
mit kompletter Androgeninsensitivität (cAIS) hat die Zahl der frühen
Operationen etwas abgenommen. Hier findet offenbar das Wissen um das nur
geringe Tumorrisiko der Keimdrüsen langsam Eingang in die Praxis.
Die Einwilligung der Betroffenen - in vielen Fällen der
Eltern - wird nach den vorliegenden Auswertungen zwar überwiegend als formal
gegeben angesehen, die Art und die Qualität der Aufklärung aber als
unzureichend. Insbesondere wird der Umfang der Aufklärung bemängelt, der
Zeitdruck der Entscheidung, die Nichterläuterung von Alternativen und die
mangelnden Einbeziehung des Kindes beziehungsweise Heranwachsenden.
Zur allgemeinen, subjektiv geäußerten Lebensqualität sagen
die drei Studien Folgendes: Unterscheidet man danach, in welcher
Geschlechtsrolle die betreffende Person lebt, so stufen die in der weiblichen
Geschlechtsrolle lebenden Menschen mit DSD ihre Lebensqualität durchschnittlich
so hoch ein wie in den vergleichbaren Altersgruppen ohne DSD, die Personen mit
DSD, die in der männlichen Rolle leben, aber niedriger als die
Vergleichsgruppen. Unterscheidet man nach der DSD-Diagnose, so ergeben sich
deutlichere Unterschiede: AGS-Betroffene schätzen ihre allgemeine
Lebensqualität überwiegend positiv ein (86 bis 99 Prozent), die anderen
DSD-Betroffenen nur leicht über dem Mittelmaß (55 bis 65 Prozent). Die
Zufriedenheit mit der psychischen Gesundheit wird dabei allerdings sehr niedrig
eingeschätzt. Nur 40 Prozent dieser anderen DSD-Betroffenen sind mit ihrer
psychischen Gesundheit zufrieden. Behandlungsrelevante psychische Symptome wie
Depression, Angst und reaktive Störungen wurden in der Hamburger
Intersex-Studie bei 61 Prozent, in der Netzwerk-Studie bei 45 Prozent der
Befragten festgestellt.
Abweichend von der allgemeinen Lebensqualität wird in allen
drei Studien die sexuelle Lebensqualität in stärkerem Maße negativ
eingeschätzt. Frauen mit AGS äußern zwar überwiegend noch eine mittlere
Zufriedenheit mit ihrem Sexualleben im Allgemeinen, sind aber oft unzufrieden
mit ihrem Aussehen oder der Funktion ihrer Genitalien. Sie empfinden sich als
wenig sexuell aktiv und sind häufiger alleinstehend. Auch die anderen DSD-Betroffenen
leben signifikant häufiger als die Normstichprobe als Single. Bei ihnen besteht
darüber hinaus eine hohe Unzufriedenheit mit der sexuellen Lebensqualität. Sie
erleben Angst und Unsicherheit in sozialen und sexuellen Situationen und leiden
in erheblichem Ausmaß unter gravierenden sexuellen Problemen.
Während die ursprüngliche Geschlechtsrollenzuweisung nach
der Geburt überwiegend als zufriedenstellend erlebt wird (70 Prozent laut
Hamburger Intersex-Studie), zeigt fast die Hälfte der Betroffenen (48 Prozent)
eine Verunsicherung der Geschlechtsidentität. Mehr als ein Viertel (28 Prozent)
zeigt eine ausgeprägte Transgender-Identität. 35 Prozent der in der weiblichen
Rolle lebenden Personen zeigen auffällig niedrige Weiblichkeitswerte
(Identifikation mit der weiblichen Rolle), 19 Prozent sogar hohe
Männlichkeitswerte.
Während sich AGS-Betroffene eher zufrieden mit der erfolgten
Behandlung und den Operationsergebnissen äußern, überwiegt bei den anderen
DSD-Betroffenen die Unzufriedenheit. Insbesondere Betroffene mit partieller und
in noch stärkerem Maße Betroffene mit kompletter Androgeninsensitivität äußern
sich unzufrieden mit den chirurgischen Ergebnissen und den sexuellen
Folgeproblemen. Zusammenhänge zwischen bestimmten Operationen an den äußeren Geschlechtsmerkmalen
und psychosexuellen Störungen werden in allen Untersuchungen und Publikationen
als gesichert angesehen.
