Donnerstag, 14. August 2014

In Indien gibt es jetzt drei Geschlechter Historischer Erfolg für Transsexuelle: Im konservativen Indien werden sie fortan als dritte Geschlechtsgruppe anerkannt und erhalten wichtige Minderheitenrechte.

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In Indien gibt es jetzt drei Geschlechter Historischer Erfolg für Transsexuelle:Im konservativen Indien werden sie fortan als dritte Geschlechtsgruppe anerkannt und erhalten wichtige Minderheitenrechte.

Die Transgender-Gemeinde jubelt.
Von Sophie Mühlmann

Drittes Geschlecht in Indien offiziell anerkannt

In Indien gibt es künftig drei Geschlechter. Das hat nun der oberste Gerichtshof entschieden. Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich bezeichnen, sollen künftig als "drittes Geschlecht" gelten.
Sie werden verspottet, missachtet und missbraucht: Indiens "Hijra", die Männer in Frauenkleidern, die weiblichen Seelen im männlichen Körper. Ihr Brot verdienen die meisten von ihnen ohne Würde: mit Singen und Tanzen, mit Betteln oder dem Verkaufen ihres Körpers. Nun gaben die Richter den Transsexuellen Status und Selbstachtung zurück: sie schenkten ihnen eine eigene Identität.

Indien hat – nach Australien, Neuseeland und Nepal – nun offiziell drei Geschlechter. Der Oberste Gerichtshof des Landes hat am Dienstag in der Hauptstadt Neu-Delhi ein historisches Urteil gefällt: Gleiches Recht für alle: für Frauen, für Männer und für das sogenannte dritte Geschlecht.

Diese je nach Schätzung ein bis zwei Millionen Transsexuellen des südasiatischen Subkontinents fühlen sich weder als Männer noch als Frauen. Früher in Indiens Geschichte wurden die Hijra respektiert. Besonders in ihrer Glanzzeit, in den Jahren der muslimischen Moghulherrschaft, genossen sie als Hof- oder Haremseunuchen großes Ansehen. Nicht selten hatten sie wichtigen Posten inne.

400 Jahre ein fester Platz in der Geschichte

Sie galten als gesegnet, doch das ist lange vorbei. Inzwischen wurden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt und massiv diskriminiert – obwohl sie seit über 4000 Jahren einen festen Platz in der indischen Kultur und in den Geschichtsbüchern und Epen innehaben.


Bei einem Protestmarsch durch Mumbai demonstrierten diese Transexuellen für mehr Rechte – die sie jetzt eingeräumt bekommen

Gezwungen, sich zu verkaufen: Eine Prostituierte, transsexuell, bietet ihre Dienste an
Heute aber erklingen schrille Pfiffe und Beleidigungen, wenn ein Mann in Frauengewändern eine indische Straße überquert. Krankenhäuser lehnen es mitunter ab, einen Transsexuellen aufzunehmen.
Das alte Gesetz verweigerte Eunuchen, Hermaphroditen und Corssdressern bis vor einem Jahr noch das Recht zu wählen. Sie durften kein Eigentum besitzen, nicht heiraten oder ihre Identität mit einem Pass oder Führerschein belegen.

Stattdessen zwangen die Behörden sie, sich bei amtlichen Vorgängen für männlich oder weiblich zu entscheiden. In Ämtern und Bildungsstätten, selbst in Eisenbahnen und Bussen, nicht einmal in öffentlichen Toiletten (mit Ausnahme des Bundesstaates Tamil Nadu) gab es einen Ort für sie. Wo sie auch hinkamen, sie waren nicht willkommen – und sie fühlten sich fehl am Platz.

Transsexuelle sind auch Bürger Indiens

Das soll nun anders werden. Es sei "der Geist der Verfassung, allen Bürgern die gleichen Chancen einzuräumen, unabhängig von Kaste, Religion oder Geschlecht", erklärte das Gericht. "Transsexuelle sind auch Bürger Indiens", und man müsse ihnen "dieselben Möglichkeiten zu wachsen zur Verfügung stellen". Das Urteil legt nun schwarz auf weiß fest: "Es ist das Recht eines jeden menschlichen Wesens, sein Geschlecht selbst zu wählen".