Bei aller gebotenen Vorsicht lassen die bisherigen Befunde
folgende Schlüsse zu: Die erfolgten medizinischen Maßnahmen können für die
Gruppe der AGS-Betroffenen überwiegend als offensichtlich angemessen bezeichnet
werden, wenngleich die Befunde zur sexuellen Zufriedenheit und zu den sexuellen
Identitätsstörungen Zurückhaltung und sorgfältige Abwägung aller Vor- und
Nachteile bei operativen Eingriffen sowie besondere Achtsamkeit bei der
Aufklärung, Beratung und psychologischen Begleitung der Betroffenen und ihrer
Eltern gebieten. Für die Gruppe der anderen DSD-Betroffenen können die
angestrebten Ziele der Lebensqualität, der psychischen Gesundheit und der
Sicherheit der Geschlechtsidentität aber offensichtlich mit den eingesetzten
medizinischen Methoden nicht erreicht werden. Die Angehörigen dieser Gruppen
leiden in hohem Maße unter einer psychischen Symptomlast, unter Einschränkungen
ihrer sexuellen Lebensqualität und Unsicherheiten ihrer Geschlechtsidentität.
Zur sozialen Realität der Betroffenen
Die Verschiedenheit von AGS-Betroffenen und anderen
DSD-Betroffenen zeigt sich auch in den Ergebnissen der Befragung des Ethikrates
zu den Bereichen der gesellschaftlichen Erfahrungen und der persönlichen
Einstellungen, weniger bei den Forderungen an die Gesellschaft.
DSD-Betroffene, die nicht unter die AGS-Diagnose fallen,
geben an, häufig Diskriminierungen und Ausgrenzung zu erleben, unter der
Tabuisierung des Themas zu leiden, Probleme mit der binären
Geschlechtseinordnung zu haben und häufig körperliche Gewalt, Spott und
Beleidigung sowie vielfältige Hürden im Alltag zu erfahren. AGS-Betroffene
geben überwiegend an, solche Erfahrungen nicht zu machen und keine Hürden im
Alltag zu haben. 87 Prozent der AGS-Betroffenen fühlt sich integriert in die
Gesellschaft, aber nur 46 Prozent der anderen DSD-Betroffenen. AGS-Betroffene
haben überwiegend keine Kontakte zu anderen gleich Betroffenen, wohingegen rund
80 Prozent der anderen DSD-Betroffenen solche Kontakte angeben.
85 Prozent der AGS-Betroffenen bewerten frühe
geschlechtszuordnende Operationen durch die Zustimmung der Eltern als
gerechtfertigt gegenüber nur sechs Prozent der anderen DSD-Betroffenen.
Umgekehrt stimmen nur elf Prozent der AGS-Betroffenen der Aussage zu, dass mit
Genitaloperationen außer in medizinischen Notfällen bis zum
entscheidungsfähigen Alter gewartet werden soll, aber 97 Prozent der anderen
DSD-Betroffenen. Nur 31 Prozent der AGS-Betroffenen stimmen für ein Offenlassen
der geschlechtlichen Zuweisung eines Kindes gegenüber 92 Prozent der anderen
DSD-Betroffenen. 70 Prozent der AGS-Betroffenen sprechen sich für eine
Beibehaltung der Zweiteilung der Geschlechtskategorien aus, aber nur fünf
Prozent der anderen DSD-Betroffenen.
Bei der Frage nach der Art einer anzustrebenden Neuordnung
des Personenstandsrechts sprechen sich diejenigen AGS-Betroffenen, die nicht
für eine Beibehaltung des binären Systems eintreten, eher für eine Öffnung um
eine dritte Kategorie oder die Möglichkeit, den Eintrag im Kindesalter offen zu
lassen, aus, die anderen DSD-Betroffenen eher für eine generelle Abschaffung
des Geschlechtseintrags und nur ersatzweise für die Einführung weiterer
Kategorien.
Keine Unterschiede zwischen den beiden DSD-Gruppen zeigen
sich bei den Forderungen zur Verbesserung der Situation. 36 Prozent wünschen
sich mehr Aufklärung in der Gesellschaft, 86 Prozent befürworten außerklinische
Kontakt- und Beratungszentren. Im Online-Diskurs des Ethikrats haben Betroffene
darüber hinaus finanzielle und strukturelle Hilfen für Selbsthilfegruppen zur
Errichtung eines bundesweiten Hilfenetzwerks gefordert. Die befragten
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fordern interdisziplinäre
Kompetenzzentren zur fachlich bestmöglichen Behandlung der Betroffenen mit mehr
Zeit, weniger Entscheidungsdruck und größerer Beachtung der jeweils
individuellen Umstände.
Die Ergebnisse zeigen eine große Übereinstimmung aller
Betroffenen, aber auch der befragten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen,
in den Forderungen zur Verbesserung der Situation. In den Bereichen der
gesellschaftlichen Erfahrungen und der persönlichen Einstellungen zeigen sich
jedoch erhebliche Unterschiede zwischen AGS-Betroffenen und anderen
DSD-Betroffenen, die auf die Unterschiedlichkeit der jeweiligen körperlichen
Besonderheiten und Lebenswelten hindeuten. Für die Gruppe der DSD-Betroffenen,
die nicht unter die Diagnose AGS fallen, weisen die Befragungsergebnisse ebenso
wie die Zeugnisse im Online-Diskurs auf eine mangelhafte Integration und
Teilhabe an der Gesellschaft hin.
Der Deutsche Ethikrat hat vor dem Hintergrund dieser Befunde
eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Untergruppen von DSD
vorgenommen und unterscheidet zwischen geschlechtsvereindeutigenden und
geschlechtszuordnenden Eingriffen. Unter geschlechtszuordnend werden
medizinische, meist chirurgische Eingriffe, verstanden, die bei uneindeutiger
Geschlechtlichkeit, beispielsweise bei Menschen, bei denen sowohl männliche als
auch weibliche körperliche Merkmale innerlich und äußerlich vorhanden sind,
eine Zuordnung zu dem einen oder dem anderen Geschlecht herstellen. Solche
Operationen bewertet der Ethikrat als einen Eingriff in das Recht auf
körperliche Unversehrtheit und auf Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen
Identität, über die grundsätzlich nur die Betroffenen selbst entschieden
können. Der Ethikrat gibt die Empfehlung, mit solchen operativen Eingriffen bis
in das entscheidungsfähige Alter des Jugendlichen beziehungsweise jungen
Erwachsenen abzuwarten, es sei denn, unabweisliche Gründe des Kindeswohls wie
eine schwerwiegende Gefahr für die physische Gesundheit des Kindes durch ein
nachgewiesenes erhöhtes Tumorrisikos stehen dagegen. Alle Erfahrung zeigt, dass
eine bis in Kindheit und Jugend reichende Erziehung, die die
Geschlechtseinordnung offen lässt, möglich, wenn auch nicht einfach ist, aber
weniger Leid bedeutet als frühzeitig festlegende Operationen, welche die
Betroffenen später als traumatisch erleben und von denen ihr Leben
gekennzeichnet ist.
Anders schätzt der Ethikrat die Situation ein, wenn wie im Falle
des Adrenogenitalen Syndroms das Geschlecht feststeht. Mit vereindeutigenden
Eingriffen ist dann die Korrektur einer biochemisch-hormonelle Fehlfunktion
gemeint, die potenziell einen gesundheitsschädigenden Charakter hat.