Lakshmi Narayan Tripathi, ein Aktivist für die Rechte von Transsexuellen, freute sich gegenüber der "Times of India" über den Gerichtsbeschluss: "Der Fortschritt des Landes hängt von den Menschenrechten seiner Bevölkerung ab, und wir sind sehr glücklich über die Entscheidung, denn der Oberste Gerichtshof hat uns diese Rechte gegeben. Heute bin ich zum ersten Mal stolz, Inder zu sein." Tripathi war einer der Anführer der Bewegung gewesen, die den Stein 2012 durch eine landesweite Petition ins Rollen gebracht hatten.

Die hohen Herren auf der Richterbank haben die neue Kategorie klar definiert: Alle, die in das eine Geschlecht hineingeboren wurden, später aber durch Operation, Kleidung oder Make-up die äußerlichen Merkmale des anderen angenommen haben oder die schlicht das Leben des anderen Geschlechtes führen, gelten nun offiziell als "drittes Geschlecht" mit allen entsprechenden Rechten.

Rückfall bei Homosexualität

Homo- und Bisexuelle, stellten die Richter allerdings klar, fallen nicht unter diese neue Kategorie. Das gleiche Gericht hatte erst vor vier Monaten ein heftig kritisiertes Gesetz aus der britischen Kolonialzeit wieder neu installiert, das Geschlechtsverkehr zwischen Homosexuellen strafbar macht und für "widernatürlich" erklärt. Dabei war Homosexualität in Indien erst 2009 legalisiert worden.

Das dritte Geschlecht aber darf sich fortan ganz offiziell an Schulen und Universitäten einschreiben und um eine Arbeitsstelle bewerben. Quoten werden eingeführt, wie sie bereits für andere "sozial und wirtschaftlich rückständige" Minderheiten existieren. Auch sollen die Transsexuellen von nun an einen eigenen Platz innerhalb des Sozialsystems bekommen.

Das staatliche Gesundheitssystem soll sich offiziell mit ihren speziellen medizinischen Besonderheiten vertraut machen. Und eine landesweite Aufklärungskampagne soll außerdem das Stigma aus der Welt schaffen, das die Hijra bisher umgab. "Sie sind Teil der Gesellschaft", erklärte das Gericht, "und die Regierung muss Schritte einleiten, um sie dem gesellschaftlichen Mainstream zuzuführen".

Sie flüchten sich in Nischen

Leichter gesagt als getan. Transsexuelle haben es in Indiens traditioneller Gesellschaft schon innerhalb ihrer eigenen Familie so schwer, dass die meisten gezwungen sind, ihr Zuhause zu verlassen. Sie flüchten sich in Nischen, wo sie mehr oder weniger geduldet werden.

Dem alten Brauch und Aberglaube nach können die Hijra Menschen segnen oder verfluchen. Man bezahlte sie, um sich durch sie das Pech vom Leib zu halten. So erscheinen sie bis heute gern bei Geburten und Hochzeiten, bei Firmengründungen und Einzügen in ein neues Zuhause. Sie betteln und provozieren: stimmt das Geld nicht, heben sie gern mal ihren Rock hoch, denn für fromme Hindus bedeutet der Anblick der kastrierten männlichen Genitalien einen Fluch, der sieben Jahre anhält.

Im Bundesstaat Bihar wurde seit 2006 gar der schlechte Ruf der Hijra ausgenutzt: Sie wurden für einen geringen Lohn offiziell als Steuereintreiber eingesetzt. Die bunten Vögel mussten vor dem Haus des Steuerhinterziehers so lange laut singen, bis es ihm so peinlich wurde, dass er bezahlte. Diese Methode erwies sich als die effektivste im ganzen Land.

Heldenhafter Eunuch im Film

Der Trend zu einer liberaleren Einstellung ist aber bereits seit einiger Zeit zu spüren, und es gibt immer mehr Ausnahmen aus den Kreisen der Transsexuellen, die es ins Rampenlicht schaffen und Respekt genießen. Indien hatte ein erstes transsexuelles Fotomodell und eine Hijra-Fernsehmoderatorin. In dem Bollywoodfilm "Jodhaa Akbar", einem historischen Epos aus dem Jahr 2008, hat eine Hijra nicht wie sonst üblich die komische Rolle inne, sondern stellt einen heldenhaften Eunuchen an der Seite der weiblichen Hauptrolle dar.

Die transsexuelle Kalki Subramanian hat 2009 die weltweit erste Online-Datingwebsite für ihresgleichen gegründet – mit großem Erfolg. Und im März 2000 zog im Bundesstaat Madhya Pradesh mit Shabnam "Mausi" ("Tante" Shabnam) sogar zum ersten Mal eine Hijra ins Parlament ein.