Gegebenenfalls fällt hierunter auch ein operativer Eingriff (Klitorisresektion)
zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes an das genetische und durch die
inneren Geschlechtsorgane feststehende Geschlecht. Diese Empfehlung hat von
Seiten des AGS-Eltern- und Patienteninitiative e.V. große Zustimmung erhalten,
ist aber auf harte Kritik des Vereins Intersexuelle Menschen gestoßen, weil er
auch darin einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sieht, der
schwerwiegende psychische Folgen für die Betroffenen habe. Der Ethikrat hat solche
Eingriffe zwar als weniger gravierend als geschlechtszuordnende Eingriffe (wie
Gonodenentfernungen) angesehen, seinen Vorschlag aber dahingehend abgeschwächt,
dass auch in diesen Fällen stets eine individuelle und umfassende Abwägung der
medizinischen, psychologischen und psychosozialen Vor- und Nachteile im Sinne
des Kindeswohls erfolgen muss und im Zweifel immer die Entscheidungsfähigkeit
der Betroffenen abgewartet werden sollte.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Befunde und
Erfahrungsberichte bezüglich nicht ausreichender Information sollte in Zukunft
die medizinische, psychologische und psychosoziale Kompetenz, die heute
vorhanden ist, allen Betroffenen sowie betroffenen Eltern frühzeitig zur
Verfügung stehen. Der Ethikrat empfiehlt deshalb, die medizinische Diagnostik
und Behandlung von DSD-Betroffenen nur in einem speziell dafür qualifizierten,
interdisziplinär zusammengesetzten Kompetenzzentrum von Ärzten, Psychologen,
Sozialberatern und anderen Experten vorzunehmen. Die fortlaufende medizinische
Betreuung sollte dann in unabhängigen qualifizierten Betreuungsstellen
fortgeführt werden, in denen auch nach dem peer-Beratungsprinzip Betroffene
andere Betroffene beraten.
Die Frage, ob es zulässig ist, dass Menschen mit
uneindeutigem Geschlecht gezwungen werden dürfen, sich entweder der Kategorie
"weiblich" oder "männlich" zuzuordnen, bewertet der
Ethikrat als nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte
und schlägt die Regelung vor, neben den Alternativen "weiblich" und
"männlich" nach australischem Vorbild auch die Kategorie
"anderes" einzuführen. Diese Kategorie soll von Menschen mit
uneindeutigem Geschlecht gewählt werden können. Dies heißt, dass die
Betroffenen sich keinesfalls in diese Kategorie einordnen müssen, sondern ihnen
nur der Weg eröffnet werden muss, ihre andere Geschlechtlichkeit so zu
dokumentieren. Die Entscheidung der Eintragung ins Personenstandsregister soll
darüber hinaus für Menschen mit uneindeutigem Geschlecht offen bleiben können,
damit diese ohne Druck und erst, wenn die Entscheidung herangereift ist,
erfolgen kann. Der Gesetzgeber sollte ein Höchstalter festlegen, bis zu dem die
betroffene Person sich entschieden haben soll. Denkbar ist das 21. oder das 25.
Lebensjahr. Wichtig ist, dass für die Gruppe der Menschen mit uneindeutigem
Geschlecht der Druck möglichst gering gehalten wird.
Auch zur Frage der Partnerschaft beziehungsweise
Eheschließung von Menschen, die dann in der Kategorie "anderes"
eingetragen sind, hat sich der Ethikrat Gedanken gemacht. Die Mehrheit der
Mitglieder ist dafür, auf jeden Fall die Lebenspartnerschaft dafür zu öffnen.
Ein Teil des Ethikrates schlägt auch vor, die Möglichkeit der Eheschließung in
diesem Falle zu öffnen, ein anderer Teil ist dagegen. Völlig ungeklärt ist dann
aber, was passiert, wenn ein zurzeit verheirateter intersexueller Mensch, der
nach bisherigem Recht binär zugeordnet war, sich entscheidet, zur Kategorie
"anderes" zu wechseln. Müsste diese Person sich dann scheiden lassen?
Wenn man die Kategorie "anderes" einführt, muss man nach meiner
Überzeugung Lebenspartnerschaft und Ehe dafür öffnen. Es wäre aber bedauerlich,
wenn an dieser Frage die so wichtige Einführung der Kategorie
"anderes" scheitern sollte.
Ausblick
Bei der Frage des Umgangs mit intersexuellen Menschen ist
die gesamte Gesellschaft und jeder Einzelne sozial und kulturell gefordert,
dieses Anderssein zu begreifen und nicht nur zu tolerieren, sondern mitten in
unserer Gesellschaft willkommen zu heißen. Das ist mein Fazit aus der
außerordentlich bereichernden Begegnung mit den Betroffenen und der Befassung
mit dem Thema. Ich schließe deshalb mit einem für mich sehr wichtigen Satz aus
unserer Stellungnahme: "Menschen mit DSD müssen mit ihrer Besonderheit und
als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft
erfahren."
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