Mit dem historischen Urteil wird der gleichwertige Status der Hijra nun amtlich. Auf dem Papier klingt das neue Gesetz vielversprechend. Doch der Weg zu echter Gleichberechtigung wird lang und steinig. Indien ist eine zutiefst chauvinistische Gesellschaft. In einem Land, wo schon Frauen kaum Rechte haben, warnen Kritiker, wo junge Mädchen wie alte Weiber auf offener Straße vergewaltigt werden, wie kann man da erwarten, dass ein Mann in Frauenkleidern von heute auf morgen respektiert wird?


Anderssein darf sich sehen lassen Die Life-Ball-Plakate mit Transgender-Model Carmen Carrera haben nicht nur Bewunderer. 
Ja, dürfen sie denn das? Da meint man eine Frau mit perfekten Rundungen zu bestaunen, die dasteht, wie Gott sie schuf, mit vielleicht etwas zu straffem Busen, aber doch eindeutig weiblichen Geschlechts.
Und siehe da: Einen halben Meter weiter rechts ist dieselbe Nackte abgebildet, wieder mit gefälligem Dekolleté, aber da hängt noch ein Penis dran, der da sogar hingehört. Bei dem Modell für den Wiener Life Ball handelt es sich nämlich um Transgender-Woman Carmen Carrera, die heute zwar als Frau lebt, ihr männliches Geschlecht aber nicht entfernen ließ.
Es ist die programmierte Erregung:

Das Life-Ball-Plakat 2014, gestaltet von Starfotograf David LaChapelle, ist als "Ode an Toleranz und Akzeptanz" konzipiert – und als Provokation.

Die ist auch, zumindest zum Teil, gelungen. Obwohl sich der Organisator der Benefiz-Veranstaltung, Gery Keszler, einen lauteren Aufschrei erwartet hätte. Mehr als 100 Beschwerden gingen seit Beginn der Woche beim Werberat ein, einige Penisse auf den in Wien affichierten Plakaten wurden von Passanten übermalt. Am lautesten wird freilich in den sozialen Netzwerken getobt und gegeifert. Eine oft geäußerte Befürchtung auf Facebook und Twitter: Wie soll ich das bitte meinem Kind erklären?

Überforderung
Sandra Vélasquez ist Kinderpsychologin in Wien. Die Aufregung um das Life-Ball-Plakat ist bereits bis in ihre Praxis vorgedrungen. "Zwei verunsicherte Eltern haben nachgefragt, wie sie damit umgehen sollen. Dieses Thema geht ganz tief in die Glaubens- und Wertesysteme der Menschen", sagt Vélasquez. "Als Teenies haben wir nackte Menschen heimlich unter der Decke angeschaut, jetzt hängen Bilder von Nackten überall in der Stadt. Viele sind damit total überfordert."

Die Psychologin rät ihren Klienten zu einem ehrlichen, altersgerechten Umgang mit dem Thema "Anderssein". "Die Meinung der Kinder bitte zulassen." Es könne nämlich gut sein, dass Erwachsene schockiert reagieren, während Kinder die Plakate lustig finden, sagt Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung.

Einem kleinen Kind, das vor einem der Life-Ball-Plakate stehen bleibt, könnte man etwa sagen, dass es Männer gibt, die Frauen sein wollen, und umgekehrt, sagt Vélasquez. "Kinder verstehen, dass Transgender eine gesellschaftliche Realität ist."

Bei älteren Kindern und Jugendlichen könne man etwas konkreter werden und zum Beispiel antworten, dass der menschliche Körper eben vielfältig sei. Ikrath: "Das gibt es halt auch, selbst wenn es nicht allzu häufig vorkommt."

Wobei der Jugendforscher die Sorge um das Seelenheil der Kinder nur als vorgeschobenes Argument betrachtet. "Bei Dingen, die Erwachsenen Unbehagen bereiten, sind Kinder eine beliebte Projektionsfläche." Das schrille Image des Life Balls sei zwar mittlerweile allgemein akzeptiert, als ein Refugium für Menschen, die anders sind. Im Alltag wolle man mit diesem Treiben aber nicht konfrontiert werden.

Dabei ist die Botschaft des Plakates mehr eine Aufforderung zu mehr Toleranz als eine Kampfansage ans Establishment, erläutert Ikrath. Ganz im Sinne des diesjährigen Life-Ball-Stargastes Conchita Wurst: "Es gibt mehr als Schwarz und Weiß. Es klingt kitschig, aber am Ende sind wir alle gleich."


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